Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 30.09.2013


BPatG 30.09.2013 - 24 W (pat) 1/12

Markenbeschwerdeverfahren - "ENERGIEINVENTUR" – keine Unterscheidungskraft – Freihaltungsbedürfnis


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
24. Senat
Entscheidungsdatum:
30.09.2013
Aktenzeichen:
24 W (pat) 1/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2010 019 132.5

hat der 24. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 30. September 2013 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Werner sowie der Richterin Dr. Schnurr und des Richters Heimen

beschlossen:

Die Beschwerde der Anmelderin wird zurückgewiesen.

Gründe

I. 

1

Die am 29. März 2010 angemeldete Wortmarke 30 2010 019 132.5

2

ENERGIEINVENTUR

3

begehrt u. a. Schutz für die Dienstleistungen (Klassifizierung folgt Anmeldung):

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„Klasse 35: betriebswirtschaftliche Energieberatung; Beratung zum effizienten Energieeinsatz im Bereich von Heizungs- und Kühlungsanlagen;

5

Klasse 42: wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen und Forschungsarbeiten und diesbezügliche Designerdienstleistungen; industrielle Analyse- und Forschungsdienstleistungen; technische Auswertung von Wärmeemissionen von Gebäuden; technische Beratung im Hinblick auf energetische Sanierungs- und Modernisierungsmaßnehmen an Gebäudehüllen und Heizanlagen von Gebäuden sowie im Hinblick auf den Einsatz Energie sparender Technik bei Heiz- und Kühlsystemen; Zertifizierungen, nämlich Ausstellung von Energieausweisen für Gebäude; technische Datenerfassung (Dienstleistungen eines technischen Mess- und Prüflabors) im Rahmen der Tätigkeit von Ingenieuren und Wissenschaftlern bezüglich der Wärmeemission von Gebäuden; technische Beratung im Bereich Bauen; technische Beratung im Bereich Energie“.

6

Mit Beschluss vom 29. Juli 2010 hat die Markenstelle für Klasse 11 des Deutschen Patent- und Markenamts die Wortmarke nach Beanstandung zunächst in vollem Umfang zurückgewiesen. Auf die Erinnerung der Anmelderin hat die Markenstelle mit Beschluss vom 19. Oktober 2010 ihren Beschluss  vom 29. Juli 2010 sodann teilweise aufgehoben. Sie hat die Erinnerung nach wie vor insoweit wegen fehlender Unterscheidungskraft gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewiesen, als die Marke Schutz für die oben genannten Dienstleistungen der Klassen 35 und 42 begehrt.

7

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Anmelderin mit ihrer Beschwerde. Sie hält das Anmeldezeichen für die von der Zurückweisung umfassten Dienstleistungen für nicht glatt beschreibend und unterscheidungskräftig. Ein enger sachlicher beschreibender Bezug zwischen „ENERGIEINVENTUR“ und den von der Zurückweisung umfassten Dienstleistungen bestehe ebenso wenig wie ein Freihaltebedürfnis. Die Anmelderin verweist darauf, dass sich die Wortkombination „ENERGIEINVENTUR“ nicht lexikalisch nachweisen lasse. Energie als loses Element lasse sich nicht inventarisieren. Insbesondere bezeichne „Inventur“ keine Verbrauchserfassung und keine Bilanz, die man ziehe, wenn man verschiedene Verbrauchswerte vergleiche. Die Anmelderin bezieht sich auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs BGH GRUR 2012, 270, 271 - Link economy - und BGH GRUR 1999, 989, 990 - HOUSE OF BLUES. Sie verweist auf die Entscheidung BPatG GRUR 2006, 156, 157 – Salatfix - und auf eine Anzahl ihrer Ansicht nach vergleichbarer Drittmarken.

8

Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

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die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 11 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. Juli 2010 und 9. Oktober 2011 im Umfang der Zurückweisung aufzuheben,

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hilfsweise die Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.

11

In einer prozessleitenden Verfügung hat sich der Senat vorab zur Sache geäußert. Er hat der Anmelderin ua. Belege zur Verwendung von Wortkombinationen mit dem nachgestellten Bestandteil „Inventur“ zur Stellungnahme übersandt. Daraufhin hat diese um eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren gebeten. Ergänzend wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen.

II.

12

Die gem. § 66 Abs. 1 MarkenG zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

13

Der Wortkombination „ENERGIEINVENTUR“ fehlt für die zuletzt von der Zurückweisung durch die Markenstelle umfassten Dienstleistungen das notwendige Mindestmaß an Unterscheidungskraft, § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.

14

Unterscheidungskraft im Sinne dieser Vorschrift bedeutet die Eignung einer Marke, die mit ihr beanspruchten Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und sie dadurch für den Verkehr von denen anderer Anbieter unterscheidbar zu machen (vgl. EuGH GRUR 2006, 233, 235 (Rn. 45) - Standbeutel; EuGH GRUR 2003, 604, 608 (Rn. 62) - Libertel). Die Eintragung als Marke kommt nur in Betracht, wenn ein Zeichen diese Herkunftsfunktion erfüllen kann (vgl. EuGH GRUR 2003, 55, 57 f. (Rn. 51) - Arsenal Football Club; BGH MarkenR 2006, 395, 397 (Rn. 18) - FUSSBALL WM 2006, m. w. N.). Die erforderliche Unterscheidungskraft ist ua. solchen Angaben und Zeichen abzusprechen, die einen unmittelbar beschreibenden Sinngehalt aufweisen oder durch die ein enger beschreibender Bezug zu den beanspruchten Dienstleistungen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2006, 850 (Rn. 28) - FUSSBALL WM 2006; BGH GRUR 2001, 162 - RATIONAL SOFTWARE CORPORATION). Von diesen Voraussetzungen ausgehend muss „ENERGIEINVENTUR“ die Eintragung für die von der Zurückweisung durch die Markenstelle umfassten Dienstleistungen versagt bleiben, § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG:

15

Die Wortbestandteile „ENERGIE“ und „INVENTUR“ lassen sich jeweils lexikalisch nachweisen. Während „Inventur“ die Bedeutung „Bestandsaufnahme“ zukommt, hat „Energie“ die Bedeutungen „a) mit Nachdruck, Entschiedenheit [u. Ausdauer] eingesetzte Kraft, um etwas durchzusetzen; b) starke geistige u. körperliche Spannkraft c) (Phys.) Fähigkeit eines Stoffes, Körpers od. Systems, Arbeit zu verrichten, die sich aus Wärme, Bewegung o. Ä. herleitet“ (vgl. jew. Duden - Das Fremdwörterbuch, 9. Aufl. Mannheim 2007 [CD-ROM]). Die Bedeutung der angemeldeten Wortkombination „ENERGIEINVENTUR“ lässt sich dementsprechend als „energetische Bestandsaufnahme“ wiedergeben.

16

Mit dieser Bedeutung geht die angemeldete Wortkombination, die sich sowohl an den Fachhandel für die in den Klassen 35 und 42 beanspruchten Dienstleistungen, als auch an den normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher richtet, nicht über die Summe der Bedeutungen ihrer Bestandteile hinaus (vgl. EuGH GRUR 2004, 680, Rn. 37 - BIOMILD; Ströbele, Ströbele/Hacker, Markengesetz, 10. Aufl. 2011, Rn. 142 zu § 8 m. w. N.).

17

Der Begriff „ENERGIEINVENTUR“ ist sprachüblich gebildet. Dies zeigen zum einen lexikalische Nachweise zum vorangestellten Begriff „Energie“ wie z. B: „Energieversorgung“ als „Versorgung mit Energie“ und „Energiewirtschaft“ zur Bezeichnung eines Wirtschaftszweigs, der alle Bereiche, die der Deckung des Energiebedarfs dienen, umfasst (vgl. jew. Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl. Mannheim 2006 [CD-ROM]).

18

Zum anderen reiht sich der Begriff „ENERGIEINVENTUR“, wie die der Anmelderin vorab durch den Senat übersandten Belege zeigen, in eine Reihe tatsächlich benutzter Wortkombinationen mit dem nachgestellten Wortbestandteil „Inventur“ ein: Dienstleistungen zur Förderung der Solar-Energienutzung werden mit dem Begriff „Solar-Inventur“ beworben. Verschiedene Stromanbieter bieten eine „Strom-Inventur“ an. Und die Saarländische Landesregierung führt eine „Öko-Inventur“ durch.

19

Hierin unterscheidet sich die angemeldete Wortkombination von derjenigen Ausgangslage, von der der Bundesgerichtshof im Anschluss an die vom Bundespatentgericht ermittelten Tatsachen in der Entscheidung „Link economy“ (GRUR 2012, 270, 27 (Rn. 14)) ausgegangen ist. Die genannten Nachweise widerlegen zugleich die Auffassung der Anmelderin, wonach „Inventur“ nicht für eine Bestandsaufnahme in Bezug auf Begriffe Verwendung finde, die nicht zählbar sind. Entgegen der von der Anmelderin geäußerten Auffassung bedarf es mithin gerade nicht mehrerer gedanklicher Schritte, um dem Sinngehalt von „ENERGIEINVENTUR“ zu erfassen.

20

Dass es sich bei „ENERGIEINVENTUR" um eine in der Bundesrepublik Deutschland durch die Anmelderin erstmals verwendete Wortneuschöpfung handeln könnte, verhilft dem Zeichen nicht zur Schutzfähigkeit. Die Neuheit einer Wortbildung ist weder eine unabdingbare Voraussetzung für deren Eintragungsfähigkeit, noch begründet sie für sich gesehen eine hinreichende Unterscheidungskraft (vgl. EuGH GRUR 2006, 680 (Rn. 39–41) - Biomild; Ströbele, Ströbele/Hacker, a. a. O). Dass die beanspruchte Wortkombination als solche der üblichen Art und Weise bekannter Bezeichnungen der beanspruchten Waren entspricht (EuGH GRUR 1999, 723 (Rn. 29) - Chiemsee) oder in ihrer Gesamtheit bereits in enzyklopädische Werke eingegangen ist, wird entgegen der von der Anmelderin geäußerten Auffassung zur Verneinung der Schutzfähigkeit eines Zeichens nicht vorausgesetzt. Das gilt umso mehr, als der Verkehr daran gewöhnt ist, im Geschäftsleben ständig mit neuen Begriffen und Abbildungen konfrontiert zu werden, durch die ihm sachbezogene Informationen lediglich in einprägsamer Form übermittelt werden sollen (vgl. Fezer, Markenrecht, 4. Aufl. 2009, § 8, Rn. 379).

21

Bei den zuletzt von der Zurückweisung durch die Markenstelle umfassten Dienstleistungen kann es sich entweder (a) um Dienstleistungen einer energetischen Bestandsaufnahme oder (b) um Dienstleistungen handeln, denen eine energetische Bestandsaufnahme typischerweise vorausgeht.

22

Zu den an erster Stelle genannten Dienstleistungen (a) zählen die in der Klasse 42 beanspruchten Dienstleistungen „wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen und Forschungsarbeiten und diesbezügliche Designerdienstleistungen; industrielle Analyse- und Forschungsdienstleistungen; technische Auswertung von Wärmeemissionen von Gebäuden; technische Datenerfassung (Dienstleistungen eines technischen Mess- und Prüflabors) im Rahmen der Tätigkeit von Ingenieuren und Wissenschaftlern bezüglich der Wärmeemission von Gebäuden“. Für diese Dienstleistungen, bei denen es sich um eine energetische Bestandsaufnahme handeln kann, stellt „ENERGIEINVENTUR“ eine beschreibende Merkmalsangabe dar, die sowohl von den angesprochenen Fachverkehrskreisen der Energiewirtschaft, als auch von den angesprochenen allgemeinen Energieverbrauchern ausschließlich als Sachhinweis, aber nicht als betrieblicher Herkunftshinweis verstanden wird.

23

Zu den an zweiter Stelle genannten Dienstleistungen (b) zählen die in der Kasse 35 beanspruchten Dienstleistungen „betriebswirtschaftliche Energieberatung; Beratung zum effizienten Energieeinsatz im Bereich von Heizungs- und Kühlungsanlagen“ und die in Klasse 42 beanspruchten Dienstleistungen „technische Beratung im Hinblick auf energetische Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen an Gebäudehüllen und Heizanlagen von Gebäuden sowie im Hinblick auf den Einsatz Energie sparender Technik bei Heiz- und Kühlsystemen; technische Beratung im Bereich Bauen; technische Beratung im Bereich Energie; Zertifizierungen, nämlich Ausstellung von Energieausweisen für Gebäude“. Zu diesen Beratungs- und Zertifizierungsdienstleistungen, denen eine energetische Bestandsaufnahme typischerweise vorausgeht, besteht aus diesem Grunde ein enger sachlicher beschreibender Bezug zu „ENERGIEINVENTUR“.

24

Mit ähnlichen Erwägungen hat bereits die 2. Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (HABM, R0420/99-2, B. v. 17. Dezember 1999) der Anmeldung „DEPOSIT INVENTURY“ die Schutzfähigkeit für die dort beanspruchten Dienstleistungen der Klasse 35 versagt.

25

Die von der Anmelderin zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18. März 1999, GRUR 1999, 989, 990 - HOUSE OF BLUES - ist inzwischen von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union überholt worden. Für eine Schutzversagung reicht es nunmehr aus, wenn ein Wortzeichen in nur einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal der beanspruchten Dienstleistungen bezeichnen kann (vgl. EuGH GRUR 2003, 58, 59 (Rn. 21) - Companyline; MarkenR 2003, 450, 453 (Rn. 32) - Doublemint, MarkenR 2004, 99, 109 (Rn. 97) - Postkantoor; MarkenR 2004, 111, 115 (Rn. 38) – Biomild; GRUR 2010 534 (Rn. 46) - PRANAHAUS).

26

Aussagen zur Schutzfähigkeit des hier beanspruchten Zeichens lassen sich auch nicht aus der von der Anmelderin zitierten Entscheidung BPatG GRUR 2006, 156, 157 ( Rn. 26, 27) – Salatfix - ableiten. Denn der im dortigen Löschungsverfahren erkennende Senat war zu dem Schluss gelangt, dass „Salatfix“ auch nicht in einer seiner Bedeutungen eine beschreibende Sachangabe für die dort beanspruchten Waren darstelle. Mit „ENERGIEINVENTUR“ i. S. v. „energetische Bestandsaufnahme“ verhält es sich im Hinblick auf die zuletzt von der Zurückweisung durch die Markenstelle in diesem Verfahren umfassten Dienstleistungen jedoch, wie ausgeführt, anders.

27

Aus der Schutzgewährung für andere Marken kann die Anmelderin keinen Anspruch auf Eintragung ableiten. Zu einer Selbstbindung derjenigen Stellen, welche über die Eintragung zu befinden haben, führen Voreintragungen jedweder Zeichen weder für sich genommen, noch in Verbindung mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Denn die Entscheidung über die Schutzfähigkeit einer Marke ist keine Ermessens-, sondern eine Rechtsfrage (vgl. EuGH MarkenR 2008, 163, 167 (Rn. 39) - Terranus; GRUR 2004, 674 (Rn. 43, 44) - Postkantoor; GRUR 2004, 428 (Rn. 63) - Henkel; BPatG MarkenR 2007, 351, 352 f. - Topline; GRUR 2007, 333, 335 ff. - Papaya; GRUR 2010, 423 - amazing discoveries; GRUR 2010, 425 - Volksflat).

2.

28

Wie bereits festgestellt, erschöpft sich das Zeichen „ENERGIEINVENTUR“ im Hinblick auf diejenigen Dienstleistungen, die einer energetischen Bestandsaufnahme dienen, in einer beschreibenden Angabe. Insoweit ist das Zeichen im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG zugleich im Interesse von Wettbewerbern freihaltebedürftig und aus diesem Grunde schutzunfähig.

3.

29

Anlass für eine im Hilfsantrag beantragte Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt bestand schließlich nicht, da die Voraussetzungen des § 70 Abs. 3 MarkenG nicht vorlagen.

30

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.