Entscheidungsdatum: 09.09.2013
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2011 062 171.3
hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 9. September 2013 durch Vorsitzenden Richter Dr. Albrecht, Richter Kruppa und Richterin Kopacek
beschlossen:
Der Beschluss der Markenstelle vom 5. März 2013 wird aufgehoben.
I.
Die Markenstelle hat die Anmeldung von
Zur Ritze
als Wortmarke für die Dienstleistungen der Klasse 35, 41 und 43 mit Beschluss vom 5. März 2013 nach § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG zurückgewiesen. Dies hat sie damit begründet, die Marke enthalte einen frauenverachtenden Hinweis auf eine Vagina.
Die Anmelderin hat gegen den ihr am 12. April 2013 bekannt gegebenen Beschluss am Montag, dem 13. Mai 2013, Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, „Ritze“ habe Bedeutungen ohne vulgären Anklang. Laut Duden stehe es „derb“ für „Vagina“. „Derb“ sei nicht „vulgär“ und nicht frauenverachtend.
Sie beantragt,
den Beschluss der Markenstelle aufzuheben und die Marke einzutragen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
§ 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG nimmt Kennzeichnungen vom Markenschutz aus, welche gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen. Selbst derbe und geschmacklose Ausdrücke können noch eintragungsfähig sein, da eine ästhetische Prüfung auf Anforderungen des guten Geschmacks nicht Gegenstand des markenrechtlichen Eintragungsverfahrens ist (BPatG GRUR-Prax 2012, 87 – Ficken Liquors; BPatG Beschl. v. 3.8.2011 – 26 W (pat) 116/10, BeckRS 2011, 21631 - Ficken).
„Ritze“ ist aber laut Duden ohnehin zunächst ein völlig unverfängliches Wort der deutschen Sprache für eine „schmale, längliche Spalte zwischen zwei Teilen, die nicht restlos zusammengefügt sind (Duden - Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl. Mannheim 2006).
Wie das Wort „ficken“ kann auch „Ritze“ auch ein Familienname sein (vgl. BPatG BeckRS 2011, 21631 – Ficken; GRUR-Prax 2012, 87 – Ficken Liquors).
Dass Wörter, die im Allgemeinen völlig unverfängliche Bedeutungen haben, umgangssprachlich Geschlechtsteile bezeichnen können, nimmt diesen Wörtern nur dann die Eintragungsfähigkeit als Marke, wenn die beanspruchten Waren und Dienstleistungen oder sonstige Zeichenbestandteile ein Verständnis im vulgären Sinn erwarten lassen. So gibt es beispielsweise zahlreiche Eintragungen von „Zipfel“.
Kombinationen mit „Zur“ deuten auf Lokale hin, ohne in jedem Fall eine obszöne Bedeutung vorzugeben. „Zur“ kann dabei ohne jede Bedeutung sein (Zur Sonne), auf das Interieur des Lokals (Zur Gaslaterne) hinweisen oder auf dessen Lage (Zur schönen Aussicht), dessen Speisenangebot (Zur Wurst), dessen Inhaberin (Zur wilden Renate) etc.
Auch in der Kombination „Zur Ritze“ wird an sich keine derbe Bedeutung ersichtlich, da es (auch hinreichend unterscheidungskräftig) auf ein kleines Lokal in beengter Lage oder mit engem Gastraum hinweisen kann.
Das von der Markenstelle der Beurteilung zu Grunde gelegte Verständnis beruht nicht etwa, wie der Vertreter der Anmelderin andeutet, auf vulgärem Denken, sondern auf der Bekanntheit des Reeperbahnlokals „Zur Ritze“ und dessen Markenzeichens, das mit gespreizten Beinen in Damenstrümpfen das derb-anatomische Verständnis aufdrängt. Hinzu kommt, dass die Anmelderin dieses Logo gleichzeitig mit der hier streitgegenständlichen Wortmarke als Wort-Bild-Marke angemeldet hat. Dieses Wissen um die tatsächlich sehr derbe Verwendungsweise darf jedoch bei der Prüfung der Anmeldung nicht berücksichtigt werden.
Zu einer Erstattung der Beschwerdegebühr (§ 71 Abs. 3 MarkenG) besteht dennoch kein Anlass, da sich die Markenstelle auf die vom Duden genannte übertragene Bedeutung stützen konnte und die Einschätzung als vulgär oder derb diskussionswürdig erscheint.