Entscheidungsdatum: 19.10.2010
In der Beschwerdesache
…
betreffend die IR-Marke 798 106
hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 19. Oktober 2010 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Albrecht, Richter Kruppa und Richterin am Landgericht Werner
beschlossen:
Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 1. Februar 2005 wird aufgehoben.
I
Die Markenstelle hat mit dem im Tenor genannten Beschluss der international für „Dispositifs de contacts électriques, connecteurs électriques, connecteurs pour fibres optiques“ am 18. Februar 2003 registrierten dreidimensionalen IR-Marke 798 106
nach Art. 6 quinquies B Nr. 2 PVÜ, Art. 5 Abs. 1 MMA i. V. m. § 107, § 113, § 37 Abs. 1, § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG den Schutz in der Bundesrepublik Deutschland verweigert. Das ist damit begründet, die schutzsuchende Marke habe nur die dreidimensionale Gestaltung eines Steckverbinders zum Gegenstand und weise in der Riffelung der Grifffläche keine charakteristischen Merkmale auf. Darin sähen die Verbraucher keinen Herkunftshinweis, weil sie funktionsbedingt wirke. Hieran ändere die Voreintragung in anderen Ländern nichts.
Für eine Verkehrsdurchsetzung reichten die vorgelegten Unterlagen nicht aus.
Dieser Beschluss wurde der Beschwerdeführerin am 10. Februar 2005 zugestellt.
Dagegen richtet sich die Beschwerde, zu deren Begründung die IR-Markeninhaberin ausführt, die Marke sei originär schutzfähig, weil die Grifffläche ihrer Waren, die sich ausschließlich an die Industrie richteten, das charakteristische „Schokoladenmuster“ aufweise, das nicht technisch bedingt sei. Nur Hightech-Anwender würden die beanspruchten Stecker verwenden, z. B. an Formel-1-Rennwägen, im Spaceshuttle, in Übertragungswägen oder an Medizingeräten. Durchschnittsverbraucher kämen damit nicht in Berührung.
Mit der eidesstattlichen Versicherung ihres geschäftsführenden Gesellschafters hat die IR-Markeninhaberin vorgetragen, unter der Marke würden jährlich in einem Umsatz von … bis … Euro Steckverbinder vertrieben. Der Gesamtmarkt liege bei … Euro; sie sei Marktführer. Hauptabnehmer für die hochwertigen Stecker seien die großen Automobilhersteller, Rundfunkanstalten und Universitätsinstitute.
Im Anlagenkonvolut 8 wurden 50 Schreiben von Firmen aus dem Jahr 2005 vorgelegt, die bestätigen, die Produkte der IR-Markeninhaberin am Griffflächen-Design „Schokoladenmuster“ zu erkennen.
Im Anlagenkonvolut 9 hat die IR-Markeninhaberin 25 Kataloge etc. der Konkurrenten vorgelegt und darauf hingewiesen, dass deren Produkte keine vergleichbaren Riffelungen aufwiesen.
Mit Schriftsatz vom 23. August 2010 hat sie eine Liste der Unternehmen vorgelegt, die überhaupt Bedarf an entsprechenden Hochleistungssteckverbindern hätten.
Die Inhaberin der IR-Marke beantragt sinngemäß,
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 9 vom 1. Februar 2005 aufzuheben und dem Antrag auf der Basis des folgenden eingeschränkten Warenverzeichnis stattzugeben:
elektro-mechanische Steckverbindunger mit einer Push-Pull-Verriegelung als Hochtemperatur-Bauteile für einen Temperaturmessbereich von 250° C bis 2.500° C,
elektro-mechanische Steckverbindunger mit einer Push-Pull-Verriegelung als Hochspannungs-Bauteile für Hochspannungen bis 50 kV,
glasfiber-optische Steckverbinder mit einer Push-Pull-Verriegelung als mehrpolige Steckverbindungen für Hochgeschwindigkeitssignale im Frequenzbereich bis 340 MHz,
glasfiber-optische Steckverbinder mit einer Push-Pull-Verriegelung als HDTV-Steckverbindungssysteme mit Hybridanordnung und Glasfaserferrulen für feinste Glasfasern mit einem Durchmesser von 125 μm.
II
1.
Die nach § 66 MarkenG zulässige Beschwerde hat in der Sache nach Beschränkung des Warenverzeichnisses auf Steckverbinder, für die nur ein kleiner bestimmbarer Kreis an Abnehmern in Frage kommt, auf Grund von Verkehrsdurchsetzung Erfolg.
Die Marke ist nicht deshalb vom Markenschutz ausgeschlossen, weil sie ausschließlich aus einer Form besteht, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG). Die auf dem einschlägigen Warensektor bestehende Formenvielfalt zeigt, dass die beanspruchte Form nicht das Ergebnis technischer Notwendigkeiten ist.
2.
Mit der Markenstelle geht der Senat davon aus, dass dem angemeldeten Zeichen von Haus aus die erforderliche Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) fehlt. Die von der Markenstelle dazu angeführte Begründung muss hier nicht wiederholt werden.
Ein Freihaltungsbedürfnis im Sinn des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG besteht hingegen nicht, da nicht ersichtlich ist, warum Konkurrenten gerade auf eine Riffelung, die einer Schokoladetafel gleicht, angewiesen sein sollten. Der mögliche Formenschatz erfährt durch den Schutz des angemeldeten Zeichens keine die Allgemeinheit beeinträchtigende Beschränkung. Die Möglichkeiten, die Produktgestaltung zu variieren, sind nicht beschränkt, was dafür sprechen würde, jede mögliche Form im Interesse der Allgemeinheit freizuhalten (BGH GRUR 2004, 502, 505 - Gabelstapler II; GRUR 2004, 329, 331 - Käse in Blütenform). Bei der beanspruchten Form handelt es sich auch nicht um eine beliebige Kombination üblicher Gestaltungselemente. Da auf dem Warengebiet eine nahezu unübersehbar große Zahl von Gestaltungsmöglichkeiten besteht, ist nicht von einem überwiegenden Interesse der Allgemeinheit an der Freihaltung der beanspruchten Form auszugehen (BGH GRUR Int. 2008, 65 - Rado-Uhr III).
3.
Das zunächst bestehende Schutzhindernis fehlender Unterscheidungskraft ist dadurch überwunden worden, dass sich die Marke als Hinweis auf die Herkunft der von der IR-Markeninhaberin vertriebenen Steckverbinder durchgesetzt hat (§ 8 Abs. 3 MarkenG).
Dies kann aufgrund einer Gesamtschau der Gesichtspunkte festgestellt werden, die zeigen können, dass die Marke die Eignung erlangt hat, die in Rede stehende Ware als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware damit von den Waren anderer Unternehmen zu unterscheiden (EuGH GRUR 1999, 723 Tz. 54 - Windsurfing Chiemsee). Es ist dem nationalen Verfahrensrecht überlassen, welche Erkenntnisse in welchem Umfang zur Bewertung der Verkehrsgeltung im Einzelfall herangezogen und bewertet werden (vgl. EuGH GRUR 1999, 723, 727 Tz. 53 - Chiemsee; GRUR 2002, 804, 808 Tz. 65 - Philips). Dazu gehören u. a. alle Maßnahmen, eine Bezeichnung auf dem Markt zur Geltung zu bringen, der Marktanteil, die mit der Marke erzielten Umsätze, die geographische Verbreitung und die Dauer der Benutzung der Bezeichnung, der Werbeaufwand dafür usw. (vgl. EuGH GRUR 1999, 723, 727 Tz. 54 - Chiemsee, BGH GRUR 2006, 760 - Lotto).
Aufgrund der vorliegenden Unterlagen geht der Senat davon aus, dass sich die Riffelung im Schokolade-Design als Hinweis auf die Herkunft der Steckverbinder aus dem Unternehmen der Beschwerdeführerin entwickelt hat. Dies gilt seit dem Eintragungszeitpunkt.
Die zu berücksichtigenden Marktteilnehmer bestimmen sich nach den beanspruchten Waren und deren üblicher bestimmungsgemäßer Verwendung. Nach Einschränkung des Warenverzeichnisses kommen als Abnehmer nur die Angehörigen eines überschaubaren Kreises in Betracht. Dazu gehören ausschließlich hochspezialisierte Anwender einer hochentwickelten Technik mit sehr hohen Anforderungen an die Funktionalität der Steckverbinder. Nachdem die Anmelderin bereits vor Beschränkung des Warenverzeichnisses Stellungnahmen von 50 Betrieben aus diesem Kreis vorgelegt hat, die bestätigen, die angemeldete Form der Anmelderin kennzeichnend zuzuordnen, war es nicht notwendig, innerhalb der mit Schriftsatz vom 23. August 2010 benannten Unternehmen, die den Abnehmerkreis bilden, eine beschränkte Verbraucherbefragung durchzuführen, zumal die Beschwerdeführerin durch eidesstattliche Versicherung einen hohen Marktanteil belegt hat.
4.
Für eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr besteht kein Anlass, da die Beschränkung des Warenverzeichnisses erst im Beschwerdeverfahren erfolgt ist.