Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 14.05.2013


BPatG 14.05.2013 - 28 W (pat) 24/12

Markenbeschwerdeverfahren – "Lider/LIDL (Gemeinschaftsmarke)" – zur Kennzeichnungskraft - Warenidentität und –ähnlichkeit – klangliche Verwechslungsgefahr


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
28. Senat
Entscheidungsdatum:
14.05.2013
Aktenzeichen:
28 W (pat) 24/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2009 075 837

hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 14. Mai 2013 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Klante sowie der Richterin Dorn und des Richters Paetzold

beschlossen:

Der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts, Markenstelle für Klasse 29, vom 20. Januar 2012 wird aufgehoben und die angegriffene Marke 30 2009 075 837 bis auf die Ware „Kühleis“ gelöscht.

Gründe

I.

1

Die Wortmarke 30 2009 075 837 „Lider“ ist am 10. März 2010 für die Waren der

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Klasse 29 Fleisch, Fisch, Geflügel und Wild; Fleischextrakte: konserviertes, getrocknetes und gekochtes Obst und Gemüse; Gallerten (Gelees), Konfitüren, Fruchtmuse; Eier, Milch und Milchprodukte; Speiseöle und –fette;

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Klasse 30 Kaffee, Tee, Kakao, Zucker, Reis, Tapioka, Sago, Kaffee-Ersatzmittel; Mehle und Getreidepräparate, Brot, feine Backwaren und Konditorwaren, Bonbons, Speiseeis; Honig, Melassesirup; Hefe, Backpulver; Salz, Senf; Essig, Saucen (Würzmittel); Gewürze; Kühleis;

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Klasse 31 Land-, garten- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse sowie Samenkörner, soweit in Kasse 31 enthalten; lebende Tiere; frisches Obst und Gemüse; Sämereien, lebende Pflanzen und natürliche Blumen; Futtermittel, Malz;

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eingetragen worden, was am 9. April 2012 veröffentlicht worden ist.

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Dagegen ist Widerspruch eingelegt worden zum einen aus der Gemeinschaftswortmarke 6460562 „LIDL“, die seit dem 15. Oktober 2008 unter anderem für die Waren der

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Klasse 29 Fleisch, Fisch, Geflügel und Wild, vorstehende Waren auch tiefgefroren; Fleisch- und Wurstwaren; Fleischextrakte; Weich- und Schalentiere; konserviertes, getrocknetes und gekochtes Obst und Gemüse, vorgenannte Waren auch süß und/oder sauer eingelegt; Gallerten (Gelees), Konfitüren, Marmeladen, Fruchtmuse und andere süße Brotaufstriche; Eier, Milch und Milchprodukte soweit in Klasse 29 enthalten, insbesondere Butter, Käse, Frischmilch, H-Milch, Sahne, Joghurt; Quark; Milchpulver für Nahrungszwecke, Desserts aus Joghurt, Quark und Sahne; Fleisch-, Wurst-, Fisch-, Obst und Gemüsekonserven; verarbeitete Nüsse; Speiseöle und –fette; Fertiggerichte und Tiefkühlkost soweit in Klasse 29 enthalten.

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Klasse 30 Kaffee, Tee, Kakao, Zucker, Reis, Tapioka, Sago, Kaffee-Ersatzmittel; Mehle und Getreidepräparate, insbesondere Cerealien, Müsli und Vollkornprodukte; Teigwaren; Kaffee-, Tee-, Kakao- und Schokoladengetränke; Kaffee- oder Kakaopräparate für die Herstellung von alkoholischen oder alkoholfreien Getränken, Aromastoffe für Nahrungsmittel; Brot, feine Backwaren und Konditorwaren, Süß- und Zuckerwaren, Speiseeis; Pudding; Honig, Melassesirup; Hefe, Backpulver, Speisestärke; Salz, Senf; Mayonnaise, Ketchup; Essig, Saucen (Würzmittel), Salatsaucen; Gewürze, Gewürzextrakte, getrocknete Gewürzkräuter; Fertiggerichte und Tiefkühlkost soweit in Klasse 30 enthalten.

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Klasse 31 Frisches Obst und Gemüse; Nüsse; Sämereien, lebende Pflanzen und natürliche Blumen; getrocknete Pflanzen; Futtermittel und Futtermittelzusätze; Tierstreu.

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eingetragen ist,

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und zum anderen aus der gleichnamigen Unternehmensbezeichnung „LIDL“, für welche sie eine Benutzung für zahlreiche Dienstleistungen geltend macht.

12

Die Markenstelle für Klasse 29 des Deutschen Patent- und Markenamts hat diese Widersprüche mit Beschluss vom 20. Januar 2012 zurückgewiesen mit der Begründung, dass die angegriffene Marke einen ausreichenden Abstand zu den Widerspruchsmarken einhalte, weil sie sowohl klanglich als auch schriftbildlich hinreichend davon abweiche, was wegen der Kürze der Vergleichsmarken ohne Weiteres auffalle.

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Dagegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden, die unter Berufung auf eine hohe Verkehrsbekanntheit ihrer Zeichen eine gesteigerte Kennzeichnungskraft geltend macht. Bei Identität bzw. hochgradiger Ähnlichkeit der angegriffenen Waren mit den Widerspruchswaren könnten die leicht abweichenden Wortenden angesichts der ansonsten identischen Buchstabenfolge, Silbengliederung und Betonung der Vergleichsmarken keinen ausreichenden Abstand herstellen, da er sich jedenfalls in klanglicher Hinsicht selbst bei kurzen Marken nicht bemerkbar mache.

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In der mündlichen Verhandlung hat die Widersprechende den Widerspruch hinsichtlich der Ware „Kühleis“ zurückgenommen und beantragt,

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den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts, Markenstelle für Klasse 29, vom 20. Januar 2012 aufzuheben und die angegriffene Marke 30 2009 075 837 bis auf die Ware „Kühleis“ zu löschen.

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Die Markeninhaberin hat keinen Antrag gestellt und sich auch sonst nicht zur Sache geäußert, ebenso wie im patentamtlichen Widerspruchsverfahren. Sie hat lediglich mit Schriftsatz vom 11. April 2013 ihre Teilnahme an der mündlichen Verhandlung, die der Senat wegen Sachdienlichkeit anberaumt hatte, ohne Angabe von Gründen abgesagt.

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Wegen der sonstigen Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

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Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung der Markenstelle ist die angegriffene Marke jedenfalls mit der Widerspruchsmarke EU 6460562 „LIDL“ hinsichtlich der in der Beschwerde noch angegriffenen Waren der Klassen 29, 30 und 31 verwechselbar im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG.

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Die Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der zueinander in Wechselbeziehung stehenden Faktoren der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren sowie der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke zu beurteilen, wobei insbesondere ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Marken durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Waren ausgeglichen werden kann und umgekehrt (BGH in st. Rspr., vgl. WRP 2004, 1281 - Mustang; WRP 2004, 1043 - NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX; GRUR 2008, 906 – Pantohexal; Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Aufl. 1012, § 9 Rn. 40).

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Nachdem Benutzungsfragen nicht aufgeworfen worden sind, ist von der Registerlage der beiderseitigen Marken auszugehen. Danach stehen sich, worauf im Amtsbeschluss mit keinem Wort eingegangen worden ist, ganz überwiegend identische und im Übrigen jedenfalls ähnliche Waren gegenüber. Zum einen finden sich die einzelnen Bezeichnungen ganz überwiegend wortgleich in den beiderseitigen Warenverzeichnissen wieder. Lediglich in Klasse 31 beansprucht die angegriffenen Marke zusätzlich „land-, garten- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse, soweit in Klasse 31 enthalten“. Diese werden jedoch von den Widerspruchswaren „frisches Obst und Gemüse, Nüsse, lebende Pflanzen und natürliche Blumen, getrocknete Pflanzen“ abgedeckt, so dass auch insoweit Identität besteht. Was die zusätzliche Ware „Malz“ betrifft, so ist diese mit der Widerspruchsware „Futtermittel“ zumindest ähnlich, denn Malzkeime, die in der Mälzerei anfallen, werden, als Futtermittel(zusatz) verwendet (vgl. http://universal lexikon.deacade mic.com/269747/Malzkeime; http://www.st-hippolyt.de/ de/bera tung-und-aktuelles/ futterjournal/ausgabe-12/205-vit ). Die noch verbleibende Ware „Lebende Tiere“ sind ähnlich zu Futtermittel oder Futtermittelzusätze (vgl. die Spruchsammlung von Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 14. Aufl. 2011, S. 107, re. Spalte; und S. 108, li. Spalte), denn zum einen können lebende Tiere selbst Futtermittel sein wie (Würmer, Insekten, Fische, Mäuse, Küken); zum andern stehen lebende Tiere mit Futtermitteln in einem engen Zusammenhang dergestalt, dass die eine Ware für die andere unentbehrlich oder wichtig ist und sich beide an dasselbe Publikum richten, was die Annahme einer Warenähnlichkeit rechtfertigt (vgl. Hacker a. a. O., Rn. 92 m. w. N.). Im Übrigen befinden sich beide Vergleichswaren durchaus auch im betrieblichen Verantwortungsbereich desselben Anbieters oder werden zumindest in den Vertriebsstätten (Gartencenter, Tierhandlungen) räumlich zusammengehörig präsentiert.

21

Bei seiner Entscheidung hat der Senat eine normale Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke zugrunde gelegt, während die von der Widersprechenden vorgelegten Unterlagen die Zuerkennung einer erhöhten Kennzeichnungskraft nicht rechtfertigen. Allein die von der Widersprechenden behauptete Bekanntheit besagt nichts über die konkrete Zuordnung zu den einzelnen Waren und ihren Marktanteilen, die zur Anerkennung einer gesteigerten Kennzeichnungskraft im Einzelnen dargelegt und glaubhaft gemacht werden müssen. Derartige Unterlagen hat die Widersprechende nicht vorgelegt. Dementsprechend ist in dem von der Widersprechenden zitierten Beschluss des DPMA nur von Einzelhandelsdienstleistungen die Rede, die unter der Marke der Widersprechenden bekannt seien.

22

Allerdings wird der unter diesen Umständen gebotene Markenabstand von der angegriffenen Marke hinsichtlich der angegriffenen Waren selbst im Ähnlichkeitsbereich jedenfalls in klanglicher Hinsicht nicht mehr eingehalten.

23

Die Ähnlichkeit von Marken ist anhand ihres klanglichen und schriftbildlichen Eindrucks sowie ihres Sinngehalts zu ermitteln. Dabei kommt es auf den jeweiligen Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Zeichen an. Dies entspricht dem Erfahrungssatz, dass der Verkehr Marken regelmäßig in der Form aufnimmt, in der sie ihm entgegentreten und sie nicht einer analysierenden, zergliedernden, möglichen Bestandteilen und deren Bedeutung nachgehenden Betrachtung unterzieht.

24

Nachdem die Vergleichsmarken über eine identische Folge von drei von vier/bzw. fünf Buchstaben verfügen, lässt sich eine Ähnlichkeit nicht ernsthaft bestreiten. Da diese auch am Anfang der Wortmarken stehen, der bei der klanglichen Verwechslungsgefahr besondere Bedeutung hat, wird sich eine solche nicht vermeiden lassen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Widerspruchsmarke jedenfalls außerhalb von den süddeutschen Bundesländern vorwiegend wie „liedel“ und damit in zwei vollen Silben ausgesprochen wird, so dass ein Klangunterschied allenfalls durch die Endkonsonanten „r“ bzw. „l“ feststellbar wäre. Für die klangliche Verwechslungsgefahr sind aber vorrangig die Vokale, die Vokalfolge, die Betonung und die Silbengliederung der Vergleichsmarken heranzuziehen, die im vorliegenden Fall sämtlich übereinstimmen. Dagegen können klangschwache Endkonsonanten wie in der angegriffenen Marke ein Verwechslungsgefahr nicht beseitigen (vgl. Hacker a. a. O. § 9 Rn. 236, 237, 239 m. w. N.). Zwar hängt dies auch von der Länge der Markenwörter ab, so dass bei Kurzmarken unter Umständen auch nur ein Buchstabe die Verwechslungsgefahr ausschließen kann. Die gilt aber allenfalls im Ausnahmefall, der schon deshalb hier nicht in Frage kommt, weil Marken mit fünf Buchstaben nicht mehr als Kurzmarken gelten (vgl. Hacker a. a. O. Rn. 241 m. w. N.). Dass die Verwechslungsgefahr im vorliegenden Fall durch einen abweichenden Sinngehalt gebannt werden könnte, erscheint unwahrscheinlich, zumal dieser bei undeutlicher Wiedergabe nicht mehr erkennbar ist; ohnehin kann ein abweichender Sinngehalt bei hochgradiger Markenähnlichkeit die Verwechslungsgefahr nicht ausschließen (vgl. Hacker a. a. O. Rn. 264 m. w. N.). Im Übrigen könnten süddeutsche Abnehmer die Widerspruchsmarke im Klangbild ebenfalls als „Lieder“ verstehen wie die angegriffene Marke, was die Verwechslungsgefahr eher verstärken würde. Die zweite Bedeutung der angegriffenen Marke im Sinne von „(Augen)lider“ dürfte dagegen kaum erkannt werden.

25

Nach alledem war eine relevante Verwechslungsgefahr im beantragten Umfang festzustellen und die entsprechende Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen, so dass die Beschwerde der Widersprechenden Erfolg haben musste. Ob darüber hinaus auch der geltend gemachte Löschungsgrund nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG vorliegt oder ob sich aus der Unternehmensbezeichnung ein Löschungsgrund ergibt, kann unter diesen Umständen dahingestellt bleiben.

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Zu einer einseitigen Kostenauferlegung zu Lasten einer der Verfahrensbeteiligten bestand kein Anlass, so dass die Grundregel des § 79 Abs. 1 S. 2 MarkenG gilt.