Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 14.09.2011


BPatG 14.09.2011 - 28 W (pat) 572/10

Markenbeschwerdeverfahren – "Pegasus/PEGASUS (IR-Marke, Wort-Bild-Marke)" – Warenähnlichkeit - klangliche und begriffliche Verwechslungsgefahr


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
28. Senat
Entscheidungsdatum:
14.09.2011
Aktenzeichen:
28 W (pat) 572/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 307 48 628

hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. September 2011 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Klante, sowie der Richter Schwarz und Schell

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Gegen die Eintragung der für die nachfolgend aufgeführten Waren

2

„orthopädische Artikel; Gehilfen, nämlich Gehböcke, Krücken, Handstöcke, Unterarmgehstützen, Achselstützen, Arthritisstützen, Gehbarren; Toilettenstühle; Dusch- und Badewannensitze; Rollstühle; Gehhilfen, nämlich fahrbare Gehhilfen wie Gehwagen, Deltaräder und Rollatoren“

3

geschützten Wortmarke 307 48 628

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Pegasus

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ist Widerspruch eingelegt worden aus der prioritätsälteren, international registrierten Wort- Bildmarke IR 621 211

Abbildung

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die für die nachfolgend aufgeführten Waren der Klassen 6, 7, 8, 9, 11, 12, 14, 16, 17, 18, 20, 21, 22, 24, 25 und 28

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„Bicycle holders of metal, mounting brackets of metal, apparatus for straightening frames and forks, mainly consisting of metal ties; tubes for bicycles; metal tent pegs; winners' labels, plaques, cups and plates not of precious metal; locks for cycles (of metal); ornamental nuts of metal; baskets for luggage racks of metal; tent accessories, namely vertical and horizontal bars, pegs of metal.

8

Ball-bearings and control elements for bearings.

9

Control elements mainly consisting of ornamental nuts, threaded cones, fork cones, tab washers.

10

Electric warning devices, tachometers, bicycle computers; odometers; pressure gauges, apparatus for straightening frames and forks, mainly consisting of mechanical and/or electronic measuring and checking apparatus; protective helmets and eyewear, sports eyewear.

11

Incandescent lamps, lights for bicycles, side lights, headlights and tail lights.

12

Two-wheeled vehicles, especially bicycles and two-wheeled motor vehicles, spare parts and accessories for the aforesaid goods, namely, wheel hubs, handlebars, handlebar arch frames, handlebar foreparts, rims, mudguards, spokes, chains, chain-guards, hub and chain gear shifting mechanisms; luggage racks, bells for bicycles, bulb horns, direction indicators, air pumps, saddles for bicycles and two-wheeled motor vehicles, tires and inner tubes for pneumatic tires, tool kits; handlebar grips and handlebar tape; special parts for bicycles; special parts for mountain bikes, brakes and their parts, Bowden cables and their parts, kickstands, adhesive rubber washers for repairing inner tubes, large freewheel sprockets, forks and their parts, endpieces for forks and afterbodies, sprocket linings and sprockets, couter-pedaling and multi-gear hubs, sleeves and other connecting parts for frames, spoke nipples, pedals, frames, toe clips and straps for the feet, rearview mirrors, mudguards and their parts, control parts, support wheels for children's bicycles, pedal cranks, pedal bracket bearings and their parts; roof luggage racks.

13

Pins made of non-precious metals (jewelry articles); chronometers.

14

Stickers; paper pennants, self-adhesive winners' labels and cards of plastic.

15

Rings of rubber and of plastic, cords.

16

Carry-all bags of fabric for bicycles.

17

Baskets for luggage racks not made of metal, tent pegs of plastic, sleeping bags, ornamental nuts not of metal, accessories for tents, namely vertical and horizontal bars, pegs not of metal.

18

Winner's gourds, cups and plates made of glass.

19

Tents; cords.

20

Pennants not of paper, winners' labels and cards made of fabric.

21

Kidney belts, boots for motorcyclists.

22

Gymnastic apparatus, training apparatus and indoor training apparatus, as well as accessories and spare parts for such goods; roller skates, skateboards, leisure games.

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geschützt ist.

24

Die Markenstelle für Klasse 10 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die angegriffene Marke auf den Widerspruch hin für die Waren

25

„Rollstühle; Gehhilfen, nämlich fahrbare Gehhilfen wie Gehwagen, Deltaräder und Rollatoren“

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teilweise gelöscht und den Widerspruch im Übrigen zurückgewiesen.

27

Hiergegen wendet sich die Markeninhaberin mit ihrer Beschwerde. Zur Begründung trägt sie vor, die verfahrensgegenständlichen Vergleichswaren seien bereits hinsichtlich ihrer Art, ihrer Beschaffenheit und im Hinblick auf ihren Verwendungszweck völlig unterschiedlich. Dem Umstand, dass die Vergleichswaren in einzelnen Bestandteilen übereinstimmen könnten, komme für sich genommen keine Bedeutung zu. Entscheidend bleibe vielmehr, dass der technische Aufbau und das erforderliche Know-how für Zweiräder grundverschieden seien und deshalb charakteristische Konstruktionselemente von Zweirädern bei Rollstühlen fehlten. Zudem handle es sich bei den beschwerdegegenständlichen Waren des angegriffenen Zeichens um Medizinprodukte, während sich Zweiräder nicht für die Zielgruppe von Rollstühlen und Gehhilfen eigneten. Aus diesem Grund gebe es zwischen den Zielgruppen der sich gegenüber stehenden Waren keine Überschneidungen. Dies sei den angesprochenen Verkehrskreisen auch bewusst, bei denen es sich um Fachkreise sowie in ihrer Mobilität eingeschränkte Verbraucher handle. Im Übrigen werde auf die Entscheidung 28W(pat)193/99 des Bundespatentgerichts verwiesen, in denen Rollstühle und Motorräder als unähnlich gewertet worden seien.

28

Die Markeninhaberin beantragt,

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den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Widerspruch insgesamt zurückzuweisen.

30

Die Widersprechende beantragt,

31

die Beschwerde zurückzuweisen.

32

In der mündlichen Verhandlung hat sie vorgetragen, angesichts der klanglichen Ähnlichkeit der Vergleichsmarken müssten die sich gegenüberstehenden Waren einander völlig unähnlich sein, um eine Verwechslungsgefahr ausschließen zu können. Dass dies nicht der Fall sei, habe bereits die Markenstelle mit zutreffender Begründung dargelegt.

33

Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hat der Senat den Parteien Recherchebelege zu Berührungspunkten von Rollstuhl- und Fahrradtechnik übermittelt und hierzu im Termin weitere Nachweise überreicht.

34

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

35

Die nach den §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 MarkenG zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg, da zwischen den Vergleichsmarken die Gefahr von Verwechslungen i. S. v. § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG besteht.

36

Die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die mit ihr gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen im Hinblick auf ihre betriebliche Herkunft für die Verbraucher sicher von denen anderer Unternehmen unterscheidbar zu machen. Dadurch bietet sie für den Verkehr die Gewähr dafür, dass die mit ihr gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen unter der Kontrolle eines einzigen Unternehmens hergestellt bzw. erbracht wurden, das dann auch ggf. für ihre Qualität verantwortlich gemacht werden kann (vgl. EuGH, MarkenR 2007, 210, 212, Rdn. 54 f. – TRAVATAN/TRIVASTAN). Diese Herkunftsfunktion wird beeinträchtigt, wenn zwischen Marken die Gefahr von Verwechslungen besteht und die beteiligten Verkehrskreise deshalb irrtümlich annehmen können, die in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen stammten aus demselben bzw. aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen (vgl. Büscher in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, 2. Aufl., § 14 Rdn. 215). Die Prüfung, ob eine Verwechslungsgefahr in diesem Sinne gegeben ist, erfolgt unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls, insbesondere der Ähnlichkeit der wechselseitigen Waren und der Vergleichsmarken. Daneben ist vor allem auch die Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke für die kollisionsrechtliche Beurteilung von maßgeblicher Bedeutung. Die einzelnen Beurteilungsfaktoren stehen dabei zueinander in einem beweglichen System der Wechselwirkung, so dass beispielsweise ein höherer Grad der Warenähnlichkeit durch eine verminderte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (vgl. EuGH, GRUR 2006, 237, 238, Rdn. 18 f. – PICARO/PICASSO; BGH, GRUR 2005, 419, 422 – Räucherkate; sowie Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, 9. Aufl., § 9 Rdn. 32 m. w. N.).

37

Wie die Markenstelle geht auch der Senat von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke aus.

38

Ob Vergleichsmarken einander in kollisionsrechtlicher Hinsicht ähnlich sind, ist anhand von Klang, (Schrift-)Bild und Bedeutungsgehalt zu beurteilen, wobei schon die Ähnlichkeit in einer der genannten Wahrnehmungsrichtungen eine Verwechslungsgefahr hervorrufen kann (vgl. EuGH, GRUR 2006, 413, 414, Rdn. 21 – ZIRH/SIR; BGH, GRUR 2011, 824, Rdn. 26 – Kappa, m. w. N.). Bei Wort-Bildmarken, wie dem Widerspruchszeichen, ist insoweit in klanglicher Hinsicht von dem allgemein anerkannten Erfahrungssatz auszugehen, dass der Verkehr in der Regel dem Wort als einfachster und kürzester Bezeichnungsform die prägende Bedeutung zumisst (vgl. Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, 9. Aufl., § 9 Rdn. 332 m. w. N). Damit stehen sich im vorliegenden Fall klanglich übereinstimmende Vergleichszeichen gegenüber. Anhaltspunkte dafür, dass der vorhandene Bildbestandteil der Widerspruchsmarke einer kollisionsbegründenden Bedeutung des Wortes „PEGASUS“ entgegenstehen könnte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, zumal es sich bei dem Bildelement um ein typisches Pegasus-Motiv und somit nur um die bloße Wiedergabe des Wortbestandteils handelt. Neben der klanglichen ist daher auch eine begriffliche Ähnlichkeit der beiden Vergleichsmarken gegeben, so dass sich ungeachtet der Frage der (schrift-)bildlichen Ähnlichkeit der beiden Marken bereits hohe Anforderungen an den Abstand zwischen den verfahrensgegenständlichen Vergleichswaren ergeben, um eine Verwechslungsgefahr i. S. v. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ausschließen zu können.

39

Für die Beurteilung der Ähnlichkeit von Vergleichswaren sind alle relevanten Faktoren zu berücksichtigen, die ihr Verhältnis zueinander bestimmen. Hierzu gehören insbesondere die Art der fraglichen Produkte, ihr Verwendungszweck und ihre Nutzung sowie die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren (vgl. Thalmaier in Götting/Meyer/Vormbrock, Gewerblicher Rechtsschutz und Wettbewerbsrecht, 2011, § 22 Rdn. 220 - 222, m. w. N.). Dabei sind nicht zuletzt die konkreten Markt- bzw. Branchengegebenheiten des jeweils einschlägigen Produktsektors von Bedeutung. Wie der Senat den Parteien anhand mehrerer Nachweise dokumentiert hat, stellen auf dem hier einschlägigen Produktbereich diverse Betriebe neben „konventionellen“ Fahrrädern auch eine Reihe von Spezialprodukten für Personen mit Mobilitätseinschränkungen her, wie bspw. Therapietandems, Therapieräder, Handbikes oder auch so genannte Rollfiets, eine Kombination aus Rollstuhl und Fahrrad. Die mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung erörterten Nachweise verdeutlichen, dass zwischen den Zielgruppen von Zweirädern und Rollstühlen bzw. Gehhilfen gerade auf dem hier einschlägigen Reha- und Therapiebereich erhebliche Überschneidungen bestehen. Die entsprechende Branchenpraxis ist für die Wahrnehmung der beteiligten Endverbraucherkreise nicht ohne Auswirkungen geblieben, weshalb für sie der Gedanke an einen gemeinsamen betrieblichen Verantwortungsbereich der verfahrensgegenständlichen Waren der jüngeren Marke und der von der Widerspruchsmarke in der Klasse 12 beanspruchten Produkte nahe liegen kann. Wie eng der funktionelle Zusammenhang zwischen den beiderseitigen Vergleichswaren dabei in der Praxis ist, verdeutlichen etwa die vom Senat ermittelten Nachweise zu verschiedenen Modellvarianten von als „Rollstuhlfahrrädern“ bezeichneten Kombinationsprodukten.

40

In welchen konkreten Ähnlichkeitsbereich die sich gegenüberstehenden Waren letztlich einzuordnen sind, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, da angesichts der klanglichen Identität der Vergleichsmarken bereits eine entfernte Ähnlichkeit der Vergleichsprodukte – die hier jedenfalls vorliegt – ausreichend ist, um die Gefahr von Verwechslungen zu begründen. Die von der Beschwerdeführerin angeführte Entscheidung des Senats 28W(pat)193/99 vermag kein anderes Ergebnis zu begründen. Dies zum Einen deshalb, weil sie aus dem Jahr 2000 stammt und damit fraglich ist, ob sie die aktuellen Branchenverhältnisse noch widerspiegelt. Zum Anderen bezog sich diese Entscheidung auf den – hier nicht einschlägigen – kollisionsrechtlichen Vergleich von Rollstühlen und Motorrädern.

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Die Beschwerde war daher zurückzuweisen. Für eine Auferlegung von Kosten aus Billigkeitsgründen bestand keine Veranlassung (§ 71 Abs. 1 MarkenG).