Entscheidungsdatum: 12.11.2012
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 30 2008 068 787
hat der 24. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 24. Juli 2012 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Werner sowie der Richterin Dr. Schnurr und des Richters am Oberlandesgericht Heimen
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 9. März 2011 aufgehoben.
Wegen des Widerspruchs aus der Gemeinschaftsmarke Nr. 004045704 wird die Löschung der Marke Nr. 30 2008 068 787 angeordnet.
I.
Die Wortmarke
Eskalon
ist am 28. Oktober 2008 angemeldet und am 4. März 2009 unter der Nummer 30 2008 068 787.8 für die Dienstleistungen
„Klasse 35: Dateiverwaltung mittels Computer; Systematisieren von Daten in Computerdatenbanken; Zusammenstellen von Daten in Computerdatenbanken; organisatorisches Projektmanagement im EDV-Bereich;
Klasse 41: Veranstaltung und Durchführung von Schulungen, Workshops und Seminaren im EDV-Bereich (Ausbildung);
Klasse 42: Entwurf und Entwicklung von Computerprogrammen; Installation und Wartung von Computerprogrammen; EDV-Beratung (hard- und softwareseitig) und Erstellung von Computersystemanalysen; technisches Projektmanagement im EDV-Bereich; Konfiguration von Computernetzwerken durch Software“
in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen und am 3. April 2009 veröffentlicht worden.
Gegen diese Marke ist am 26. Juni 2009 Widerspruch erhoben worden aus der am 27. April 2004 angemeldeten Gemeinschaftswortmarke Nr. 004045704
Ethalon
die nach Einschränkungen des Verzeichnisses der Waren und Dienstleistungen am 18. Januar 2010 in das Register eingetragen wurde u. a. für Dienstleistungen der
Klasse 35: Unternehmensberatung, insbesondere in Bezug auf die Optimierung von informationstechnologiegesteuerten Geschäftsprozessen und die Verwendung von computersoftwareimplementierten Geschäftslösungen und Software für alltägliche Bürozwecke;
Klasse 42: Entwicklung und Erstellen von Softwareprogrammen für die Datenverarbeitung für Dritte in Form von Unternehmensanwendungen und Unternehmenslösungen, insbesondere in Bezug auf Integration von Anwendungen, Daten und Informationen zur Optimierung von informationstechnologiegesteuerten Geschäftsprozessen durch Verwendung von Webportalen, Softwarestrukturarchitekturen oder Middleware-Komponenten“.
Die Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss vom 9. März 2011 eine Verwechslungsgefahr zwischen beiden Marken verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass trotz durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und identischer oder ähnlicher Dienstleistungen keine Verwechslungsgefahr bestehe, weil die angegriffene Marke den notwendigen deutlichen Abstand zur Widerspruchsmarke einhalte. Beim Vergleich in allen Wahrnehmungsbereichen ermöglichten die Buchstabenkombinationen "sk" und "th" nach dem jeweiligen Anfangsbuchstaben „E“ ein sicheres klangliches und schriftbildliches Auseinanderhalten der Vergleichszeichen. Anhaltspunkte für eine begriffliche Verwechslungsgefahr oder für eine mittelbare Verwechslungsgefahr bestünden ebenfalls nicht.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden vom 5. April 2011.
Die Widersprechende vertritt die Ansicht, ihre Marke sei durchschnittlich kennzeichnungskräftig und die Dienstleistungen identisch, sehr ähnlich oder durchschnittlich ähnlich. Hiervon ausgehend halte die jüngere Marke den gebotenen Abstand nicht ein. Beide Wortmarken kämen sich jedenfalls klanglich und schriftbildlich verwechselbar nahe.
Die in der mündlichen Verhandlung nicht erschienene Widersprechende hat mit Schriftsatz vom 5. April 2011 sinngemäß beantragt,
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 9. März 2011 aufzuheben und auf den Widerspruch die Marke Nr. 30 2008 068 787 zu löschen.
Die Markeninhaber haben beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Inhaber der angegriffenen Marke vertreten die Auffassung, zwischen den für ihre Marke geschützten Dienstleistungen der Klasse 41 einerseits und den Dienstleistungen der Widerspruchsmarke in den Klassen 35 und 42 anderseits bestehe schon deswegen keine oder nur eine entfernte Ähnlichkeit, weil es sich um Dienstleistungen in unterschiedlichen Klassen handele. Auch soweit beide Vergleichsmarken für die Klassen 35 und 42 Schutz beanspruchten, bestehe keine zur Verwechslungsgefahr führende Ähnlichkeit, denn auch hier stünden sich im Wesentlichen keine identischen sondern unterschiedliche Dienstleistungen gegenüber. Der Schwerpunkt der für die Widerspruchsmarke beanspruchten Dienstleistungen liege auf der Verwendung von Web-Portalen, Softwarestrukturarchitekturen und Middlewarekomponenten. Dagegen stünden bei der Markeninhaberin „Computerprogramme, Computersystemanalysen und die Konfiguration von Computernetzwerken durch Software“ im Vordergrund.
Die Vergleichszeichen selbst unterschieden sich in zwei von sieben Buchstaben, was zu einem unterschiedlichen Gesamteindruck führe. Die unterschiedlichen Silben am Wortanfang gingen auch nicht klanglich oder schriftbildlich unter, weil nach den Betonungsregeln der deutschen Sprache der Vokal „E“ klanglich im Konsonanten „s“ aufgehe und die Marke deshalb „Es- ka- lon“ ausgesprochen werde, die Widerspruchsmarke dagegen davon deutlich verschieden mit dem betonten Vokal e beginne und „E-tha-lon“ ausgesprochen werde. Im Schriftbild bestünden ebenfalls erhebliche Unterschiede zwischen „sk“ und „th“, zudem werde der angesprochene Verkehr durch die Anlehnung der Marke an die bekannten Worte „eskalieren“ und „Eskalation“ usw. und auf Seiten der Widerspruchsmarke wegen der Assoziation mit den Worten „Äther“, „ätherisch“ begriffliche Unterschiede wahrnehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, weil zwischen den Kollisionszeichen eine markenrechtliche Verwechslungsgefahr besteht und dementsprechend die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen ist, §§ 9 Abs. 1 Nr. 2, 125b, 165 Abs. 2 MarkenG i. V. m. § 42 MarkenG a. F.
Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend vorzunehmen. Dabei sind zunächst - und zwar unabhängig von einander - Feststellungen zur Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, zur Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen sowie zur Ähnlichkeit der Vergleichszeichen zu treffen. Bei einer abschließenden Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass die vorgenannten Faktoren in einem Verhältnis der Wechselwirkung zu einander stehen, so dass ein geringerer Grad des einen Faktors durch einen höheren Grad eines anderen Faktors ausgeglichen werden kann (st. Rspr.; vgl. z. B. EuGH GRUR 1998, 387, 389 (Nr. 22) - Sabèl/Puma; GRUR 2008, 343, 345 (Nr. 48) - Il Ponte Finanziaria Spa/HABM; BGH GRUR 2008, 905, 905 (Nr. 12) - Pantohexal).
Maßgeblich ist vorliegend der Standpunkt sowohl der Fachkreise als auch der allgemeinen Endverbraucher, also der allgemeinen Verkehrskreise, die hier Adressaten der betroffenen Art von Dienstleistungen sind. Im Bereich der Klassen 42, 35 und 41 sind die zur Beurteilung stehenden Vergleichsdienstleistungen teilweise identisch, mindestens aber durchschnittlich ähnlich.
Eine Ähnlichkeit von beiderseitigen Waren oder Dienstleistungen ist grundsätzlich anzunehmen, wenn diese unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen, insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte oder Leistungen oder anderer für die Frage der Verwechslungsgefahr wesentlichen Gründe so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben oder ggfls. wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (BGH GRUR 2001, 507, 508 - EVIAN/REVIAN, GRUR 2004, 601 - d-c-fix/CD-FIX, EuGH MarkenR 2009, 47, 53 Rdnr. 65 – Edition Albert René).
Dies ist hier der Fall. Unerheblich ist dabei, dass es sich um Dienstleistungen handelt, die unterschiedlichen Klassen zugeordnet sind, da auch Dienstleistungen verschiedener Klassen untereinander und/oder auch mit Waren ähnlich sein können. Die Dienstleistungen der angegriffenen Marke in den Klassen 35 und 42 finden im Verzeichnis der Widerspruchsmarke in nahezu identischer Weise ihre Entsprechung. Die von der angegriffenen Marke in Klasse 42 beanspruchten Oberbegriffe erfassen auch die Dienstleistungen der Widerspruchsmarke, umgekehrt umfassen die von der Widerspruchsmarke beanspruchten Oberbegriffe in Klasse 35 auch die konkret im Waren- und Dienstleistungsverzeichnis der angegriffenen Marke aufgeführten Dienstleistungen, die insgesamt Teil-Aspekte der EDV betreffen. Dass die Vergleichsmarken, insbesondere die Widerspruchsmarke, ihren Schutzbereich im Verzeichnis der Waren und Dienstleistungen beispielhaft konkretisieren, ändert nichts an der der vorhandenen Identität bzw. hochgradigen Ähnlichkeit im Bereich der uneingeschränkt Schutz beanspruchenden Oberbegriffe, die jeweils alle eingetragenen Dienstleistungen der angegriffenen Marke in Klasse 35 und 42 umfassen. Denn die Dienstleistungen „Entwurf und Entwicklung von Computerprogrammen; Installation und Wartung von Computerprogrammen; EDV-Beratung (hard- und softwareseitig) und Erstellung von Computersystemanalysen; technisches Projektmanagement im EDV-Bereich; Konfiguration von Computernetzwerken durch Software“ sind mit den Dienstleistungen der Widerspruchsmarke in Klasse 42, nämlich „Entwicklung und Erstellen von Softwareprogrammen für die Datenverarbeitung für Dritte in Form von Unternehmensanwendungen und Unternehmenslösungen“ identisch oder hochgradig ähnlich, weil es sich lediglich um spezielle Ausschnitte von komplexen Strukturen handelt, die einander ergänzen, voraussetzen oder ersetzen können. Entsprechendes gilt für Klasse 35, in der sich „Dateiverwaltung mittels Computer; Systematisieren von Daten in Computerdatenbanken; Zusammenstellen von Daten in Computerdatenbanken; organisatorisches Projektmanagement im EDV-Bereich“ und „Unternehmensberatung, insbesondere in Bezug auf die Optimierung von informationstechnologiegesteuerten Geschäftsprozessen und die Verwendung von computersoftwareimplementierten Geschäftslösungen und Software für alltägliche Bürozwecke“ als nahezu deckungsgleiche, jedenfalls sehr ähnliche Dienstleistungen gegenüberstehen.
Auch die Dienstleistungen der angegriffenen Marke im Bereich der Klasse 41 sind mit den von der Widerspruchsmarke beanspruchten Vergleichsdienstleistungen in den Klassen 35 und 42 jedenfalls durchschnittlich ähnlich, da es sich um einander ergänzende Dienste handelt, von denen der angesprochenen Verkehr annimmt, dass sie gewöhnlich von demselben Herkunftsunternehmen angeboten werden, jedenfalls dann, wenn sie innerhalb derselben Branche erbracht werden (vgl. auch Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 15. Aufl., 2011, S. 365 f. m. w. N. – Unternehmensberatung). Es ist im Bereich der Informationstechnik marktüblich, dass Unternehmen, die Software und/oder Hardware entwickeln, herstellen oder vertreiben, zusätzlich Schulungen und Beratungen anbieten, ohne dass es sich dabei lediglich um untergeordnete Hilfsdienstleistungen handelt.
Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist durchschnittlich. Die von den Markeninhabern angenommene Assoziation der Widerspruchsmarke mit dem aus dem Bereich der Chemie stammenden Begriff „Ether“ bzw. (veraltet) „Äther“ im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen ist fernliegend und deshalb nicht geeignet, die Kennzeichnungskraft zu beeinträchtigen. Andere Anhaltspunkte für eine geschwächte Kennzeichnungskraft sind weder ersichtlich noch vorgetragen worden.
Bei durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, teilweiser Identität und im Übrigen mindestens durchschnittlicher Ähnlichkeit der Vergleichsdienstleistungen muss die jüngere Marke einen deutlichen Abstand zu der prioritätsälteren Widerspruchsmarke halten.
Diese Anforderung erfüllt die angegriffene Marke nicht, vielmehr kommt sie der Widerspruchsmarke jedenfalls schriftbildlich verwechselbar nahe.
Im Schriftbild kommen sich die beiden Wortmarken, die in fünf von sieben Buchstaben übereinstimmen, verwechselbar nahe, zumal beim schriftbildlichen Vergleich neben den registrierten Markenformen auch alle anderen verkehrsüblichen Schreibweisen zu berücksichtigen sind (vgl. Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Aufl., § 9 Rn. 252). Jedenfalls in (gedruckter oder handgeschriebener) Kleinschrift sind die inmitten des Wortes platzierten Buchstaben „k“ und „h“ aufgrund gleicher Oberlänge und Breite leicht verwechselbar. Zwar kann eine Abweichung im zweiten Buchstaben im Einzelfall noch am erfahrungsgemäß stärker beachteten Wortanfang liegen und damit die Verschiedenartigkeit der Kollisionszeichen hervorheben, der Unterschied wird hier aber durch den bildlichen Eindruck des prägnanten – identischen - Anfangsbuchstabens „E“ und die durch die Silbe „-lon“ mindestens auch am Wortende gegebene klangliche Identität der Markenworte überwogen. Der alleinige Unterschied in den Buchstaben „s“ bzw. „t“ in schriftbildlicher Hinsicht und die unterschiedliche Aussprache in der weniger beachteten Wortmitte sind in der gebotenen Gesamtbetrachtung bei dem hier bestehenden Grad der Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen nicht ausreichend, die schriftbildliche Verwechslungsgefahr auszuräumen.
Die angegriffene Marke ist deshalb wegen schriftbildlicher Verwechslungsgefahr mit der Widerspruchsmarke Nr. 004 045 704 zu löschen.
Für die Auferlegung von Verfahrenskosten aus Billigkeitsgründen besteht kein Anlass, § 71 Abs. 1 MarkenG.