Entscheidungsdatum: 14.09.2011
In der Beschwerdesache
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betreffend die Markenanmeldung 30 2009 065 846.3
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 14. September 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-Wissemann sowie des Richter Reker und der Richterin Dr. Schnurr
beschlossen:
Auf die Beschwerde wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 33 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 30. September 2010 aufgehoben.
I.
Die Markenstelle für Klasse 33 des Deutschen Patent- und Markenamts hat der für die Ware „Klasse 33: Spirituosen“ angemeldeten Wortmarke 30 2009 846.3
Berliner Reichstagsbrand
mit Beschluss vom 30. September 2010 die Eintragung versagt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Markenbegriff „Berliner Reichstagsbrand“ verweise auf den Brand des Reichstagsgebäudes in Berlin in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933. Dieser Brand stehe in ursächlichem Zusammenhang mit der am 28. Februar 1933 erlassenen Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat (Reichstagsbrandverordnung), mit der die Grundrechte der Weimarer Verfassung praktisch außer Kraft gesetzt worden seien. Der Verkehr werde in der angemeldeten Kennzeichnung keinen neutralen Hinweis zur Erinnerung an ein geschichtliches Ereignis sehen, sondern es vielmehr als unerträglich und sarkastisch ansehen, sich künftig mit einer markenrechtlich geschützten Spirituose „Berliner Reichstagsbrand“ zuprosten zu können. Der verletzende, unerträglich sarkastische Hintergrund der Marke ergebe sich für den angesprochenen Durchschnittsverbraucher aus der Kombination der beanspruchten Waren, deren Genuss im Allgemeinen zu einer ausgelassenen, enthemmenden Wirkung führe, und dem Namen des geschichtlichen Ereignisses, welches die Nationalsozialisten zum Anlass genommen hätten, den demokratischen Rechtsstaat zu beseitigen.
Gegen diese Entscheidung wenden sich die Anmelder mit ihrer Beschwerde. Sie sind der Ansicht, die Marke sei eintragungsfähig, weil sie nicht gegen die guten Sitten verstoße. Das Zeichen könne nicht in eine Reihe gestellt werden mit Anmeldungen von Marken, die verfassungswidriges Gedankengut, wie etwa NS-Symbole, enthielten. Das historische Ereignis des Berliner Reichstagsbrandes sei ein Akt des Widerstandes gegen das NS-Regime gewesen und werde nicht dadurch diskreditiert, dass es die Nationalsozialisten nachträglich für ihre Zwecke instrumentalisiert hätten. Bei einer Verwendung zur Kennzeichnung der angemeldeten Waren der Klasse 33 transportiere die Wortkombination „Berliner Reichstagsbrand“ keine politisch anstößigen Inhalte.
Die Anmelder beantragen,
den angefochtenen Beschluss der Markenstelle für Klasse 33 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 30. September 2010 aufzuheben.
Ergänzend wird auf die Akte des Deutschen Patent- und Markenamts Az. 30 2009 065 846.3 Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Anmelder hat in der Sache Erfolg. Für die hier allein beanspruchten Waren der Klasse 33 „Spirituosen“ steht einer Eintragung der Marke 30 2009 065 846.3 nicht das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG entgegen.
Gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG ist einer Marke die Eintragung zu versagen, wenn sie ersichtlich gegen die guten Sitten verstößt. Gegen die guten Sitten verstoßen, wie die Markenstelle im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend festgestellt hat, solche Marken, die das Empfinden eines beachtlichen Teils der beteiligten Verkehrskreise zu verletzen geeignet sind, indem sie sittlich, politisch oder religiös anstößig wirken, und nicht mehr nur geschmacklos sind (BGH GRUR 1964, 136, 137 – Schweizer; GRUR 1995, 592, 593 f. - Busengrapscher). Maßgeblich ist insoweit die Auffassung der normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der maßgeblichen Waren (EuGH GRUR 2004, 943, 944, Nr. 24 – SAT.2; BPatGE 46, 66, 70 - Dalailama) in ihrer Gesamtheit, wobei weder eine übertrieben laxe noch eine besonders feinfühlige Ansicht entscheidend ist (BPatG Mitt. 1983, - 156 Schoasdreiber; Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Auflage, § 8 Rdn. 500 f.).
Hiervon ausgehend verstößt die Marke 30 2009 065 846.3 bei einer Verwendung zur Kennzeichnung der allein beanspruchten Ware „Spirituosen“ nicht gegen die guten Sitten. Da der Durchschnittsverbraucher in der modernen Werbung immer häufiger damit konfrontiert wird, dass Waren und Dienstleistungen mit Kennzeichnungen versehen werden, bei welchen negative, schockierende oder auch den guten Geschmack verletzende Bedeutungsgehalte mitschwingen (vgl. Ströbele/Hacker, MarkenG, 9. Aufl., Rn. 503 zu § 8; zur Gesamtproblematik in verfassungsrechtlicher Hinsicht BVerfG GRUR 2001, 170 - Schockwerbung; GRUR 2003, 442 -Benetton-Werbung II; Ruess WRP 2002, 1376; BPatG GRUR 1996, 408, 409 – COSA NOSTRA; BPatG PAVIS PROMA 26 W (pat) 42/94 – KGB), ist bei der Annahme einer politischen oder gesellschaftlichen Anstößigkeit Zurückhaltung geboten. So liegt ein solcher Verstoß bei erkennbar nicht ernst, sondern witzig gemeinten Aussagen eher fern (Hacker, a. a. O., Rn. 503 zu § 8; BPatG GRUR 2004, 875, 876 f. -KOKAIN BALL(für Dienstleistungen im Unterhaltungsbereich); BPatG PAVIS PROMA 26 W (pat) 192/99 - SCHWARZ gebrannt; (für alkoholische Getränke); PAVIS PROMA 26 W(pat) 112/97 - CANNABIS (für Raucherbedarfsartikel)). Von einer Eintragung als Marke bleiben gleichwohl solche Zeichen und Angaben ausgeschlossen, die das politische oder gesellschaftliche Empfinden eines rechtserheblichen Teils der durch die fraglichen Waren angesprochenen Durchschnittsverbraucher in erheblicher und unerträglicher Weise verletzen. Dies ist bei der Anmeldemarke jedoch nicht der Fall, sofern sie zur Kennzeichnung den beanspruchten Waren verwendet wird.
Wie die Markenstelle zutreffend ausgeführt hat, bezeichnet die angemeldete Wortkombination „Berliner Reichstagsbrand“ objektiv den Brand des Reichstagsgebäudes in Berlin in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 durch Brandstiftung und damit ein historisches Ereignis, welches die Nationalsozialisten zum Anlass nahmen, am 28. Februar 1933 die Notverordnung des Reichspräsidenten „zum Schutz von Volk und Staat“ („Brandverordnung“) zu erlassen, die die politischen Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung außer Kraft setzte und damit die Verfolgung politischer Gegner scheinbar legalisierte (vgl. näher: Der Brockhaus, Geschichte, 2. Aufl. 2006, Stw. „Reichstagsbrand“). Der angesprochene allgemeine Durchschnittsverbraucher wird dieses Ereignis im weitesten Sinne mit dem Ende der Weimarer Republik und dem Übergang zur Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Verbindung bringen. Darüber hinausgehende Kenntnisse der Deutschen Geschichte, die den kausalen oder temporären Bezug des Brandes zum Erlass der Notverordnung, deren Inhalt oder die Urheberschaft der Brandstiftung betreffen, lassen sich beim angesprochenen Verkehr zumindest nicht als im Moment der Wahrnehmung eines Kennzeichens für „Spirituosen“ abrufbares, präsentes Wissen voraussetzen.
Wird „Berliner Reichstagsbrand“ im Zusammenhang mit „Spirituosen“ verwendet, wird der Verkehr mit dem Wort „Brand“ - dem klanglichen Doppelsinne des Wortes entsprechend - zugleich, wenn nicht gar in erster Linie, ein gebranntes alkoholisches Getränk wie Branntwein verbinden und unter Umständen einen Sinnzusammenhang mit dem heute als Sitz des Deutschen Bundestages genutzten Berliner Reichstagsgebäude herstellen.
Eine solche – durch die Beanspruchung für lediglich eine Ware von vornherein begrenzte - Verwendung der angemeldeten Wortkombination stellt keine politisch unerträgliche und deshalb sittlich anstößige Verhöhnung bestimmter Bevölkerungsteile dar. Insbesondere sehen sich die Opfer des Nationalsozialismus bei Betrachtung einer mit „Berliner Reichstagsbrand“ gekennzeichneten Flasche oder Verpackung für Spirituosen keinem durch die Nationalsozialisten verwendeten Zeichen und keinem Ereignis gegenüber, dessen Urheberschaft sich das NS-Regime je selbst zugeschrieben hätte (Abgrenzung zu BPatG GRUR 2009, 68, 70 f - (Ehemaliges) DDR-Symbol der Sicherheitskräfte; vgl. auch BPatG GRUR 1994, 377 - MESSIAS; BPatGE 28, 41, 43 - CORAN).
Im registerrechtlichen Verfahren steht schließlich nur die Marke selbst, d. h. die angemeldete Bezeichnung in Verbindung mit der von ihr erfassten Ware, zur Beurteilung. Daraus folgt zum einen, dass die Sittenwidrigkeit gerade in Bezug auf die von der Marke erfasste Ware bestehen muss (vgl. BPatGE 36, 19 – COSA NOSTRA; BPatG Mitt. 1988, 75 - ESPIRITO SANTO). Zum andern müssen mögliche sittenwidrige Umstände, die sich erst aus der konkreten Verwendung der Marke im Verkehr ergeben können, außer Betracht bleiben. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe vermag der Senat im vorliegenden Fall keine zureichenden Anhaltspunkte für einen Sittenverstoß zu erkennen.
Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben.