Entscheidungsdatum: 05.12.2012
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2010 014 553.6
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 5. Dezember 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-Wissemann sowie der Richter Reker und Hermann
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
I
Die Markenstelle für Klasse 21 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung der für die Waren der Klasse 21
"Geräte (soweit in Klasse 21 enthalten) und Behälter für Haushalt und Küche; Schwämme, Bürsten, Putzzeug; Glaswaren, Porzellan und Steingut für Haushalt und Küche, soweit nicht in anderen Klassen enthalten; Kochgeschirre und -geräte (nicht elektrisch); Kochtöpfe, Bratpfannen, Isolierflaschen, Essgeschirre, Anrichte- und Serviergeschirre; nichtelektrische handbetriebene Haushalts- und Küchengeräte und -maschinen, Siebe, Schöpflöffel, Schneebesen (nicht elektrisch, für den Haushalt), Schaber (Küchengeräte), Korkenzieher, Plätzchenausstechformen, Topfdeckel (soweit in Klasse 21 enthalten), Messerblöcke (leer), Mikrowellengeschirr, handbetriebene Pfeffer- und Salzmühlen, Salz- und Pfefferstreuer"
bestimmten Marke
Gagny
mit Beschluss vom 20. Oktober 2011 gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG zurückgewiesen, weil es sich bei der angemeldeten Marke in Bezug auf die beanspruchten Waren um eine Angabe handele, die zur Bezeichnung ihrer geografischen Herkunft dienen könne (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG). Zur Begründung hat sie unter Hinweis auf die Internetseite der französischen Stadt Gagny ausgeführt, bei der angemeldeten Marke handele es sich um den Namen dieser Stadt, die 38.000 Einwohner habe, ein Vorort von Paris sei und über eine gute Autobahn- und U-Bahn-Anbindung an die französische Hauptstadt verfüge und zudem in unmittelbarer Nähe zum Flughafen Paris-Charles de Gaulle, dem größten internationalen Verkehrsflughafen von Paris, liege. In der Stadt Gagny seien neben High-Tech-Unternehmen und Dienstleistungsunternehmen auch kleinere und mittlere Industriebetriebe angesiedelt. Gagny sei auch Partnerstadt der deutschen Stadt Minden sowie des Berliner Stadtbezirks Charlottenburg-Wilmersdorf, weshalb die inländischen Verkehrskreise die Bezeichnung "Gagny" zu einem nicht unerheblichen Teil mit dieser französischen Stadt verbänden. Auch wenn sich derzeit kein Nachweis für eine Fertigung von Haushaltswaren der angemeldeten Art in Gagny feststellen lasse, liege es angesichts der dort vorhandenen Infrastruktur, der Verkehrsanbindungen, der Nähe zu Paris und der bereits ansässigen Industrie nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, dass sich in Gagny künftig auch Unternehmen ansiedelten, die sich mit der Herstellung und/oder dem Vertrieb von Haushaltswaren befassten; denn es handele sich bei diesen Waren um solche, die nahezu überall produziert werden könnten.
Gegen die Zurückweisung der Anmeldung wendet sich die Anmelderin mit ihrer Beschwerde. Zu deren Begründung trägt sie vor, bei der Prüfung, ob eine geografische Bezeichnung als Angabe über die Herkunft von Waren und Dienstleistungen geeignet sei, komme nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (GRUR 1999, 723 ff., 725 - Chiemsee) vornehmlich dem Verständnis und den Vorstellungen der angesprochenen Verkehrskreise Bedeutung zu. Das Eintragungshindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG setze voraus, dass die Angabe für den Verkehr subjektiv relevant sein könne. Deshalb stelle insbesondere die Bekanntheit der geografischen Angabe im inländischen Verkehr ein maßgebliches Beurteilungskriterium dar. Bei einer im Verkehr im Wesentlichen unbekannten geografischen Angabe bedürfe es deshalb der Feststellung eines gegenwärtigen oder zukünftigen Freihaltungsbedürfnisses an dieser Angabe, wobei auch mögliche zukünftige Entwicklungen zu berücksichtigen seien, allerdings nur insoweit, als diese vernünftigerweise zu erwarten seien (BGH GRUR 2003, 882 ff. - Lichtenstein). Bei Zugrundelegung dieses rechtlichen Beurteilungsmaßstabs stehe der Eintragung der angemeldeten Marke ein Schutzhindernis nicht entgegen. Ein erheblicher Teil der durchschnittlich informierten deutschen Endverbraucher und ein ebensolcher Teil des inländischen Fachverkehrs kenne die französische Stadt Gagny gar nicht, was an der geringen Größe der Stadt sowie daran liege, dass in Gagny weder historisch, politisch, kulturell, sportlich noch sonst aufmerksamkeitserregende Ereignisse stattgefunden hätten. In Gagny gebe es nach den Feststellungen der Markenstelle weder aktuell Produktionsstätten und Handelsunternehmen für Haushaltswaren noch seien tatsächliche Anhaltspunkte für deren zukünftige Ansiedlung an diesem Ort von der Markenstelle festgestellt worden oder sonst feststellbar. Dass die Stadt Gagny auf ihrer Internetseite mit der Bezeichnung "wirtschaftlicher aktiver Anziehungspunkt" werbe, könne nicht als Nachweis für tatsächlich bereits vorhandene oder zu erwartende wirtschaftliche Entwicklungen dienen. Bestehende Partnerstädte in Deutschland und die verkehrsgünstige Lage der Stadt ließen keinen Schluss auf die Bekanntheit von "Gagny" in Deutschland zu.
Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 21 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. Oktober 2011 aufzuheben.
II
Die gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 und 2 MarkenG zulässige Beschwerde der Anmelderin ist unbegründet. Der Eintragung der angemeldeten Marke für mit der Anmeldung beanspruchten Waren steht das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegen.
Die Bejahung dieses Schutzhindernisses setzt in Bezug auf geografische Angaben voraus, dass diese zur Bezeichnung der geographischen Herkunft der beanspruchten Waren und Dienstleistungen dienen können. Sofern eine Verwendung als Herkunftsangabe noch nicht stattfindet, ist zu prüfen, ob sie vernünftigerweise in Zukunft zu erwarten ist (Prognoseentscheidung; EuGH GRUR 1999, 723 - Chiemsee; BGH GRUR 2003, 882, 883 - Lichtenstein; GRUR 2009, 994, Nr. 15 - Vierlinden). Für die Eignung einer Ortsangabe zur Beschreibung der geographischen Herkunft von Waren und Dienstleistungen sprechen vor allem tatsächliche Anhaltspunkte wie der Umstand, dass in dem fraglichen Ort bereits einschlägige Herstellungs- oder Leistungsunternehmen existieren. Das Vorhandensein entsprechender Gewerbebetriebe in dem fraglichen Ort stellt aber keine notwendige Voraussetzung für die Annahme des Schutzhindernisses des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG dar (EuGH a. a. O. - Chiemsee; BGH a. a. O. - Lichtenstein). Vielmehr kommt es darauf an, ob angesichts der objektiven Gesamtumstände, insbesondere der wirtschaftlichen Bedeutung des Ortes und der Infrastruktur der umliegenden Region, die Möglichkeit der Eröffnung solcher Betriebe im Zuge der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung vernünftigerweise zu erwarten oder auszuschließen ist (EuGH a. a. O. - Chiemsee). Während nach früherer deutscher Spruchpraxis besondere Feststellungen erforderlich waren, um von einer künftigen Verwendbarkeit als geographische Herkunftsangabe ausgehen zu können, bedarf es nunmehr nach der Rechtsprechung des EuGH umgekehrt besonderer Anhaltspunkte dafür, dass eine Ortsbezeichnung ausnahmsweise nicht geeignet ist, im Verkehr als Angabe über die geographische Herkunft der betroffenen Waren und Dienstleistungen zu dienen (BGH a. a. O. - Lichtenstein). Das Eintragungsverbot des § 8 Abs. 2 Nr. 2 ist somit nur überwunden, wenn auszuschließen ist, dass die betroffenen Waren oder Dienstleistungen mit dem als solchen erkennbaren Ort vernünftigerweise in Verbindung gebracht werden können (EuGH a. a. O. - Chiemsee; BPatG GRUR 2006, 509, 510 - PORTLAND). Gegen die Eignung eines Ortsnamens als beschreibende geographische Herkunftsangabe kann vor allem der Umstand sprechen, dass sich der fragliche Ort weder gegenwärtig als Sitz entsprechender Herstellungs-, Vertriebs- oder Leistungsunternehmen anbietet, noch mit anderen relevanten Anknüpfungspunkten in Zukunft ernsthaft zu rechnen ist, weil eine dahingehende wirtschaftliche Entwicklung wegen der geographischen Eigenschaften des Ortes auch aus Sicht der beteiligten Verkehrskreise völlig unwahrscheinlich ist (EuGH a. a. O. - Chiemsee; EuG PAVIS PROMA T-226/09, Entscheidung vom 08.07.2009 - Alaska; BPatG PAVIS PROMA 29 W (pat) 68/07, Beschluss vom 11.11.2009 - Carcavelos; SchweizBG GRUR Int. 2003, 1037, 1038 f. - YUKON).
Bei Zugrundelegung dieses rechtlichen Maßstabs ist die Eignung von "Gagny" als geografische Herkunftsangabe für die in der Anmeldung aufgeführten Waren, für die die angemeldete Marke eingetragen werden soll, zu bejahen.
Gagny ist - wie die Markenstelle zutreffend festgestellt hat und auch die Anmelderin nicht in Abrede stellt - der Name einer französischen Stadt mit etwa 38.000 Einwohnern. Positive Feststellungen dahingehend, dass in Gagny derzeit bereits Haushaltswaren der Art, wie sie in der Anmeldung der Marke aufgeführt sind, hergestellt werden, hat die Markenstelle nicht getroffen. Auch der Senat hat im Rahmen seiner Ermittlungen eine aktuelle Produktion solcher Waren in Gagny nicht feststellen können. Entgegen der Ansicht der Anmelderin kann jedoch hieraus nicht geschlossen werden, dass die angemeldete Marke zur Bezeichnung der geografischen Herkunft der beanspruchten Waren nicht benötigt wird und der Eintragung der angemeldeten Marke für die fraglichen Waren das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG nicht entgegensteht; denn die tatsächlichen Gegebenheiten in der Stadt Gagny und in ihrem Umland lassen nicht den Schluss zu, dass dort künftig eine Produktion solcher Waren ausgeschlossen oder völlig unwahrscheinlich ist.
Bei Gagny handelt es sich zwar um eine relativ kleine Stadt, die jedoch bereits über eine industrielle Infrastruktur sowie über eine überdurchschnittlich gute nationale und internationale Verkehrsanbindung verfügt. Die schon bestehende Ansiedlung von Industriebetrieben lässt zudem den Schluss zu, dass es dort Möglichkeiten zur Ansiedlung von Industrie- und Gewerbebetrieben gibt, weshalb auch für die Zukunft die Produktion anderer Waren als der bisher produzierten nicht unwahrscheinlich ist und erst recht nicht ausgeschlossen werden kann. Bei dieser Ausgangslage muss auch damit gerechnet werden, dass in Gagny künftig Haushaltswaren der mit der Anmeldung beanspruchten Art produziert werden und "Gagny" künftig als geografische Herkunftsangabe für diese Waren im Verkehr - auch für den Export in die Bundesrepublik Deutschland - benötigt wird. Dies gilt umso mehr, als Frankreich bereits ein nicht unbedeutender Produzent von Glas- und Porzellanwaren sowie von Haushaltsgeräten und anderen Haushaltswaren in Europa ist und bundesdeutsche Unternehmen nicht nur allgemein umfangreiche Wirtschafts- und Geschäftsbeziehungen zu Frankreich unterhalten, sondern deutsche Haushaltswarengeschäfte, Kaufhäuser und auch Supermärkte in beachtlichem Umfang Haushaltswaren aus Frankreich importieren und in ihren inländischen Geschäften anbieten. Bei den mit der Anmeldung beanspruchten Waren handelt es sich zudem - worauf bereits die Markenstelle zutreffend dargelegt hat - um solche, die für ihre Produktion keine besonderen geografischen oder klimatischen Voraussetzungen erfordern und praktisch an jedem Ort hergestellt werden können. Die Nähe von Gagny zur von deutschen Touristen häufig besuchten französischen Hauptstadt Paris sowie seine Lage am Rande des internationalen Flughafens Paris-Charles de Gaulle, über den eine große Zahl ausländischer Besucher von Paris anreist, lassen zudem den Schluss zu, dass Gagny einem nicht unerheblichen Teil der durchschnittlich informierten deutschen Verkehrskreise zumindest dem Namen nach bekannt ist und als Name eines französischen Ortes verstanden wird. Bei dieser Sachlage kann eine zukünftige Eignung von "Gagny" als geografische Herkunftsangabe für die mit der Anmeldung beanspruchten Waren nicht ausgeschlossen werden, weshalb die Beschwerde der Anmelderin keinen Erfolg haben kann.