Entscheidungsdatum: 18.01.2012
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 306 24 610
hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 18. Januar 2012 durch die Vorsitzende Richterin Klante, die Richterin Hartlieb und den Richter Schwarz
b12eschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
I.
Die Widersprechende hat gegen306 24 610 die am 29. Dezember 2006 veröffentlichte Eintragung der am 18. April 2006 angemeldeten, für
Fahrräder, deren Ersatzteile und Zubehör, nämlich Frontgabeln für Fahrräder, Tretkurbeln für Fahrräder, Fahrradfelgen, Sattelstützen für Fahrräder, Fahrradlenkstangen, Tretlager für Fahrräder, Fahrradnaben, Fahrradspeichen, Fahrradbremsen und deren Ersatzteile, Fahrradketten, Getriebe und Zahnradübersetzungen für Fahrräder, Kettenkränze für Fahrräder, Lenkkopflager für Fahrräder, Vorbauten für Lenkstangen, Gabelschäfte für Fahrräder, Schnellspanner für Fahrräder, Sitzrohre für Fahrräder, Zahnkränze für Fahrräder, Fahrradsitze, Radachsen für Fahrräder
geschützten Marke Nr. 306 24 610
Vero
Widerspruch -eingelegtEU 5 307 111 aus ihrer am 11. September 2006 angemeldeten und seit 10. April 2008 für
Fahrzeuge sowie deren Teile und Zubehör, soweit in Klasse 12 enthalten; Räder für Fahrzeuge
eingetragenen Gemeinschaftsmarke Nr. EU 5 307 111
VERUS.
Bei der Anmeldung der Widerspruchsmarke ist die Priorität der am 10. März 2006 von Herrn A… in S… - der auch Erstanmelder der Widerspruchsmarke war - angemeldeten Marke DE 306 15 853 in Anspruch genommen worden. Ausweislich des Markenregisters gilt diese Anmeldung als zurückgenommen.
Die Markenstelle für Klasse 12 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat mit Erstbeschluss vom 5. Mai 2009 und Erinnerungsbeschluss vom 19. Mai 2010 den Widerspruch zurückgewiesen, weil die angegriffene Marke zur Widerspruchsmarke infolge der unterschiedlichen zweiten Silbe, die wegen der Kürze beider Wörter markant in Erscheinung trete, einen Abstand einhalte, der auch in Anbetracht der Warenidentität die Gefahr von Verwechslungen in einem markenrechtlich relevanten Umfang mit hinreichender Sicherheit ausschließe.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden, die sie im Wesentlichen darauf stützt, dass - ähnlich wie bei ihrer Ansicht nach vergleichbaren Kollisionsfällen bereits entschieden worden sei - der Unterschied bei den beiden letzten Buchstaben eine Verwechslungsgefahr nicht ausschließen könne.
Die Widersprechende beantragt,
die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 12 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 5. Mai 2009 und 19. Mai 2010 aufzuheben und die Marke 306 24 610 wegen des Widerspruchs aus der eingetragenen Gemeinschaftsmarke EU 5 307 111 zu löschen.
+-
Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat sich zur Beschwerde nicht geäußert.
II.
D-ie zulässige- Be-schwerde, über die ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, nach dem eine solche von keiner der Beteiligten, die ausreichend Gelegenheit zum schriftlichen Vorbringen hatten (vgl. BPatGE 19, 225, 227 ff.; 23, 171; BGH GRUR 1997, 223, 224 - Ceco; s.a. Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Aufl. 2011, § 66 Rdn. 43), beantragt wurde und auch der Senat eine solche für nicht erforderlich erachtet, hat in der Sache keinen Erfolg. Die Markenstelle hat zu Recht und mit zutreffender Begründung, der sich der Senat anschließt, den Widerspruch wegen mangelnder Gefahr von Verwechslungen der Vergleichsmarken nach § 43 Abs. 2 Satz 2, § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG zurückgewiesen.
Dabei ist schon zweifelhaft, ob der Widerspruch nicht bereits deshalb unzulässig ist, weil die Widerspruchsmarke, die als Gemeinschaftsmarke erst nach der angegriffenen Marke angemeldet wurde, ihren allein infolge der Inanspruchnahme der Priorität der nationalen Marke 306 15 853 (zunächst) gegenüber der angegriffenen Marke erworbenen älteren Zeitrang nach Art. 34 Abs. 3 GMV wieder verloren hatte, nachdem die Anmeldung der nationalen Marke, deren Priorität in Anspruch genommen wurde, als zurückgenommen gilt. Dies bedarf allerdings keiner Vertiefung, weil ungeachtet dessen eine Verwechslungsgefahr zwischen den beiden gegenüberstehenden Zeichen ausscheidet.
Die Eintragung einer Marke ist auf den Widerspruch aus einer prioritätsälteren Marke nach den vorgenannten Vorschriften zu löschen, wenn zwischen beiden Zeichen wegen Zeichenidentität oder -ähnlichkeit und Warenidentität oder -ähnlichkeit unter Berücksichtigung der Kennzeichnungskraft des älteren Zeichens die Gefahr von Verwechslungen einschließlich der Gefahr, dass die Marken miteinander gedanklich in Verbindung gebracht werden, besteht. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs stehen die vorgenannten Komponenten miteinander in einer Wechselbeziehung, wobei ein geringerer Grad einer Komponente durch den größeren Grad einer anderen Komponente ausgeglichen werden kann (st. Rspr.; vgl. EuGH GRUR 1998, 922, 923 [Rz. 16 f.] - Canon; MarkenR 1999, 236, 239 [Rz. 19] - Lloyd/Loints; BGH GRUR 1999, 241, 243 - Lions). Der Schutz der älteren Marke ist dabei aber auf die Fälle zu beschränken, in denen die Benutzung eines identischen oder ähnlichen Zeichens durch einen Dritten die Funktionen der älteren Marke, insbesondere ihre Hauptfunktion zur Gewährleistung der Herkunft der Waren oder Dienstleistungen gegenüber den Verbrauchern, beeinträchtigt oder beeinträchtigen könnte (vgl. EuGH GRUR 2003, 55, 57 f. [Rz. 51] - Arsenal Football Club plc; GRUR 2005, 153, 155 [Rz. 59] - Anheuser-Busch/Budvar; GRUR 2007, 318, 319 [Rz. 21] - Adam Opel/Autec).
Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend der Grad der Markenähnlichkeit zu gering, um trotz Warenidentität und unterstellter durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke eine Verwechslungsgefahr zu begründen.
Marken sind als ähnlich anzusehen, wenn ihre Übereinstimmungen in der Erinnerung von nicht nur unmaßgeblichen Teilen der durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Abnehmer (vgl. EuGH GRUR 2003, 604, 605 – Libertel; GRUR 2004, 943, 944 – SAT.2), an welche sich die jeweils beanspruchten Waren oder Dienstleistungen richten, die daneben vorhandenen Unterschiede nach dem Gewicht, das ihnen in der jeweiligen Marke zukommt, so stark überwiegen, dass die betreffenden Verkehrskreise die Zeichen nicht mehr hinreichend auseinander halten können (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 10. Aufl. 2011, § 9 Rn. 178 m. w. N.). Die Ähnlichkeit von Marken ist dabei grundsätzlich aufgrund ihres jeweiligen Gesamteindrucks unabhängig vom Prioritätsalter zu beurteilen (vgl. EuGH GRUR 1998, 397, 390 Tz. 23 - Sabèl/Puma; GRUR 2005, 1043, 1044 [Rz. 28 f.] - Thomson Life; GRUR 2006, 413, 414 [Rn. 19] - SIR/Zirh; BGH GRUR 2000, 233 f. - Rausch/Elfi Rauch); hierbei sind ihre Übereinstimmungen oder Abweichungen im Bild, im Klang und in der Bedeutung umfassend zu ermitteln, wobei berücksichtigt werden kann, welche Bedeutung diesen Aspekten beim Vertrieb der jeweiligen Waren oder Dienstleistungen zukommt (vgl. EuGH GRUR 2006, 413, 415 [Rn. 28] - SIR/Zirh). Eine Ähnlichkeit in nur einem dieser drei Aspekte begründet zwar nicht notwendig die Annahme einer Verwechslungsgefahr (vgl. EuGH a. a. O. [Rn. 21 f.] - SIR/Zirh), kann aber im Einzelfall ausreichen (vgl. EuGH a. a. O. [Rn. 21] - SIR/Zirh; BGH GRUR 1959, 182, 185 - Quick; GRUR 1979, 853, 854 - LILA; GRUR 1990, 367, 368 - alpi/Alba Moda; GRUR 1992, 110, 112 - dipa/dib; GRUR 1992, 550, 551 - ac-pharma; GRUR 1999, 241, 243 - Lions), sofern nicht die Übereinstimmungen in einem Aspekt durch die bestehenden Unterschiede in den anderen neutralisiert werden (vgl. EuGH a. a. O. [Rn. 35] - SIR/Zirh).
Die Beurteilung der Markenähnlichkeit ist dabei anhand des jeweiligen Einzelfalls unter Berücksichtigung aller Umstände vorzunehmen. Insofern spielt die frühere Bejahung oder Verneinung einer Verwechslungsgefahr bei anderen Marken - ungeachtet der weiteren Frage, ob diese Beurteilung zu Recht erfolgte und die früher gegenüberstehenden Marken mit den zu beurteilenden Marken vergleichbar sind - bei der erforderlichen Feststellung im hier zu beurteilenden konkreten Einzelfall von vornherein eine sehr untergeordnete Rolle. Ungeachtet dessen teilt allerdings der Senat auch die Einschätzung der Markenstelle, dass die von der Widersprechenden genannten angeblichen Vergleichsfälle Marken betreffen, die mit den Besonderheiten der hier zu beurteilenden Marken nicht vergleichbar sind.
Vorliegend unterscheiden sich die jeweils nur zwei Silben enthaltenden und damit nur aus sehr kurzen Wörtern bestehenden beiden Marken aufgrund der stark unterschiedlichen Endsilben deutlich. Diese werden wegen der Kürze der beiden Markenwörter vom Verkehr bei ihrer optischen und akustischen Wahrnehmung und Wiedergabe dabei nicht außer Acht gelassen werden, so dass der Erfahrungssatz, dass in der Regel die Wortanfänge stärker als die Wortenden beachtet zu werden pflegen, wegen dieses Umstandes hier keine Rolle spielt. Wegen des Schluss-S in der Widerspruchsmarke wird dieser Unterschied dem Verkehr dabei sowohl optisch als auch akustisch sofort und ohne Mühe so stark auffallen, dass er beide Markenwörter auch bei einer ungenauen Erinnerung ohne Weiteres auseinander halten kann.
Da sonstige Umstände, die eine hinreichende Markenähnlichkeit nahelegen könnten, weder von der Widersprechenden aufgezeigt worden noch anderweitig erkennbar sind, kann daher trotz Warenidentität und unterstellter durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke eine Verwechslungsgefahr nicht festgestellt werden. Da die Markenstelle somit zutreffend den Widerspruch zurückgewiesen hatte, war der hiergegen gerichteten Beschwerde der Widersprechenden somit der Erfolg zu versagen.
Da Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich sind, hat es dabei zu verbleiben, dass beide Beteiligte ihre jeweiligen außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen haben (§ 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG).
Für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde von Amts wegen sind Anhaltspunkte nicht erkennbar.