Entscheidungsdatum: 29.04.2014
In der Beschwerdesache
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betreffend die Markenanmeldung Nr. 30 2010 022 322.7
hat der 27. Senat des Bundespatentgerichts (Markenbeschwerdesenat) aufgrund mündlicher Verhandlung am 29. April 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Albrecht, des Richters Hermann und des Richters k.A. Schmid
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
I.
Die Anmelderin hat die Wortmarke mit dem Aktenzeichen 30 2010 022 322.7
Mehr Auswahl, mehr Angebot und viel mehr Mensch
am 15. April 2010 für die Waren und Dienstleistungen
Klasse 5:
Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse; Hygieneprodukte für medizinische Zwecke; Nahrungsergänzungsmittel für medizinische Zwecke; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, Babykost; Pflaster, Verbandsmaterial; Desinfektionsmittel
Klasse 41:
Erziehung; Ausbildung; Schulungen für das Gesundheitswesen; Aus- und Fortbildungs- sowie Erziehungsberatung; Veröffentlichungen und Herausgabe von Druckschriften über das Gesundheitswesen, Rehabilitation und Pflege; Onlinepublikationen über das Gesundheitswesen, Rehabilitation und Pflege; Veranstaltung von Seminaren und Kursen zur Gesundheitsvorsorge, Rehabilitation und Pflege; Kurberatung; Organisation und Veranstaltung von Konferenzen, Kongressen, Kolloquien, Symposien, Seminaren und Workshops über das Gesundheitswesen, Rehabilitation und Pflege; sportliche und kulturelle Aktivitäten; Durchführung von pädagogischen Prüfungen; Veranstaltung sportlicher Wettkämpfe; Betrieb von Sportcamps
Klasse 44:
Medizinische Dienstleistungen, insbesondere Dienstleistungen eines Apothekers; Beratung in der Pharmazie, nämlich durch einen Apotheker oder Drogeristen; Dienstleistungen eines Apothekers, nämlich Zubereitung von pharmazeutischen Zubereitungen sowie Arzneimitteln für Dritte aufgrund von ärztlichen Rezepten; Gesundheits- und Schönheitspflege für Menschen und Tiere; Gesundheitsberatung; Ernährungsberatung; Dienstleistungen im Gesundheitsbereich, insbesondere Durchführen medizinischer Tests, medizinischer Laboruntersuchungen, Hygienedienste und Bewertung pharmazeutischer Erzeugnisse
zur Eintragung in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Markenregister angemeldet.
Die Markenstelle für Klasse 41 hat die Anmeldung durch Beschluss vom 16. Januar 2013 zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, das angemeldete Zeichen entbehre jeglicher Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
Die aus einfachen umgangsprachlichen Begriffen gebildete Wortfolge erschöpfe sich in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen in einer bewerbenden Aussage mit beschreibendem Bezug und werde daher von den angesprochenen Verkehrskreisen nicht als Hinweis auf die Herkunft der beanspruchten Waren und Dienstleistungen aus einem bestimmten Unternehmen verstanden.
Das Publikum werde durch das Zeichen lediglich darüber informiert, unter mehr Angeboten mehr auswählen zu können und dabei von Personal individuell bedarfsgerecht beraten und unterstützt zu werden. Die angemeldete Marke bringe damit zum Ausdruck, dass deren Inanspruchnahme eine hohe und zuverlässige Qualität garantiere. Derartige Slogans seien weithin verbreitet, etwa "Bei uns sind Sie genau richtig", "Genau das, was ich brauche", etc. Dass die Bezeichnung keine konkreten Produktmerkmale angebe, ändere nichts daran, dass der Ausdruck als bloßer Werbehinweis aufgefasst werde.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.
Die Prüfung durch die Markenstelle beschränke sich auf im Ergebnis unzutreffende Mutmaßungen hinsichtlich der Wahrnehmung durch die angesprochenen Verkehrskreise und genüge damit der nach der Rechtsprechung des EuGH geltenden Anforderung konkreter Prüfung der Unterscheidungskraft nicht. Dem Amt obliege der Nachweis für das Vorliegen eines Schutzhindernisses.
Slogans unterlägen keinem strengeren Maßstab als andere Marken, insbesondere müsse eine derartige Wortfolge nicht fantasievoll sein oder einen Überraschungseffekt hervorrufen. Derartige Wortfolgen seien trotz des werbenden Charakters grundsätzlich schutzfähig. Der hier angesprochene aufmerksame Verbraucher wisse, dass Slogans häufig als Herkunftshinweis verwendet würden. Nahezu jedes Unternehmen verfüge über einen eigenen Slogan.
Der angemeldete Slogan weise ein Spannungsverhältnis zwischen den objektiven Hinweisen auf das Angebot und durch den Bestandteil "viel mehr Mensch" der Bezugnahme auf eine subjektive Empfindung auf. "Viel mehr Mensch" bleibe überdies unklar und könne "mehr Personal" oder "mehr Aufmerksamkeit" meinen. Aufgrund des vorhandenen Fantasieüberschusses erfordere das Verständnis des Zeichens mehrere Gedankenschritte.
Die Anmelderin beantragt,
den angegriffenen Beschluss aufzuheben.
II.
Die zulässige, insbesondere nach § 66 Abs. 1 MarkenG, § 64 Abs. 6 MarkenG statthafte Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Eintragung der angemeldeten Marke steht das festgestellte Schutzhindernis fehlender Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entgegen.
Die Bewertung der Unterscheidungskraft von sloganartigen Aussagen oder vergleichbaren Wortfolgen unterliegt, wie auch die Markenstelle angenommen hat, keinen strengeren Voraussetzungen als diejenige anderer Wortmarken. Sie bedürfen insbesondere nicht eines Mindestmaßes an Fantasiehöhe oder eines spezifischen Gehalts. Dass ein Zeichen von den angesprochenen Verkehrskreisen als Werbeslogan verstanden wird, reicht daher – für sich gesehen – nicht aus, um die erforderliche Unterscheidungskraft zu verneinen (vgl. EuGH GRUR 2010, 228 Rn. 36 ff. – VORSPRUNG DURCH TECHNIK; GRUR Int. 2012, 914 Rn. 25 – WIR MACHEN DAS BESONDERE EINFACH; BGH GRUR 2009, 778 Rn. 12 – Willkommen im Leben).
Entscheidend ist, ob die Wortfolge zugleich auch als Mittel, die beanspruchten Waren und Dienstleistungen von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden, wahrgenommen wird (EuGH GRUR 2010, 228 Rn. 45 – VORSPRUNG DURCH TECHNIK; GRUR Int. 2012, 914 Rn. 29 – Wir machen das Besondere einfach). Von mangelnder Unterscheidungskraft einer Wortfolge ist deshalb bei beschreibenden Angaben oder Anpreisungen und Werbeaussagen allgemeiner Art auszugehen. Grundsätzlich nicht unterscheidungskräftig sind des Weiteren in der Regel längere Wortfolgen. Kürze, eine gewisse Originalität und Prägnanz können für das Vorliegen von konkreter Unterscheidungskraft sprechen (BGH GRUR 2009, 778 Rn. 12 – Willkommen im Leben).
Auch wenn Werbeslogans keinen strengeren Schutzvoraussetzungen unterliegen als andere Wortmarken, ist jedoch zu berücksichtigen, dass derartige Wortfolgen nicht notwendiger Weise in gleicher Weise wahrgenommen werden wie andere Markenkategorien. Insoweit ist bei Slogans, die eine im Vordergrund stehende Werbefunktion ausüben, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die angesprochenen Kreise aus solchen Aussagen gewöhnlich nicht auf die Herkunft der Waren und Dienstleistungen schließen (vgl. EuGH GRUR 2004, 1027, 1029 Rn. 35 – DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT; BPatG, Beschluss vom 30. Januar 2014, 30 W (pat) 30/12, Rn. 15 – you smile we care). Ungeachtet dessen, dass das Publikum an verschiedene originär oder durch intensive Benutzung unterscheidungskräftige Slogans gewöhnt sein mag, berührt dies nicht generell die Wahrnehmung der Funktion von Slogans, die weiterhin als spezifische Ausdrucksform der Werbesprache vorrangig der Vermittlung von Produktvorzügen oder von anderen Kaufanreizen dienen.
Die Wortfolge "Mehr Auswahl, mehr Angebot und viel mehr Mensch" ist sprachüblich gebildet. Sie besteht aus einfachen und insbesondere im Zusammenhang des Leistungs- und Warenangebots von Apotheken vielfach verwendeten Begriffen, die die Leistungsfähigkeit und Kompetenz des Anbieters herausstellen.
Die Struktur des Slogans, die auf der Wortwiederholung des gesteigerten Adjektivs "mehr" beruht und damit ein zur eingängigen Vermittlung einer Aussage geläufiges rhetorisches Stilmittel aufgreift (sog. Epanalepse), deutet ebenso wie die Länge der Wortsequenz auf die Vermittlung einer sachbezogenen Aussage hin. Inhaltlich werden ausschließlich drei für Kunden insbesondere von Apotheken wesentliche Angebotskriterien benannt und verknüpft.
Die Breite des verfügbaren Angebots, die die Komponente "mehr Auswahl" anzeigt, ist bezogen auf pharmazeutische und andere über Apotheken abgegebene Erzeugnisse im Hinblick auf die vorhandene Bandbreite an Rezepturen, Dosierungen oder Preisunterschieden ein erhebliches Auswahlkriterium. Dementsprechend wird dieser Umstand vielfach in Werbeaussagen herausgestellt, z.B. "Riesige Auswahl" (apotheke-koester.de)", "… große Auswahl …" (saarpark-apo.de).
Auch die verfügbare Angebotsmenge, auf die die Komponente "mehr Angebot" hinweist und die für Kunden im Interesse sofortiger Nutzbarkeit eines Präparats und der Vermeidung zusätzlichen Zeitaufwands zur Abholung bestellter Ware von Bedeutung ist, wird häufig in Kundeninformationen herausgehoben, z.B. "Unser überdurchschnittlich großes Warenlager …" (apotheke-zmf.de); "mit ca. … Packungen und … verschiedenen Artikeln halten wir einen der größten Arzneimittelvorräte für Sie bereit!" (Anmelderin); "… Arzneimittel preisgünstig und in großer Anzahl für Sie bereit zu halten" (medicon-apotheke.de).
Schließlich hat auch die Komponente "und viel mehr Mensch" lediglich sachbezogenen Gehalt. Die geläufige Wendung "mehr Mensch" (vgl. z.B. "Institut mehr mensch", mehr-mensch.de; "Mehr Leistung. Mehr Mensch" eudemos.de; vgl. auch analog gebildete Aussagen "mehr Vater fürs Kind", "wieder mehr Kind sein") bringt erkennbar ein höheres Maß an persönlicher Zuwendung zum Ausdruck. Hierdurch fühlen sich Verbraucher, deren gesundheitliche Belange berührt sind und die mangels eigener Sachkunde regelmäßig auf fachliche Beratung angewiesen sind, naturgemäß angesprochen, vgl. in diesem Zusammenhang z.B. "Überzeugen Sie sich von der Freundlichkeit und Serviceorientierung unseres Teams" (apotheke-zmf.de); "Zeit für Sie zu haben. Zeit für ein ausführliches Beratungsgespräch …" (medicon-apotheke.de). Das von der Anmelderin erwogene Verständnis in der Bedeutung "mehr Personal" ist schon sprachlich nicht plausibel.
Ein schutzbegründendes inhaltliches Spannungsverhältnis unter den drei Zeichenkomponenten ist nicht feststellbar. Den angegebenen Kriterien liegt keine als Ausdruck individuellen Zugriffs wahrnehmbare Auswahl zugrunde. Vielmehr handelt es sich um eine Aneinanderreihung zentraler und typischer Anforderungen an eine Apotheke, die in ähnlicher Form vielfach als reine Sachangabe genutzt wird (z.B. "sehr gute Beratung und große Auswahl" – Baris Apotheke, holidaycheck.de; "Arzneimittel preisgünstig und in großer Anzahl für Sie bereit zu halten. Perfekten Service anbieten. Zeit für Sie zu haben. Zeit für ein ausführliches Beratungsgespräch: Das sind bei der MEDICON Apotheke Selbstverständlichkeiten", medicon-apotheke.de). Ein breites Warenangebot und ausgeprägter Service ergänzen sich sogar, da ein umfangreiches Angebot in der Regel nur über individuelle Beratung nutzbar ist.
Das ermittelte Zeichenverständnis beruht auf – überwiegend sogar durch Verwendungsbeispiele belegten – konkreten Tatsachenfeststellungen zum Bedeutungsgehalt des Zeichens bzw. seiner Bestandteile sowie zu branchenbezogenen Produktaussagen. Zusätzlicher Erhebungen bedarf es im Rahmen des registerrechtlichen Amtsermittlungsverfahrens nicht.
Im Kontext der beanspruchten Waren der Klasse 5 und Dienstleistungen der Klasse 44, die typischerweise von Apotheken angeboten bzw. erbracht werden, werden die angesprochenen Verkehrskreise das angemeldete Zeichen lediglich als Sachhinweis auf einen beliebigen Apotheker verstehen, der den gängigen Kundenanforderungen Rechnung trägt, und dadurch eine hohe Qualität der Waren und Dienstleistungen gewährleistet. Hierin liegt ein ausreichender Sachbezug (vgl. etwa die allgemeinere Angabe "grillmeister", BGH GRUR 2014, 376 Rn. 16; BPatG, Beschl. v. 18.1.2012, 29 W (pat) 546/10 – Die Apotheke mit Herz und Versand; Beschl. v. 24.3.2011, 30 W (pat) 523/10 – Aktive Optiker).
Bezogen auf Dienstleistungen der Klasse 41, die überwiegend nicht zum typischen Geschäftsfeld einer Apotheke zu rechnen sind, gilt im Ergebnis nicht anderes. Auch insoweit kommt einem differenzierten, umfangreichen und von persönlicher Betreuung geprägten Angebot (z.B. bezogen auf sportliche und kulturelle Aktivitäten; Betrieb von Sportcamps), das im angemeldeten Zeichen in einfachen Worten Ausdruck findet, sachbezogene Bedeutung zu.
Ob der Eintragung des Zeichens außerdem auch das Schutzhindernis nach § 8 Abs., 2 Nr. 2 MarkenG entgegensteht, kann bei diese Sachlage dahin gestellt bleiben.