Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 16.10.2012


BPatG 16.10.2012 - 28 W (pat) 11/11

Markenbeschwerdeverfahren – "Blau (Pantone 300)" – abstrakte Farbmarke – zur Markenfähigkeit – zur Farbverteilung auf dem Tankstellenmarkt – spezifische und abgrenzbare Warengruppe – spezifisches Marktsegment – keine beschreibende Angabe – kein Freihaltungsbedürfnis - Unterscheidungskraft


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
28. Senat
Entscheidungsdatum:
16.10.2012
Aktenzeichen:
28 W (pat) 11/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2008 053 984.4

hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 16. Mai 2012 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Klante, der Richterin Dorn und des Richters am Amtsgericht Jacobi

beschlossen:

Die Beschlüsse des Deutschen Patent- und Markenamtes, Markenstelle für Klasse 4, vom 2. Juni 2010 und vom 1. Dezember 2010 werden auf der Grundlage des im Beschwerdeverfahrens eingeschränkten Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses aufgehoben, soweit die Anmeldung bezüglich der Waren der

Klasse 1: chemische Additive zur Behandlung von Abgas nur für

Kraftfahrzeuge;

Klasse 4: Brennstoffe, nämlich Motorentreibstoffe nur für

Kraftfahrzeuge

zurückgewiesen wurde.

Gründe

I.

1

Die Rechtsvorgängerin der Anmelderin hat am 19. August 2008 die abstrakte Farbmarke 30 2008 053 984.4 des Farbtons Pantone 300 (blau)

Abbildung

2

unter Vorlage eines Farbmusters für zahlreiche Waren und Dienstleistungen der Klassen 1, 4 und 37 zur Eintragung angemeldet. Nach einer Beschränkung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses im Beschwerdeverfahren durch Schriftsatz vom 21. Juni 2012 begehrt die Anmelderin noch die Eintragung für folgende Waren der

3

Klasse 1: chemische Additive zur Behandlung von Abgas nur für Kraftfahrzeuge;

4

Klasse 4 Brennstoffe, nämlich Motorentreibstoffe nur für Kraftfahrzeuge.

5

Mit Beschlüssen vom 2. Juni 2010 und vom 1. Dezember 2010, von denen letzterer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, hat das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA), Markenstelle für Klasse 4, die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie - auf der Grundlage des bei Beschlussfassung noch nicht beschränkten Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses - ausgeführt: Zwar könnten Farben grundsätzlich als Herkunftshinweis dienen. Das angemeldete Zeichen genüge auch den Mindestanforderungen, die die Rechtsprechung an die Frage der Bestimmtheit der Wiedergabe stelle. Das Anmeldezeichen gebe allerdings lediglich eine gängige Farbe - ein herkömmliches blau - wieder. Unterscheidungskräftig sei eine Farbe nur bei sehr typischen und ausgefallenen Farben. Auch seien die Grenzen eines spezifischen Marktes, auf dem der normal informierte und angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher die angemeldete Farbe auf Grund der besonderen Umstände dieses Marktes - abweichend vom Regelfall - als betrieblichen Herkunftshinweis werte, überschritten.

6

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie ist der Auffassung, das Anmeldezeichen sei originär unterscheidungskräftig. In der Berichterstattung über das Tankstellengewerbe werde in Bezug auf Tankstellen von "Farbenfirmen" oder "Farbgesellschaften" oder "den Farben" gesprochen. Die noch beanspruchten Waren beträfen den spezifischen Tankstellenmarkt, auf dem sich eine Übung ergeben habe, dass sich die dort angebotenen Waren durch "ihren" Farbauftritt für den Verbraucher unterschieden. Die Anmelderin sei bereits Inhaberin der im Wege der Verkehrsdurchsetzung eingetragenen abstrakten Farbmarke DE 395 45 083.7 "blau"(Farbton HKS 47/100%). Die Grundlagen für die vom DPMA bei deren Eintragung am 14. März 2003 angenommene Verkehrsdurchsetzung hätten sich nicht verändert. Die Neuanmeldung erfolge allein aus technischen Gründen, weil die HKS-Farbtafel an Bedeutung verliere und die Pantone-Farbtafel international bekannter sei. Unter Hinweis auf die Entscheidungen BPatG 29 W (pat) 89/03 - grün-gelb bzw. BPatG 26 W (pat) 205/01 - gelb-blau halte sie einen Nachweis der Verkehrsdurchsetzung für nicht erforderlich.

7

Die Anmelderin beantragt,

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die Beschlüsse des Deutschen Patent- und Markenamts, Markenstelle für Klasse 4, vom 2. Juni 2010 und vom 1. Dezember 2010 aufzuheben.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

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Die nach § 66 Abs. 1 und 2 MarkenG zulässige Beschwerde hat in der Sache nach der Einschränkung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses im Beschwerdeverfahren Erfolg.

11

Bei dem Anmeldezeichen handelt es sich um ein nach § 3 Abs. 1 MarkenG grundsätzlich markenfähiges Zeichen (vgl. EuGH GRUR 2004, 858, 859 f., Rdnr. 38-40 - Heidelberger Bauchemie GmbH). Es erfüllt auch das in § 8 Abs. 1 MarkenG aufgestellte Erfordernis der graphischen Darstellbarkeit. Durch die Benennung der Farbe "blau", die Vorlage eines Farbmusters und die Bezeichnung nach einem anerkannten Farbklassifikationssystem, hier dem Pantone Matching System ("Pantone 300"), ist die abstrakte Farbmarke eindeutig definiert und dauerhaft dargestellt.

12

Der Eintragung dieses Zeichens steht für die noch beanspruchten Waren nicht das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG oder eines bestehenden Freihaltebedürfnisses nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegen.

13

1. Dem Anmeldezeichen kann zunächst nicht jegliche Unterscheidungskraft abge-sprochen werden.

14

a) Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, welches die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet. Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH MarkenR 2012, 19, Rdnr. 8 - Link economy; GRUR 2010, 1100, Rdnr. 10 -TOOOR!; GRUR 2010, 825, 826, Rdnr. 13 -Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2006, 850, 854, Rdnr. 18 - FUSSBALL WM 2006). Diese Grundsätze finden auch bei abstrakten Farbmarken Anwendung, bei denen kein strengerer Maßstab anzulegen ist als bei anderen Markenformen (vgl. EuGH GRUR Int. 2005, 227, Rdnr. 78 - Farbe Orange). Allerdings ist bei bestimmten Markenkategorien zu beachten, dass sie vom Verkehr nicht notwendig in gleicher Weise wahrgenommen werden wie eine herkömmliche Wort- oder Bildmarke, die ein gesondertes Zeichen darstellt und vom Erscheinungsbild der gekennzeichneten Ware unabhängig ist. Häufig schließen Verbraucher aus der Form der Ware oder ihrer Verpackung oder aus der Farbe eines Produkts nicht auf die Herkunft der Ware aus einem bestimmten Unternehmen (EuGH GRUR Int. 2005, 135, Rdnr. 30 - Mag Lite; GRUR Int. 2005, 227, Rdnr. 78 - Farbe Orange; a. a. O., Rdnr. 38 f. - Heidelberger Bauchemie; GRUR 2003, 604, Rdnr. 65 - Libertel). Zudem ist bei abstrakten Farbmarken auch im Rahmen der Prüfung des Schutzhindernisses mangelnder Unterscheidungskraft das Allgemeininteresse an der freien Verfügbarkeit der Farben für die anderen Wirtschaftsteilnehmer zu berücksichtigen (vgl. EuGH a. a. O., Rdnr. 60 - Libertel; a. a. O., Rdnr. 41 - Heidelberger Bauchemie). Dementsprechend ist bei abstrakten Farbmarken auch bei Zugrundelegung des beschriebenen großzügigen Prüfungsmaßstabs davon auszugehen, dass solchen Marken im Allgemeinen die erforderliche Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG fehlt. Bei abstrakten Farbmarken ist deshalb regelmäßig zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die gleichwohl die Annahme rechtfertigen, die angemeldete Marke sei unterscheidungskräftig. Diese Beurteilung erfordert eine umfassende Prüfung des Verkehrsverständnisses bei der Wahrnehmung der Farbe auf dem in Rede stehenden Waren- oder Dienstleistungssektor und des Interesses der Allgemeinheit an der freien Verfügbarkeit der beanspruchten Farbe. Von Bedeutung für die Beurteilung des Schutzhindernisses mangelnder Unterscheidungskraft ist in diesem Zusammenhang auch, ob die Eintragung der Farbe als Marke für eine Vielzahl von Waren oder Dienstleistungen oder eine bestimmte Gruppe von Waren oder Dienstleistungen beantragt worden ist. Besondere Umstände, bei deren Vorliegen eine abstrakte Farbmarke über Unterscheidungskraft verfügen kann, können insbesondere dann gegeben sein, wenn die Zahl der Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke angemeldet ist, sehr gering und der maßgebliche Markt sehr spezifisch ist (vgl. EuGH a. a. O., Rdnr. 71 - Libertel; a. a. O., Rdnr. 79 - Farbe Orange; BGH GRUR 2010, 637-640 - Farbe gelb). Bei der Prüfung, ob und inwieweit sich die maßgeblichen Verkehrskreise bereits an die herkunftskennzeichnende Wirkung von farblichen Produktgestaltungen gewöhnt haben und deshalb deren Farbe nicht mehr nur unter funktionsgemäßen bzw. ästhetischen Gesichtspunkten betrachten, kommt den Kennzeichnungsgewohnheiten auf dem hier einschlägigen Produktsektor eine maßgebliche Bedeutung zu (Rohnke, NJW 2005, 1624, 1626).

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b) In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist die Unterscheidungskraft zu bejahen.

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(1.) Bei den noch beanspruchten Waren handelt es sich um eine spezifische und eingrenzbare Warengruppe. Nur an Tankstellen können sie erworben werden. Der Tankstellenmarkt ist dabei ein von den Kennzeichnungsgewohnheiten anderer Branchen unabhängiges, eingrenzbares und somit spezifisches Marktsegment im wirtschaftlichen Sinn.

17

Die beanspruchten Waren der Klasse 4 "Brennstoffe, nämlich Motorentreibstoffe nur für Kraftfahrzeuge" werden in Deutschland nicht nur wegen der Eichpflicht von Abgabeeinrichtungen, sondern auch wegen strenger Umweltschutzanforderungen (z. B. gelten für den Bau die Vorschriften bezüglich der Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen und beim Betrieb die Regelungen nach den §§ 1 ff. der Verordnung zur Begrenzung der Kohlenwasserstoffemissionen bei der Betankung von Kraftfahrzeugen - 21. BImSchV) ausschließlich an Tankstellen vertrieben.

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Gleiches gilt für die beanspruchten Waren der Klasse 1 "chemische Additive zur Behandlung von Abgas nur für Kraftfahrzeuge". Die Angaben der Anmelderin, dass Additive dieser Art seit etwa 10 Jahren an Tankstellen - auch der Anmelderin - im gesamten Bundesgebiet vertrieben werden, werden durch die Recherchen des Senats (vgl. Wikipedia, Die Freie Enzyklopädie, Eintrag "AdBlue") bestätigt. Bei diesen Additiven handelt es sich um eine unter dem Markennamen "AdBlue" vertriebene wasserklare, synthetisch hergestellte Lösung von hochreinem Harnstoff in demineralisiertem Wasser, die zur Nachbehandlung von Abgasen in einem Katalysator zur Reduzierung des Ausstoßes von Stickoxiden eingesetzt wird. Katalysatoren dieser Art finden sich heute nicht nur in Nutzfahrzeugen, insbesondere in Lastkraftwagen und Omnibussen, sondern auch im PKW-Bereich (z.B. bei den BlueMotion-Modellen VW Passat, VW Sharan II, Audi Q7, Audi A4, Audi Q5 oder beim Mercedes-Benz S 350 Bluetec). Fahrzeuge mit derartigen Abgasreinigungsanlagen haben einen besonderen Tank. Der Verbrauch von Harnstoff-Wasser-Lösung beträgt etwa 4-6 % des normalen Kraftstoffverbrauchs und entspricht bei schweren LKW etwa 1,4 Liter auf einer Strecke von 100 Kilometern. Mittlerweile wird "AdBlue" im Bundesgebiet nicht nur von der Anmelderin, sondern auch von einer Reihe anderer Tankstellenunternehmen, z. B. der Westfalen AG, Total, Tank & Rast, Shell, AVIA, Hoyer KG, angeboten (vgl. Wikipedia, a. a. O.); überwiegend - an 3000 öffentlich zugänglichen Abgabestellen - in Kanisterform und an 300 weiteren Orten an der Zapfsäule (vgl. http://www.kammerlohr.de/adblue.html).

19

(2.) Dem Zeichen kann Unterscheidungskraft von Haus aus zugebilligt werden, weil sich für diese ausschließlich an Tankstellen vertriebenen Waren eine Gewöhnung des Verkehrs an die herkunftshinweisende Verwendung abstrakter Farben im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften feststellen lässt (vgl. EuGH a. a. O., Rdnr. 65 -Libertel). Dies gilt nach den Feststellungen des Senats jedenfalls für die großen Tankstellengesellschaften.

20

Der deutsche Tankstellenmarkt praktiziert die Farbverteilung unter diesen großen Mineralölgesellschaften; sie treten nebeneinander in ihren jeweiligen "Hausfarben" auf. In dieser Branche ist das Publikum an Farben als Kennzeichen gewöhnt. Da sich die beanspruchten Waren an alle Kraftfahrer richten, ist von einem normal informier-ten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher innerhalb eines sehr breiten Publikums auszugehen (vgl. EuGH GRUR Int 1999, 734, Rdnr. 26 -Lloyd; BGH GRUR 2004, 235 –Davidoff II).

21

Es kann festgestellt werden, dass der Marktauftritt dieser verschiedenen Tankstellengesellschaften traditionell bestimmte Farbverteilungen aufweist. Der Ausdruck "Mineralölfarben" als Hinweis auf die Farben dieser Gesellschaften ist absolut gebräuchlich (so auch BPatG GRUR 2004, 870-873 - Grün/Gelb, juris).

22

Dies ergibt sich aus der allgemein zugänglichen Berichterstattung über das Tankstellengewerbe:

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- "...Die bekanntesten Markentankstellen sind von Aral, BP, Esso oder Shell. Im Fachjargon werden Markentankstellen A-Farben genannt und mittelständische Ketten nennt man B-Farben. ..." (http://tankstellen.com),

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- "...Nun kommt Jet, die Tankstellenmarke des US-Konzerns ConocoPhillips ins Spiel. Jet verspricht, immer einen Cent pro Liter günstiger zu sein, als die sogenannten A-Farben. Zu den A-Farben zählen die Markentankstellen von Aral, Esso und eben Shell, Jet sieht sich dagegen als B-Farbe. ..." (http://www.daniel-neuhaus.de/2010/01/30/von-a-und-b-farben/);

25

- "...in den 30er-Jahren entwickelten sich die Markenfirmen auch immer mehr zu sogenannten Farbengesellschaften. Die Zapfsäulen der jeweiligen Mineralölfirma wurden in einheitlichen Farben gestrichen und hieraus entwickelte sich der Begriff der Farbengesellschaft. Der Kunde sollte an der Zapfsäule erkennen, um welches Markenprodukt es sich handelt. "http://www.ed-info.de/edplus/ArtikelAnsichtArc.php?newsId=189) oder

26

- ".... Es wurden riesige würfelförmige Lichtreklamen auf den Dächern der Tankstellen montiert. In Europa begannen die Markenfirmen, sich zu Farbengesellschaften zu entwickeln. Die Zapfsäulen wurden in der jeweiligen Firmenfarbe gestrichen, denn der Autofahrer sollte einen werbewirksamen Wiederholungs-Aha-Effekt an den Tankstellen erleben. ... Noch um 1960 hielten 60 % der Farbengesellschaften 90 % des Kraftstoffmarktes in ihren Händen. ..." (http://www.ed-info.de/edplus/ArtikelAnsichtArc.php?newsId=121).

27

Auch Unternehmen, die Tankstellen ausrüsten, verwenden in ihrer an Tankstellenbetreiber gerichteten Werbung Formulierungen, die den kennzeichnenden Charakter von Farben in diesem Bereich zum Ausdruck bringen: "SB-Saugstationen ... Lieferbar in allen gängigen Mineralölfarben und Designen." (http://www.carrera-industriesauger.de/sbsauger.php).

28

Der Kreis der Endverbraucher, zu denen auch die Mitglieder des Senats gehören, begegnet im Stadtbild in allen Städten und an allen Autobahnen im Gebiet der Bundesrepublik ständig den Farben der großen Tankstellengesellschaften. Der Durchschnittsverbraucher wurde überdies durch redaktionelle Beiträge in den Medien oder Einträgen in Popularlexika daran gewöhnt, die "Farben der Tankstellen" als Hinweis auf die Kennzeichnungsgewohnheiten der großen Tankstellengesellschaften, mithin als betrieblichen Herkunftshinweis zu verstehen, wie folgende Beispiele zeigen:

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- "Nachts ändern sich die Farben der Tankstellen - Shell trennt sich von Stationen" (http://www.merkur-online.de/lokales/nachrichten/nachts-aendern-sich-farben-tankstellen-218746.html)

30

- "Jet-Tankstellen gehören zu den sogenannten B-Farben. Diese Gesellschaften halten häufig einen Preisabstand von 1 Cent zu den A-Farben (Aral, Shell und Esso) ein. Die weißen Jet-Tankstellen (= Supermarkt-Tankstellen) halten häufig einen Preisabstand von 2 Cent zu den A-Farben ein." (http://de.wikipedia.org/wiki/Jet_Tankstelle) oder

31

-  "Markentankstellen sind an bestimmte Ketten gebunden. Dies können die großen Ölkonzerne wie etwa Shell, Esso oder BP (unter der Marke Aral) sein, die im Branchen-Jargon A-Gesellschaften oder auch Farbengesellschaften genannt werden. Es kann sich aber auch um eine der vielen mittelständischen Ketten handeln (B-Farben), die zwischen einem Dutzend und einer dreistelligen Zahl von Tankstellen unterhalten." (http://de.wikipedia.org/wiki/Tankstelle).

32

In der markenrechtlichen Literatur wird die Mineralölbranche seit Jahrzehnten als typisches Beispiel für die kennzeichnende Verwendung von Farben bzw. Farbkombinationen aufgeführt (vgl. Beier, Ausstattungsschutz für Farben, GRUR 1980, 600, 603; Bingener, Markenrecht - Ein Leitfaden für die Praxis, 2. Auflage, Teil 2 Rdnr. 34; Sekretaruk, Dissertation: Farben als Marke, 2005, Rdnr. 6; Caldarola, Dissertation: Farbenschutz in Deutschland, den Vereinigten Staaten und Japan, 2001, S. 52; Grabrucker, Der Schutzgegenstand der Farbmarke, GRUR 1999, 850, 852; Offene Rechtsfragen zur Praxis der abstrakten Farbmarke, WRP 2000, 1331, 1337). Dies wird unter anderem damit begründet, dass bei Waren und Dienstleistungen, die - wie Brennstoffe - für den Abnehmer optisch nicht wahrnehmbar oder farblos sind, ein Bedürfnis der Unternehmen bestehe, ihr Produkt durch die herkunftshinweisende Verwendung von Farben für den Abnehmer zu veranschaulichen (vgl. Caldarola a. a. O., S. 51; BPatG a. a. O. - Grün/Gelb).

33

Da der Tankstellenmarkt seit vielen Jahren die Farbverteilung unter den Konkurrenten ausübt und diese nebeneinander in ihren jeweiligen Hausfarben auftreten und die als Marke angemeldete Farbe Pantone 300 nur für ein spezifisches Marktsegment beansprucht wird, ist eine übergebührliche Einschränkung der Wettbewerber nicht zu befürchten (vgl. EuGH a. a. O. - Libertel, Rdnr. 69); dass es sich nicht um eine eigens für die Anmelderin entwickelte Farbe handelt, ist nicht entscheidend.

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(3.) Das Anmeldezeichen beschreibt mit seiner Farbe auch nicht die beanspruchten Waren und ist deshalb unterscheidungskräftig.

35

Weder die Waren der Klasse 4 "Brennstoffe, nämlich Motorentreibstoffe nur für Kraftfahrzeuge" noch die Waren der Klasse 1 "chemische Additive zur Behandlung von Abgas nur für Kraftfahrzeuge" sind an einen farblichen – blauen - Auftritt gebunden. Insbesondere wird die Farbe "blau" Pantone 300 nicht zur Beschreibung bestimmter Kraftstoffe für Kraftfahrzeuge verwendet. Allenfalls begünstigtes - und von der Anmelderin nicht beanspruchtes - Heizöl ist aus steuerlichen Gründen farbig, allerdings nicht blau, sondern mit einem speziellen roten Farbstoff gekennzeichnet (vgl. http://www.zoll.de/DE/Privatpersonen/Alkohol-Kaffee-Kraftstoffe-Strom-im-Haushalt/Verwenden-von-Kraftstoffen/verwenden-von-kraftstoffen.html). Die genannten Additive zur Behandlung von Abgas sind farblos (vgl. S. 3 des Sicherheitsdatenblattes gemäß 1907/2006/EG zu "AdBlue", Stand 5. April 2012, http://www.silbermann.de/download/SDB/00071300.pdf).

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Rein psychologische und physiologische Wirkungen von Farben (vgl. hierzu Bölling, Dissertation: Formaler Markenschutz für Farben, 2007, S. 62 ff.), hier der Farbe blau, unter deren Verwendung eine Senkung des Pulses und des Blutdrucks beobachtet wurde (vgl. Braem, Die Macht der Farben, 6. Auflage, 2004, S. 17), geben keinen konkreten Hinweis auf Art, Beschaffenheit oder Wirkung der beanspruchten Produkte.

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2. Wegen des fehlenden beschreibenden Aussagegehalts der Farbe blau für die beanspruchten Waren ist ein Freihaltebedürfnis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG ebenfalls zu verneinen. Eine eventuell vorhandene farbpsychologische Wirkung assoziativer Art lässt sich nicht unter § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG subsumieren (vgl. BPatG 24 W (pat) 130/02 - DARK BLUE, juris).

38

3. Ob sich das Anmeldezeichen darüber hinaus für die noch beanspruchten Waren gemäß § 8 Abs 3 MarkenG im Verkehr durchgesetzt hat, was nach Auffassung des Senats gerichtsbekannt ist, kam es bei dieser Sachlage nicht mehr an.