Entscheidungsdatum: 04.07.2012
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2010 015 520.5
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 4. Juli 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-Wissemann und der Richter Reker und Hermann
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
I.
Die Wortmarke
Sibirien
ist angemeldet zur Eintragung in das Register für die Waren
"Klasse 20: Möbel, Spiegel, Bilderrahmen; Waren, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind, aus Holz, Kork, Rohr, Binsen, Weide, Horn, Knochen, Elfenbein, Fischbein, Schildpatt, Bernstein, Perlmutter, Meerschaum und deren Ersatzstoffen oder aus Kunststoffen; Kissen; Kopfkissen; Matratzen (einschließlich Auflagematratzen); Luftmatratzen; Luftkissen; Betten (einschließlich Wasserbetten); Krankenhausbetten; Bettgestelle, Bettbeschläge, Bettrollen, nicht aus Metall, Bettzeug (ausgenommen Bettwäsche); Schlafsäcke für Campingzwecke;
Klasse 24: Webstoffe und Textilwaren, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; Bett- und Tischdecken; Kissenbezüge; Bettwäsche, Federbettdecken; Inletts (Matratzentücher); Schonerdecken; Matratzenüberzüge; Schlafsäcke (zu Hüllen genähte Leintücher); Tagesdecken für Betten, Steppdecken".
Die Markenstelle für Klasse 24 des Deutschen Patent- und Markenamts hat diese Anmeldung mit zwei Beschlüssen, von denen einer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, mit der Begründung zurückgewiesen, dass das Markenwort "Sibirien" freihaltungsbedürftig i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG sei.
Bei einer Zurückweisung einer Anmeldung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG seien nicht nur die aktuellen Gegebenheiten zu berücksichtigen, sondern es sei auch zu prüfen, ob eine beschreibende Verwendbarkeit der fraglichen Ortsangabe vernünftigerweise in Zukunft zu erwarten ist, so dass die Angabe dann zur Bezeichnung der geografischen Herkunft dienen kann (EuGH GRUR 1999, 723, 725 f. - Nr. 35-37 – Chiemsee). Im Rahmen einer realitätsbezogenen Prognose sei daher nicht nur auf die gegenwärtigen Verhältnisse abzustellen, sondern es seien auch mögliche, nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegende zukünftige wirtschaftliche Entwicklungen zu berücksichtigen, die eine beschreibende Verwendung der betreffenden Ortsangabe vernünftigerweise erwarten lassen (EuGH a. a. O., S. 726, Nr. 31 und 37; BPatG GRUR 2000, 1050, 1051 - Cloppenburg; GRUR 2001, 741, 742 f. – Lichtenstein). Bei Namen von Ländern, Regionen, Großstädten oder sonst wirtschaftlich bedeutenden Örtlichkeiten bestehe eine grundsätzliche Vermutung dafür, dass sie als geografische Herkunftsangaben zur freien Verwendung benötigt werden können, denn eine Eignung, als geografische Herkunftsangabe zu dienen, komme insbesondere den Namen bekannter Orte zu, bei denen nicht unwahrscheinlich ist, dass die beteiligten Verkehrskreise eine Verbindung zu den beanspruchten Waren und Dienstleistungen herstellen können (EuGH a. a. O. Rn. 32 – Chiemsee).
Danach unterliege die Bezeichnung "Sibirien" für alle angemeldeten Waren einem Eintragungsverbot, da davon auszugehen sei, dass der so genannte Teil Russlands im nördlichen Asien erheblichen Teilen der angesprochenen allgemeinen inländischen Verkehrskreise bekannt und daher für sämtliche beanspruchten Waren geeignet sei, als geographische Herkunftsangabe zu dienen. Der inländische Verkehr verbinde mit Sibirien u. a. kalte Temperaturen, was gerade in Bezug auf Bettwaren einen beschreibenden Sinn aufweise. Vor diesem Hintergrund sei ein Freihaltebedürfnis an dem Namen des russischen Landesteils zu bejahen.
Gegen diese Beschlüsse richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie ist der Auffassung, es liege weder ein aktueller geographischer Bezug zwischen Bettwaren und Sibirien vor noch sei dieser zukünftig realistisch zu erwarten. Auf die Beschwerdebegründung vom 26. April 2012 und den Inhalt des Schriftsatzes vom 16. Januar 2012 wird Bezug genommen. Die Anmelderin stellt sinngemäß den Antrag,
die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 24 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. Oktober 2011 und vom 20. Januar 2012 aufzuheben.
II.
Die Beschwerde der Anmelderin ist zulässig, aber nicht begründet. Das Markenwort "Sibirien" stellt eine freihaltungsbedürftige geographische Herkunftsangabe i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG dar. Angesichts der Bekanntheit und der (wirtschaftlichen) Bedeutung des so bezeichneten, gesamten asiatischen Teils Russlands besteht ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit an der ungestörten Verwendung der Bezeichnung "Sibirien".
Wie die Markenstelle in den angefochtenen Beschlüssen zutreffend ausgeführt hat, ist die wirtschaftliche Bedeutung Sibiriens hoch. So stellen neben der Gewinnung von Erdgas und Erdöl die Holzwirtschaft einschließlich der holzchemischen Industrie (Zellstoffe), Kohleförderung, Uranabbau und Diamant- bzw. Goldminen und (Eisen-)erzvorkommen die wichtigsten Nutzungen natürlicher Rohstoffe in Sibirien dar. Sibirien hat deswegen einen großen Einfluss auf die Energiewirtschaft Russlands sowie auf die allgemeine Wirtschaftspolitik Russlands.
"Das Gebiet Sibirien in Russland bildet den größten Teil Nordasiens und umfasst mit etwa 10 Mio. km² rund die Hälfte des russischen Territoriums. Damit ist es größer als die USA. Es erstreckt sich über 7000 km vom Ural im Westen bis zu den Gebirgen der pazifischen Wasserscheide im Osten und über 3500 km von der Küste des Nordpolarmeers im Norden bis an die Grenzen zur Mongolei und zu China im Süden. Sibirien lässt sich in sieben Teilregionen unterscheiden, die landschaftlich höchst unterschiedlich sind. Dazu zählt das Nordsibirische Tiefland ebenso wie die bis 3147 m über dem Meeresspiegel aufragenden Gebirgsländer Ostsibiriens. Auch das Klima wird von Gegensätzen bestimmt: Die mittlere Jahrestemperatur liegt nahezu in ganz Sibirien unter 0ºC, im Nordosten sogar bei -18ºC, wobei sich die Temperaturmittel der wärmsten und kältesten Monate um 35 – 68°C unterscheiden. In ganz Ostsibirien sowie in Westsibirien nördlich des 62. Breitengrades sind auf ca. 6 Mio. km² Dauerfrostböden verbreitet. Dort werden Temperaturen von bis zu – 70°C erreicht. Sibirien ist mit rund 24,3 Millionen Einwohnern nur sehr schwach besiedelt, die Bevölkerungsdichte liegt im Schnitt bei nur 2,7 Menschen pro km². Zudem leben rund 90% der Bevölkerung auf nur ca. 10% des Territoriums, hauptsächlich entlang der Transsibirischen Eisenbahn und ihrer Zweigstrecken. Den Großteil der Bevölkerung Sibiriens stellen die erst in den letzten Jahrhunderten zugewanderten Russen. Zwei Drittel wohnen in Städten, deren größte Nowosibirsk, Omsk, Krasnojarsk, Irkutsk am Baikalsee, Barnaul und Nowokusnezk sind. Schon zu Zarenzeiten dienten die abgelegenen und unwirtlichen Gebiete Sibiriens zur Verbannung von politischen Gegnern und Straftätern. Die ungünstigen natürlichen Verhältnisse lassen nur im Süden Sibiriens in größerem Umfang Ackerbau und Viehzucht zu. Ab den 1920er Jahren ließ jedoch die russische Führung in Moskau Sibirien intensiv erschließen. Hauptwirtschaftszweig ist heute die Förderung der in großem Umfang vorhandenen fossilen Brennstoffe (vor allem Erdöl und -gas in Westsibirien) und ihre Verarbeitung. Heute sind die fossilen Ressourcen Sibiriens das wichtigste Standbein der russischen Wirtschaft: Russland ist weltweit zweitgrößter Exporteur von Rohöl sowie weltweit größter Exporteur von Erdgas. Zudem bildet der Anteil des Rohstoffsektors an der gesamtwirtschaftlichen Produktion Russland rund ein Viertel." (http://www.sibirien.ru/) Daraus folgt die von der Anmelderin auch grundsätzlich nicht in Abrede genommene Bedeutung der Region in Bezug auf geographische Größe und wirtschaftliche Potenz insbesondere im Rohstoff- und Energiebereich.
Dahinstehen kann, ob - wie die Anmelderin bezweifelt - in Sibirien bereits eine Möbel- und Bettwarenindustrie besteht. Denn wie der EuGH in Bezug auf geographische Herkunftsangaben ausdrücklich hervorgehoben hat, setzt die Anwendung des Schutzhindernisses nicht voraus, dass ein konkretes, aktuelles oder ernsthaftes Freihaltebedürfnis besteht (EuGH WRP 1999, 629, 633, Tz. 35 "Windsurfing Chiemsee"). Deshalb ist nicht nur die Eintragung solcher geographischer Angaben verboten, die Orte bezeichnen, welche von den beteiligten Verkehrskreisen aktuell mit der betreffenden Warengruppe in Verbindung gebracht werden. Vielmehr sind auch geographische Bezeichnungen vom Markenschutz ausgeschlossen, die zukünftig von Unternehmen als Herkunftsangaben verwendet werden können (EuGH a. a. O., 632 f., Tz. 29 ff.). Diese Eignung als Herkunftsangabe kommt insbesondere den Namen bekannter Orte zu, bei denen nicht unwahrscheinlich ist, dass die beteiligten Verkehrskreise eine Verbindung zu der betreffenden Warengruppe herstellen können (EuGH a. a. O., 633, Tz. 32 f.). Eine derartige Verbindung zwischen den beanspruchten Waren und dem fraglichen Ort muss nicht notwendigerweise auf der Herstellung der Waren in diesem Ort beruhen, sondern kann auch darin bestehen, dass die Verbraucher positiv besetzte Vorstellungen mit diesem Ort verknüpfen (EuGH a. a. O., 632 f., Tz. 26, 36). In Berücksichtigung dieser maßgeblichen höchstrichterlichen Auslegungskriterien stellt die angemeldete Ortsbezeichnung eine freihaltungsbedürftige geographische Herkunftsangabe i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG dar.
Bei einem Wirtschaftsraum der Größenordnung von Sibirien ist vernünftigerweise davon auszugehen, dass dort auch solche Unternehmen angesiedelt sind, die mit der Produktion von Bettwaren und Möbeln oder deren Vertrieb befasst sind. Hierfür liegen auch besondere tatsächliche Anhaltspunkte vor.
So gilt z. B. "seit jeher … das Sibirische Zedernholz (Sibirische Zirbelkiefer) als eines der am meisten für die Möbelherstellung geeigneten Materialien. Daraus wurden schon die Möbel für den Adel und die Zarenfamilie Russlands gefertigt. Das Holz dieses Baumes zeichnet sich durch hohe physikalisch-mechanische Eigenschaften aus … Das harzige Holz … schreckt Schädlingsinsekten ab, seit eh und je machte man daraus Möbel: Truhen, Kleiderschränke, Wandschränke, Kommmoden und Betten" (http://www.schlafzimmermobel-yumax.de/uber_zeder.aspx). Die Möbelproduktion lässt sich daher fraglos mit Sibirien in Verbindung bringen.
Entsprechendes gilt für die übrigen, aus anderen Naturrohstoffen herzustellenden Waren, für die die Anmelderin Schutz begehrt. Diese kommen allesamt in Sibirien vor bzw. sind dort zu gewinnen und werden zur Herstellung verschiedenster Waren benutzt. Insoweit gehört der Name dieser Region zu den Angaben, die von Unternehmen als Herkunftsangaben i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG verwendet werden können.
Wie die Markenstelle ebenfalls zutreffend ausgeführt hat liegt es mit Blick auf die sibirischen Extreme im Temperaturbereich außerdem durchaus nahe, dass die angesprochenen Verkehrskreise in der Bundesrepublik Deutschland gerade im Zusammenhang mit Bettwaren und den beanspruchten Textil- und Webwaren Sibirien als Hinweis auf die besondere Eignung der Waren zum Einsatz bei Kälte und damit als warenbeschreibende Angabe über die Eigenschaften dieser Waren verstehen.
Da sich danach die angefochtenen Beschlüsse als zutreffend erweisen, war die Beschwerde zurückzuweisen.