Entscheidungsdatum: 07.07.2011
In der Beschwerdesache
betreffend die Markenanmeldung 30 2010 006 308.4/03
(hier: Akteneinsicht)
hat der 24. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 7. Juli 2011 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Werner sowie der Richter Viereck und Paetzold
beschlossen:
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.
I. Die Antragsgegnerin hatte am 1. Februar 2010 die Wortmarke
HOT
für Waren der Klassen 3, 5 und 16 angemeldet. Das Deutsche Patent- und Markenamt hat diesem Anmeldeverfahren die Nummer 30 2010 006 308.4 zugeordnet. Die Markenstelle für Klasse 3 hat diese Anmeldung mit Bescheid vom 14. Mai 2010 beanstandet und mit Beschluss vom 9. August 2010, diesmal vertreten durch eine Beamtin des gehobenen Dienstes, zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat dagegen zunächst Erinnerung eingelegt, dann aber die Anmeldung mit Schriftsatz vom 13. September 2010 zurückgenommen.
Noch vor dieser Rücknahme, nämlich am 28. Mai 2010, hatte die Antragstellerin Einsicht in die patentamtlichen Akten über die zurückgenommene Markenanmeldung beantragt. Dieser Antrag war zunächst auf Einsicht in die vollständigen Akten gerichtet. Mit Schriftsatz vom 10. Juni 2010 hat die Antragstellerin dann ihren Antrag auf den seitens des Deutsche Patent- und Markenamts erlassenen Beanstandungsbescheid vom 14. Mai 2010 beschränkt und ihren Antrag wie folgt begründet: Die Antragstellerin werde von der H… GmbH im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Landgericht Köln (Az.: 84 O 85/10) aus der international registrierten Wort-Bild-Marke mit der Nummer 797 277 in Anspruch genommen. Diese Marke bestehe aus dem Wortbestandteil „HOT“ und der quadratischen Umrahmung dieses Wortes mit einer durchgehenden Linie. Die H… GmbH sei eine Tochtergesellschaft der Antragsgegnerin, die daran eine Beteiligung von 66,67 % halte. Außerdem habe die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 22. März 2010 (eingegangen beim Patentamt am 14. April 2010) beim Deutschen Patent- und Markenamt den Antrag gestellt, der IR-Marke mangels Schutzfähigkeit den Schutz für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zu entziehen (patentamtliches Aktenzeichen IR 797 277 - S 121/10).
Die IR-Marke 797 277 sei im Bereich der Klassen 3, 5 und 16 für solche Waren registriert, die mit den Waren, für die die Antragsgegnerin die Wortmarke „HOT“ angemeldete hatte, identisch seien bzw. diesen Waren ähnlich seien. Mit der Einsicht in den patentamtlichen Beanstandungsbescheid vom 14. Mai 2010 aus dem Anmeldeverfahren 30 2010 006 308.4 möchte die Antragstellerin mehr über die Haltung der zuständigen Markenstelle zur Schutzfähigkeit des Wortes „HOT“ erfahren und verspricht sich davon weitere Aufschlüsse für die Schutzfähigkeit der international registrierten Marke, aus der sie in Anspruch genommen wird und gegen die sie die Schutzentziehung betreibt. Im Hinblick auf einen am 30. Juni 2010 anstehenden Termin vor dem Landgericht Köln hatte die Antragstellerin um eine rasche Entscheidung über ihren Antrag auf Akteneinsicht gebeten.
Die Antragsgegnerin hat dem Antrag auf Akteneinsicht mit Schriftsatz vom 21. Juni 2010 widersprochen. Sie ist dem Vorbringen der Antragstellerin in der Sache nicht entgegengetreten und hat ihren Widerspruch wie folgt begründet: Für eine Akteneinsicht könne schon deswegen kein berechtigtes Interesse i. S. v. § 62 Abs. 1 MarkenG bestehen, weil die Antragstellerin nicht aus der zurückgenommenen Markenanmeldung 30 2010 006 308.4 in Anspruch genommen werde, sondern aus der international registrierten Wort-Bild-Marke mit der Nummer 797 277, zu der die Antragsgegnerin einen Registerauszug zu den Gerichtsakten gereicht hat.
Gegenüber der Beschränkung des Antrages auf Akteneinsicht auf den Beanstandungsbescheid vom 14. Mai 2010 hat die Antragsgegnerin Ihren Widerspruch wiederholt und zur Begründung weiter wie folgt vorgetragen: Der Termin vor dem Landgericht Köln vom 30. Juni 2010 habe inzwischen stattgefunden. In diesem Termin habe das Landgericht in Aussicht gestellt, die einstweilige Verfügung, die gestützt auf die international registrierte Wort-Bild-Marke Nr. 797 277 gegenüber der Antragstellerin ergangen war, zu bestätigen. Im übrigen habe das Landgericht Köln die Auffassung vertreten, dass die IR-Marke zumindest über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft verfüge.
Mit Beschluss vom 9. August 2010 hat die Markenstelle für Klasse 3, vertreten durch eine Beamtin des gehobenen Dienstes, dem Antrag auf Akteneinsicht stattgegeben mit der Begründung, dass die Antragstellerin ein berechtigtes Interesse i. S. v. § 62 Abs. 1 MarkenG glaubhaft gemacht habe.
Die - nicht weiter begründete - Erinnerung der Antragsgegnerin hat die Markenstelle, diesmal vertreten durch eine Beamtin des höheren Dienstes, mit Beschluss vom 18. November 2010 zurückgewiesen. Die Markenstelle war weiterhin der Meinung, dass die Antragstellerin ein wirtschaftliches Interesse an der Akteneinsicht glaubhaft gemacht hätte. Mögliche Geheimhaltungsinteressen, die diesen wirtschaftlichen Interessen entgegenstehen könnten, hätte die Antragsgegnerin nicht dargelegt und seien auch sonst nicht ersichtlich.
Gegen diesen Beschluss hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt und mit Schriftsatz vom 20. Januar 2011 weitere Umstände geltend gemacht, die nach ihrer Auffassung gegen ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin an der Akteneinsicht sprechen: Ein Vertriebspartner der Antragstellerin habe im Rahmen eines vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg geführten Berufungsverfahrens mit Schriftsatz vom 17. Januar 2011 von denselben Verfahrensbevollmächtigten, die auch die Antragstellerin im hiesigen Beschwerdeverfahren vertreten, vortragen lassen, dass die Markenanmeldung zurückgewiesen und der Antrag daraufhin zurückgenommen worden sei. Kopie des Schriftsatzes hat die Antragsgegnerin zu den hiesigen Gerichtsakten gereicht. Nach Auffassung der Antragsgegnerin ergibt sich daraus, dass die Vertreter der Antragstellerin den Inhalt der Akte, für die die Antragstellerin Akteneinsicht begehrt, bereits kennen. Damit habe sich ein etwaiges berechtigtes Interesse an der beantragten Akteneinsicht erledigt.
Die Antragstellerin hat sich bisher im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg. Auch nach Auffassung des Senats ist der Antragstellerin gemäß § 62 Abs. 1 MarkenG Einsicht in den Beanstandungsbescheid der Markenstelle für Klasse 3 vom 14. Mai 2010 in der patentamtlichen Akte über die zurückgenommene Markenanmeldung 30 2010 006 308.4 zu gewähren.
Nach der genannten Vorschrift gewährt das Deutsche Patent- und Markenamt auf Antrag Einsicht in die Akten von Markenanmeldungen, wenn ein berechtigtes Interesse glaubhaft gemacht wird. Unter Akten von Anmeldungen von Marken i. S. d. Vorschrift sind nicht nur Akten noch anhängiger - existenter - Markenanmeldungen zu verstehen, sondern ebenfalls die Akten zurückgewiesener sowie auch zurückgenommener Anmeldungen (vgl. BPatGE 23, 166, 169 f.; BPatG GRUR 2006, 614, 615 „Akteneinsicht Markenanmeldung“, bestätigt durch BGH BlPMZ 2007, 322 f. „MOON“). Der Umstand, dass die hier in Rede stehende Markenanmeldung bereits im September 2010 zurückgenommen worden ist, steht daher dem Akteneinsichtsbegehren nicht entgegen.
Zutreffend ist die Markenstelle weiterhin davon ausgegangen, dass ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht regelmäßig dann anzunehmen ist, wenn ein künftiges Verhalten des Antragstellers bei der Wahrung oder Verteidigung von Rechten durch die Kenntnis vom Akteninhalt beeinflusst werden kann. Hierbei genügt auch ein tatsächliches, insbesondere ein wirtschaftliches Interesse. Ein rechtliches Interesse i. S. v. § 299 ZPO ist nicht erforderlich. Auch ist das berechtigte Interesse grundsätzlich nicht durch den Gegenstand desjenigen Verfahrens begrenzt, in dessen Akten Einsicht begehrt wird (vgl. BGH GRUR 1994, 104 „Akteneinsicht XIII“; BPatGE 30, 139, 141). Ein nach diesen Beurteilungsgrundsätzen berechtigtes Interesse an der Einsicht in die Akten der zurückgenommenen Markenanmeldung „HOT“ ist nach dem hier insoweit unstreitigen Sachverhalt zu bejahen.
Die Antragstellerin wird von einem mit der Antragsgegnerin wirtschaftlich eng verbundenen Unternehmen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vor deutschen Gerichten in Anspruch genommen aus der international registrierten Wort-Bild-Marke mit der Nummer 797 277, deren einziger Wortbestandteil „HOT“ im Gesamtaufbau der Marke herausgestellt ist. Die Antragstellerin hält diese Marke für nicht schutzfähig und betreibt deswegen ein Verfahren, mit dem der Marke für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland der Schutz entzogen werden soll. Dass auch nur eines dieser beiden Verfahren inzwischen rechtskräftig abgeschlossen worden wäre, hat keine der beiden Verfahrensbeteiligten vorgetragen und ist dem Senat auch sonst nicht bekannt geworden. In beiden Verfahren wird es entscheidend auf die Frage ankommen, ob und in welchem Umfang das Wort „HOT“ kennzeichnungskräftig ist für die Waren, für die die Marke international registriert worden ist. Wie sich aus den Anmeldeunterlagen in dem Verfahren 30 2010 006 308.4 und den für die IR-Marke vorgelegten Registerauszug ergibt, sind die Waren, für die die reine Wortmarke „HOT“ im Bereich der Klassen 3, 5 und 16 angemeldet worden war, mit den Waren der IR-Marken aus denselben Klassen identisch oder sie sind diesen Waren ähnlich. Für die beiden Rechtsstreitigkeiten zwischen der Antragstellerin und der HOT … GmbH kann daher der Beanstandungsbescheid vom 14. Mai 2010, den die Markenstelle für Klasse 3 des Deutschen Patent- und Markenamts in dem Verfahren über die später zurückgenommene Anmeldung der Wortmarke „HOT“ erlassen hat, der Antragstellerin einen konkreten Erkenntnisgewinn bieten. Denn dieser Bescheid könnte weitere Anhaltspunkte enthalten für die Einschätzung der Kennzeichnungskraft bzw. Schutzfähigkeit des Wortes „HOT“ im - für die anhängigen Rechtsstreite - einschlägigen Warenbereich. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Antragstellerin vor dem Landgericht Köln nicht aus der hier in Rede stehenden zurückgenommenen Markenanmeldung „HOT“ in Anspruch genommen wird, sondern aus der international registrierten Wort-Bild-Marke. Denn das Erfordernis eines berechtigten Interesses begrenzt die Einsicht in die Akten von Markenanmeldungen nicht auf Fälle, in denen gerade aus der betreffenden Markenanmeldung Rechte gegenüber dem Antragsteller geltend gemacht werden, was bei zurückgenommenen Markenanmeldungen ohnehin kaum vorkommen dürfte (vgl. zuletzt BPatG, Beschluss vom 22. Januar 2008 - 24 W (pat) 89/07, weiter BPatG GRUR 2006, 614, 615 f. „Akteneinsicht Markenanmeldung“).
Der Sachvortrag der Antragsgegnerin aus dem Schriftsatz vom 20. Januar 2011 enthält kein Argument gegen das berechtigte Interesse der Antragstellerin an der beantragten - beschränkten - Akteneinsicht. Es ist aktenkundig und im übrigen zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig, dass die Markenstelle für Klasse 3, vertreten durch eine Beamtin des gehobenen Dienstes, die Markenanmeldung der Antragsgegnerin mit der Nummer 30 2010 006 308.4 mit Beschluss vom 9. August 2010 zurückgewiesen hat und die Antragsgegnerin daraufhin ihre Anmeldung mit Schriftsatz vom 13. September 2010 zurückgenommen hat. Wie die Antragsgegnerin aus diesen Ereignissen darauf schließen kann, dass die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin den Inhalt der patentamtlichen Akte mit der Nummer 30 2010 006 308.4 bereits kennen, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Aus dem Schriftsatz vom 17. Januar 2011 der Berufungsklägerin in dem Verfahren vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg mit dem Aktenzeichen 5 U 111/10, von dem die Antragsgegnerin eine Kopie zu den hiesigen Gerichtsakten gereicht hat, ergibt sich nichts anderes. Soweit dort auf Seite 4 oben - unter der auf Seite 3 vorangegangenen Überschrift „4. Rechtskräftiger Zurückweisungsbeschluss des DPMA vom 9. August 2010 in Sachen „HOT“ (Wortmarke)“ - auf ein Akteneinsichtsverfahren eingegangen wird, wird lediglich vorgetragen, das Deutsche Patent- und Markenamt habe die vorstehenden Feststellungen über den Gang des Verfahrens über die Markenanmeldung der Antragsgegnerin mit der Nummer 30 2010 006 308.4 in einem Beschluss vom 18. November 2010 in einem parallelen Akteneinsichtsverfahren bestätigt. Gegen diesen Beschluss habe die hiesige Antragsgegnerin Beschwerde zum Bundespatentgericht eingelegt, um zu verhindern, dass der Zurückweisungsbescheid des Deutschen Patent- und Markenamts bzw. der Zurückweisungsbeschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. August 2010 in das Berufungsverfahren vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg eingeführt werden könne.
Ein das dargelegte berechtigte Interesse der Antragstellerin an der Akteneinsicht überwiegendes Geheimhaltungsinteresse an dem Inhalt des Beanstandungsbescheides vom 14. Mai 2010 in der patentamtlichen Akte 30 2010 006 308.4 hat die Antragsgegnerin nicht dargetan. Es ist auch sonst nicht ersichtlich.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen (§ 71 Abs. 1 MarkenG). Im Akteneinsichtsverfahren entspricht es im allgemeinen der Billigkeit, dem Unterlegenen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (vgl. Knoll in Ströbele/Hacker, MarkenG, 9. Aufl., § 71 Rdn. 17 mit weiteren Nachweisen).