Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 16.04.2013


BPatG 16.04.2013 - 27 W (pat) 524/12

Markenbeschwerdeverfahren – "COTTON 95 5 STRETCH (Wort-Bild-Marke)" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
27. Senat
Entscheidungsdatum:
16.04.2013
Aktenzeichen:
27 W (pat) 524/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2011 041 146.8

hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 16. April 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Albrecht, den Richter Kruppa und die Richterin Kopacek

beschlossen:

Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 25 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 3. November 2011 wird aufgehoben.

Gründe

I

1

Die am 27. Juli 2011 angemeldete farbige (hellblau, weiß) Wort-/Bildmarke

Abbildung

2

hat die mit einem Beamten des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 25 des Deutschen Patent- und Markenamts mit Beschluss vom 3. November 2011 teilweise, nämlich für die Waren

3

„Lederimitationen sowie Waren daraus (soweit in Klasse 18 enthalten), insbesondere Kleinlederwaren, Reise- und Handkoffer; Taschen; Bekleidungsstücke; Damen-, Herren- und Kinderoberbekleidungsstücke, Konfektionskleidung; Anzüge, Hemden, Hosen, Bermudashorts; Damenkleider, Blusen, Hemdblusen, Röcke; Jacken, Joppen, Westen, Mäntel, Overalls, Parkas, Regenmäntel, Windjacken; Wirkwaren (Bekleidung), Pullover, Sweater, Bandanas, Jerseykleidung, T-Shirts, Sweatshirts, Frotteebekleidung; Damen-, Herren- und Kinderunterbekleidungsstücke, Unterwäsche, Büstenhalter, Damenslips, Schlüpfer, Damenunterhemden, Bustiers, Mieder, Corsagen, Bodys, Bodysuits, Dessous; Hemd-Höschenkombination, Unterröcke, Negligees; Herrenslips, Boxershorts, Herrenunterhemden; Kinderslips, Kinderunterhemden, Damen-, Herren- und Kindersportunterwäsche, Sport-BHs, Socken, Strümpfe, Wadenstrümpfe, Strumpfhosen, Sockenhalter, Strumpfbänder, Strumpfhalter, Sportoberbekleidung, Gymnastikbekleidung, Jogginganzüge, Leggings, Radfahrerbekleidung, Trikotkleidung, Trikots; Bademoden (Bekleidung), Badewäsche (Bekleidung), Badeanzüge, Badehosen; Schwimmbekleidung für Damen, Herren und Kinder, Schwimmanzüge, Schwimmhosen, Bademäntel, Strandanzüge, Strandbekleidung; Nachtwäsche für Damen, Herren und Kinder, Schlafanzüge, Pyjamas, Nachthemden, Morgenmäntel; Babywäsche; Babybekleidung, Babyschlafanzüge; Babyunterwäsche; Windelhöschen (Bekleidung), Babywindeln aus textilem Material; Handschuhe (Bekleidung) aus textilem Material, Gelenkbänder (Schweißbänder), Schweißbänder, Stirnbänder, Gürtel (auch aus Leder), Hosenträger, Krawatten, Halstücher, Schals, Ohrenschützer (Bekleidung), Schürzen; Schuhwaren; Badesandalen, Badeschuhe, Sandalen, Sportschuhe, Stoffschuhe, Strandschuhe; Kopfbedeckungen; Badekappen, Bademützen, Duschhauben, Hüte, Kapuzen, Mützen“

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wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen. Dies ist damit begründet, die englischen Worte „COTTON“ und „STRETCH“ seien in die deutsche Sprache eingegangen; sie hätten die Bedeutung von „Baumwolle“ und „elastische Textilien“ und würden somit nahezu von jedermann in ihrer Bedeutung verstanden. Da Bekleidungsstücke sehr häufig aus Baumwolle gefertigt seien und ihnen wegen der Elastizität häufig noch etwas Elasthan beigemischt werde, beschrieben diese Angaben lediglich das verwendete Material und die Zusammensetzung der Waren. Folglich erschöpfe sich dieser Zeichenbestandteil in der reinen Beschreibung der beanspruchten Waren.

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Die Marke enthalte unter dem Wort „COTTON“ die in ihrer Größe herausgestellten Zahlen „95“ und darunter „5“ sowie das Wort „STRETCH“ am unteren Ende. Das Publikum werde zwanglos die Zahl 95 dem Wort „COTTON“ zuordnen und die Zahl 5 dem Wort „STRETCH“. Zwanglos und üblicherweise werde der Verbraucher hierunter lediglich den Hinweis erkennen, dass damit angepriesene Waren 95 Teile Baumwolle und 5 Teile Stretch enthielten, da es in der Bekleidungsbranche absolut üblich und gebräuchlich sei, die in einer Ware enthaltenen Gewebeanteile in Prozent anzugeben. Auch wenn die Marke das %-Zeichen nicht enthalte, so werde der Verbraucher dieses insbesondere in diesem Zusammenhang erkennen und entsprechend gedanklich ergänzen.

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In seiner Gesamtheit stelle sich das Zeichen als Kombination von Sachangaben mit den Zahlen „95“ und „5“ als ein werbeüblicher und ohne weiteres verständlicher Hinweis auf die Zusammensetzung der damit beworbenen Bekleidung und sonstigen Artikel dar. Sowohl die unauffällige Schreibweise der Wortbestandteile als auch die größenmäßige Hervorhebung der Zahlen bewegten sich im Rahmen werbeüblicher Schreibweisen und Hervorhebungen und veränderten den beschreibenden Aussagegehalt des Zeichens nicht.

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Der Annahme fehlender Unterscheidungskraft stehe dabei nicht entgegen, dass die Zahlen an sich keine beschreibende Angaben darstellten. In Verbindung mit den äußerst gebräuchlichen Materialangaben „COTTON“ und „STRETCH“ gingen diese eine Verbindung ein und erschlössen sich dem unvoreingenommenen Betrachter lediglich als beschreibende Angabe. Zwischen den angemeldeten Produkten und deren Beschaffenheit bestehe ein so enger funktioneller Zusammenhang, dass das angesprochene Publikum den beschreibenden Begriffsinhalt der Angabe „COTTON 95 5 STRETCH“ auch hinsichtlich der beanspruchten Waren ohne weiteres erfasse und darin keinen betrieblichen Herkunftshinweis erkenne.

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Die graphische Ausgestaltung der Marke begründe keine Unterscheidungskraft. Bei dem graphischen Element in Form einer einfachen abgerundeten Umrahmung innerhalb eines Rechteckes handele es sich gerade nicht um einen eigenständigen Bildbestandteil, der eine ausreichend bildhafte Verfremdung des nicht unterscheidungskräftigen Wortbestandteils darstelle und von der Sachangabe wegführe, sondern lediglich um eine werbegraphische Gestaltung des Sachhinweises ohne eigenen Aussagegehalt. Diese werbemäßige Hervorhebung könne keine Schutzfähigkeit des beschreibenden Wortbestandteils begründen.

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Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie beantragt,

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den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

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Die Wort-/Zahlenkombination „COTTON 95 5 STRETCH“ enthalte keinen unmittelbar erkennbaren beschreibenden Hinweis auf die Zusammensetzung der Waren. Der unbefangene Verbraucher werde aufgrund der Weglassung der entscheidenden Maßangabe - nämlich „%“ oder „Prozent“ - keinen sofortigen Bezug zwischen der Zahl und einem der Worte herstellen können - jedenfalls nicht ohne weiteren Gedankenschritt und Hinzudenken weiterer Faktoren („%“), was für einen Schutzausschluss schon nicht mehr genüge. Das Fehlen des %-Zeichens bedeute einen gedanklichen Aufwand, den der Verbraucher bei der Wahrnehmung von Marken nicht zu leisten bereit sei.

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Außerdem sei der Begriff „STRETCH“ für deutsche Verbraucher keine gebräuchliche Materialangabe, sondern eine Zustandsbeschreibung im Sinne von „Ausdehnung“/„Streckung“ (bekannt aus Wörtern wie „Stretch-Limousine“), die auf einem bestimmten, in der Marke aber nicht genannten Material beruhe (wie beispielsweise Elasthan etc.). Auch insofern sei die Verbindung zwischen Zeichenelement und Wareneigenschaft nur mittelbarer Natur. Das fragliche Markenelement laute nicht „5 (%) Elasthan“, sondern „5 STRETCH“. Dies sei zu unkonkret, um unmittelbar beschreibend und mithin nicht mehr unterscheidungskräftig zu sein.

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Zudem werde die Folge als „COTTON 95 5 STRETCH“ gelesen, was den Lesefluss störe, denn die Zahl stehe einmal hinter und einmal vor der angeblichen Angabe, auf die sie sich beziehen solle. Dies gilt erst recht, wenn man bedenke, dass die „Angaben“ derart kleingeschrieben seien, dass sie im Verhältnis zu den Zahlen kaum zu erkennen seien. Die nach Ansicht des Amtes übliche Angabe der Materialzusammensetzung erfolge aber natürlich in gleich großer Schrift von Wort und Zahl. Auch diese Abweichung führe dazu, dass der Verkehr hierin keine ernsthafte Sachangabe sehe.

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Auch werde die Materialzusammensetzung bei Bekleidung üblicherweise auf dem Innenetikett mit den Pflegehinweisen angebracht. Dort reihe sie sich in die übrigen Informationen wie Wasch- und Bügelhinweise ein und habe die gleiche sachliche Anmutung: schwarze Schrift auf weißem Grund. Das vorliegende Zeichen hebe sich jedoch in seiner graphischen Ausgestaltung und den für eine Sachangabe ungeeigneten Weglassungen hiervon ab. Dies gelte umso mehr, als es beispielsweise auch auf der Vorderseite der Bekleidung angebracht sein könne.

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Jedenfalls die Betrachtung der Wortelemente zusammen mit den weiteren Besonderheiten der Marke, nämlich der graphischen und (schrift)bildlichen Ausgestaltung führe letztlich zur Bejahung eines Mindestmaßes an Unterscheidungskraft. Das Zeichen setze sich zusammen aus den folgenden graphischen Besonderheiten:

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- einem unregelmäßigen Viereck mit abgerundeten Ecken,

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- die Seiten des Vierecks seien konkav,

18

- in dem Viereck eingeschlossen seien drei große Ziffern,

19

- von denen die einstellige Zahl „5“ genauso viel Raum einnehme wie die zweistellige Zahl „95“,

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- zwei kleiner geschriebenen Wortelemente,

21

- Zahlen und Worte seien in heller Schrift auf dunklen Grund gesetzt,

22

- das Zeichen sei zweifarbig in blau/weiß gehalten.

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Diese Gestaltungselemente zusammen ergäben einen insgesamt schutzfähigen Gesamteindruck.

24

Die Anmelderin verweist schließlich auf die Eintragung von ihrer Ansicht nach vergleichbaren Drittmarken. Für die Schutzfähigkeit spreche auch, dass die identische Marke für dieselben Waren beim HABM eingetragen worden sei.

II.

25

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg; einer Registrierung der angemeldeten Marke stehen keine Schutzhindernisse aus § 8 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 MarkenG entgegen.

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Die angemeldete Marke entbehrt in ihrer Gesamtheit nicht jeglicher Unterscheidungskraft (§ 8 Abs.2 Nr. 1 MarkenG).

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Unterscheidungskraft im Sinne dieser Vorschrift ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, die Waren, für welche die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Waren von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Die Unterscheidungskraft ist zum einen im Hinblick auf die angemeldeten Waren und zum anderen im Hinblick auf die beteiligten Verkehrskreise zu beurteilen, wobei auf die Wahrnehmung der Marke durch einen normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der fraglichen Waren abzustellen ist.

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Bei Marken, die aus Wort- und Bildbestandteilen kombiniert sind, hat sich die Prüfung der Schutzfähigkeit darauf zu erstrecken, ob die Marke in ihrer Gesamtheit den Anforderungen an die Unterscheidungskraft genügt (vgl. BGH BlPMZ 2000, 397 - antiKALK).

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Ausgehend von diesen Grundsätzen kann der angemeldeten Marke in ihrer Gesamtheit nicht jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen werden. Der von der Markenstelle zu Grunde gelegte Sinngehalt „95 % COTTON und 5 % STRETCH“ erschließt sich dem Verbraucher wegen des Fehlens der Prozentangabe erst nach einer näheren analysierenden Betrachtungsweise, die dieser in der Regel nicht vornimmt (Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Aufl., § 8 Rn. 105).

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Unter Berücksichtigung der Bedenken gegen die Schutzunfähigkeit der Kombination aus Wort- und Zahlenbestandteilen in ihrer Gesamtheit genügt die graphische Ausgestaltung der Marke dem Senat, um dieser Unterscheidungskraft zu verleihen. Die konkrete Ausgestaltung der zweifarbigen Wort-/Bildmarke weist eine den Schutz begründende Komplexität auf. Die vierzeilige Anordnung in weißer Schrift auf einem blauen Untergrund in der Form eines Vierecks mit abgerundeten Ecken, wobei die Wortbestandteile von der Größe jeweils deutlich kleiner geschrieben sind als die Zahlenbestandteile, bei denen die einstellige Zahl 5 den gleichen Raum einnimmt wie die zweistellige Zahl 95, wirken in ihrer Gesamtheit hinreichend eigentümlich, um sich dem Publikum als betriebliches Unterscheidungsmittel einzuprägen. Für die Unterscheidungskraft spricht insbesondere, dass die glatt beschreibenden Wortbestandteile „COTTON“ und „STRETCH“ so klein geschrieben sind, dass sie neben den deutlich größer geschriebenen Zahlen kaum lesbar sind. Damit fehlt der Marke jedenfalls genau in der graphischen und farblichen Merkmalskombination, in der sie beansprucht wird, nicht jegliches Mindestmaß an Unterscheidungskraft.

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Die konkrete Gestaltung ist auch nicht freihaltungsbedürftig i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.

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Damit kann der verfahrensgegenständlichen Marke ein - wenngleich möglicherweise eher geringer - Schutz letztlich nicht abgesprochen werden. Dem stehen auch Belange der Allgemeinheit nicht entgegen, weil der Schutz der Marke auf die ganz konkrete Ausgestaltung beschränkt ist, also insbesondere nicht gegenüber Kennzeichnungen oder sonstigen Angaben besteht, welche zwar ebenfalls die Wortbestandteile „COTTON“ und „STRETCH“ sowie die Zahlen „5“ und „95“ enthalten, aber nicht die konkrete graphische Ausgestaltung der Marke aufweisen. Vielmehr steht eine Verwendung in veränderter Gestaltungsform der Markenelemente der Allgemeinheit weiterhin offen.

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Zu einer Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach § 71 Abs. 3 MarkenG besteht kein Anlass, da die Wertung der graphischen Ausgestaltung durch die Markenstelle nicht willkürlich erscheint.