Entscheidungsdatum: 12.09.2013
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 30 2009 023 777
hier: Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist und die Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr
hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 12. September 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Albrecht, den Richter Kruppa und die Richterin Hartlieb
beschlossen:
Dem Markeninhaber wird Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist und die Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr gewährt.
I.
Gegen die am 28. Mai 2009 angemeldete und am 19. Oktober 2009 für Dienstleistungen der Klassen 35, 41 und 42 eingetragene Wortmarke 30 2009 023 777 hat die Widersprechende aus ihrer am 18. März 2009 für Waren und Dienstleistungen der Klassen 14, 18, 21, 26, 28, 30, 35, 36, 38, 39, 41 und 43 angemeldeten Gemeinschaftswortmarke 008 164 758 Widerspruch eingelegt.
Die Markenstelle für Klasse 41 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die angegriffene Marke mit Beschluss vom 7. Juni 2012 wegen Verwechslungsgefahr gelöscht. Dieser Beschluss wurde dem Markeninhaber am 14. Juni 2012 zugestellt.
Am 30. August 2012 hat der Markeninhaber Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist und die Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr beantragt sowie Beschwerde gegen den Beschluss der Markenstelle eingelegt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags trägt er vor, das Fristversäumnis beruhe auf einem seinem Bevollmächtigten nicht zurechenbaren Verschulden einer mehrjährig zuverlässigen Angestellten. Der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 7. Juni 2012 sei mit dem Posteingang am 14. Juni 2012 bearbeitet worden. Im Rahmen des Posteingangs habe die damalige Mitarbeiterin R…, auf dem Beschluss die Frist notiert und diese danach in das in der Kanzlei geführte Fristenbuch übernommen.
Die Rechtsanwaltsfachangestellte habe auf dem Anschreiben des DPMA folgende Fristen notiert:
FA: 6.7.2012
Beschwerde?
VF: 6.7.2012
FA: 13.7.2012
Darüber hinaus habe sie den Vermerk “not. fr“ neben den Fristen notiert, mit welchem sie den Abschluss der vollständigen Eintragung im Fristenkalender bestätigt habe, wie sich aus dem handschriftlichen Vermerk auf der Anlage W1 und der Eidesstattlichen Versicherung von Frau R… vom 24. August 2012 ergebe.
Im Fristenkalender der Kanzlei habe Frau R… jedoch nur den Fristablauf für die Zahlung der Beschwerdegebühr und die Vorfrist für die Beschwerde notiert. Der Posteingang mit dem Beschluss wurde dem bearbeiteten Sachbearbeiter, Herrn Rechtsanwalt S…, am selben Tag mit der Eingangspost vorgelegt. Dieser habe in diesem Zusammenhang die auf dem Anschreiben notierten Vor- und Fristen geprüft und deren Richtigkeit bestätigt. Da die auf dem Anschreiben vermerkten Fristen korrekt gewesen seien, sei keine Anweisung zur Änderung erfolgt.
Grundsätzlich sei der Ablauf für eventuelle Fristen in der Kanzlei wie folgt geregelt:
Die Post werde von einer Rechtsanwaltsfachangestellten geöffnet und auf ihren Inhalt überprüft. Nach der Zuordnung zu einer in der Kanzlei geführten Akte werde die Post auf eventuelle Fristen und Termine geprüft. Sehe die Rechtsanwaltsfachangestellte, dass Fristen zu notieren seien, sei sie angewiesen, diese entsprechend auf dem Schreiben zu notieren. Dabei würden für Zahlungsfristen in Markensachen ein Fristablauf sieben Tage vor der eigentlichen Frist und für Rechtmittelfristen eine Vorfrist ebenfalls sieben Tage vor Ablauf sowie die Hauptfrist notiert.
Wenn die Rechtsanwaltsfachangestellte die Frist auf dem Schreiben notiert habe, übernehme sie die Fristen in das in der Kanzlei geführte Fristenbuch. Im Fristenkalender würden Fristen und Vorfristen getrennt, so dass auf jedem Blatt, welches einen Tag betreffe, links die Vorfristen und rechts die Hauptfristen notiert seien. Wiedervorlagen würden nicht im Fristenkalender geführt, sondern elektronisch.
Wenn die Rechtsanwaltsfachangestellte alle Fristen korrekt im Fristenkalender eingetragen habe, vermerke sie auf dem Schreiben neben den Fristen die Abkürzung „not.“ und ihr Namenskürzel.
Danach werde die Post dem jeweiligen Sachbearbeiter vorgelegt; dieser überprüfe die notierten Fristen. Stelle er fest, dass sie richtig seien, signiere er dies entsprechend; bei Fehlern notiere er die Fehler und weise die Rechtanwaltsfachangestellte an, die Änderung im Fristenbuch zu notieren.
Die korrekte Übernahme der Fristen durch die Rechtsanwaltsfachangestellte in das Fristenbuch werde seitens der in der Kanzlei tätigen Rechtsanwälte regelmäßig stichprobenartig überprüft, wie der Eidesstattliche Versicherung des Bevollmächtigten des Markeninhabers vom 30. August 2012 zu entnehmen sei.
Im vorliegenden Fall habe die Rechtsanwaltsfachangestellte die Frist richtig errechnet. Daher habe Rechtsanwalt S… keine Änderung veranlasst. Gleichzeitig habe er davon ausgehen können, dass die korrekt errechnete Frist auch im Fristenkalender eingetragen worden sei, denn das entsprechende Kürzel der Rechtsanwaltsfachangestellten R… hätte entsprechend der Anweisung in der Kanzlei auf dem Schreiben notiert werden dürfen, nachdem diese die Fristen im Fristenbuch eingetragen hatte. Die Rechtsanwaltsfachangestellte R… sei Rechtsanwalt S… als zuverlässig und genau arbeitende Mitarbeiterin bekannt gewesen; Kontrollen in der Vergangenheit hätten keine Fehler ergeben.
Warum diese Eintragung nicht vollständig erfolgt und insbesondere die hier relevante Frist der Beschwerde am 13. Juli 2012 nicht notiert worden sei, lasse sich nicht mehr aufklären. Auch Frau R könne sich diesen Fehler nicht erklären.
Die Akte sei entsprechend den notierten Fristen am 6. Juli 2012 letztmalig überarbeitet worden. Nachdem zu diesem Zeitpunkt geklärt worden sei, dass der Markeninhaber Beschwerde einlegen möchte, sollte mit dem Einlegen der Beschwerde auch eine entsprechende Einzugsermächtigung an das DPMA übermittelt werden, womit die Zahlungsfrist gewahrt worden wäre. Bei Vorlage der Akte zur Vorfrist habe Rechtsanwalt S nochmals die Korrektheit der auf dem Schreiben des DPMA notierten Hauptfristen kontrolliert, wie sich aus seiner Eidesstattlichen Versicherung vom 30. August 2012 ergebe.
Die Fristversäumung beruhe nicht auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten, sondern allein auf einer fehlerhaften Erledigung der dessen Büropersonal zulässigerweise übertragenen Aufgabe.
Gegenständlich sei eine über zwei Jahre zur Kanzlei gehörende Mitarbeiterin mit der Übernahme des Posteingangs und der Fristüberwachung beauftragt worden. Diese habe während ihrer Kanzleizugehörigkeit keine Frist außer Acht gelassen und alle ihr übertragenen Arbeiten zuverlässig ausgeführt. Daher habe sich der Prozessbevollmächtigte des Markeninhabers darauf verlassen dürfen, dass Frau R… die ihr übertragenen Aufgaben zuverlässig erledige. Es liege kein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten vor.
Durch die Mitteilung des DPMA vom 15. August 2012 über die Löschung der Marke sei am Tag des Posteingangs (20. August 2012) das Fristversäumnis festgestellt worden, wie sich aus der Eidesstattlichen Versicherung des Rechtsanwalts S… ergebe.
Die Beschwerdegebühr hat der Markeninhaber am 30. August 2012 gezahlt.
Der Markeninhaber beantragt sinngemäß,
ihm Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluss der Markenstelle vom 7. Juni 2012 und in die Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr zu gewähren.
Die Widersprechende beantragt,
den Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen.
Die Nichtaufnahme der Beschwerdefrist in den Fristenkalender der Kanzlei möge der ehemaligen Mitarbeiterin zuzurechnen sein. Es sei jedoch nicht dargelegt, dass dieses Versehen ursächlich für das Nichteinhalten der Beschwerdefrist gewesen sei. Insbesondere gehe aus dem Vortrag des Markeninhabers nicht hervor, mit welchen Anweisungen und an wen die Akte nach der Wiedervorlage am 6. Juli 2012 „an das Büro“ zurückgegeben worden sei.
Im Übrigen liege auch ein Organisationsverschulden vor, da keine unabhängige Gegenkontrolle der Fristaufnahme in den von der Kanzlei geführten Fristenkalender erfolgt sei. Eine lediglich stichprobenartige Kontrolle, über deren Häufigkeit ebenfalls nichts ausgesagt sei, genüge nicht den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts. Eine solche unabhängige Gegenkontrolle bei der Aufnahme von Rechtsmittelfristen sei einer Kanzlei mit vier Rechtsanwälten auch zumutbar.
II.
Der Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig und begründet.
Wiedereinsetzung in den folgenden Stand wird gemäß § 91 Abs. 1 MarkenG gewährt, wenn eine dem Deutschen Patent- und Markenamt oder dem Patentgericht gegenüber einzuhaltende Frist, deren Versäumung nach einer gesetzlichen Vorschrift einen Rechtsnachteil zur Folge hat, ohne Verschulden versäumt wurde.
Grundsätzlich ist dem Verfahrensbeteiligten nicht nur ein eigenes Verschulden, sondern auch dasjenige seiner Vertreter zuzurechnen. Soweit es sich wie hier um Rechts- oder Patentanwälte handelt, sind an deren Sorgfaltspflichten, welche auch die Büroorganisation umfassen, nach der Rechtsprechung hohe Anforderungen zu stellen (vgl. Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Aufl., § 91 Rn. 13 ff.). Danach obliegen alle Aufgaben, welche der ordnungsgemäßen Fristwahrung dienen, grundsätzlich dem Rechts- oder Patentanwalt persönlich; eine Delegation auf das Büropersonal ist nur zulässig, soweit es sich um einfache und weniger bedeutsame Funktionen handelt und die beauftragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut ausgebildet und zuverlässig sind. Soweit Hilfskräfte mit Tätigkeiten betraut werden dürfen, muss es sich um für die jeweilige Aufgabe konkret bestimmtes, geschultes, zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal handeln (vgl. Ströbele/Hacker, a.a.O., § 91 Rn. 15).
Nach diesen Grundsätzen lässt sich nicht feststellen, dass die Nichteinlegung der Beschwerde durch den Markeninhaber und die unterbliebene Zahlung der Beschwerdegebühr auf einem Verschulden der Bevollmächtigten des Markeninhabers beruhen. Nach dem vom Markeninhaber u.a. durch Eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemachten Geschehensablauf beruhte das Fristversäumnis allein darauf, dass die Rechtsanwaltsfachangestellte die Frist entgegen der in der Kanzlei gängigen Praxis nicht in das Fristenbuch der Kanzlei eingetragen hat. Dies hätte sie aufgrund der Anweisung in der Kanzlei tun müssen, als sie die Fristen auf dem Posteingang notiert hat. Durch den Vermerk „not. tr.“ auf dem Posteingang hat sie dem Bevollmächtigten des Markeninhabers die unzutreffende Information übermittelt, sie habe die Fristen vollständig in den Fristenkalender übertragen. Die glaubhaft gemachte Erfahrung, Erprobung und Überwachung von Frau R… erlaubte die Übertragung der hier maßgeblichen Aufgaben im Zusammenhang mit der Eintragung von Fristen in den Fristenkalender.
Wie der Eidesstattliche Versicherung des Bevollmächtigten des Markeninhabers vom 18. April 2013 zu entnehmen ist, prüft er in unregelmäßigen Abständen ca. 1 – 2 Mal innerhalb von zwei Wochen bei Vorlage des Posteingangs im Fristenkalender der Kanzlei, ob die dort notierten Fristen mit den Vermerken auf der Post übereinstimmen und vollständig eingetragen sind.
Durch die offenbar einmalige Unachtsamkeit von Frau R… ist es hier zu dem Fristversäumnis gekommen, ohne dass dem Verfahrensbevollmächtigten des Markeninhabers oder dem Markeninhaber selbst ein Verstoß gegen die Pflicht zur Beachtung der zumutbaren Sorgfalt zu machen ist. Dies hat zur Folge, dass dem Markeninhaber die beantragte Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist und die Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr zu gewähren ist.