Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 17.02.2011


BPatG 17.02.2011 - 27 W (pat) 517/10

Markenbeschwerdeverfahren – "Gizeh" – Freihaltungsbedürfnis


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
27. Senat
Entscheidungsdatum:
17.02.2011
Aktenzeichen:
27 W (pat) 517/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2008 027 749.1

hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 17. Februar 2011 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Albrecht, Richter Kruppa und Richterin am Landgericht Werner

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die am 28. April 2008 als Wortmarke für die Waren und Dienstleistungen

2

"Klasse 10: Orthopädische Schuhwaren und solche zur Rehabilitation, zur Fußgymnastik und Therapie sowie zu sonstigen medizinischen Zwecken und deren Teile, einschließlich orthopädischer Schuhe, auch derartige Schuhe mit Fußbett oder mit orthopädischen Fußstützen sowie Fuß- und Schuheinlagen; derartige Fußstützen sowie Fuß- und Schuheinlagen und deren Teile, auch in Form starrer thermoplastisch verformbarer Einlagen, Schuhbauteile und Schuheinbauteile zur orthopädischen Schuhzurichtung, insbesondere Passteile, Keile, Kissen, Einlegesohlen, Innensohlen, Schaumpolster, Schaumpelotten sowie Fußformsohlen, auch in Form von vollplastischen Einlagen mit orthopädischem Fußbett aus Naturkork, Thermokork, Kunststoff, Latex oder geschäumten Kunststoffmaterialien, auch aus elastischer Verbundmasse aus Kork-Latex-Mischungen oder Kunststoff-Kork-Mischungen;

3

Klasse 25: Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen, Schuhwaren, auch Bequemschuhwaren und solche für Arbeit, Freizeit, Gesundheit und Sport, einschließlich Sandalen, Gymnastiksandalen, Pantoletten, Slipper, Clogs, auch mit Fußbett, insbesondere mit anatomisch geformten Tieffußbett, Fußstützen sowie Fuß- und Schuheinlagen, Schutzeinlagen; Teile und Zubehör derartiger Schuhwaren, nämlich Schuhoberteile, Absätze, Laufsohlen, Einlegesohlen, Innensohlen, Schuhbodenteile auch Fußbettungen, Fußstützen, Fuß- und Schuheinlagen, insbesondere mit Fußbett oder anatomisch geformtem Tieffußbett aus Naturkork, Thermokork, Kunststoff, Latex oder geschäumten Kunststoffmaterialien, auch aus elastischer Verbundmasse aus Kork-Latex-Mischungen oder Kunststoff-Kork-Mischungen;

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Klasse 35: Einzelhandelsdienstleistungen betreffend Turn-, Sport-, Trainings- und Fitnessbekleidung, Schuhwaren und orthopädische Artikel, auch im Wege des Versandhandels, mittels Teleshopping-Sendungen und über das Internet; Waren- und Dienstleistungspräsentationen sowie Bestellannahme, Lieferauftragsservice und Rechnungsabwicklung, Vermittlung von Verträgen für Dritte über den An- und Verkauf von Waren, auch im Rahmen von E-Commerce und M-Commerce; Bestellannahme und Rechnungsabwicklung, auch im Rahmen von E-Commerce; Sammeln, Pflege, Systematisierung und Zusammenstellung von Informationen und Daten in Computerdatenbanken; Betrieb eines Teleshoppingkanals, nämlich Vermittlung von Verträgen über den An- und Verkauf von Waren; Betrieb eines Teleshoppingkanals, nämlich Vermittlung von Verträgen für Dritte über die Inanspruchnahme von Dienstleistungen; Dienstleistungen eines Callcenters, nämlich Auftrags-, Bestell- und Reklamationsannahme, Durchführung von Auktionen im Internet; Marketing, insbesondere Werbung in digitalen Netzen (Webvertising), Direktmarketing, Franchising im Bereich Bekleidung, Schuhwaren und orthopädischen Artikeln sowie Organisationsberatung und Marketing betreffend die oben genannten Waren, jeweils in betriebswirtschaftlicher Hinsicht; Warenpräsentation im Internet; Unternehmensberatung und Organisationsberatung, betriebswirtschaftliche Beratung; Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung"

5

angemeldete Bezeichnung

6

Gizeh

7

hat die mit einem Beamten des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 25 des Deutschen Patent- und Markenamts nach vorangegangener Beanstandung mit Beschluss vom 1. Dezember 2009 wegen eines Freihaltungsbedürfnisses zurückgewiesen. "Gizeh" sei nach Kairo und Alexandria die drittgrößte Stadt in Ägypten und Hauptstadt des Gouvernements al-Dschiza. Sie gehöre zur Metropolregion Kairo. Gizeh habe ca. 3,3 Mio. Einwohner und liege am Westufer des Nils, etwa 20 km südwestlich der Innenstadt Kairos. Das Siedlungsgebiet beider Städte gehe ineinander über.

8

Es sei daher davon auszugehen, dass "Gizeh" den beteiligten Verkehrskreisen schon wegen seiner Größe und touristischen Bedeutung als Bezeichnung eines Ortes bekannt sei, dass die fragliche Bezeichnung von den beteiligten Verkehrskreisen aktuell mit der beanspruchten Art von Waren und Dienstleistungen in Verbindung gebracht werde und dass vernünftigerweise zu erwarten sei, dass mit einer solchen Bezeichnung nach Auffassung dieser Kreise die geographische Herkunft dieser Art von Waren bzw. der Dienstleistungsgegenstand bezeichnet werden könne.

9

Auch könne als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, dass die in den Wirtschaftszentren Ägyptens konzentrierte Textilindustrie zu den Schlüsselindustrien Ägyptens zähle. Die Wertschöpfungskette decke in dem Land am Nil das gesamte Spektrum der Verarbeitung bis hin zur Herstellung von Kleidungsstücken und Textilproduktion vollständig ab. Somit sei davon auszugehen, dass sich in Gizeh bereits Textilindustrie angesiedelt habe. Dem Beschluss beigefügt sind Internetausdrucke, die belegen, dass es in Ägypten eine Textilindustrie gibt. Damit sei gleichzeitig ein deutlicher Hinweis auf die dort produzierten Waren der Klasse 25 gegeben.

10

Es lägen zudem hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die Ortsbezeichnung "Gizeh" positiv besetzte Vorstellungen über die Waren und Dienstleistungen vermitteln könne, da sich das Image auch auf die im vorliegenden Fall einschlägigen Produkte und Dienstleistungen positiv auswirken könne.

11

Gegen diese Entscheidung richtet sich die nicht begründete Beschwerde der Anmelderin, mit der sie (sinngemäß) beantragt,

12

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 25 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 1. Dezember 2009 aufzuheben und die angemeldete Marke einzutragen.

13

Im Amtsverfahren hat sie u. a. unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichts erster Instanz vom 15. Oktober 2008 zu Port Louis die Auffassung vertreten, die angemeldete Marke sei nicht freihaltungsbedürftig. Es reiche nicht allein aus, festzustellen, dass der betroffene Ort bei den maßgeblichen Verkehrskreisen grundsätzlich bekannt sei; vielmehr sei zu prüfen, ob dieser Ort bei diesen Verkehrskreisen für die betroffenen Waren berühmt oder bekannt sei oder ob die Wahrscheinlichkeit bestehe, dass die angesprochenen Kreise in Zukunft annehmen könnten, dass diese Warengruppe von diesem Ort stamme. Insbesondere reiche es nicht aus, dass an dem fraglichen Ort grundsätzlich eine Ballung wirtschaftlicher Aktivitäten bestehe, um daraus die Bekanntheit des Ortes für die konkret in Rede stehenden Waren zu schlussfolgern.

II.

14

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet, weil einer Eintragung der angemeldeten Marke das Schutzhindernis eines Freihaltungsbedürfnisses gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegensteht. Nach dieser Vorschrift sind u. a. Marken von der Eintragung ausgeschlossen, welche zur Bezeichnung der geographischen Herkunft der Waren und Dienstleistungen dienen können.

15

Die Regelung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG verfolgt das im Allgemeininteresse liegende Ziel, dass warenbeschreibende Angaben von allen frei verwendet werden können. Im Vordergrund stehen dabei die Interessen der Mitbewerber auf dem Markt. Die Monopolisierung einer beschreibenden Angabe zugunsten eines einzigen Unternehmens ist deshalb nicht zulässig (EuGH GRUR 1999, 723, 725, Nr. 25 - Chiemsee).

16

Einer Registrierung von geographischen Bezeichnungen steht aber auch das Allgemeininteresse entgegen, welches insbesondere darauf beruht, dass diese nicht nur die Qualität und andere Eigenschaften der betreffenden Warengruppen anzeigen, sondern auch die Vorlieben der Verbraucher in anderer Weise beeinflussen können, etwa dadurch, dass diese eine Verbindung zwischen den Waren und einem Ort herstellen, mit dem sie positiv besetzte Vorstellungen verbinden (EuGH Chiemsee, a. a. O., Nr. 26). Mithin kommt bei der Prüfung, ob ein geographischer Begriff als Produktmerkmalsbezeichnung in Betracht kommt (und nicht nur bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) dem Verständnis und den Vorstellungen der Endverbraucher ebenfalls Bedeutung zu. Nur wenn die konkret beanspruchten Waren und Dienstleistungen mit dem betreffenden Ort oder mit den Eigenschaften der als solche erkennbaren geographischen Region vernünftigerweise weder gegenwärtig noch in absehbarer Zukunft in Verbindung gebracht werden können, scheitert das Eintragungsverbot des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG (EuGH Chiemsee, a. a. O., Nr. 31; Ullmann, GRUR 1999, 666, 672). Dagegen ist nicht erforderlich, dass ein konkretes, aktuelles oder ernsthaftes Freihaltungsbedürfnis im Sinn der früheren deutschen Rechtsprechung besteht (EuGH Chiemsee, a. a. O., Nr. 35).

17

Ausgehend von diesen Grundsätzen unterliegt die Bezeichnung "Gizeh" für alle angemeldeten Waren und Dienstleistungen einem Eintragungsverbot. Es kann davon ausgegangen werden, dass die drittgrößte Stadt in Ägypten Gizeh, die ca. 3,3 Millionen Einwohner hat, erheblichen Teilen der angesprochenen breiten inländischen Verkehrskreise bekannt ist. Ägypten zählt seit Jahren zu den beliebtesten Urlaubsländern der Deutschen im Nahen Osten.

18

Außerdem ist Gizeh durch seine Pyramiden und die Sphinx berühmt und von daher aus dem Bereich Fremdenverkehr sehr bekannt.

19

Für sämtliche beanspruchten Waren und Dienstleistungen ist Gizeh geeignet, als geographische Herkunftsangabe zu dienen.

20

Dafür sprechen insbesondere die von der Markenstelle ermittelten Internetausdrucke, wonach die Textil- und Bekleidungsindustrie zu den wichtigsten Industriebereichen Ägyptens gehört. Auch wenn die beanspruchten Schuhwaren in den Internetausdrucken nicht ausdrücklich erwähnt werden, entfällt dadurch nicht etwa das Eintragungshindernis für Schuhwaren. Eine Eignung, als geographische Herkunftsangabe zu dienen, kommt nämlich auch dem Namen bekannter Orte zu, bei denen nicht unwahrscheinlich ist, dass die beteiligten Verkehrskreise eine Verbindung zu den beanspruchten Waren/Dienstleistungen herstellen können. Bei wirtschaftlich bedeutenden Orten besteht eine grundsätzliche Vermutung dafür, dass sie als geographische Herkunftsangaben zur freien Verwendung für nahezu alle Waren benötigt werden. Eine Eignung als geographische Herkunftsangabe, kommt nämlich insbesondere den Namen bekannter Orte zu, bei denen nicht unwahrscheinlich ist, dass die Verbraucher eine Verbindung zu den beanspruchten Waren/Dienstleistungen - unter Umständen auch nur durch positiv besetzte Vorstellungen - herstellen können (vgl. Ströbele/Hacker, MarkenG, 9. Aufl., § 8 Rn. 283).

21

Das Eintragungsverbot besteht entgegen der von der Anmelderin im Amtsverfahren vertretenen Auffassung auch bezüglich der Dienstleistungen der Klasse 35. Selbst wenn Gizeh nicht der Erbringungsort dieser Dienstleistungen wäre, änderte dies nichts daran, dass Gizeh auch für diese Dienstleistungen eine Herkunftsangabe darstellen kann.

22

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis der Anmelderin im Amtsverfahren auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichts erster Instanz zu der Wortmarke Port Louis. Aus der Schutzgewährung für andere, nach ihrer Ansicht vergleichbare Marken, kann die Anmelderin keinen Anspruch auf Eintragung ableiten. Voreintragungen - selbst identischer Marken - führen weder für sich noch in Verbindung mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes zu einer Selbstbindung derjenigen Stellen, welche über die Eintragung zu befinden haben (vgl. z. B. BGH BlPMZ 1998, 248 - Today; BPatG GRUR 2007, 333, Papaya). Die Entscheidung über die Schutzfähigkeit einer Marke stellt keine Ermessens-, sondern eine Rechtsfrage dar. Im Recht der Europäischen Gemeinschaft (Markenrichtlinie, GMV) gilt nichts Abweichendes, wie der Europäische Gerichtshof in ihren letzten Jahren mehrfach festgestellt hat (vgl. MarkenR 2009, 2001 - Schwabenpost; GRUR 2004, 674 - Postkantoor).

23

Da die Anmelderin ihre Beschwerde nicht begründet hat, ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen sie die angefochtene Entscheidung der Markenstelle für anfechtbar erachtet.

24

Ob einer Registrierung der angemeldeten Marke auch das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegensteht, kann als nicht entscheidungserheblich dahingestellt bleiben.