Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 09.05.2017


BPatG 09.05.2017 - 28 W (pat) 524/15

Markenbeschwerdeverfahren - "Reizrausch" – zur wirksamen Einschränkung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses - Unterscheidungskraft - Freihaltungsbedürfnis


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
28. Senat
Entscheidungsdatum:
09.05.2017
Aktenzeichen:
28 W (pat) 524/15
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2014 058 065.9

hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Kortbein und der Richter Schmid und Dr. Söchtig am 9. Mai 2017

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts, Markenstelle für Klasse 14, vom 9. Februar 2015 aufgehoben, soweit die Anmeldung für nachfolgende Waren und Dienstleistungen zurückgewiesen worden ist:

Klasse 14:

Schmuck- und Juwelierwaren, insbesondere solche aus Edelmetallen und deren Legierungen, Mineralien, Leder, Lederimitationen, Kautschuk, Kunststoff, Emaille, Glas und Beton; Abgüsse, insbesondere solche aus Edelmetallen und deren Legierungen; Schmuckverzierungen; vorstehend genannte Waren jedoch nicht im Zusammenhang mit dem Intim- oder Erotikbereich;

Klasse 18:

Taschen; Handtaschen;

Klasse 25:

Kleidung; Gürtel; vorstehend genannte Waren jedoch nicht im Zusammenhang mit dem Intim- oder Erotikbereich;

Klasse 26:

Haarschmuck; Knöpfe; Schnallen [Kleidungszubehör];

Klasse 28:

Spiele; Spielzeug; vorstehend genannte Waren jedoch nicht im Zusammenhang mit dem Intim- oder Erotikbereich;

Klasse 37:

Reparatur und Instandhaltung von Schmuck;

Klasse 40:

Metallbearbeitung und -härtung sowie -oberflächenveredelung; Schleifen von Schmucksteinen; Gold- und Silberschmiedearbeiten.

Gründe

I.

1

Die Anmelderin hat am 21. August 2014 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) beantragt, die Bezeichnung

2

Reizrausch

3

als Wortmarke für die nachgenannten Waren und Dienstleistungen in das dort geführte Markenregister einzutragen:

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Klasse 14:

5

Schmuck- und Juwelierwaren, insbesondere solche aus Edelmetallen und deren Legierungen, Mineralien, Leder, Lederimitationen, Kautschuk, Kunststoff, Emaille, Glas und Beton; Intimschmuck; Abgüsse und Intimabgüsse, insbesondere solche aus Edelmetallen und deren Legierungen; Schmuckverzierungen;

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Klasse 18:

7

Taschen; Handtaschen;

8

Klasse 25:

9

Kleidung; Gürtel;

10

Klasse 26:

11

Haarschmuck; Knöpfe; Schnallen [Kleidungszubehör];

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Klasse 28:

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Spiele, Spielzeug; Erotik-Spielzeug;

14

Klasse 37:

15

Reparatur und Instandhaltung von Schmuck;

16

Klasse 40:

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Metallbearbeitung und -härtung sowie -oberflächenveredelung; Schleifen von Schmucksteinen; Gold- und Silberschmiedearbeiten.

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Das Deutsche Patent- und Markenamt, Markenstelle für Klasse 14, hat die Anmeldung nach vorheriger Beanstandung mit Beschluss vom 9. Februar 2015 zurückgewiesen, da die angemeldete Bezeichnung in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen der erforderlichen Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entbehre. Das angemeldete Wortzeichen „Reizrausch“ sei entsprechend gängigen Wortkombinationen wie „Geschwindigkeitsrausch“ oder „Siegesrausch“ eine sprachübliche Wortbildung, die von den angesprochenen Verkehrskreisen im Sinne eines ekstatischen Zustands, den einen oder mehrere Reize hervorrufen würden, verstanden werde. Damit erschöpfe sich das Anmeldezeichen in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen in einem Sachhinweis darauf, dass deren Verwendung bzw. Inanspruchnahme geeignet sei, den Verbraucher in einen derartigen Zustand zu versetzen. Deswegen bestehe kein Anhalt dafür, dass das Publikum das Zeichen als betrieblichen Herkunftshinweis verstehe.

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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin vom 9. März 2015, mit der sie sinngemäß beantragt,

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den angegriffenen Beschluss vom 9. Februar 2015 im tenorierten Umfang aufzuheben.

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Im Beschwerdeverfahren hat die Anmelderin mit Schriftsatz vom 18. April 2017 das Waren- und Dienstleistungsverzeichnis wie aus dem Tenor ersichtlich beschränkt. Sie meint, dass das angemeldete Zeichen keinem Schutzhindernis unterliege. Das Publikum entnehme dem Wort „Reizrausch“ keine unmittelbar verständliche Sachaussage. Vielmehr handele es sich um eine neue Begriffsbildung, die nicht sprachüblich gebildet sei und über keinen klaren Inhalt verfüge.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts, das Vorbringen der Anmelderin und den übrigen Akteninhalt verwiesen.

II.

23

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Der Anmeldung stehen auf der Grundlage des im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz der Anmelderin vom 18. April 2017 eingereichten Verzeichnisses der Waren und Dienstleistungen keine Eintragungshindernisse nach § 8 Abs. 2 MarkenG entgegen. Insbesondere fehlt dem Zeichen insoweit nicht die erforderliche Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG. Ebenso handelt es sich nicht um eine freihaltebedürftige Angabe gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG. Der angegriffene Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. Februar 2015 war daher im tenorierten Umfang aufzuheben. Soweit die Beschwerdeführerin die Anmeldung nicht weiter verfolgt, ist der angegriffene Beschluss gegenstandslos.

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1. Die Anmelderin hat das Verzeichnis der beanspruchten Waren und Dienstleistungen rechtswirksam durch ihre Erklärung vom 18. April 2017 beschränkt.

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Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Einschränkungen im Verzeichnis der Waren und Dienstleistungen im Hinblick auf das Gebot der Rechtssicherheit un-beachtlich, wenn sie für die Mitbewerber und andere Verkehrskreise nicht ohne Weiteres nachvollziehbar sind. Unter diesem Gesichtspunkt können Ausnahmevermerke, die sich darauf beschränken, dass die fraglichen Waren und Dienstleistungen ein bestimmtes Merkmal nicht mehr aufweisen, welches durch die Marke selbst ausdrücklich benannt wird, unbeachtlich sein (vgl. EuGH GRUR 2004, 674, 679, Rdnr. 114 bis 117 - Postkantoor; Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl., § 8, Rdnr. 394 ff.).

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Die am Ende der Klassen 14, 25 und 28 von der Anmelderin mit Schriftsatz vom 18. April 2017 angefügten Einschränkungen „vorstehend genannte Waren jedoch nicht im Zusammenhang mit dem Intim- oder Erotikbereich“ stellen in Bezug auf die betroffenen Schmuck-, Bekleidungs- und Spielzeugartikel keine unzulässigen Änderungen dar. Zum einen weisen Produkte „im Zusammenhang mit dem Intim- oder Erotikbereich“ einen spezifischen Zweck auf. Auch werden sie angesichts ihres höchstpersönlichen Charakters in der Regel in besonderen Geschäften vertrieben. Es handelt sich damit um eine wirtschaftlich eigenständige Artikelgruppe, die in für Dritte nachvollziehbarer Weise von den übrigen Waren abgegrenzt werden kann. Zum anderen enthält das angemeldete Zeichen „Reizrausch“ angesichts seines allgemein gefassten Inhalts keinen ausdrücklichen oder sonst hinreichend naheliegenden Hinweis auf eine Verwendung der beanspruchten Waren der Klassen 14, 25 und 28 im Intim- oder Erotikbereich, so dass für die beteiligten Verkehrskreise von vornherein nicht der (unzutreffende) Eindruck entstehen kann, dass sich der dem Zeichen zukommende Markenschutz auf derartige Artikel bezieht.

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2. Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die dem Zeichen innewohnende konkrete Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. EuGH GRUR 2012, 610, Rdnr. 42 - Freixenet; GRUR 2008, 608, Rdnr. 66 f. - EUROHYPO; BGH GRUR 2014, 569, Rdnr. 10 - HOT; GRUR 2006, 850, Rdnr. 18 - FUSSBALL WM 2006). Hiervon ausgehend besitzen Zeichen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens (vgl. BGH GRUR 2013, 1143, Rdnr. 15 - Aus Akten werden Fakten) ohne weiteres Nachdenken einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH GRUR 2004, 674, Rdnr. 86 - Postkantoor; BGH GRUR 2012, 270, Rdnr. 11 f. - Link economy) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die - etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien - stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2006, 850, Rdnr. 19 - FUSSBALL WM 2006). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft auch solche Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100, Rdnr. 23 - TOOOR!).

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Nach diesen Grundsätzen verfügt das angemeldete Wortzeichen „Reizrausch“ in Bezug auf die Waren und Dienstleistungen, die die Anmelderin nach Beschränkung ihres Verzeichnisses noch beansprucht, über die erforderliche Unterscheidungskraft. Es weist insoweit keine ohne analysierende Betrachtung erkennbare produkt- oder tätigkeitsbeschreibende Bedeutung auf.

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Unter dem Zeichenbestandteil „Reiz“ wird in erster Linie eine „Einwirkung auf den Organismus, Verlockung, Anregung“ verstanden; ferner kann er „Anmut, Schönheit“ bedeuten (vgl. Duden Online: Reiz). Der Kernbestandteil „Rausch“ bezeichnet einen „durch Genuss u. a. von Alkohol oder Drogen hervorgerufenen Zustand, in dem eine mehr oder weniger starke Verwirrung der Gedanken und Gefühle eintritt“, oder allgemein einen „übersteigerten ekstatischen Zustand“ (vgl. Duden Online: Rausch). Die angemeldete Wortkombination „Reizrausch“ ist hingegen lexikalisch nicht nachweisbar und wird ausweislich der Recherchen des Senats im Verkehr nur selten verwendet. Insofern muss ihre Bedeutung durch die Zusammenführung des Sinngehalts der Einzelbegriffe erst erschlossen werden. Allgemein kann sie folglich einen durch äußere Einflüsse oder Verlockungen hervorgerufenen ekstatischen Zustand bezeichnen. Hierbei bleibt jedoch unklar, was konkret damit gemeint ist, da die Kombination der beiden Elemente „Reiz“ und „Rausch“ - je nachdem, von welchem Verständnis des Einzelbegriffs ausgegangen wird - in unterschiedlicher Weise interpretierbar ist. So kann es sich um Reize handeln, die auf einem schönen Anblick, auf einer angenehmen Berührung oder auf Tabletten beruhen. Sie können wiederum verschiedene Rauschzustände - wie Gefühlsausbrüche, Bewusstseinsstörungen oder Wahnvorstellungen - zur Folge. Zudem ist es möglich, „Reizrausch“ als Synonym für „Reizüberflutung“ anzusehen und damit dahingehend zu verstehen, dass zu viele Reize den Wahrnehmenden quasi benebeln. Das angemeldete Zeichen regt damit zum Nachdenken an und erfordert mehrere Gedankenschritte, um eine verständliche Gesamtaussage zu erhalten.

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Dies gilt erst recht im Hinblick auf die beschwerdegegenständlichen Waren und Dienstleistungen. Sie selbst bzw. ihre Arbeitsergebnisse wirken durch ihr Erscheinungsbild, ihre Handhabung oder ihr Gefühl auf der Haut des Benutzers. Sie lösen damit zwar optische oder haptische Reize aus. Auch führen diese nicht selten zu einem guten Gemütszustand. Es ist jedoch unter normalen Umständen nicht zu erwarten, dass Schmuck, Bekleidung oder Spiele ihn so erhöhen, dass von einem Rausch gesprochen werden kann. Selbst unter Berücksichtigung der in der Werbesprache üblichen Übertreibungen liegt es fern, die von vorstehend genannten Waren hervorgerufenen Reize als Ursache eines Rausches anzusehen. Zu einem derartigen Verständnis wird das Publikum allenfalls nach weiteren Überlegungen gelangen, die auch andere Verständnismöglichkeiten des Wortbestandteils „Reiz“ in Betracht ziehen. Insofern vermittelt die in Rede stehende Wortfolge „Reizrausch“ keine deutliche Sach- oder Werbeaussage.

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3. Das Anmeldezeichen erschöpft sich auch nicht in einer freihaltebedürftigen Angabe gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG. Die Begriffskombination „Reizrausch“ verfügt in Bezug auf die noch beanspruchten Waren und Dienstleistungen allenfalls über einen unklaren, lediglich andeutenden Sachbezug, so dass sie sich nicht zur Beschreibung ihrer Wirkung oder anderer Merkmale eignet (vgl. mit Nachweisen Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl., § 8, Rdnr. 374).

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Nachdem auch für das Vorliegen anderer Schutzhindernisse keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, war der Beschwerde im noch anhängigen Umfang stattzugeben.