Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 28.09.2010


BPatG 28.09.2010 - 24 W (pat) 15/09

Markenbeschwerdeverfahren – "netEstate" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
24. Senat
Entscheidungsdatum:
28.09.2010
Aktenzeichen:
24 W (pat) 15/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 304 19 292.9

hat der 24. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker, des Richters Viereck und der Richterin Dr. Mittenberger-Huber

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. September 2005 und vom 16. Januar 2009 aufgehoben.

Gründe

I.

1

Die am 1. April 2004 angemeldete Wortmarke

2

netEstate

3

war ursprünglich für folgende Waren und Dienstleistungen bestimmt:

4

„9: Digitale Datenträger mit darauf aufgezeichneten Datenverarbeitungsprogrammen; digitale Datenträger mit darauf aufgezeichneten Text- und/oder Bilddokumenten; Computer und deren Teile; Internetrouter; Internet-Firewall-Rechner; Netzwerk-Hubs; Netzwerk-Switches

5

38: Telekommunikation; Bereitstellen von Informationen im Internet; Bereitstellen von Internetzugängen (Software); Bereitstellung von Plattformen im Internet; Bereitstellung von Portalen im Internet; Betrieb von Chatlines, Chatrooms und Foren; E-Mail-Dienste; Weiterleiten von Nachrichten aller Art an Internetadressen (Webmessaging); Betrieb von DNS-Nameservern für Dritte im Internet; Betrieb von Web-Content-Management-Systemen für Dritte im Internet; Betrieb von Internet-Firewalls für Dritte; Dienstleistungen des Erbringens von Internetdiensten für Dritte; alle vorgenannten Dienstleistungen ausgenommen solche, die in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Vermarktung oder Bewirtschaftung von Grundstücken oder anderen Immobilien stehen

6

42: Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und -software; Aktualisieren von Internetseiten; Beratung bei der Gestaltung von Homepages und Internetseiten; Beratung für Telekommunikationstechnik; Bereitstellung von Computerprogrammen in Datennetzen; Datenverwaltung auf Servern; Erstellen von Webseiten; EDV-Beratung; Hard- und Softwareberatung; Installieren von Computerprogrammen; Konvertieren von Computerprogrammen und Daten (ausgenommen physische Veränderung); Vergabe und Registrierung von Domainnames; Vermietung und Wartung von Speicherplätzen zur Benutzung als Websites für Dritte (Hosting); Vermietung von Speicherplatz im Internet; Vermietung von Webservern; Wartung von Internetzugängen; Zur-Verfügung-Stellen von Platz im Rechenzentrum für Dritte zur Aufnahme von Serverrechnern mit Anbindung an das Internet (co-Location); EDV-Dienstleistungen; Gestaltung von Websites; Vermietung von EDV-Systemen; Wartung von EDV-Systemen; Vermietung von Software; Erstellung, Pflege und Wartung von Software; Erstellung und Pflege von Datenbanken für Dritte; technische EDV-Dienstleistungen für Dritte; alle vorgenannten Dienstleistungen ausgenommen solche, die in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Vermarktung oder Bewirtschaftung von Grundstücken oder anderen Immobilien stehen.“

7

Seitens der Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patent- und Markenamts ist die Anmeldung nach vorangegangener Beanstandung in einem ersten Beschluss vom 9. September 2005 wegen fehlender Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) zurückgewiesen worden. Der Bestandteil „net“ stelle die Kurzform von „Internet“ dar, der Begriff „estate“ bedeute „Vermögen, Eigentum, Gesamtbesitz, Konkursmasse, Nachlass“ (unter Hinweis auf Wörterbücher). Beide Begriffe ergänzten sich nicht zu einer Gesamtaussage, könnten aber einen Hinweis auf Bestimmung, Verwendung und Inhalt der beanspruchten Waren und Dienstleistungen vermitteln.

8

Die Anmelderin hat Erinnerung eingelegt und ein geändertes Verzeichnis der Waren und Dienstleistungen vorgelegt (Schriftsatz vom 4. Dezember 2006), welches sog. Disclaimer enthält, bei denen es sich aber um „Formulierungsversuche“ handeln soll.

9

Die mit einer Beamtin des höheren Dienstes besetzte Markenstelle hat die Erinnerung in einem zweiten Beschluss vom 16. Januar 2009 zurückgewiesen. Dieser setzt sich im Wesentlichen mit der Bedeutung der sog. Disclaimer auseinander.

10

Die Anmelderin hat Beschwerde eingelegt und zur Begründung u. a. vorgetragen, zwischen dem Sinngehalt der Marke und den beanspruchten Waren und Dienstleistungen bestehe kein konkreter Bezug, der sich den beteiligten Verkehrskreisen unmittelbar aufdrängen würde.

11

In der mündlichen Verhandlung am 28. September 2010 hat die Anmelderin die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle beantragt, mit der Maßgabe, dass das mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2006 (Bl. 64/65 d. A.) eingereichte Waren- und Dienstleistungsverzeichnis zurückgezogen wird und das ursprüngliche Waren und Dienstleistungsverzeichnis wie folgt modifiziert wird

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Klasse 9: unverändert

13

Klasse 38:

14

- vor dem Begriff „Telekommunikation“ wird eingefügt: „technische Dienstleistungen der“

15

- gestrichen werden: „Bereitstellen von Informationen im Internet; Bereitstellung von Plattformen im Internet; Bereitstellung von Portalen im Internet; Betrieb von Chatlines, Chatrooms und Foren; E-Mail-Dienste; Weiterleiten von Nachrichten aller Art an Internet-Adressen (Web-Messaging); Dienstleistungen des Erbringens von Internet-Diensten für Dritte“

16

Klasse 42:

17

- gestrichen werden: „Aktualisieren von Internetseiten; Erstellen von Webseiten; EDV-Dienstleistungen“ sowie die Worte „Erstellung und“ vor „Pflege von Datenbanken...“

18

- die Angabe „Zur-Verfügung-Stellen von Platz...“ wird ersetzt durch die Angabe „Vermietung von Platz...“

19

- die Angabe „Wartung von EDV-Systemen“ wird ersetzt durch die Angabe „Wartung von Hard- und Software-Systemen“.

20

Wegen sonstiger Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

21

Die zulässige Beschwerde der Anmelderin (§ 66 MarkenG) ist nach den in der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Änderungen des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses - teils Streichungen, teils Klarstellungen - in der Sache begründet.

22

Die angemeldete Bezeichnung „netEstate“ verfügt über die nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG erforderliche Eignung, die betriebliche Herkunft so gekennzeichneter Waren und Dienstleistungen in den Klassen 9, 38 und 42, welche die Anmelderin beansprucht, anzeigen zu können; mithin kommt ihr das nach der Rechtsprechung notwendige (Mindest-)Maß an Unterscheidungskraft zu (vgl. Ströbele in: Ströbele/ Hacker, MarkenG, 9. Aufl., § 8 Rdn. 41, 42 m. w. Nachw.).

23

Die Bezeichnung „net estate“ ist ein in der englischen Sprache in seiner Bedeutung feststehender (vor allem erbrechtlicher) Begriff, der im Deutschen etwa mit „Netto-Nachlass“ wiedergegeben werden kann. In Internet-Veröffentlichungen finden sich folgende Definitionen:

24

http://legal-dictionary.thefreedictionary.com/net+estate .

25

net estate n. the remaining estate of a person who has died, calculated by taking the value of all assets and subtracting all debts of the person who died, including funeral costs, expenses of administering the estate, and any other allowable deductions. The federal estate tax (and/or state inheritance tax where it exists) is then based on the net estate value. (See: gift tax )

26

http://www.investorwords.com/3246/net_estate.html.

27

The part of an estate which remains after all deductions for administering the estate have been made; the net estate is what is given to the beneficiaries .

28

Unabhängig davon, ob sich deutschen (allgemeinen) Publikumskreisen dieser Bedeutungsgehalt ohne weiteres erschließt, ist es nicht geboten, auf sonstige - eher fernliegende - Verständnismöglichkeiten abzustellen. Mit einem „net estate“ im aufgezeigten Sinn haben die von der Anmelderin (jetzt noch) beanspruchten Waren und Dienstleistungen nichts zu tun. Die angemeldete Marke „netEstate“ ist daher weder unmittelbar waren- und dienstleistungsbeschreibend nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG - auf diesen Zurückweisungsgrund ist die Entscheidung der Markenstelle auch nicht gestützt - noch entbehrt sie der für eine Eintragung erforderlichen Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.

29

Die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle können deshalb keinen Bestand haben und sind auf die Beschwerde hin aufzuheben.