Entscheidungsdatum: 11.05.2011
In der Beschwerdesache
…
betreffend die IR-Marke 521 210 SB 446/09 Lösch
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 11. Mai 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-Wissemann sowie des Richters Reker und der Richterin Dr. Schnurr
beschlossen:
1. Auf die Beschwerde der Markeninhaberin wird der Beschluss der Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 16. März 2010 aufgehoben.
2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.
I.
Die Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat mit Beschluss vom 16. März 2010 der für Waren der Klasse 33: “vins et liquers“ seit 7. April 1988 international registrierten Wortmarke IR 521 210
CHISTALINO JAIME SERRA
den Schutz für die Bundesrepublik Deutschland mit der Begründung entzogen, dass die Markeninhaberin einem mit Amtsbescheid vom 23. November 2009 am 26. November 2009 abgesandten und zwei Wochen später durch Aufgabe zur Post zugestellten Antrag auf Schutzentziehung wegen Verfalls vom 12. November 2009 nicht fristgerecht widersprochen habe, §§ 115, 49, 53 Abs. 3 MarkenG.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Markeninhaberin mit ihrer Beschwerde. Sie der Ansicht, dass ihr der Antrag auf Schutzentziehung nicht wirksam zugestellt worden sei. Die Voraussetzungen einer Zustellung durch Aufgabe zur Post gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 1 MarkenG n. F., § 184 Abs. 2 Satz 1, 4 ZPO hätten nicht vorgelegen. Da das Schutzgesuch bis zum Eingang des Antrags auf Schutzentziehung am 12. November 2009 unbeanstandet geblieben sei, habe sie keine Veranlassung gehabt, zuvor gemäß § 96 MarkenG einen Inlandsvertreter zu bestellen. Kenntnis vom Antrag auf Schutzentziehung habe sie erstmals dadurch erhalten, dass die Entscheidung über die Schutzentziehung ihrem im Register eingetragenen Vertreter durch Aufgabe zur Post mit Übergabeeinschreiben zugestellt worden sei. Der angefochtene Beschluss hätte daher nicht ergehen dürfen und habe ihr rechtliches Gehör verletzt; die Beschwerdegebühr sei gemäß § 71 Abs. 3 MarkenG zurückzuzahlen.
Die Markeninhaberin beantragt,
1. den angefochtenen Beschluss aufzuheben
2. und die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, der Löschungsantrag sei der Markeninhaberin mit eingeschriebenem Brief durch Aufgabe zur Post wirksam zugestellt worden und verweist auf die Änderung des § 94 Abs. 1 Nr. 1 MarkenG zum 1. Oktober 2009, durch welche der Passus "soweit für den Empfänger die Notwendigkeit zur Bestellung eines Inlandsvertreters im Zeitpunkt der zu bewirkenden Zustellung erkennbar war" entfallen sei. Die Antragstellerin regt an, der Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamtes gemäß § 68 MarkenG anheim zu geben, dem Beschwerdeverfahren beizutreten.
II.
Die gem. § 66 Abs. 1, 2 MarkenG zulässige Beschwerde der Markeninhaberin hat in der Sache Erfolg. Auch ihr Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr gem. § 71 Abs. 3 MarkenG erweist sich als begründet.
1.
Der angefochtene Beschluss der Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 16. März 2010 ist aufzuheben, weil die Voraussetzungen einer Schutzentziehung wegen Verfalls gem. §§ 115, 107, 49, 53 Abs. 3 MarkenG i. V. m. Art. 5 Abs. 6 MMA entgegen den Feststellungen der Markenabteilung am 16. März 2010 nicht vorgelegen haben.
Die zweimonatige Frist zur Einlegung eines Widerspruchs gegen den Antrag auf Schutzentziehung wegen Verfalls gem. § 53 Abs. 3 MarkenG ist zuvor nicht in Lauf gesetzt worden. Denn die gem. §§ 115, 107, 49, 53 Abs. 3 MarkenG zustellungsbedürftige Unterrichtung über die Einleitung eines Löschungsverfahrens ist der Markeninhaberin vor dem 16. März 2010 weder wirksam zugestellt worden, noch ist die Markeninhaberin erweislich rechtzeitig zuvor auf andere Weise durch das Patentamt über den Löschungsantrag i. S. d. § 53 Abs. 2 MarkenG unterrichtet worden.
Nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 MarkenG gelten für Zustellungen im Verfahren vor dem Patentamt die Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes mit folgenden Maßgaben: Zustellungen im Ausland können durch Aufgabe zur Post nach § 184 Abs. 2 Satz 1, 4 ZPO bewirkt werden. Voraussetzung dafür ist auch nach der von der Antragstellerin angesprochenen Änderung des § 94 Abs. 1 Nr. 1 MarkenG zum 1. Oktober 2009, dass der Empfänger „entgegen dem Erfordernis des § 96 MarkenG“ keinen Inlandsvertreter bestellt hat. Die frühere Fassung ist durch Änderung des Markengesetzes durch das Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts vom 31. Juli 2009 mit Wirkung vom 1. Oktober 2009 - und damit vor Eingang des Antrags auf Schutzentziehung beim Deutschen Patent- und Markenamt am 12. November 2009 - geändert worden in:
"An Empfänger, die sich im Ausland aufhalten und die entgegen dem Erfordernis des § 96 keinen Inlandsvertreter bestellt haben, kann mit eingeschriebenem Brief durch Aufgabe zur Post zugestellt werden. (...) § 184 Abs. 2 Satz 1 und 2 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend."
Die Gesetzesänderung hat jedoch nichts daran geändert, dass bei ausländischen Markeninhabern ohne Inlandsvertreter die Zustellung der Unterrichtung über die Einleitung eines Löschungsverfahrens wegen absoluter Schutzhindernisse nicht durch Aufgabe zur Post gem. § 94 Abs. 1 Nr. 1 MarkenG erfolgen darf, sofern die Schutzerteilung ursprünglich unbeanstandet blieb, weil für die Markeninhaberin in diesem Fall bis zu diesem Zeitpunkt keine Notwendigkeit zur Bestellung eines Inlandsvertreters bestand (BPatG Mitt. 2005, 131 Rn. 27 – MONTANA, vgl. Fezer, MarkenR, 4. Aufl., Rn. 6 zu § 94, vgl. hier zu auch Fezer/Fink, Handbuch der Markenpraxis, Bd. I, Markenverfahrensrecht, 2007, Nationales Markenverfahren DPMA Rn. 502). Die bloße Innehabung einer Markeneintragung fällt nicht unter § 96 Abs. 1 MarkenG (vgl. BGH GRUR 2009, 701, Rn. 15 – Niederlegung des Inlandsvertreters; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl., Rn. 8 zu § 96; Kobler-Dehm, Ströbele/Hacker, MarkenG, 9. Aufl., Rn. 9 zu § 96).
Die Antragstellerin vermag sich in dieser Frage nicht mit Erfolg auf eine angeblich abweichende Behördenpraxis des Deutschen Patent- und Markenamtes zu berufen. Ungeachtet der Tatsache, dass eine Behördenpraxis, die von gesetzlichen zwingend ausgestalteten Vorgaben zur Zustellung von Schriftstücken abwiche, nicht zur Entfaltung einer dieses Verfahren beeinflussenden Bindungswirkung in der Lage wäre, fehlen dem Senat schon zureichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass die regelmäßige Zustellpraxis des Deutschen Patent- und Markenamtes nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen könnte. Die Hausverfügung Nr. 10 des Deutschen Patent- und Markenamtes enthält für die Zustellung eines Antrags auf Schutzentziehung an Markeninhaber mit Sitz im Ausland, deren Schutzgesuch bis zum Eingang des Antrags auf Schutzentziehung unbeanstandet geblieben ist, keine von den (bisherigen) gesetzlichen Vorgaben abweichenden Bestimmungen: Die Hausverfügung bestimmt unter Ziffer 3.7.2 (Zustellung durch Aufgabe zur Post), dass an Empfänger, die sich im Ausland aufhalten, durch Aufgabe zur Post zugestellt werden kann, soweit für den Empfänger die Notwendigkeit zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten im Zeitpunkt der zu bewirkenden Zustellung erkennbar war. Alternativ sieht sie in Ziffer 3.7.3 für Empfänger u. a. in Spanien, die keinen Vertreter im Inland bestellt haben, die Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 VwZG vor. Entgegen einer entsprechenden Anregung der Antragstellerin liegen damit auch die Voraussetzungen für eine durch den Senat anheimzugebende Beteiligung der Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamtes an diesem Verfahren gem. § 68 Abs. 2 MarkenG nicht vor.
Eine Heilung des Zustellungsmangels gem. § 8 VwZG scheidet aus, da der tatsächliche Zugang des Antrags vom 12. November 2009 nicht nachgewiesen ist.
Mangels wirksamer Zustellung konnte die Frist zur Einlegung des Widerspruchs gegen den Antrag auf Schutzentziehung wegen Verfalls damit nicht in Lauf gesetzt werden, so dass die Voraussetzungen der Schutzentziehung entgegen den Feststellungen der Markenabteilung im angefochtenen Beschluss am 16. März 2010 nicht vorgelegen haben.
Da die Markeninhaberin in ihrer Beschwerdebegründung dem ihr inzwischen bekannten Antrag auf Schutzentziehung widersprochen hat und diese der Antragstellerin am 2. September 2010 zugestellt worden ist, ist die Antragstellerin nunmehr auf den Klageweg gem. § 55 MarkenG zu verweisen, § 55 Abs. 4 MarkenG.
Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben, die Beschwerde hat Erfolg.
2.
Die Beschwerdegebühr ist der Markeninhaberin gem. § 71 Abs. 3 MarkenG aus Billigkeitsgründen mit der Begründung zurückzuerstatten, dass die Markenabteilung eine wirksame Zustellung versäumt und damit ohne Gewährung rechtlichen Gehörs eine Entscheidung zu Lasten der Markeninhaberin getroffen hat, gegen die sich diese nur im Wege der Beschwerde verteidigen konnte (vgl. BPatG PAVIS PROMA 28 W (pat) 227/03 - MONTANA).
Eine weitergehende Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 71 Abs. 1 MarkenG.