Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 29.02.2012


BPatG 29.02.2012 - 26 W (pat) 575/10

Markenbeschwerdeverfahren – "Grenzlandkiste" – keine geographische Herkunftsangabe - kein Freihaltungsbedürfnis – Unterscheidungskraft


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
26. Senat
Entscheidungsdatum:
29.02.2012
Aktenzeichen:
26 W (pat) 575/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2009 068 812.5

hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 29. Februar 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-Wissemann sowie des Richters Reker und des Richters am Landgericht Hermann

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 36 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 24. September 2010 aufgehoben.

Gründe

I

1

Die Markenstelle für Klasse 36 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung der für die Waren und Dienstleistungen

2

„Klasse 20: Geschenk-Kisten aus Holz

3

Klasse 39: Versand von mit regionalen Spezialitäten befüllten  Geschenk-Kisten“

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bestimmten Wortmarke

5

Grenzlandkiste

6

mit Beschluss vom 24. September 2010 zurückgewiesen, weil es sich bei der angemeldeten Marke in Bezug auf die in der Anmeldung aufgeführten Waren und Dienstleistungen um eine Angabe handele, die zur Bezeichnung der Art der Ware bzw. des Gegenstands der Dienstleistung sowie zur Bezeichnung der geografischen Herkunft der Waren und Dienstleistungen dienen könne (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG) und der angesichts ihrer beschreibenden Bedeutung auch jegliche Unterscheidungskraft fehle (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG).

7

Zur Begründung hat die Markenstelle ausgeführt, der in der angemeldeten Marke enthaltene Wortbestandteil „Kiste“ bezeichne im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren und Dienstleistungen einen Holzbehälter, wie er auch zur Verpackung und zum Versand der im Waren- und Dienstleistungsverzeichnis der Anmeldung aufgeführten regionalen Spezialitäten dienen könne. Das ihm vorangestellte Wort „Grenzland“ stelle eine Angabe dar, mit der die Herkunft von Waren und Dienstleistungen aus einem an einer Grenze gelegenen Gebiet, das üblicherweise als Grenzgebiet oder Grenzland bezeichnet werde, beschrieben werden könne. Bei der angemeldeten Marke möge es sich zwar um eine neue Wortverbindung handeln. Dies sei jedoch für die Beurteilung ihrer Schutzfähigkeit nicht maßgeblich, weil sich ihr beschreibender Sinngehalt dem Durchschnittsverbraucher der maßgeblichen Waren und Dienstleistungen ohne Weiteres erschließe. Angesichts dieses beschreibenden Sinngehalts sei die angemeldete Marke nicht geeignet, die Waren und Dienstleistungen ihrer betrieblichen Herkunft nach zu kennzeichnen und sie in dieser Hinsicht von den Waren und Dienstleistungen anderer Betriebe zu unterscheiden.

8

Dagegen wendet sich die Anmelderin mit der Beschwerde. Sie ist der Ansicht, die angemeldete Marke sei in der Wortbildung ungewöhnlich und weise hinreichende Eigenart auf. Sie enthalte insbesondere keinen Hinweis auf eine bestimmte geografische Herkunft der Waren und Dienstleistungen. Der Begriff „Grenzland“ sei keine geografische Angabe, weil ihr nichts über die konkrete geografische Herkunft der Waren und Dienstleistungen entnommen werden könne. Das Grenzland der Bundesrepublik Deutschland sei unter Einschluss der Meeresküsten mehrere tausend Kilometer lang. Da die angemeldete Marke nicht aus einer konkreten Angabe über die geografische Herkunft bestehe und es sich bei der angemeldeten Kombination um ein Phantasiewort handele, bestehe kein Allgemeininteresse an ihrer Freihaltung.

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Die Anmelderin beantragt,

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den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

II

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Die gemäß §§ 64 Abs. 6 S. 1, 66 Abs. 1 und 2 MarkenG zulässige Beschwerde ist begründet. Der Eintragung der angemeldeten Marke steht das von der Markenstelle im Beschluss vom 24. September 2010 angenommene Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG nicht entgegen. Die angemeldete Marke besteht nicht ausschließlich aus einer Angabe, die im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Bestimmung, der geographischen Herkunft oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der in der Anmeldung aufgeführten Waren und Dienstleistungen dienen kann ihr fehlt für die in der Anmeldung aufgeführten Waren und Dienstleistungen auch nicht jegliche Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG).

12

Die angemeldete Marke ist zwar – wie die Markenstelle im angegriffenen Beschluss zunächst zutreffend festgestellt hat – in sprachregelgerechter Form aus den geläufigen deutschen Begriffen "Grenzland" und "Kiste" zusammengesetzt. Zutreffend ist ferner die Feststellung der Markenstelle, dass der Begriff "Kiste" innerhalb des angemeldeten Gesamtworts die Art der im Waren- und Dienstleistungsverzeichnis der Anmeldung beanspruchten Ware sowie den Gegenstand der beanspruchten Dienstleistung beschreibt. Entgegen der Ansicht der Markenstelle ist jedoch der weitere Wortbestandteil "Grenzland" der angemeldeten Marke nicht geeignet, als Angabe über die geographische Herkunft der beanspruchten Waren und Dienstleistungen zu dienen.

13

Nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG sind insbesondere die Namen von Ländern, Regionen, Städten oder sonstigen wirtschaftlich bedeutenden Örtlichkeiten geeignet, als geographische Herkunftsangaben zu dienen. Auch Ortsnamen im weiteren Sinne, wozu z. B. die Namen von Stadtteilen, bekannten Straßen und Plätzen oder besonderen Gebäuden sowie die Namen von Flüssen, Seen oder Bergen zählen, können als geographische Herkunftsangaben im Einzelfall schutzunfähig sein. Bei Letzteren wird jedoch für eine Eignung als geographische Herkunftsangaben vorausgesetzt, dass sie die angrenzenden Gebiete, Regionen oder Landschaften hinreichend deutlich bezeichnen (EuGH GRUR 1999, 723, Nr. 34 – Chiemsee). Zwar kann die mögliche Mehrdeutigkeit einer Ortsangabe das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 S. 2 MarkenG grundsätzlich nicht ausräumen (BGH GRUR 2008, 900, Nr. 21 ff. – SPA II). Ortsbezeichnungen, die – z. B. wegen ihres häufigen Vorkommens - lediglich in Verbindung mit lokalisierenden Zusätzen einen bestimmten Ort zu bezeichnen vermögen, können jedoch im Allgemeinen nur in diesen Kombinationen, nicht auch in Alleinstellung zur Beschreibung der geographischen Herkunft von Waren/Dienstleistungen dienen (BPatG GRUR 2005, 677 f. – Newcastle; BPatG GRUR 2006, 509, 510 f. – PORTLAND).

14

Vor diesem rechtlichen Hintergrund stellt der Begriff "Grenzland" keine hinreichend bestimmte, zur Beschreibung der geographischen Herkunft von Waren und Dienstleistungen geeignete Angabe dar. Er bezeichnet zwar ein an einer Grenze oder in räumlicher Nähe zu einer Grenze gelegenes Gebiet. Er lässt jedoch ohne weitere konkretisierende Zusätze nicht erkennen, aus welcher konkreten Grenzregion die so bezeichneten Waren und Dienstleistungen stammen. Da allein die Grenze Deutschlands zu seinen Nachbarstaaten mehrere tausend Kilometer lang ist, und der Begriff "Grenzland“ keinerlei Schlüsse darauf zulässt, aus welchem Gebiet an welcher Grenze die mit diesem Begriff bezeichneten Waren und Dienstleistungen stammen könnten, fehlt es ihm an der für eine geographische Herkunftsangabe unerlässlichen Bestimmtheit. Damit stellt auch die angemeldete Marke insgesamt keine Angabe dar, die im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG ausschließlich zur Beschreibung von Eigenschaften der Waren und Dienstleistungen, für die sie eingesetzt werden soll, dienen kann.

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Der angemeldeten Marke fehlt für die in der Anmeldung aufgeführten Waren und Dienstleistungen auch nicht jegliche Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG).

16

Unterscheidungskraft im Sinne der zuvor genannten Bestimmung weist eine Marke dann auf, wenn sie geeignet ist, die Waren und Dienstleistungen, für die sie bestimmt ist, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und sie somit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (EuGH MarkenR 2005, 22, 25 f., Nr. 33 – Das Prinzip der Bequemlichkeit; BGH BlPMZ 2004, 30 f. – Cityservice). Keine Unterscheidungskraft weisen vor allem solche Marken auf, denen die angesprochenen Verkehrskreise für die fraglichen Waren und Dienstleistungen lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsgehalt zuordnen (BGH GRUR 2004, 778, 779 – URLAUB DIREKT; 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Davon ist insbesondere bei Angaben auszugehen, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen oder deren wesentliche Eigenschaften und Merkmale unmittelbar beschreiben. Darüber hinaus fehlt die erforderliche Unterscheidungskraft aber auch solchen Angaben, die die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar beschreiben, die jedoch einen engen sachlichen, beschreibenden Bezug zu den fraglichen Waren und Dienstleistungen aufweisen (EuGH GRUR-RR 2008,47, Nr. 32 – MAP & GUIDE; BGH GRUR 2009, 949, Nr. 20 – My World; GRUR 2009, 952, Nr. 10 - DeutschlandCard). Die Merkmale des "engen beschreibenden Bezugs" sind nicht absolut und generalisierend festzustellen, sondern hängen von den Umständen des Einzelfalls ab, nämlich von dem Bedeutungsgehalt der angemeldeten Marke und den jeweils beanspruchten Waren/Dienstleistungen. Maßgeblich ist dabei, ob die beteiligten Verkehrskreise den (allgemein) sachbezogenen Begriffsgehalt einer Angabe als solchen ohne Weiteres und ohne Unklarheiten erfassen und deshalb in der Bezeichnung kein Unterscheidungsmittel für die betriebliche Herkunft der betroffenen Waren/Dienstleistungen sehen (BGH GRUR 2006, 850, Nr. 19 und 28 – FUSSBALL WM 2006).

17

Die angemeldete Marke beschreibt, wie sich aus den vorstehend zu § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG getroffenen Feststellungen ergibt, die in der Anmeldung aufgeführten Waren und Dienstleistungen insbesondere ihrer geografischen Herkunft nach nicht unmittelbar. Sie weist auch keinen solchen hinreichend engen beschreibenden Bezug zu den in der Anmeldung aufgeführten Waren und Dienstleistungen auf, dass ihr aus diesem Grund jegliche Eignung zur Unterscheidung der Waren und Dienstleistungen der Anmelderin von den Waren und Dienstleistungen anderer Unternehmen abgesprochen werden müsste.

18

Es ist allgemein anerkannt, dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft ausreicht, um das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zu überwinden. Insoweit ist es geboten, bei der Feststellung des erforderlichen Grads der Unterscheidungskraft grundsätzlich einen großzügigen Maßstab anzulegen (ständige Rechtsprechung; vgl. z. B. BGH GRUR 2010, 825, Nr. 13 – Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2010, 935, Nr. 8 – Die Vision). Deshalb bedarf es zur Begründung der Unterscheidungskraft auch keines besonderen Fantasieüberschusses oder sonstiger Auffälligkeiten der Marke. Bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft von Wortneubildungen ist zudem davon auszugehen, dass die angesprochenen Abnehmer und auch die Fachkreise erfahrungsgemäß Kennzeichen von Waren und Dienstleistungen so aufnehmen, wie sie ihnen im Verkehr begegnen, ohne dass sie eine nähere analysierende Betrachtungsweise anstellen. Ein der Annahme der Unterscheidungskraft entgegenstehender Aussagegehalt der Gesamtmarke muss deshalb so deutlich und unmissverständlich hervortreten, dass er für die beteiligten Verkehrskreise unmittelbar und ohne weiteres Nachdenken erkennbar ist (BGH GRUR 1995, 269, 270 – U-KEY; GRUR 2002, 261, 262 –AC).

19

Der angemeldeten Marke ist ihrem Wortsinn nach weder etwas über die konkrete geographische Herkunft der Waren oder Dienstleistungen zu entnehmen noch lässt sie überhaupt erkennen, ob es sich bei ihr um ein Angebot von Waren und Dienstleistungen handelt, das aus einem Grenzgebiet zu irgend einem Nachbarland stammt oder ob es sich insoweit nicht vielmehr um ein Angebot von Waren bzw. Dienstleistungen handelt, das sich vielmehr – aus welchen Gründen auch immer – an die in den Grenzgebieten ansässigen Verbraucher richtet. Angesichts dieser erheblichen begrifflichen Unbestimmtheit der angemeldeten Marke und der im allgemeinen fehlenden Bereitschaft des Verkehrs, ihm begegnende neue Bezeichnungen begrifflich zu analysieren, ist davon auszugehen, dass die angemeldete Marke für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen jedenfalls noch das erforderliche Mindestmaß an Unterscheidungskraft aufweist. Der Beschwerde der Anmelderin war daher stattzugeben.