Entscheidungsdatum: 23.07.2014
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 30 2011 062 330
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 23. Juli 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-Wissemann sowie der Richter Reker und Dr. Himmelmann
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Anmelders wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 18 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 31. Juli 2012 aufgehoben.
I.
Der Markenanmelder hat am 6. Dezember 2011 die Wortmarke
Bullneck
zur Eintragung in das Register für die Waren und Dienstleistungen der
Klasse 18: Taschen; Sporttaschen; Rucksäcke;
Klasse 25: Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen;
Klasse 35: Einzel- und Großhandelsdienstleistungen auch über das Internet betreffend Taschen, Sporttaschen, Rucksäcke, Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen, Sport- und Motoraccessoires; Werbung; Präsentation von Firmen und Waren im Internet
angemeldet.
Die Markenstelle für Klasse 18 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Bescheid vom 19. Januar 2012 die Anmeldung beanstandet. Der Eintragung der angemeldeten Marke stünden für die Waren und Dienstleistungen
- Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen
- Einzel- und Großhandelsdienstleistungen auch über das Internet betreffend Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen
die absoluten Schutzhindernisse des § 8 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 MarkenG entgegen. Die angemeldete Marke „bullneck“ bestehe aus den beiden schutzunfähigen Bestandteilen „bull“ (englisch für Bulle, Stier) und „neck“ (englisch für Hals, Nacken, Genick). Die Markenaussage werde als Größenangabe (Stiernacken) von den beteiligten Kreisen sofort verstanden. Die Wortkombination „bullneck“ sei glatt warenbeschreibend und deshalb nicht geeignet, auf die Herkunft von Waren und Dienstleistungen aus einem Unternehmen hinzuweisen, weshalb ihr jegliche Unterscheidungskraft i. S. d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 MarkenG fehle. Zudem bestehe ein Freihaltebedürfnis der Mitbewerber nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.
Der Markenanmelder hat dem entgegengehalten, die Bezeichnung der Ware mit „bullneck“ lasse mehrere Interpretationen zu. Neben der Möglichkeit, diesen Ausdruck als schlagwortartigen Hinweis auf die besondere Größe der Kleidung zu verstehen, kämen auch andere Interpretationen in Betracht. Das Zeichen könne darauf hinweisen, dass Kleidungsstücke an bestimmten Stellen besonders verstärkt seien (zum Beispiel doppelt genähter Kragen) oder von besonderer Qualität, beispielsweise besonders reißfest seien. Insofern sei die Marke mehrdeutig, weise keinen beschreibenden Charakter auf und sei deshalb unterscheidungskräftig i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG. Ein Freihaltebedürfnis des Ausdrucks „bullneck“ i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG bestehe nicht.
Die Markenstelle für Klasse 18 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss vom 31. Juli 2012 durch eine Beamtin des gehobenen Dienstes die Markenanmeldung für die Waren und Dienstleistungen
Klasse 25: Bekleidungsstücke; Kopfbedeckungen;
Klasse 35: Einzel- und Großhandelsdienstleistungen auch über das Internet betreffend Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen.
zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie erklärt, der angemeldeten Marke komme für die genannten Waren und Dienstleistungen keine Unterscheidungskraft zu. Die sprachüblich gebildete Marke „bullneck“ sei in ihrer Bedeutung „Stiernacken“ geeignet, die genannten Waren in Bezug auf Qualität, Design oder Aussehen zu beschreiben, was der Anmelder auch gar nicht bestreite, weil er erklärt habe, die Bezeichnung „bullneck“ könne ein Hinweis auf die besondere Größe der Kleidung bzw. auf ihre Qualität sein. Die angemeldete Bezeichnung stelle daher auf dem einschlägigen Warensektor eine verkehrswesentliche Eigenschaft dar. Das Zeichen enthalte einen klaren Hinweis auf die Größen- und Qualitätsbezeichnung der Waren. Die maßgeblichen Verkehrskreise würden dem Zeichen deshalb keinen betrieblichen Herkunftshinweis entnehmen. Weil die angemeldete Marke deshalb nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG von der Eintragung auszuschließen sei, könne die Frage, ob darüber hinaus das Eintragungshindernis des Freihaltebedürfnisses (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG) vorliege, dahingestellt bleiben.
Hiergegen wendet sich der Markenanmelder mit der Beschwerde. Er hat zur Begründung vorgetragen, die angemeldete Bezeichnung „bullneck“ sei weder beschreibend noch anpreisend in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen der Klassen 18, 25 und 35, weil das angemeldete Zeichen „bullneck“ nicht zum deutschen Sprachschatz gehöre und in der englischen Sprache einen vielfältigen Bedeutungsinhalt habe. Der deutschen Übersetzung „Stiernacken“ komme insbesondere eine medizinische Bedeutung als außerhalb der Norm liegende, sichtbare Gewebeansammlung oder –vergrößerung im Bereich des Nackens zu. Weil es sich bei den beanspruchten Waren und Dienstleistungen weder um Medikamente noch um medizinische Produkte handeln würde, bleibe der Bedeutungsinhalt des Zeichens „bullneck“ für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen vage und unscharf und sei nicht beschreibend. Auch ein Freihaltebedürfnis von Wettbewerbern sei nicht erkennbar.
Der Markenanmelder beantragt sinngemäß, den Beschluss der Markenstelle für Klasse 18 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 31. Juli 2012 aufzuheben.
II.
Die nach § 64 Abs. 6 S. 1 i. V. m. § 66 Abs. 1 S. 1 und 2, Abs. 2 MarkenG zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 18 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 31. Juli 2012 ist aufzuheben und die angemeldete Marke auch für die Waren und Dienstleistungen
Klasse 25: Bekleidungsstücke; Kopfbedeckungen;
Klasse 35: Einzel- und Großhandelsdienstleistungen auch über das Internet betreffend Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen.
in das Register einzutragen.
1. Unterscheidungskraft, § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG
Unterscheidungskraft fehlt Zeichen und Angaben, die die beanspruchten Waren und Dienstleistungen unmittelbar beschreiben. Was Waren und Dienstleistungen inhaltlich beschreibt, individualisiert sie nicht nach ihrer betrieblichen Herkunft. Unterscheidungskraft ist bei Angaben zu verneinen, die einen beschreibenden Begriffsinhalt aufweisen, der ohne weiteres und ohne Unklarheiten als solcher erfasst wird (BGH GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch; GRUR 2005, 417, 418 f. - BerlinCard; GRUR 2006, 850 Rn. 19 – FUSSBALL WM 2006; Ströbele, in: Ströbele/Hacker, Markengesetz, 10. Auflage 2012, § 8 Rn. 67 m. w. N.).
Bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft ist davon auszugehen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in der Regel so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer näheren analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (EuGH GRUR Int. 2004, 635 Rn. 44 – Dreidimensionale Tablettenform II; GRUR Int. 2005, 135 Rn. 20 – Maglite; BGH GRUR 2002, 261, 262 – AC; GRUR 2001, 240, 241 – SWISS ARMY; GRUR 2001, 162, 163 – RATIONAL SOFTWARE CORPORATION; Ströbele, a. a. O., § 8 Rn. 105 m. w. N.). Ein der Annahme der Unterscheidungskraft entgegenstehender Aussagegehalt der Marke muss deshalb so deutlich und unmissverständlich hervortreten, dass er für die beteiligten Verkehrskreise unmittelbar und ohne weiteres Nachdenken erkennbar ist (EuG GRUR Int. 2001, 556 Rn. 27 – CINE ACTION; GRUR Int. 2001, 756 Rn. 31 - EASYBANK; GRUR Int. 2001, 866 Rn. 24 – Giroform; GRUR Int. 2001, 973 Rn. 31 – Universaltelefonbuch; GRUR 2001, 835 Rn. 37 – EuroHealth; Ströbele, a. a. O.). Die bloße theoretische Möglichkeit, dass die eine oder andere Sachaussage durch die Marke vermittelt werden könnte, reicht zur Verneinung der Unterscheidungskraft nicht aus. Insoweit ist selbst bei Verbindung an sich nicht unterscheidungskräftiger beschreibender Einzelelemente die Unterscheidungskraft nur zu verneinen, wenn auch der damit entstehenden Gesamtaussage die Eignung zu betrieblichen Herkunftskennzeichnung fehlt (EuGH GRUR 2004, 943 Rn. 28-35 – SAT.2; GRUR 2006, 229 Rn. 29 – BioID; GRUR 2008, 608 Rn. 41 - EUROHYPO; GRUR Int. 2011, 255 Rn. 36 – BEST BUY; GRUR 2010, 534 Rn. 42 – PRANAHAUS; Ströbele, a. a. O.).
Die Eintragung eines in der Sprache eines EU-Staates nicht unterscheidungskräftigen Wortes als nationale Marke in einem anderen Mitgliedstaat kann nur dann ausgeschlossen werden, wenn die beteiligten Verkehrskreise in dem Staat, in dem die Eintragung begehrt wird, im Stande sind, die eine betriebliche Herkunftsunterscheidung ausschließende Bedeutung dieses Wortes zu erkennen. Die insoweit maßgeblichen beteiligten Verkehrskreise sind der Handel und/oder der normal informierte und angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher (EuGH GRUR 2006, 411 Rn. 24, 32 – Matratzen Concord/Hukla; Ströbele, a. a. O., § 8 Rn. 129). Unmittelbar sachbezogenen oder ausschließlich werbemäßigen Ausdrücken fehlt die Unterscheidungskraft, wenn sie aus geläufigen Ausdrücken einer Welthandelssprache oder der einschlägigen Fachsprache gebildet sind (BGH GRUR 2009, 411 Rn. 12 – STREETBALL; GRUR 2009, 949 Rn. 16-20 - My World; Ströbele, a. a. O., § 8 Rn. 130 m. w. N.).
Der Verkehr ist daran gewöhnt, im Geschäftsleben ständig mit neuen Begriffen und Abbildungen konfrontiert zu werden. Der Durchschnittsverbraucher nimmt erfahrungsgemäß Kennzeichen so auf, wie sie ihm entgegentreten. Der Durchschnittsverbraucher wird deshalb auch bisher noch nicht verwendete oder grammatikalisch fehlerhafte, ihm aber gleichwohl verständliche Sachaussagen durchaus als solche und nicht als betrieblichen Herkunftshinweis auffassen (BGH GRUR 2004, 778, 779 – URLAUB DIREKT; GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch; Ströbele, a. a. O., § 8 Rn. 139 m. w. N.).
Eine aus beschreibenden Elementen bestehende Wortneubildung ist nur dann schutzfähig, wenn die Wortverbindung wegen ihrer Ungewöhnlichkeit einen merklichen Unterschied zu der bloßen Zusammenfügung der Bestandteile aufweist (EuGH GRUR 2004, 674 Rn. 98-100 – Postkantoor; GRUR 2004, 680 Rn. 39-41 - BIOMILD; GRUR 2006, 229 Rn. 34-37 – BioID; MarkenR 2007, 204 Rn. 77, 78 – CELLTECH; GRUR 2008, 608 Rn. 45, 69 – EUROHYPO; GRUR 2010, 931 Rn. 61-63 – COLOR EDITION). An die Eintragungsfähigkeit von Wortneubildungen werden insofern erhebliche Anforderungen gestellt, was insbesondere für Verbindungen schutzunfähiger Wortelemente gilt (Ströbele, a. a. O., § 8 Rn. 144). Der BGH erachtet als entscheidungserheblich, ob bei der angemeldeten Marke ein sachlicher Bezug zu den beanspruchten Waren und Dienstleistungen im Vordergrund steht oder ob von einer Interpretationsbedürftigkeit auszugehen ist, die für die Bejahung der Unterscheidungskraft sprechen kann (BGH GRUR 2010, 1100 Rn. 25-30 – TOOR; GRUR 2009, 411 Rn. 11-13 – STREETBALL; GRUR 2009, 952 Rn. 15-19 – DeutschlandCard; Ströbele, a. a. O., § 8 Rn. 145 m. w. N.).
Die Bezugnahme der Markenstelle für Klasse 18 in ihrem Zurückweisungsbeschluss vom 31. Juli 2012 auf die Entscheidungen „BIOMILD“ und „DOUBLEMINT“ des EuGH deutet darauf hin, dass die Markenstelle das angemeldete Zeichen „bullneck“ als Wortneubildung verstanden hat und den für diese vom EuGH und BGH entwickelten Rechtsgrundsätzen unterwerfen will. Bei dem Zeichen „bullneck“ handelt es sich indes nicht um eine Wortneubildung, weil der Begriff „bullneck“ im Internet mit einem Begriffsgehalt belegt ist und hier insbesondere einen Bezug zum Sport „Bodybuilding“ sowie im medizinischen Bereich zu einem Diphtherie-Erreger aufweist, wie eine Übersicht bei Eingabe dieses Begriffs in der Internetsuchmaschine Google belegt. Unter der Übersetzung „Stiernacken“ des angemeldeten Zeichens versteht das Onlinelexikon Wikipedia „eine außerhalb der Norm liegende, sichtbare Gewebeansammlung oder -vergrößerung im Bereich des Nackens“, bei der es sich überwiegend um Fettgewebe handelt. Im Bereich des Bodybuilding wird der Begriff „Stiernacken“ als Ziel des Trainings der Kopf- und Nackenmuskulatur „zu einem wahren Stiernacken“ benutzt. Duden-online legt dem Wort „Stiernacken“ die Bedeutung „feister, starker Nacken eines Menschen“ bei. Insofern stellt die angemeldete Marke „bullneck“ keine Wortneubildung dar, auf die die Grundsätze der vom EuGH und BGH in diesem Zusammenhang entwickelten Rechtsgrundsätze anwendbar wären.
Das angemeldete Zeichen „bullneck“ ist auch nicht geeignet, Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen und damit im Zusammenhang stehende Dienstleistungen, hinsichtlich derer die Markenanmeldung zurückgewiesen worden ist, zu beschreiben. Dass es sich – wie die Markenstelle für Klasse 18 ausgeführt hat – bei dem Zeichen „bullneck“ um einen Hinweis auf die besondere Größe und Qualität von Bekleidungsstücken handelt, und „bullneck“ deshalb eine verkehrswesentliche Eigenschaft für die genannten Waren und Dienstleistungen darstellt, ist allenfalls bei einer näheren analysierenden Betrachtungsweise erkennbar, die der Durchschnittsverbraucher aber nicht vornimmt, weil er ein als Marke verwendetes Zeichen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt. Insofern tritt eine möglicherweise beschreibende Aussage von „bullneck“ als besonders große und besonders qualitative Bekleidung nicht so deutlich und unmissverständlich hervor, dass sie für die beteiligten Verkehrskreise unmittelbar und ohne weiteres Nachdenken erkennbar wäre. Es bleibt bloß theoretisch möglich, dass der Verkehr die Sachaussage von Bekleidung besonderer Größe und besonderer Qualität mit dem angemeldeten Zeichen verbindet, was zur Verneinung der Unterscheidungskraft indes nicht ausreicht. Daher kann der angemeldeten Marke „bullneck“ die erforderliche Unterscheidungskraft i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG nicht abgesprochen werden.
2. Beschreibende Zeichen oder Angaben, § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG
Die angemeldete Marke „bullneck“ besteht nicht ausschließlich aus Zeichen oder Angaben, die im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, der geographischen Herkunft, der Zeit der Herstellung der Waren oder der Erbringung der Dienstleistungen oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Waren oder Dienstleistungen dienen können. Insofern ist für die hier relevanten Waren und Dienstleistungen nicht erkennbar, dass die Allgemeinheit ein Interesse daran haben könnte, das Zeichen „bullneck“ für Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen und damit im Zusammenhang stehende Dienstleistungen frei verwenden zu können. Insofern steht der Eintragung der Marke „bullneck“ auch nicht das absolute Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegen.