Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 01.04.2014


BPatG 01.04.2014 - 27 W (pat) 532/13

Markenbeschwerdeverfahren – "EXPERIENCE EXTRAORDINARY (IR-Marke, Wort-Bild-Marke)" – keine Unterscheidungskraft


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
27. Senat
Entscheidungsdatum:
01.04.2014
Aktenzeichen:
27 W (pat) 532/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die IR-Marke 1 067 938

hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 1. April 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Albrecht sowie des Richters Hermann und des Richters k.A. Schmid

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die auf der australischen Basisanmeldung vom 19. November 2009 beruhende international registrierte Wort-Bild-Marke Nr. 1 067 938

Abbildung

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erstreckt sich auf die Dienstleistungen:

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Kl. 35: Promotion and advertising services in relation to tourism, the Australian tourist industry, travel and holidays; business management and business administration services including consultation in the realisation and organisation of fairs, trade shows and exhibitions; market research and market analysis services; coordinating and conducting trade shows, including trade shows relating to tourism, the Australian tourist industry, travel and holidays; information and consultancy services relating to the aforementioned services; all the aforementioned services related totourism

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Kl. 39: Travel arrangement; travel booking services, including computerised reservation services and ticketing services; travel agency services included in this class; provision of travel information; information and consultancy services relating to the aforementioned services; all the aforementioned services relating to tourism

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Kl. 41: Education services, including seminars relating to tourism, the Australian tourist industry, travel and holidays; entertainment services, including, production of film, television, radio, video shows relating to tourism, the Australian tourist industry, travel and holidays; sporting and cultural activities; running sports events; booking and ticketing services for sports, entertainment, cultural and educational events; coordinating and conducting fairs and exhibitions, including fairs and exhibitions relating to tourism, the Australian tourist industry, travel and holidays; publishing services, including publishing of magazines, books, maps, brochures and other documents, and provision of information (non-downloadable) over a global computer network; information and consultancy services relating to the aforementioned services; all of the aforementioned services relating to tourism.

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Die Markenstelle für Kl. 41 hat der Marke den Schutz durch Beschluss vom 17. April 2013 versagt, weil sie jeglicher konkreter Unterscheidungskraft entbehre. Die englischsprachige Wortbildung werde ungeachtet der grammatikalisch nicht korrekten Nachstellung des Adjektivs „extraordinary“ unmittelbar in der Bedeutung „außergewöhnliches Erlebnis“ oder „außergewöhnliche Erfahrung“ verstanden. Sie erschöpfe sich damit in einem Hinweis auf die Qualität oder den Inhalt der beanspruchten Dienstleistungen. Sie stelle nämlich lediglich die durch ein hohes Maß an Erfahrung bestimmte Qualität des Dienstleisters bzw. den mit einem „außergewöhnlichen Erlebnis“ verbundenen Gegenstand der Dienstleistungen heraus. Die grafische Ausführung der Marke halte sich innerhalb werbeüblicher Schriftgestaltung und sei daher nicht geeignet, der Marke Unterscheidungskraft zu verleihen.

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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Inhaberin. Sie bringt vor, das Publikum werde den von der Markenstelle angenommenen Wortsinn allenfalls nach analysierender Bewertung der nicht korrekten Wortstellung „EXTRAORDINARY EXPERIENCE“ verstehen. Näher liege es zudem, das Wort „EXPERIENCE“ als Verb zu verstehen, was in Verbindung mit „EXTRAORDINARY“ keine stimmige Aussage vermittle. Das Wortelement entbehre auch beschreibender Bedeutung. Insbesondere komme es für die beanspruchten Dienstleistungen regelmäßig nicht auf Erfahrung an. Ferner sei aufgrund der individualisierenden grafischen Gestaltung Schutzfähigkeit gegeben. So seien die Buchstaben nicht auf einer geraden Linie angeordnet und jeder der Buchstaben individuell gestaltet.

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Die Inhaberin hat beantragt,

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den Beschluss der Markenstelle aufzuheben.

II.

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Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg, da die streitbefangene Marke, wie die Markenstelle zu Recht angenommen hat, jeglicher originärer Unterscheidungskraft, § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG i.V.m. §§ 119, 124, 113 MarkenG, entbehrt.

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Die Regelung ist in vorliegendem Zusammenhang einer internationalen Registrierung nach dem Protokoll zum Madrider Markenabkommen uneingeschränkt anwendbar, da sie Art. 6 quinquies B Nr. 2 PVÜ umfassend Rechnung trägt. Für die Geltendmachung des „Telle-quelle-Schutzes“, den die Anmelderin auf die Eintragung der australischen Basismarke stützt, besteht daher vorliegend kein Raum (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 10. Aufl., § 8 Rn. 54).

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Unterscheidungskraft im Sinn von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit gegenüber denen anderer Unternehmen individualisiert. Die Hauptfunktion der Marke besteht nämlich darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (st. Rspr. EuGH GRUR Int. 2005, 2012 – BioID; BGH GRUR 2006, 850 – FUSSBALL WM 2006). Besteht eine Marke - wie im Streitfall - aus mehreren Elementen, ist bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft von der Gesamtheit der Marke auszugehen (vgl. dazu auch BGH, GRUR 2001, 162, 163 – RATIONAL SOFTWARE CORPORATION).

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Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft ist die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise. Daher sind deren Sprachkenntnisse zugrunde zu legen (vgl. BGH GRUR 2008, 710 Rn. 18 – Visage; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl., § 8 Rn. 85).Dabei pflegt das Publikum ein als Marke verwendetes Zeichen in der Regel so aufzunehmen, wie es ihm entgegentritt. Von einer analysierenden Betrachtung des Zeichens sehen die beteiligten Verkehrskreise regelmäßig ab (vgl. EuGH GRUR 2003, 58 Rn. 19 ff. – Companyline; BGH GRUR 2012, 270 Rn. 12 – Link economy). Ein der Annahme der Unterscheidungskraft entgegenstehender Aussagehalt der Marke muss deshalb so deutlich und unmissverständlich hervortreten, dass er für die beteiligten Verkehrskreise unmittelbar und ohne Weiteres Nachdenken erkennbar ist. Insoweit ist selbst bei der Verbindung an sich nicht unterscheidungskräftiger beschreibender Einzelelemente die Unterscheidungskraft nur zu verneinen, wenn auch der damit entstehenden Gesamtaussage die Eignung zur betrieblichen Herkunftskennzeichnung fehlt (vgl. EuGH, GRUR a.a.O., Rn. 28 bis 35 – SAT.2).

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Der Begriffsinhalt “EXPERIENCE EXTRAORDINARY”, der als bestimmendes Element des Zeichens wahrgenommen wird, ist aus einfachen englischsprachigen und auch aus romanischen Sprachen geläufigen Ausdrücken gebildet, die eine deutschsprachige Entsprechung haben (extraordinär, s. Duden-Online) oder bisweilen unmittelbar im deutschen Sprachgebrauch nachweisbar sind (z.B. user experience). Deswegen hat die Markenstelle zutreffend angenommen, dass die Begriffe „experience“ als „Erlebnis, Erfahrung“ (Substantiv) und „extraordinary“ als Adjektiv in der Bedeutung „außergewöhnlich“ den angesprochenen Verkehrskreisen ohne Weiteres bekannt sind und in der Bedeutung „außergewöhnliches Erlebnis“ aufgefasst werden.

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Dabei bietet die englischsprachige Herkunft der Begriffsbildung als solche keinen Anhalt für das Verständnis als Herkunftshinweis. Einfache englische Aussagen sind als Teil der Werbesprache weithin präsent. Dies gilt gerade bezogen auf Dienstleistungen der Klassen 35 und 41, die regelmäßig in einer zeitgemäßen und international angelegten Form angezeigt werden. Die Verwendung englischsprachiger Begriffe bietet sich überdies auch im Bereich der Touristikbranche an, da die Sprache, in der das Publikum angesprochen wird, regelmäßig erkennen lässt, in welcher Sprache am Zielort eines Reiseangebots kommuniziert werden kann.

16

Die Wortverbindung entspricht zwar nicht uneingeschränkt den grammatikalischen Grundregeln. Wird in der für die inländischen Verbraucher nächstliegenden Wahrnehmung „EXPERIENCE“ als Substantiv und „EXTRAORDINARY“ als zugeordnetes Adjektiv verstanden, entspräche die umgekehrte Anordnung zwar eher den formalen Sprachregeln. Auch die Nachstellung des Adjektivs ist jedoch nicht ausgeschlossen, z.B. in prädikativer Verwendung. Jedenfalls im Zusammenhang einer Werbeaussage für Dienstleistungen, bei denen die Verbraucher an inhaltlich vergleichbare Angebote gewöhnt sind, wird die Zeichenbildung nicht als Verfremdung wahrgenommen, die das Verständnis als Sachinformation hindert. Die Werbesprache entzieht sich vielfach formalen Sprachregeln, um Aufmerksamkeit zu wecken und/oder einzelne Elemente zu betonen. Entsprechend wird die Wortstellung, soweit sie als ungewöhnlich empfunden wird, allenfalls als Heraushebung des Begriffs „EXTRAORDINARY“, der auch durch die Größenunterschiede der Wörter im Vordergrund steht, verstanden (vgl. auch 27 W (pat) 529/11 – Moda Piu; Ströbele/Hacker, Markengesetz, 10. Aufl., § 8 Rn. 107).

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Das auch mögliche Verständnis als Verbindung von Verb und Objekt („erlebe das Außergewöhnliche“) liegt für inländisches Publikum ferner, weil diese Bedeutungsebene von „experience“ vertiefte Englischkenntnisse erfordert und das Verständnis des Gesamtbegriffs die gedankliche Ergänzung des Artikels „the“ voraussetzen würde.

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Die Dienstleistungen der Klasse 39 umfassen in der Sache die Planung und Buchung von Reisen, ferner die Ermittlung und Erteilung von Informationen insbesondere zu Reiseangeboten. In diesem Sachzusammenhang zeigt das angemeldete Zeichen in werbender Form an, dass Dienstleitungen mit ausgeprägtem Erlebnisgehalt und Informationen hierüber angeboten werden. Wie die im Beschluss der Markenstelle zitierten Belegstellen zeigen, ist das Publikum insbesondere im Kontext touristischer Angebote nachhaltig an Angaben gewöhnt, die den Erlebniswert einer Reise herausheben. Sie greifen damit eine typische Zweckbestimmung von Reisen auf, der in qualifizierter Form sogenannte Erlebnisreisen Rechnung tragen. Die Angabe „EXPERIENCE EXTRAORDINARY“ wird daher in diesem Kontext als Sachhinweis auf eine Reise mit hohem und/oder ungewöhnlichen Erlebniswert verstanden.

19

Entsprechendes gilt für die touristische Dienstleistungen der Klasse 41, die in der Sache ebenfalls auf die Vermittlung von Informationen für potentielle Touristen, sei es in Form von Ausstellungen, Veranstaltungen oder über Print- oder elektronische Medien abzielen.

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Auch für die weiteren Dienstleistungen der Klassen 35, 41, die durchweg der An-werbung von Kunden oder der Unterhaltung dienen können (vgl. insbesondere in Kl. 35: consultation in the realisation and organisation of fairs, trade shows and exhibitions; coordinating and conducting trade shows), kann dem Erlebnisgehalt einer Veranstaltung aus Sicht der potentiellen Leistungsempfänger ebenfalls zentrale Bedeutung zukommen. Diese Bewertung steht aus Sicht des Senats im Vordergrund. Die Bewertung des Begriffs als Berühmung besonderer Erfahrung tritt demgegenüber im Hinblick auf den deutlichen Erlebnisbezug der Dienstleistungen zurück.

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Die grafische Darstellung der Wörter vermag ebenfalls nicht die Annahme konkreter Unterscheidungskraft des Zeichens zu tragen. Einer Wort-Bildmarke kann – unbeschadet der fehlenden Unterscheidungskraft der Wortelemente – als Gesamtheit Unterscheidungskraft zugesprochen werden, wenn die grafischen Elemente ihrerseits charakteristische Merkmale aufweisen, in denen der Verkehr einen Herkunftshinweis sieht (vgl. BGH, GRUR 1991, 136, 137 – NEW MAN). Im Hinblick auf die klar sachbezogene Bedeutung der Wortkombination hätte es hier eines auffallenden Hervortretens der grafischen Merkmale bedurft, um sich dem Verkehr als Herkunftshinweis einzuprägen (vgl. BGH GRUR 2001, 1153 – antiKALK; Beschl. v. 17.10.2013, I ZB 11/13 – grill meister).

22

Eine solche Abweichung von üblichen gebrauchsgrafischen Wiedergabeformen ist im Gesamteindruck der angemeldeten Marke jedoch nicht erkennbar. Die Gestaltung der Buchstaben wirkt wie eine mit einfachen Mitteln gefertigte Gravur. Damit verweist die Schriftart auf ein individualistisches, unkonventionelles, ggf. sogar zivilisationsfernes Umfeld und konkretisiert den Hinweis auf die Art des Erlebnisses, das das Reise- oder sonstige Dienstleistungsangebot in Aussicht stellt. Dabei ist das Publikum an Gestaltungen gewöhnt, die den Inhalt der Sachaussage aufnehmen und weiter verstärken. Daher wird das Publikum die Grafik auf die rein beschreibende Aussage der Wortelemente beziehen. Als Herkunftshinweis wirkt sie in diesem Kontext ebensowenig wie die Alliteration durch die Vorsilben „ex-„.