Entscheidungsdatum: 31.05.2011
In der Beschwerdesache
…
betreffend die IR-Marke 802 779 - S 377/08 Lösch
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 13. April 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-Wissemann, des Richters Reker und der Richterin Dr. Schnurr
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
I.
Beim Deutschen Patent- und Markenamt ist am 10. Dezember 2003 der nachfolgend wiedergegebenen, unter der Nummer IR 802 779 international registrierten, dreidimensionalen Marke
für die Waren “Kl. 20: Chairs; recliner chairs, recliner chairs with footstools” der Schutz für die Bundesrepublik Deutschland bewilligt worden.
Gegen diese IR-Marke ist am 10. Dezember 2008 beim Deutschen Patent- und Markenamt ein Antrag auf Schutzentziehung nach §§ 115, 107, 50 Abs. 1 Nr. 1 u. 3 i. V. m. §§ 3 Abs 2 Nr. 1 u. 2, 8 Abs. 2 Nr. 1, 2 u. 10 MarkenG mit der Begründung gestellt worden, der angegriffenen Marke fehle als bloßer Wiedergabe eines kreisrunden, drehbaren Untergestells zur Aufnahme eines Polstermöbels nicht nur bereits die Markenfähigkeit, sondern dem freihaltebedürftigen Zeichen sei auch mangels Unterscheidungskraft zu Unrecht Schutz bewilligt worden. Zahlreiche Wettbewerber nutzten vergleichbare Gestaltungen. Die Markeninhaberin habe mit der Schutzrechtserstreckung allein den Zweck verfolgt, Gestaltungsschutz zu einem Zeitpunkt zu erreichen, zu dem selbst ein ursprünglich bestehender Geschmacksmusterschutz für die seit den 1980er Jahren bekannte Form bereits lange abgelaufen wäre.
Die Markeninhaberin hat dem Schutzentziehungsantrag rechtzeitig widersprochen und argumentiert, es gebe zahlreiche Möglichkeiten, die Seitenholme eines Ruhesessels mit seinem Bodenelement zu verbinden. Die s-förmige Gestaltung der Seitenholme sei nicht technisch bedingt; die angegriffene Form verfüge jedenfalls nicht ausschließlich über Gestaltungsmerkmale, die technischen Zwecken dienten. Der Marke fehle überdies nicht das notwendige Mindestmaß an Unterscheidungskraft, auch ein Freihaltebedürfnis bestehe nicht.
Die Markenabteilung 3.4. des Deutschen Patent- und Markenamtes hat mit Beschluss vom 12. März 2010 der international registrierten Marke IR 802 779 den Schutz für die Bundesrepublik Deutschland entzogen und diese Entscheidung mit fehlender Unterscheidungskraft begründet: In ihrer konkreten Ausgestaltung hebe sich die angegriffene Marke nicht so erheblich von branchenüblichen Formen ab, dass der durchschnittlich informierte, angemessen aufmerksame und verständige Käufer in ihr einen betrieblichen Herkunftshinweis erblicken könnte.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Markeninhaberin mit ihrer Beschwerde. Unter denjenigen Modellen, auf welche die Markenabteilung in ihrer Entscheidung zur Frage der branchenüblichen Ausgestaltung von Ruhesesseln Bezug genommen habe, befinde sich kein einziger Sessel, der die für die Marke charakteristische Gestaltung des s-förmig geschwungenen Seitenholmes mit einem Ansatz auf der Innenseite eines Bodenringes zeige.
Die Markeninhaberin beantragt,
den Beschluss der Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 12. März 2010 aufzuheben und den Antrag auf Schutzentziehung zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Ergänzend wird auf die Akten des Amtes IR 802779 und S 377/08 Bezug genommen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 13. April 2011 haben die Parteien ihre jeweiligen Standpunkte vertieft.
II.
Die Beschwerde ist gem. §§ 66 Abs. 1, 2 MarkenG zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Schutzentziehung sind gegeben, weil der angegriffenen dreidimensionalen Warenformmarke sowohl im Zeitpunkt der Schutzerstreckung als auch im Zeitpunkt der Entscheidung über den Schutzentziehungsantrag das Schutzhindernis fehlender Unterscheidungskraft entgegenstand bzw. noch entgegensteht, §§ 115 Abs. 1 S. 1, 50 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1, 2 i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
1.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die angegriffene Marke zwar nicht schon deshalb schutzunfähig, weil ihre Form bereits im Eintragungszeitpunkt durch die Art der Ware selbst bedingt oder zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich wäre, §§ 3 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG.
§ 3 Abs. 2 MarkenG normiert das gesetzliche, nicht widerlegbare Freihaltebedürfnis an Produktformen (vgl. BPatG BlPMZ 2002, 228 - Schmuckring), und hat, systematisch gesehen, den Charakter einer unwiderleglichen Vermutung für den Mangel der Schutzfähigkeit von Formmarken, um Monopole für technische Lösungen im Interesse der Mitbewerber zu verhindern (vgl. EuGH GRUR 2002, 804 - Philips). Die Form einer Ware ist demnach als Marke dann nicht schutzfähig, wenn nachgewiesen wird, dass die wesentlichen funktionellen Merkmale dieser Form nur ihrer technischen Wirkung zuzuschreiben sind, wobei Alternativformen mit gleicher technischer Wirkung unbeachtlich sind (vgl. Ströbele/Hacker, Markenrecht, 8. Aufl., § 3 Rdn. 96). Die Frage der Technizität nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG unterliegt dabei auch bei einer auf Deutschland erstreckten IR-Marke grundsätzlich einer unbeschränkten Prüfung im Erstreckungs- wie Löschungsverfahren (PAVIS PROMA, BPatG 28 W (pat) 147/02 – Scherkopf eines Rasierapparates; BGH GRUR 2001, 418 - Montre).
Ob die s-förmigen Seitenholme zur Verbindung des Bodenrings mit dem Polstermöbel eine spezifische technische Wirkung besitzen (vgl. das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. Schmiedeknecht vom 11. Februar 2010 als Anlage zum Schriftsatz der Antragstellerin vom 17. Februar 2010), kann dahinstehen. Denn eingetragen ist lediglich die oben wiedergegebene Warenform, und diese lässt weder die Verwendung eines Drehrings erkennen, noch beinhaltet sie eine Aussage über das zur Herstellung eines Produkts in dieser Form zu verwendende Material. Da die eingetragene Warenform keinen Drehring abbildet, ist ihr Ringelement weder durch die Art der Ware selbst bedingt noch zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich; es könnte die beiden Seitenholme ebenso gut aufnehmen, wenn es als ovale oder quadratische Grundform ausgestaltet wäre. Auch die Anzahl der Seitenholme ließe sich variieren. Das eingetragene Zeichen ist daher markenfähig im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG.
2.
Der eingetragenen Marke fehlt allerdings die erforderliche Unterscheidungskraft i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
Unterscheidungskraft besitzt eine Marke nur dann, wenn sie geeignet ist, die Waren und Dienstleistungen, für die Schutz begehrt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Produkte somit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (EuGH GRUR 2002, 804 ff. - Philips). Zwar darf die Prüfung bei dreidimensionalen Marken nicht strenger als bei anderen Markenformen ausfallen (EuGH GRUR Int. 2004, 631 - TABS). Da aber davon auszugehen ist, dass der Verkehr die Form einer Ware nicht in gleicher Weise auffasst wie eine Wort- oder Bildmarke und aus der Form der Ware gewöhnlich nicht auf deren betriebliche Herkunft schließt, besitzt eine Formmarke nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nur dann Unterscheidungskraft, wenn sie erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweicht (EuGH GRUR 2004, 428 - Henkel; GRUR 2006, 235 - Standbeutel). Die Warenform muss es dem durchschnittlich informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher auch ohne analysierende und vergleichende Betrachtungsweise ermöglichen, die betreffenden Waren von den Waren anderer Unternehmen zu unterscheiden (EuGH a. a. O. - Henkel; GRUR Int. 2005, 135 - Maglite). Weist das Warenumfeld bereits eine große Vielfalt von Formen auf, in die sich die angemeldete Marke ohne weiteres einfügt, so wird der Verkehr in einer bestimmten, ggf. auch neuen Formgestaltung nur dann einen Herkunftshinweis sehen, wenn er diese Form nicht einer konkreten Funktion der Ware oder ganz allgemein dem Bemühen zuschreibt, ein ästhetisch ansprechendes Produkt zu schaffen (BGH GRUR 2004, 329 - Käse in Blütenform; GRUR 2006, 679 - Porsche Boxster).
Hiervon ausgehend ist im vorliegenden Fall die Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke für die beanspruchten Waren der Klasse 20, „Chairs; recliner chairs“ und „recliner chairs with footstools“ zu verneinen. Bei der eingetragenen Marke handelt es sich um ein Ringelement, das als Untergestell eines Ruhesessels dienen kann und in dem von innen zwei s-förmig gebogene, sich gegenüber stehende Seitenholme befestigt sind, die zunächst nach innen und im weiteren Verlauf nach außen und dann senkrecht nach oben verlaufen. Wie die Markenstelle im angefochtenen Beschluss bereits zutreffend unter Vorlage von Belegen ausgeführt hat, sind am Markt zahlreiche Ruhesessel erhältlich, die Untergestelle in Form eines Ringes aufweisen. Auch geschwungene Seitenholme, die Belastungen der Sitzfläche abfedern können, lassen sich bei Untergestellen für Ruhesessel häufig finden. Abhängig vom jeweiligen Modell und von den in den Seitenholmen verarbeiteten Materialien (vorrangig Holz und/oder Metall) können sie auf verschiedene Weise mit dem auf dem Boden stehenden, ringförmigen Möbelfuß verbunden sein. Bei den von der Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 28. Juli 2010 (dort Bl. 6, S. 100) zur Akte gereichten Sitzmöbeln handelt es sich um Produkte, bei denen die s-förmigen Seitenholme jeweils auch im Inneren des Ringssegments befestigt sind und entweder senkrecht oder in Schräglage nach oben verlaufen.
Zwar ist der Markeninhaberin darin beizupflichten, dass Kunden ihren Produkten mit überdurchschnittlicher Aufmerksamkeit begegnen, weil Möbel zu den eher seltenen und häufig kostspieligen Anschaffungen zählen. Dieselbe Aufmerksamkeit bringen Möbelkunden aber nicht auch dem Untergestell von Ruhesesseln entgegen, weil sie sich in erster Linie für den Sitz- und Liegekomfort, die Ausgestaltung der Sitzfläche und ihre Höhenverstellbarkeit, demgegenüber aber deutlich weniger für den Möbelfuß interessieren werden.
Die Feststellung der Markenabteilung, dass die angemeldete Warenformmarke nicht derart von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweiche, dass der durchschnittlich informierte und angemessen aufmerksame und verständige Möbelkäufer in ihrer Formgebung einen betrieblichen Herkunftshinweis sehen könnte, lässt angesichts dessen keinen Fehler erkennen.
Der Beschwerde muss der Erfolg daher versagt bleiben.