Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 26.10.2016


BPatG 26.10.2016 - 26 W (pat) 71/13

Markenbeschwerdeverfahren – Löschungsverfahren - "Watt" – keine Unterscheidungskraft


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
26. Senat
Entscheidungsdatum:
26.10.2016
Aktenzeichen:
26 W (pat) 71/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 398 52 926 – S 241/10 Lösch

hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 26. Oktober 2016 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge sowie der Richter Reker und Schödel

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 7. Juni 2013 aufgehoben, soweit der Löschungsantrag für die Dienstleistungen

„Dienstleistungen eines Energieversorgungsunternehmens, nämlich Versorgung von Unternehmen, von Kommunen und Haushalten mit elektrischer Energie und Energiedienstleistungen, wirtschaftliche Beratung Dritter auf dem Gebiet der Erzeugung, Umwandlung und Anwendung von elektrischer Energie“

zurückgewiesen worden ist.

Das DPMA wird angewiesen, die Löschung der angegriffenen Marke 398 52 926 auch insoweit anzuordnen.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin hat am 7. September 2010 die Löschung der am 15. September 1998 angemeldeten und am 7. November 2000 unter der Nummer 398 52 926 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register für die Dienstleistungen der Klassen 35, 39 und 42:

2

Dienstleistungen eines Energieversorgungsunternehmens, nämlich Versorgung von Unternehmen, von Kommunen und Haushalten mit elektrischer Energie und Energiedienstleistungen, wirtschaftliche und technische Beratung Dritter auf dem Gebiet der Erzeugung, Umwandlung und Anwendung von elektrischer Energie

3

eingetragenen Wortmarke

4

Watt

5

der Antragsgegnerin beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die angegriffene Marke sei entgegen § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 MarkenG eingetragen worden, weil „Watt“ der Nachname des berühmten Erfinders James Watt und zugleich eine Maßeinheit für Leistung sei. In Verbindung mit den registrierten Dienstleistungen im Bereich der Strom- und Energieversorgung werde der angesprochene Verkehr die Marke „Watt“ somit nur als beschreibenden Hinweis auf die technische Lehre von James Watt und die Maßeinheit der elektrischen Leistung auffassen.

6

Die Antragsgegnerin hat dem ihr am 19. Januar 2011 zugestellten Löschungsantrag am 15. März 2011 widersprochen mit der Begründung, die als „Arbeit pro Zeit“ definierte Maßeinheit „Watt“ gebe nur die Wirkleistung elektrischer Geräte an, enthalte aber für die geschützten Dienstleistungen keine sinnvolle Aussage, da der Verbrauch elektrischer Energie nicht mit der Maßeinheit „Watt“ angegeben werde. Hilfsweise hat sie unter Vorlage zahlreicher Benutzungsunterlagen die Verkehrsdurchsetzung der angegriffenen Marke geltend gemacht und angeboten, auf entsprechenden Hinweis ein demoskopisches Gutachten einzuholen.

7

Mit Beschluss vom 7. Juni 2013 hat die Markenabteilung 3.4 des DPMA die teilweise Löschung der angegriffenen Marke für die Dienstleistung „technische Beratung Dritter auf dem Gebiet der Erzeugung, Umwandlung und Anwendung von elektrischer Energie“ angeordnet, den Löschungsantrag jedoch im Übrigen zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die angegriffene Marke sei für die übrigen eingetragenen Dienstleistungen weder zum Eintragungs- noch zum Entscheidungszeitpunkt eine beschreibende Angabe gewesen. „Watt“ sei als allgemeine Maßeinheit für die physikalische Größe „Leistung“ freihaltebedürftig. Dies gelte aber nicht für die beanspruchten Versorgungsdienstleistungen mit elektrischer Energie und Energiedienstleistungen, weil diese Verteilungsdienstleistungen beim Maschinentransformator im Kraftwerk begännen und am Stromzähler endeten und damit nur die Eigenschaften Spannungshöhe, Frequenz, Umgang bzw. Vermeidung von Störungen oder die Stabilität des Energietransports besäßen. Der Begriff „Watt“ spiele für diese Parameter keine Rolle. Die Leistung sei nur ein Merkmal der Dienstleistung eines Energieerzeugers, nicht aber derjenigen eines Versorgungsnetzbetreibers. Mangels eines beschreibenden Begriffsgehalts sei die angegriffene Marke für die geschützten Versorgungsdienstleistungen daher unterscheidungskräftig. Dies gelte auch für die „wirtschaftliche Beratung Dritter auf dem Gebiet der Erzeugung, Umwandlung und Anwendung von elektrischer Energie“, weil bei dieser Dienstleistung Materialwirtschaft und Logistik, Produktionswirtschaft und Qualitätsmanagement, Marketing und Unternehmenskommunikation, internes und externes Rechnungswesen sowie Personalwesen und Organisation im Vordergrund stünden. Mit der Leistungseinheit „Watt“ bestehe hier weder ein unmittelbarer noch ein mittelbarer Zusammenhang. Die hilfsweise geltend gemachte Verkehrsdurchsetzung sei nicht zu prüfen gewesen, weil sie unter der Bedingung der Löschung der Marke für sämtliche Dienstleistungen gestanden habe, die nicht eingetreten sei.

8

Gegen die teilweise Zurückweisung des Löschungsantrags wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. Sie ist der Ansicht, als Maßangabe sei „Watt“ nicht eintragungsfähig, wie schon das Kaiserliche Patentamt und Fezer in seinem Kommentar festgestellt hätten (Fezer, Markenrecht, 4. Aufl., § 8 Rdnr. 408; KPA BlPMZ 1896, 313). Als physikalische Größe „Energie pro Zeit“ für die Leistung besitze der Begriff „Watt“ beschreibenden Charakter für sämtliche Dienstleistungen rund um die Energieversorgung. Ferner sei „Watt“ der Nachname der berühmten Persönlichkeit James Watt, der als Teil des kulturellen Erbes der Allgemeinheit grundsätzlich nicht als betrieblicher Herkunftshinweis aufgefasst werde. Der gesamte Vortrag der Inhaberin der angegriffenen Marke zur Verkehrsdurchsetzung werde vollumfänglich bestritten. Auf Vertrauensschutzgesichtspunkte könne sich die Antragsgegnerin nicht berufen. Erst ihr Vorgehen gegen die zulässige Marke „Citywatt“ der Antragstellerin sei für sie der Anlass gewesen, innerhalb der gesetzlichen Fristen die Streitmarke anzugreifen.

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Die Antragstellerin beantragt,

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den Beschluss der Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 7. Juni 2013 aufzuheben, soweit der Löschungsantrag für die Dienstleistungen „Dienstleistungen eines Energieversorgungsunternehmens, nämlich Versorgung von Unternehmen, von Kommunen und Haushalten mit elektrischer Energie und Energiedienstleistungen, wirtschaftliche Beratung Dritter auf dem Gebiet der Erzeugung, Umwandlung und Anwendung von elektrischer Energie“ zurückgewiesen worden ist, und das DPMA anzuweisen, die Löschung der angegriffenen Marke 398 52 926 auch insoweit anzuordnen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

13

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und vertritt die Auffassung, der Begriff „Watt“ sei mehrdeutig. Es sei nicht nur der Nachname des schottischen Erfinders James Watt und die nach ihm benannte Bezeichnung der physikalischen Größe für Leistung, sondern bezeichne auch eine bestimmte Art von Küstenbereich und den dort vorherrschenden Bodentyp. Maßangaben seien nur dann nicht eintragungsfähig, wenn sie eine Aussage zu einem möglichen Maß eines Produkts enthielten, wie „Watt“ für galvanische Elemente in der Entscheidung des Kaiserlichen Patentamts (KPA BlPMZ 1896, 313). „Watt“ als allgemeine physikalische Größe für Arbeit oder Energie pro Zeit knüpfe nicht an Elektrizität an oder setze sie gar voraus. „Watt“ gebe auch nicht nur die Leistung elektrischer Geräte an. Die Leistung von Verbrennungsmotoren für Kfz werde ebenso in Kilowatt (kW) angegeben wie die Leistungsfähigkeit von Gas- oder Ölheizungen. Auch James Watt habe sich nicht mit elektrisch betriebenen Geräten, sondern mit der Leistungsfähigkeit von Dampfmaschinen befasst. Von der physikalischen Größe „Leistung pro Zeit“ seien Energiemengeneinheiten, also „Leistung mal Zeit“, wie die Wattstunde (Wh), die Kilowattstunde (kWh) oder die Megawattstunde (MWh), streng zu unterscheiden. Sie dürften nicht gleichgesetzt werden. Zwischen Energieversorger und Abnehmer sei ausschließlich die Energiemenge relevant, die aber nicht in Watt, sondern in Cent pro Kilowattstunde angegeben und abgerechnet werde. Auch ein mittelbarer Bezug bestehe nicht, weil der Stromverbrauch von Elektrogeräten nicht in der Einheit „Watt“ angegeben werde. Zwischen Energieverbrauch und Leistung bestehe kein Zusammenhang. Auch wenn die angegriffene Marke zugleich ein Personenname sei, fehle die Unterscheidungskraft nicht. Zwar handele es sich bei James Watt um eine historische Persönlichkeit. Die angegriffene Marke laute jedoch nur „Watt“. Der Vorname, der einen klaren Bezug zu einer historischen Persönlichkeit herstelle, fehle. Daneben beruft sie sich auf Vertrauensschutzgesichtspunkte. Denn es treffe sie in unbilliger Weise, wenn die von der Markenstelle seinerzeit für schutzfähig erachtete Marke nach einer Benutzungszeit von über 15 Jahren nunmehr gelöscht werde.

14

Nachdem der Senat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass die vorgelegten Unterlagen für den Nachweis einer Verkehrsdurchsetzung der angegriffenen Marke nicht ausreichen würden, hat die Antragsgegnerin erklärt, dass sie ihr Angebot, ein Verkehrsgutachten einzuholen, zurückziehe und eine Verkehrsdurchsetzung auch nicht mehr hilfsweise geltend mache.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

16

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.

17

Die Wortmarke „Watt“ ist auch für die Dienstleistungen „Dienstleistungen eines Energieversorgungsunternehmens, nämlich Versorgung von Unternehmen, von Kommunen und Haushalten mit elektrischer Energie und Energiedienstleistungen, wirtschaftliche Beratung Dritter auf dem Gebiet der Erzeugung, Umwandlung und Anwendung von elektrischer Energie“ entgegen § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG eingetragen worden (§§ 50 Abs. 1 und 2, 54 MarkenG).

18

1. Der am 7. September 2010 beim DPMA eingegangene Löschungsantrag ist innerhalb der seit dem 7. November 2000 laufenden Zehnjahresfrist gestellt worden (§ 50 Abs. 2 Satz 2 MarkenG).

19

2. Die Antragsgegnerin hat dem ihr am 19. Januar 2011 zugestellten Löschungsantrag fristgerecht mit einem am 15. März 2011 beim DPMA eingegangenen Schriftsatz widersprochen (§ 54 Abs. 2 MarkenG).

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3. Für die absoluten Löschungsgründe nach § 50 Abs. 1 MarkenG gilt, dass eine Löschung nur erfolgen kann, wenn das Vorliegen von Schutzhindernissen zu den jeweils maßgeblichen Zeitpunkten zweifelsfrei feststeht. Wird geltend gemacht, die Eintragung habe gegen einen oder mehrere Tatbestände des § 8 Abs. 2 MarkenG verstoßen, kann eine Löschung nur erfolgen, wenn das Eintragungshindernis sowohl im Zeitpunkt der Anmeldung der Marke (BGH GRUR 2013, 1143 Rdnr. 15 - Aus Akten werden Fakten; GRUR 2014, 483 Rdnr. 22 – test; GRUR 2014, 565 Rdnr. 10 - smartbook) bestanden hat als auch - soweit es um die Tatbestände nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 - 9 MarkenG geht - im Zeitpunkt der Entscheidung über den Löschungsantrag noch besteht (§ 50 Abs. 2 Satz 1 MarkenG). Ist eine solche Feststellung, auch unter Berücksichtigung der von den Beteiligten vorgelegten und von Amts wegen zusätzlich ermittelten Unterlagen nicht möglich, muss es - gerade in Grenz- oder Zweifelsfällen - bei der Eintragung der angegriffenen Marke sein Bewenden haben (BPatG GRUR 2006, 155 – Salatfix; zur Feststellungslast des Löschungsantragstellers: BGH GRUR 2014, 483 Rdnr. 38 – test m. w. N.; 2014, 565 Rdnr. 18 – smartbook; GRUR 2010, 138 Rdnr. 48 – ROCHER-Kugel).

21

Zwar hat die Markenabteilung bei der Prüfung allein auf den Zeitpunkt der Eintragung der angegriffenen Marke abgestellt. Dies ändert hier im Ergebnis aber nichts an der rechtlichen Beurteilung des Amtes, da eine Änderung der Verhältnisse, was die Bedeutung und das Verständnis des Wortes „Watt“ durch die maßgeblichen Verkehrskreise betrifft, zwischen dem Anmeldezeitpunkt am 15. September 1998 und dem Zeitpunkt der Eintragung am 7. November 2000 nicht feststellbar ist (vgl. 28 W (pat) 60/13 – delikat).

22

4. Der angegriffenen Marke „Watt“ fehlte schon zum Anmeldezeitpunkt für die beschwerdegegenständlichen Dienstleistungen die erforderliche Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.

23

a) Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2015, 1198 Rdnr. 59 f. – Nestlé/Cadbury [Kit Kat]; BGH GRUR 2016, 934 Rdnr. 9 – OUI; GRUR 2015, 173, 174 Rdnr. 15 – for you). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH GRUR 2010, 228 Rdnr. 33 – Audi AG/HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH a. a. O. – OUI; a. a. O. – for you). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH a. a. O. – OUI; a. a. O. – for you). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53 – Henkel; BGH a. a. O. Rdnr. 10 – OUI; a. a. O. Rdnr. 16 – for you).

24

Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt (BGH GRUR 2013, 1143 Rdnr. 15 – Aus Akten werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (EuGH GRUR 2006, 411 Rdnr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; BGH GRUR 2014, 376 Rdnr. 11 – grill meister).

25

Ausgehend hiervon besitzen Wortzeichen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die angesprochenen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (EuGH GRUR 2004, 674 Rdnr. 86 – Postkantoor; BGH GRUR 2012, 270 Rdnr. 11 – Link economy) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer bekannten Fremdsprache bestehen, die vom Verkehr - etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung - stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (BGH a. a. O. Rdnr. 12 – OUI; GRUR 2014, 872 Rdnr. 21 – Gute Laune Drops). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft vor allem auch Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und die sich damit in einer beschreibenden Angabe erschöpfen (BGH GRUR 2014, 1204 Rdnr. 12 – DüsseldorfCongress). Hierfür reicht es aus, dass ein Wortzeichen, selbst wenn es bislang für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen nicht beschreibend verwendet wurde oder es sich gar um eine sprachliche Neuschöpfung handelt, in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal dieser Waren und Dienstleistungen bezeichnen kann (EuGH GRUR 2004, 146 Rdnr. 32 – DOUBLEMINT).

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b) Nach diesen Grundsätzen ist die Marke „Watt“ auch für die – bisher nicht gelöschten – „Dienstleistungen eines Energieversorgungsunternehmens, nämlich Versorgung von Unternehmen, von Kommunen und Haushalten mit elektrischer Energie und Energiedienstleistungen, wirtschaftliche Beratung Dritter auf dem Gebiet der Erzeugung, Umwandlung und Anwendung von elektrischer Energie“ zu löschen, weil das Wort „Watt“ zu diesen Dienstleistungen zumindest einen engen beschreibenden Bezug aufweist.

27

aa) Der Begriff „Watt“ hat, worauf die Antragsgegnerin zu Recht hinweist, verschiedene Bedeutungen.

28

aaa) Er bezeichnet einerseits als Synonym für den Begriff „Wattenmeer“ einen Küstenstreifen am Meer, der bei Ebbe trocken liegt und bei Flut überflutet wird (www.duden.de/rechtschreibung/Watt_Kueste_Wattenmeer).

29

bbb) Er stellt andererseits aber auch die im internationalen Einheitensystem gebräuchliche Maßeinheit zum Messen der Leistung (Energieumsatz pro Zeitspanne; 1 Watt = 1 ((kg x m2): s3)) dar, die vom Nachnamen des schottischen Erfinders James Watt abgeleitet ist, der sich mit der Leistungsverbesserung von Dampfmaschinen befasst und die Leistungseinheit „PS“ eingeführt hat (wikipedia.org/wiki/Watt_(Einheit)).

30

ccc) Bei mechanischer Leistung ist ein Watt definiert als ein Newtonmeter pro Sekunde.

31

ddd) Mit „Watt“ wird auch die Einheit elektrischer Leistung bezeichnet. Weitere elektrische Maßeinheiten sind „Volt“ für die elektrische Spannung und „Ampere“ für die elektrische Stromstärke. Es gilt die Formel: Watt (Stromleistung) = Volt (Stromspannung) x Ampere (Stromstärke).

32

bb) Ausgehend von den vorstehend angeführten Bedeutungen ist der Begriff „Watt“ keine für die beschwerdegegenständlichen Dienstleistungen unmittelbar beschreibende Angabe; denn er stellt in Alleinstellung keine Bezeichnung der Art, Beschaffenheit, Bestimmung, Menge oder anderer Eigenschaften von Energieversorgungs- und Energieberatungsdienstleistungen dar.

33

aaa) Als Synonym für „Wattenmeer“ kommt die Streitmarke nicht zur Bezeichnung einer Eigenschaft der fraglichen Dienstleistungen in Betracht.

34

Das Watt scheidet als geografische Herkunftsangabe für elektrische Energie aus, weil das Wattenmeer von den Bundesländern Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein zum Nationalpark erklärt worden ist, in dem nur eine sehr eingeschränkte wirtschaftliche Nutzung möglich ist, zu der der Bau von Windparks und Gezeitenkraftwerken nicht gehört. Ferner gehört es unter Einschluss der Wattenmeerflächen in den Niederlanden und in Dänemark zum UNESCO-Weltnaturerbe. Offshore-Windparks finden sich daher nur außerhalb des Wattenmeers (wikipedia.org/wiki/Wattenmeer_(Nordsee)).

35

bbb) Auch als Nachname der bekannten Persönlichkeit „James Watt“ beschreibt „Watt“ keine Eigenschaft der hier noch verfahrensgegenständlichen Dienstleistungen.

36

ccc) Als Einheit für die elektrische Leistung stellt die angegriffene Marke ebenfalls keine unmittelbar beschreibende Angabe für die verfahrensgegenständlichen Dienstleistungen dar, denn bei der Messung und Erfassung der Energiemengen im Rahmen der Versorgung mit elektrischer Energie ist nicht die elektrische Leistung, sondern die Energiemenge von Bedeutung, die in Kilowattstunden bzw. Megawattstunden gemessen und abgerechnet wird.

37

cc) Das Wort „Watt“ weist in seiner Bedeutung als Maßeinheit für die elektrische Leistung aber einen so engen beschreibenden Bezug zu den beschwerdegegenständlichen Dienstleistungen auf, dass der Verkehr es auch für diese Dienstleistungen nicht als betrieblichen Herkunftshinweis versteht.

38

aaa) Die registrierten „Dienstleistungen eines Energieversorgungsunternehmens, nämlich Versorgung von Unternehmen, von Kommunen und Haushalten mit elektrischer Energie und Energiedienstleistungen“ und „wirtschaftliche Beratung Dritter auf dem Gebiet der Erzeugung, Umwandlung und Anwendung von elektrischer Energie“ richten sich an breite Verkehrskreise, nämlich sowohl an mit Entscheidungen über die Auswahl des Stromanbieters und die wirtschaftliche Nutzung von elektrischer Energie betraute Angehörige von Unternehmen und Kommunen als auch an die Endverbraucher, die den Stromanbieter auswählen oder wechseln und/oder sich über die Erzeugung und Umwandlung elektrischer Energie, z. B. in Solaranlagen auf Hausdächern, bzw. die wirtschaftliche Anwendung elektrischer Energie, beraten lassen wollen.

39

bbb) Der Begriff „Watt“ ist dem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher, der regelmäßig elektrische Energie bezieht und dessen Verständnis allein von ausschlaggebender Bedeutung sein kann (vgl. zum Fachverkehr: EuGH GRUR 2004, 682 Rdnr. 26 - Bostongurka; BPatG 26 W (pat) 550/10 – ResponsibleFurniture; MarkenR 2007, 527, 529 f. – Rapido; 24 W (pat) 18/13 – CID), als eine Maßeinheit für elektrischen Strom bekannt, beispielsweise aus dem Physikunterricht, vor allem aber vom Kauf von Glühbirnen oder Elektrogeräten, bei denen in aller Regel die Leistung in Watt angegeben ist, so dass er die Bezeichnung „Watt“ ohne weiteres mit elektrischer Energie in Verbindung bringt.

40

ccc) Dieser Durchschnittsverbraucher verfügt regelmäßig nicht über vertiefte, sondern allenfalls (noch) über rudimentäre Kenntnisse der Elektrik im Allgemeinen sowie elektrischer Maßeinheiten und ihrer Bedeutung im Besonderen, so dass er grundsätzlich nicht zwischen Watt als allgemeiner physikalischer Größe für die Leistung und den ihm ebenfalls geläufigen verschiedenen Energiemengeneinheiten, wie Wattstunde (Wh), Kilowattstunde (kWh) oder Megawattstunde (MWh) unterscheidet. Vielmehr nimmt er die ihm bekannte Bezeichnung „Watt“ und damit auch die angegriffene Marke im Zusammenhang mit Dienstleistungen, die einen Bezug zu elektrischer Energie aufweisen, als eine ihm geläufige elektrische Maßeinheit wahr und versteht sie auch nur als eine solche, nicht aber als Hinweis auf die Herkunft der Dienstleistungen aus einem bestimmten Unternehmen (vgl. auch EUIPO, Entscheidung vom 15. Juli 2013 - R 1192/2012-4 und R 1193/2012-4, bestätigt durch EuG, Urt. v. 4. Dezember 2014 - T-494/13 und T-495/13).

41

ddd) Ein solcher enger beschreibender Bezug besteht nicht nur bei der Versorgung mit elektrischer Energie und mit Energiedienstleistungen, sondern gleichermaßen auch bei den „Dienstleistungen eines Energieversorgungsunternehmens, nämlich wirtschaftliche Beratung Dritter auf dem Gebiet der Erzeugung, Umwandlung und Anwendung von elektrischer Energie“ .

42

Die wirtschaftliche Beratung Dritter kann auf dem Gebiet der Anwendung von elektrischer Energie Energieverbrauch und Kostenoptimierung betreffen, also Fragen, die in direktem Zusammenhang mit der in „Watt“ gemessenen elektrischen Leistung stehen. Je nach Energiebedarf und -verbrauch, in der Regel ausgedrückt in „Kilowattstunden“, ist ein anderes „Energiemanagement“ und „Energiecontrolling“ erforderlich, um eine Einsparung von Energie zu erreichen.

43

Dies gilt auch für die wirtschaftliche Beratung auf dem Gebiet der Erzeugung und Umwandlung von elektrischer Energie. Denn auch hier kann es um Kostenoptimierung, das Erzielen einer höheren Leistung mit geringerem Aufwand, die Verbesserung der Produktionsstrukturen und um Qualitätsmanagement bei der Gewinnung und Umwandlung von Energie gehen.

44

5. Das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft lag bereits zum Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke vor und besteht weiterhin fort, weil eine Änderung des Verständnisses des Durchschnittsverbrauchers bezüglich des Begriffs „Watt“ zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht eingetreten ist.

45

6. Die Antragsgegnerin kann sich gegenüber der Löschung ihrer Marke auch nicht mit Erfolg auf Vertrauensschutzgesichtspunkte berufen.

46

Das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) beruht auf dem Allgemeininteresse an der Freihaltung sachbezogener Kennzeichnungen (EuGH GRUR 2008, 608 Rdnr. 71; GRUR 2012, 616 Rdnr. 22 – Alfred Strigl/DPMA u. Securvita/Öko-Invest). Dieses Interesse geht einem etwaigen Vertrauens- und Bestandsschutz des Markeninhabers vor. Dieses Allgemeininteresse muss lediglich dort hinter dem Vertrauen des Markeninhabers auf den Bestand seiner Marke zurücktreten, wo dies ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. Die Zehnjahresfrist des § 50 Abs. 2 Satz 2 MarkenG enthält der Sache nach bereits eine Ausgestaltung des Vertrauensinteresses bei an sich nicht schutzfähigen Marken.

47

Für eine Anwendung der allgemeinen Grundsätze der Verwirkung bleibt daneben grundsätzlich kein Raum.

48

Ob etwas anderes für besonders gelagerte Ausnahmefälle mit einer jahrzehntelangen unbeanstandeten Benutzung, in denen zudem ein Besitzstand von ganz bedeutendem Wert entstanden ist, zu gelten hat, kann vorliegend auf sich beruhen, da solche außergewöhnlichen Umstände weder von der Antragsgegnerin vorgetragen worden noch sonst ersichtlich sind (BGH GRUR 2014, 872 Rdnr. 37 ff. – Gute Laune Drops).

III.

49

Für eine Auferlegung der Kosten des Beschwerdeverfahrens auf eine der Verfahrensbeteiligten aus Billigkeitsgründen (§ 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG) gibt weder die Sach- und Rechtslage noch das Verhalten der Beteiligten Anlass.