Entscheidungsdatum: 27.01.2015
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2010 054 901.7
hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 27. Januar 2015 durch Vorsitzenden Richter Dr. Albrecht, Richter Hermann und Richterin Werner
beschlossen:
Die Beschlüsse der Markenstelle vom 4. August 2011 und vom 1. März 2012 werden aufgehoben.
I.
Die Markenstelle für Klasse 41 hat die Anmeldung der Wortmarke
Anstrengungsverweigerung
mit Beschlüssen vom 4. August 2011 und vom 1. März 2012 zurückgewiesen. Das ist damit begründet, die angemeldete Bezeichnung sei für die beanspruchten Dienstleistungen im Bereich Erziehungsberatung nicht unterscheidungskräftig, da sie allein eine sachbezogene Angabe enthalte. „Anstrengungsverweigerung“ werde das angesprochene Publikum dahingehend verstehen, dass es sich um solche Waren und Dienstleistungen handle, die sich mit dem sozialen Problem der Anstrengungsverweigerung befassten. Dies sei den hier angesprochenen breiten Kreisen ohne weiteres verständlich. Eine gewisse Unschärfe des angemeldeten Markenbegriffs führe noch nicht zu seiner Schutzfähigkeit. Da Marken stets im Zusammenhang mit den in Frage stehenden Waren und Dienstleistungen wirkten, ergebe sich aus dem Zusammenhang, worum es sich thematisch handle. Folglich gebe der Markenbegriff keinen Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen, sondern beschreibe Art, Zweck und Thema der beanspruchten Waren und Dienstleistungen.
Dass der Begriff „Anstrengungsverweigerung“ bereits im genannten Sinne verwendet werde und nicht nur von der Anmelderin, sei aus den dem Erinnerungsbeschluss als Anlagen beigefügten Internetauszügen ersichtlich. Selbst falls die Anmelderin den Begriff ursprünglich einmal kreiert habe, werde er inzwischen jedenfalls auch von anderen verwendet.
Dagegen wendet sich die Anmelderin mit ihrer Beschwerde. Sie hält die angemeldete Bezeichnung für unterscheidungskräftig. Der Begriff „Anstrengungsverweigerung“ sei im Sprachschatz nicht vorhanden. Das angebliche „soziale Problem der Anstrengungsverweigerung“ sei ebenfalls nicht geläufig. Die Verweigerung von geistiger oder körperlicher Arbeit sei „Bequemlichkeit“, „Faulheit“, „Unwille“ oder „Leistungsverweigerung“. „Anstrengungsverweigerung“ sei dafür kein Synonym; dazu sei das Wort auch zu sperrig. Aus den (spärlichen) Internetauszügen ergebe sich nicht, dass das Wort synonym verwendet werde. Dort gehe es nämlich jeweils um einen ganz speziellen Kontext (Lernstörungen, Traumatisierung). Daraus ergebe sich nicht, was unter „Anstrengungsverweigerung“ zu verstehen sein solle.
Hilfsweise beruft sich die Anmelderin auf Verkehrsdurchsetzung.
Die Anmelderin biete seit vielen Jahren ein ganzes Produktsortiment unter der Bezeichnung „Anstrengungsverweigerung“ an. Sie halte zahlreiche Seminare, Vorträge und Referate mit dieser Bezeichnung, veröffentliche Bücher unter dieser Bezeichnung und biete darunter Behandlungs- und Betreuungsleistungen an.
Die Anmelderin sei eine der bekanntesten Persönlichkeiten in dem Bereich der Beratung und Fortbildung zu spezifischen Erziehungsproblemen bei Adoptiv- und Pflegekindern. Sie habe zu diesem Fachgebiet seit 2006 drei umfangreiche und viel beachtete Bücher veröffentlicht und seit 2005 hunderte von Seminaren gehalten. Sie publiziere in Fachmedien und sei ein geschätzter Interviewpartner der Tagespresse.
Die Anmelderin habe seit Erstveröffentlichung im April 2008 über 5.666 Exemplare ihres Buchs mit dem Titel „Anstrengungsverweigerung“ über den Buchhandel verkauft, hinzu kämen mehrere hundert Exemplare im Eigenverkauf. Die Anmelderin hat Unterlagen zu Seminaren vorgelegt, bei denen die Anmelderin in den Jahren 2009 - 2013 Vorträge zum Thema Anstrengungsverweigerung gehalten hat.
Außerdem hat sie Bestätigungen vorgelegt von Einrichtungen aus dem Bereich der Adoptionsberatung. Darin heißt es z.B.: „Außerdem organisierten wir Camps und Seminare für Fachpersonal, die die speziellen Thematiken von Adoptiv- und Pflegekindern beleuchten und Hilfestellungen und Anregungen geben sollen. Für uns ist dies eine gute Möglichkeit unsere Mitglieder und aber auch andere Betroffene bei schwierigen und hochproblematischen Themen und Erziehungsfragen zu unterstützen.
Frau B… ist uns schon seit langem bekannt. Aus unserer Sicht und aus Ge- sprächen mit Fachleuten hat Frau B… einen extrem hohen Bekanntheitsgrad in der speziellen Arbeit mit hochproblematischen Adoptiv- und Pflegekindern. Die Anstrengungsverweigerung ist zu einem echten Markenzeichen von Frau B.…- … geworden, der sie sich auch in zahlreichen Seminaren mit diesem Titel widmet. Der Titel „Anstrengungsverweigerung“ ist für uns ein klares Signal dafür, dass das Buch bzw. das Seminar von Frau B… stammt – und das ist nach unserem Wissen auch in den gesamten Fachkreisen genauso.“
Die D… e.V. hat erklärt, dass sie bundesweit die Mitglieder, die im Rahmen einer zertifizierten Fortbildung, die Neurophysiologische Entwicklungsförderung NDT/INPP® erlernt haben, vereine. „Die Neurophysiologische Entwicklungsförderung NDT/INPP® beschäftigt sich mit der Erfassung neurophysiologischer Ursachen von Lern-, Verhaltens- und Entwicklungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen.
Die D… e.V. veranstaltet im 2-jährigen Rhythmus einen Fachkongress. Im Juni 2013 fand ein solcher Kongress in Hannover statt.
Zu diesem Kongress wurde als Referentin auch Frau B… eingeladen. Sie war vielen bereits von Seminaren, die sich mit Themen rund um hochproblematische, schwer traumatisierte Pflege- und Adoptivkinder befassen, bekannt. Ihr Seminar auf dem Kongress lautete: „Die Anstrengungsverweigerung“. Ihr Vortrag hat alle Teilnehmer so begeistert, dass der Wunsch entstand, eine ganze Fachtagung mit Frau B… unter dem Titel „Anstrengungsverweigerung“ zu belegen.
Die Arbeit der Neurophysiologischen Entwicklungsförderung NDT/INPP® und die Anstrengungsverweigerung der Frau B… haben große gemeinsame Schnittflächen.
Am Schluss möchten wir hervorheben, ohne jeden Zweifel, dass der Name der Frau B… seit langem aufs engste mit dem Begriff der Anstrengungsverweigerung, in Buch, Seminar oder Vortrag, verbunden ist. Der Begriff ist ihre Schöpfung, Bücher, Seminare oder Vorträge unter diesem Titel sind eindeutig ihr Werk.
Ihre Fachkompetenz bei der Begleitung von besonders schwer traumatisierten Pflege- und Adoptivkindern ist fachübergreifend im therapeutischen Bereich bekannt und geschätzt.
Der K… e.V., ein freier Träger der Jugendhilfe, der seit 40 Jahren Pflegekinder mit einem hochproblematischen Hintergrund zunächst in einem Kinderhaus und später in Fachfamilien nach § 34 SGB VIII betreut, hat erklärt: Die Fachfamilien verfügen über einen pädagogischen Hintergrund und werden intensiv durch unseren Verein begleitet und beraten. Unsere Fachfamilien leben in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz. Um unseren Facheltern eine professionelle Begleitung zu bieten, besuchen wird mit den Facheltern viele Fortbildungen oder laden renommierte Referenten ein, die uns wichtige Hinweise zu dem Zusammenleben mit diesen besonderen Pflegekindern geben können.
Vor vielen Jahren bereits haben wir von Frau B…, die speziell zum Thema Pflegekinder mit hochproblematischem Hintergrund Vorträge und Seminare hält, erfahren. Vor allem haben wir von den Seminarreihe „Anstrengungsverweigerung“ gehört, und uns bemüht, sie mit einem Seminar „Anstrengungsverweigerung“ zu uns einzuladen. Durch Frau B… bundesweitem Engagement mit ihrer Reihe „Anstrengungsverweigerung“ der Pflegekinder gelang es uns erst Anfang 2012, sie als Referentin zu gewinnen. Da ihr Bekanntheitsgrad in unserer Branche sehr hoch ist, wiederholten wir die Veranstaltung 2013 und wir hatten erneut einen sehr hohen Zulauf an Teilnehmerinnen.
Dies liegt daran, dass es in Deutschland nur wenige Referenten wie Frau B…- … gibt, die sich auf den Bereich der Pflegekinder mit hochproblematischem Hintergrund spezialisiert haben. Für uns kam es auch nicht in Frage, einen anderen Referenten einzuladen, da für uns – sowie für sehr viele der von uns betreuten Familien – mit „Anstrengungsverweigerung“ klar Frau B… verbunden ist. Nach unserer Einschätzung sehen das die meisten so, die sich mit hochproblematischen Pflegekindern beschäftigen.
Das Landesverwaltungsamt Sachsen Anhalt, Landesjugendamt hat eine Stellungnahme zur Thematik „Anstrengungsverweigerung“ der Zentralen Adoptionsstelle des Landes Sachsen-Anhalt übermittelt.
Diese lautet:
„Die Zentrale Adoptionsstelle des Landes Sachsen-Anhalt ist gemäß der gesetzlichen Regelungen des Adoptionsvermittlungsgesetzes sowie des SGB VIII u.a. zuständig für die fachliche Beratung und Begleitung der Fachkräfte der Adoptionsvermittlung und des Pflegekinderwesens, in Abstimmung mit den örtlichen Jugendämtern auch für Pflege- und Adoptiveltern. Die Zentrale Adoptionsstelle wird insbesondere gemäß § 11 AdVermiG in die Begleitung schwieriger Einzelfälle einbezogen.
Zudem ist die Unterzeichnerin auch als Aufsicht für Kinder- und Jugendheime tätig und in diesem Zusammenhang regelmäßig auch mit der Unterbringung in Familien gescheiterter Pfleg- und Adoptivkinder konfrontiert.
2006 erschien das Buch von Frau B… „Mit den Augen eines Kindes sehen lernen“, aus welchem die Unterzeichnerin erstmalig die „Anstrengungsverweigerung“ als Folge der Frühtraumatisierung kennenlernte.
Dieses Buch war auch Impulsgeber, im Mai 2007 in die Planung einer ebenso genannten Fachtagung einzutreten. Im Juni 2009 ist eine erneute Tagung unter gleichem Thema vereinbart worden, wo u.a. die Anstrengungsverweigerung umfassender dargestellt wurde. Die Veranstaltung fand am 19.04.2010 statt.
Seither fanden auch über andere Träger Fachfortbildungen zu der Thematik durch Frau B… im Land Sachsen-Anhalt statt, wie z.B. über das Fachzentrum für das Pflegekinderwesen/ehemals die Pflegeelternschule.
Die Thematik „Anstrengungsverweigerung“ wurde mir erstmalig und ausschließlich durch Frau B… nahe gebracht, obwohl ich seit über 20 Jahren im Pflege- kinderbereich tätig bin und über umfassende Literaturkenntnisse in diesen Bereich verfüge.“
Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
den Beschluss der Markenstelle aufzuheben und die Marke für das mit Schriftsatz vom 23. Januar 2015 auf
Fortbildung, Durchführung und Leitung von Seminaren, Workshops und Kolloquien; Veranstaltung, Durchführung und Leitung von Seminaren, Workshops und Kolloquien;
alle vorgenannten Dienstleistungen zur Vermittlung von Methoden der Beratung und der Erziehung von Pflege- und Adoptivkindern gegenüber Pädagogen
eingeschränkte Dienstleistungsverzeichnis einzutragen.
II.
Die Beschwerde hat in der Sache nach Beschränkung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses auf Dienstleistungen, für die nur ein kleiner bestimmbarer Kreis an Abnehmern in Frage kommt, auf Grund von Verkehrsdurchsetzung Erfolg.
Soweit die noch beanspruchten Dienstleistungen Erziehungsberatung betreffen, steht einer Registrierung der angemeldeten Marke § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG entgegen. Die von der Markenstelle dazu angeführte Begründung muss hier nicht wiederholt werden.
Die damit zunächst bestehenden Schutzhindernisse sind aber dadurch überwunden worden, dass sich die Marke als Hinweis auf die Herkunft der von der Anmelderin angebotenen Beratungen pädagogischer Fachleute in deren Kreisen durchgesetzt hat (§ 8 Abs. 3 MarkenG).
Dies kann der Senat auf Grund eigener Sachkenntnis (ihm gehört ein Adoptivvater und Ehemann einer Gesprächstherapeutin an) sowie aufgrund einer Gesamtschau der Gesichtspunkte feststellen, die zeigen, dass die Marke die Eignung erlangt hat, die in Rede stehenden Dienstleistungen als von einem bestimmten Anbieter stammend zu kennzeichnen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu § 8 Abs. 2 MRL, dem - unbeschadet der sprachlich leicht abweichenden Fassung - § 8 Abs. 3 MarkenG entspricht, ist es dem nationalen Verfahrensrecht überlassen, welche Erkenntnisse in welchem Umfang zur Bewertung der Verkehrsgeltung im Einzelfall herangezogen und bewertet werden (vgl. EuGH GRUR 1999, 723 Rn. 53 – Chiemsee; GRUR 2002, 804 Rn. 65 – Philips). Bei der Prüfung, ob Verkehrsgeltung durch konkrete und verlässliche Informationen belegt ist, ist eine Gesamtschau sämtlicher relevanter Gesichtspunkte geboten (vgl. EuGH GRUR 1999, 723 Rn. 49, 54 – Chiemsee).
Aufgrund der vorliegenden Unterlagen geht der Senat davon aus, dass sich die angemeldete Bezeichnung als Hinweis auf die Herkunft der Leistungen von der Beschwerdeführerin entwickelt hat. Dies gilt seit dem Eintragungszeitpunkt. Die von der Anmelderin eingereichten Unterlagen (GA 23 ff.) belegen, dass die Anmelderin in der Zeit von 2009 bis 2013 im Rahmen von Seminaren Vorträge zu dem Thema Anstrengungsverweigerung gehalten hat.
Familientherapeutische Einrichtungen haben das gerichtsbekannte Wissen bestätigt, dass Frau B… einen hohen Bekanntheitsgrad in der speziellen Arbeit mit hochproblematischen Adoptiv- und Pflegekindern hat und „Anstrengungsverweigerung“ zu einem Markenzeichen von Frau B… geworden ist. „Anstrengungsverweigerung“ ist für diese Einrichtungen und die gesamten Fachreise ein klares Signal dafür, dass Seminare von Frau B… stammen.
Die zu berücksichtigenden Marktteilnehmer bestimmen sich nach den beanspruchten Dienstleistungen. Nach Einschränkung der Verzeichnisses kommen als Abnehmer nur die Angehörigen eines überschaubaren Kreises in Betracht. Dazu gehören ausschließlich mit Erziehung und Pädagogik professionell befasste Fachleute. Nachdem die Anmelderin Stellungnahmen aus diesem Kreis vorgelegt hat, die bestätigen, dass das Wort „Anstrengungsverweigerung“ der Anmelderin kennzeichnend zugeordnet wird, war es nicht notwendig, eine (beschränkte) Verbraucherbefragung durchzuführen.
Für eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr besteht kein Anlass, da die Beschränkung des Warenverzeichnisses erst im Beschwerdeverfahren erfolgt ist.