Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 27.09.2011


BPatG 27.09.2011 - 27 W (pat) 583/10

Markenbeschwerdeverfahren – "Long-Distance-Rendite" – Unterscheidungskraft - kein Freihaltungsbedürfnis


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
27. Senat
Entscheidungsdatum:
27.09.2011
Aktenzeichen:
27 W (pat) 583/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2010 023 661.2

hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 2011 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Albrecht, den Richter Kruppa und die Richterin Werner

beschlossen:

Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 41 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 28. Juli 2010 wird insoweit aufgehoben, als die Markenanmeldung zurückgewiesen wurde.

Gründe

I.

1

Die Markenstelle für Klasse 41 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung der Wortfolge

2

Long-Distance-Rendite

3

vom 21. April 2009 nach § 37 Abs. 1, § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG mit Beschluss vom 28. Juli 2010 (bis auf die Waren der Klasse 16: Papier und Schreibwaren) teilweise mangels Unterscheidungskraft zurückgewiesen als Kennzeichnung für die Waren und Dienstleistungen der

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Klasse 16: Druckereierzeugnisse;

5

Klasse 35: Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Herausgabe von Werbetexten; Publikation von Druckerzeugnissen (auch in elektronischer Form) für Werbezwecke, insbesondere Fondsprospekte;

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Klasse 36: Finanzwesen; Immobilienwesen;

7

Klasse 41: Publikation von Druckerzeugnissen (auch in elektronischer Form), ausgenommen für Werbezwecke.

8

Dies hat die Markenstelle damit begründet, die angemeldete Bezeichnung „Long-Distance-Rendite“ sei zwar lexikalisch nicht nachweisbar, jedoch sprachüblich aus einfachen englischen bzw. deutschen Wörtern zusammengesetzt und allgemein verständlich.

9

Das um Schutz nachsuchende Zeichen vermittle dem angesprochenen Publikum unmissverständlich und auf den ersten Blick eine eindeutige Beschreibung hinsichtlich des Themas, der Art sowie der Bestimmung der beanspruchten Waren und Dienstleistungen.

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Bei der angemeldeten Wortfolge „Long-Distance-Rendite“ handle es sich um eine Kombination dem Verbraucher verständlicher Wörter. Dabei gehörten die englischen Wörter „long“ und „distance“ zum Grundwortschatz der englischen Sprache, seien daher allgemein bekannt, und dem inländischen Verbraucher bereits aufgrund der sprachlichen Nähe zu ihren deutschen Entsprechungen „lang“ und „Distanz“ ohne weiteres verständlich. Der Begriff „Distanz“ beziehe sich nicht nur auf räumliche Entfernungen, sondern auch auf zeitliche Abstände. Unter Berücksichtigung eines Verständnisses des Wortes Rendite im Sinn von Ertrag einer Kapitalanlage ergebe sich aus der Zusammenstellung im Hinblick auf die zurückgewiesenen Waren und Dienstleistungen eine unmittelbare Aussage, dass diese Produkte auf lange Sicht einen wirtschaftlichen Ertrag bringen sollten. Diese Interpretationsvariante läge auch nahe, da Finanzprodukte und diese bewerbende Fondsprospekte kaum auf die Überwindung einer großen räumlichen Entfernung ausgerichtet sein könnten.

11

Die Kombination englischer und deutscher Wörter an sich führe zu keiner Eigenartigkeit, da der Verbraucher an derartige Gestaltungen in der modernen Werbesprache gewöhnt sei.

12

Eine über die als reine Anpreisung der Produkte hinausgehende Aussage sei nicht vorhanden.

13

In etlichen Beiträgen der allgemeinen und der Fachpresse werde geraten, zum gegenwärtigen Zeitpunkt Geld für lange Zeiträume fest anzulegen. Unter diesen Umständen suggerierten Angebote längerfristiger Anlagen mit hohen Renditen den Interessenten, die so bezeichneten Waren und Dienstleistungen könnten hohe und stabile wirtschaftliche Erträge über lange Zeiträume erzielen. Der angemeldete Begriff ordne sich in übliche Werbeaussagen dieser Art nahtlos ein.

14

Der Beschluss ist der Anmelderin am 29. Juli 2010 zugestellt worden.

15

Mit ihrer Beschwerde vom 26. August 2010 wendet sie sich gegen die Wertungen in dem angegriffenen Beschluss.

16

Sie ist der Ansicht, dass die Art der Zusammensetzung der Anmeldemarke von der bloßen Aneinanderreihung beschreibender Angaben wegführe.

17

Selbst wenn die Einzelbestandteile - Long, Distance und Rendite - für sich genommen nicht unterscheidungskräftig seien, würde sich die Unterscheidungskraft jedenfalls aus ihrer Kombination ergeben. Das belege die objektive Sinnlosigkeit einer - erst aufgrund eines bzw. mehrerer gedanklicher Zwischenschritte - Long = lang, Distance = Entfernung und Rendite = Gewinn - überhaupt möglichen Übersetzung. Zumal es sich dann um eine überhaupt nicht übliche, vielmehr werbefeindliche Botschaft „Gewinn erst in weiter Ferne“ handle. Diese sei erst über einen gedanklichen Zwischenschritt mit der sinnvollen Bedeutung „langfristiger Gewinn“ zu verstehen - und das auch nur bei einem Übersetzungsfehler.

18

Da das Publikum zu der vom Deutschen Patent- und Markenamt unterstellten analysierenden Betrachtungsweise ohnehin nicht neige, überspanne das Amt somit die Voraussetzungen für die Eintragung.

19

Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 41 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 28. Juli 2010 - soweit er die Eintragung versage - aufzuheben und die Eintragung der angemeldeten Wortfolge in vollem Umfang zu beschließen.

21

In der mündlichen Verhandlung hat die Anmelderin ihren Standpunkt aufrechterhalten und vertieft.

II.

22

Die nach § 66 Abs. 1 MarkenG zulässige Beschwerde führt in der Sache zum Erfolg.

23

Der Registrierung der angemeldeten Wortfolge stehen für alle beanspruchten Waren und Dienstleistungen keine Schutzhindernisse entgegen.

24

Entgegen der Auffassung der Markenabteilung kann dem Begriff „Long-Distance-Rendite“ weder das erforderliche Mindestmaß an Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG für die weiteren beanspruchten Waren und Dienstleistungen abgesprochen werden, noch besteht insoweit ein Freihaltungsbedürfnis zugunsten der Mitbewerber i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.

25

1. Der Registrierung steht nicht das Schutzhindernis einer Merkmalsbezeichnung im Sinn von § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegen.

26

Diese Vorschrift verbietet es, Zeichen als Marken einzutragen, die ausschließlich aus Teilen bestehen, welche zur Bezeichnung der Beschaffenheit, der Bestimmung, des Wertes oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale von Waren und Dienstleistungen dienen können, unabhängig davon, ob und inwieweit sie bereits bekannt sind oder verwendet werden (vgl. Ströbele, FS für Ullmann, S. 425, 428). Ebenso kommt es nicht darauf an, ob der entsprechende Begriff allgemein verständlich ist, ob ihn eine große oder geringe Zahl von Unternehmen zur freien Verwendung benötigt und ob die Merkmale der Waren, die beschrieben werden können, wirtschaftlich wesentlich oder nebensächlich sind (vgl. EuGH GRUR Int. 2004, 500, Rn. 77, 58, 102 - Postkantoor). Selbst wenn die Bedeutung einer (fremdsprachigen) Wortmarke den inländischen Marktteilnehmern nicht ohne weiteres erkennbar ist, kann sie für Import- und Exportgeschäfte freihaltungsbedürftig sein (vgl. Ströbele MarkenR 2006, 433 I Fn. 2 und 3 m. w. Nachw.), weil sie dann den mit den Waren befassten Fachkreisen, Händlern etc. hinreichend verständlich ist (EuGH MarkenR 2006, 157 Rn. 24 - Matratzen Concord; Ströbele MarkenR 2006, 433, 435 IV, V).

27

Dies alles trifft hier nicht zu, weil „Long-Distance-Rendite“ als Bezeichnung im Bereich des Finanz- oder Immobilienwesens weder Waren noch Dienstleistungen beschreibt.

28

Die angemeldete, lexikalisch nicht nachweisbare Wortfolge ist erkennbar eine Kombination allgemein verständlicher Wörter verknüpft über Bindestriche. Entgegen der Annahme der Markenstelle kann ihr eine unmittelbare Aussage und nachvollziehbare Bedeutung für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen, dass diese Produkte auf lange Sicht einen wirtschaftlichen Ertrag bringen sollen, erst nach einer gewissen analysierenden Betrachtung entnommen werden.

29

Dabei kommt es nicht darauf an, welche Bedeutung die einzelnen Bestandteile haben, sondern wie sie ihrem Sinn nach in ihrer Gesamtheit verstanden werden.

30

Das Wort Rendite ist das Substantiv zu dem lateinischen Verb „rendere“ und wird allgemein mit Einkünfte, Gewinn und Ertrag einer Kapitalanlage übersetzt (Duden - Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl. Mannheim 2006, S. 1384, Stichwort: Rendite). Rendite gibt das Verhältnis der Auszahlungen zu den Einzahlungen einer Geld- bzw. Kapitalanlage an und wird meist in Prozent und jährlich angegeben. Die bekannteste Renditekennzahl ist der Zinssatz. Der Begriff ist jedoch nicht scharf definiert, wodurch die Einordnung in einen bestimmten Markt kaum möglich ist. Es existieren verschiedene Arten von Renditen, wobei die der Geld- oder Kapitalanlage eine der bekanntesten ist.

31

Die englischen Wörter „long“ und „distance“ gehören zum Grundwortschatz der englischen Sprache, Deshalb kann eine allgemeine Bekanntheit unterstellt werden. „Long“ und „Distance“ sind dem inländischen Verbraucher außerdem aufgrund der sprachlichen Nähe zu ihren deutschen Entsprechungen lang und Distanz ohne weiteres verständlich. Der Begriff Distanz, der synonym zu Abstand, Entfernung, Ferne, Lücke, Platz, Strecke, Wegstrecke, Zwischenraum gebraucht wird, bezieht sich allerdings, worauf die Anmelderin zutreffend hinweist, zunächst nur auf räumliche Entfernungen und nicht auch auf zeitliche Abstände (Duden Deutsches Universalwörterbuch, 6. Auflage, S. 409, Stichwort: Distanz, Nr. 1).

32

Der Begriff „Long-Distance“ wird in verschiedensten Kontexten umfangreich zur Beschreibung einer großen Strecke in räumlicher Hinsicht verwendet, z.B. bei Langstreckenflug, Telefonaten über weite Entfernung etc., wie die von der Anmelderin vorgelegten Fundstellen (Bl. 43 ff. der VA) belegen.

33

Auch wenn Beständigkeit und Langfristigkeit auf dem Gebiet der beanspruchten Waren und Dienstleistungen ein wichtiges Merkmal sind, hat die Wortfolge „Long-Distance-Rendite“ keine beschreibende Angabe für langfristigen bzw. anhaltenden Gewinn. Vielmehr ist sie ein phantasievoller Begriff, der erst nach einer gewissen Betrachtung und Überlegung den beanspruchten Waren und Dienstleistungen zugeordnet werden kann.

34

Hinzu kommt, dass es bei den noch strittigen Druckerzeugnissen und Dienstleistungen allenfalls für das Ziel dort dargestellter Produkte bzw. der Dienstleistungen (Vermittlung, Beratung) beschreibend sein könnte. Auch diese verlangt vom Verbraucher eine analysierende Betrachtungsweise, um zu dem von der Markenstelle zu Grunde gelegten Verständnis zu kommen. Damit kann die Bezeichnung „Long-Distance-Rendite“ als Herkunftshinweis dienen.

35

2. Dem angemeldeten Begriff fehlt auch nicht die erforderliche Unterscheidungskraft.

36

Unterscheidungskraft im Sinn des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende Eignung als Unterscheidungsmittel für die beanspruchten Waren bzw. Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber solchen anderer (EuGH GRUR 2006, 233, 235, Nr. 45 - Standbeutel; BGH GRUR 2006, 850, 854, Nr. 18 - FUSSBALL WM 2006), denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren bzw. Dienstleistungen zu gewährleisten.

37

Wortzeichen fehlt Unterscheidungskraft, wenn ihnen ein für die beanspruchten Waren bzw. Dienstleistungen im Vordergrund stehender beschreibender Sinngehalt zugeordnet werden kann oder wenn es sich um ein gebräuchliches Wort der deutschen Sprache oder einer bekannten Fremdsprache handelt, das, etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung, stets nur als solches und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden wird (vgl. BGH GRUR 2006, 850, 854, Nr. 19 - FUSSBALL WM 2006).

38

Abzustellen ist auf die Anschauung des angesprochenen Publikums, wobei es auf die mutmaßliche Wahrnehmung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen ankommt (EuGH GRUR 2009, 411 - Streetball).

39

Dass die angemeldete Bezeichnung nicht beschreibend ist, wurde unter 1. dargestellt.

40

Sie ist auch sonst kein Ausdruck, den die Verbraucher nicht als Marke verstehen.

41

3. Zur Erstattung der Beschwerdegebühr (§ 71 Abs. 3 MarkenG) besteht kein Anlass.