Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 09.12.2011


BPatG 09.12.2011 - 23 W (pat) 351/05

Einspruchsverfahren – Eintritt des neuen Patentinhabers – keine erfinderische Tätigkeit –


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
23. Senat
Entscheidungsdatum:
09.12.2011
Aktenzeichen:
23 W (pat) 351/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Einspruchssache

betreffend das Patent 199 20 969

hat der 23. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Strößner sowie der Richter Brandt, Metternich und Dr. Friedrich

beschlossen:

Das Patent Nr. 199 20 969 wird widerrufen.

Gründe

I.

1

Die Prüfungsstelle für Klasse G 10 K des Deutschen Patent- und Markenamts hat auf die am 6. Mai 1999 eingereichte Patentanmeldung das Patent 199 20 969 (Streitpatent) mit der Bezeichnung „Einbau- oder Verkleidungsteil mit schalldämmenden und/oder schalldämpfenden Eigenschaften“ erteilt. Der Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 21. Juli 2005.

2

Ursprüngliche Inhaberin des Streitpatents war die … GmbH & Co.KG. Diese hat das Streitpatent am 26. Januar 2008 auf den jetzigen Patentinhaber übertragen. Die Komplementärin der früheren Patentinhaberin ist mit der einzigen Kommandistin der früheren Patentinhaberin aufgrund notariellen Vertrags vom 8. Juli 2008 verschmolzen worden.

3

Gegen das Patent haben die Einsprechende 1 mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2005, am 20. Oktober 2005 über Fax eingegangen, die Einsprechende 2 mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2005, am selben Tag über Fax eingegangen, die Einsprechende 3 mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2005, am 20. Oktober 2005 eingegangen und die Einsprechende 4 mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2005, am selben Tag über Fax eingegangen, fristgerecht Einspruch erhoben und beantragt, das Patent zu widerrufen. Sie stützen die Einsprüche auf die Widerrufsgründe des § 21, Abs. 1, Nr. 1 in Verbindung mit § 3 PatG (fehlende Neuheit) sowie § 4 PatG (fehlende erfinderische Tätigkeit) und verweisen zum Stand der Technik u. a. auf die Druckschriften

4

E4 EP 0 897 175 A2 und

5

E5 DE 44 15 983 A1.

6

In der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2011, zu der die Einsprechende 1, wie mit Schreiben vom 30. November 2011 angekündigt, nicht erschienen ist, verteidigt der Patentinhaber das Streitpatent mit dem dort überreichten Patentanspruch.

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Die Einsprechende 2 stellt den Antrag,

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das Patent Nr. 199 20 969 in vollem Umfang zu widerrufen.

9

Die Einsprechende 3 stellt den Antrag,

10

das Patent Nr. 199 20 969 in vollem Umfang zu widerrufen.

11

Die Einsprechende 4 stellt den Antrag,

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das Patent Nr. 199 20 969 in vollem Umfang zu widerrufen.

13

Der Patentinhaber stellt den Antrag,

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das Patent Nr. 199 20 969 auf der Grundlage folgender Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:

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alleiniger Patentanspruch, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2011, sowie Beschreibung und Zeichnungen gemäß der Patentschrift.

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Der geltende Anspruch hat folgenden Wortlaut:

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„Einbau- oder Verkleidungsteil mit schalldämmenden und/oder schalldämpfenden Eigenschaften für Kraftfahrzeuge oder Haushaltsgeräte bestehend aus einer Platte oder Schicht, die mit vielen kleinen Durchbrechungen bzw. Löchern (2) versehen ist und eine Dicke (L) zwischen 0,05 mm und 4 mm aufweist,

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dadurch gekennzeichnet,

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dass die Löcher einen Durchmesser zwischen 0,01 mm und 0,7 mm aufweisen und dass das Lochflächenverhältnis zwischen 0,01 % und 5 % beträgt.“

II.

20

Für das vorliegende Einspruchsverfahren ist gemäß § 147 Abs. 3, Satz 1 Nr. 1 PatG in der zum Zeitpunkt der Einlegung des Einspruchs geltenden Fassung das Bundespatentgericht zuständig. Diese zeitlich bis zum 30. Juni 2006 begrenzte Verlagerung der Zuständigkeit hat der BGH als nicht verfassungswidrig beurteilt, vgl. BGH GRUR 2009, 184 - Ventilsteuerung m. w. N. Demnach besteht eine vor dem 1. Juli 2006 begründete Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für die Entscheidung über den Einspruch auch nach der Aufhebung des § 147 Abs. 3 PatG durch Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes zur Änderung des patentrechtlichen Einspruchsverfahrens und des Patentkostengesetzes vom 21. Juni 2006 fort.

III.

21

Der jetzige Patentinhaber ist anstelle der ursprünglichen Patentinhaberin, der F…GmbH & Co. KG, am vorliegenden Einspruchsverfahren beteiligt, ohne dass es hierzu einer Zustimmung der Einsprechenden bedarf.

22

Zwar ist im patentrechtlichen Einspruchsverfahren im Falle der Übertragung des Streitpatents auf einen neuen Inhaber nach Einspruchserhebung § 265 Abs. 2 ZPO grundsätzlich anwendbar (vgl. BGH GRUR 2008, 87, Tz. 25 ff.). Die Anwendung dieser Bestimmung setzt aber voraus, dass der Veräußerer des Streitpatent noch fortexistiert (vgl. Stein-Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 265, Rdn. 3), zumal die Anwendung von § 265 Abs. 2 ZPO gleichsam ins Leere geht, wenn der ursprüngliche Patentinhaber, der das Streitpatent veräußert hat, erlischt, so dass auf Seiten des Patentinhabers andernfalls gar kein partei- und prozessfähiger Beteiligter stünde (vgl. zum Eintritt des Rechtsnachfolgers des - erloschenen - Klägers in einen Zivilprozess ohne Zustimmung des Beklagten: OLG Frankfurt, NJW-RR 1991, 318). Im vorliegenden Fall ist die ursprüngliche Patentinhaberin aufgrund Verschmelzung ihrer Komplementärin mit ihrer einzigen Kommanditistin erloschen (vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl., vor § 105, Rdn. 21 und § 105, Rdn. 8), nachdem sie das Streitpatent gemäß der vom jetzigen Patentinhaber vorgelegten Übertragungserklärung vom 10/26. Januar 2008 auf diesen übertragen hatte. Der Erwerber des Streitpatents ist nach alledem wirksam am vorliegenden Verfahren beteiligt, ohne dass insoweit die Zustimmung der Einsprechenden erforderlich gewesen wäre.

IV.

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1. Die Zulässigkeit des Einspruchs ist zwar nicht angegriffen worden, jedoch ist diese von Amts wegen zu prüfen, vgl. Schulte PatG, 8. Auflage § 59 Rdn. 56 und 160 bis 162.

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Die form- und fristgerecht erhobenen Einsprüche sind zulässig, weil in ihnen der Widerrufsgrund des § 21 PatG, insbesondere bzgl. der fehlenden Neuheit (§ 59 Abs. 1 Satz 3 PatG i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 und § 3) angegeben ist und die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, im Einzelnen aufgeführt sind (§ 59 Abs. 11 Satz 4 PatG), da in den zugehörigen Begründungen ein konkreter Bezug der einzelnen Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 zum in den Einspruchsschriftsätzen jeweils angeführten Stand der Technik hergestellt wird, um fehlende Neuheit zu belegen, vgl. BGH BlPMZ 1988, 250, Leitsatz 2, 251, li. Sp., Abs. 1 - Epoxidation.

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2. Das Streitpatent betrifft ein Einbau- oder Verkleidungsteil mit schalldämmenden oder -dämpfenden Eigenschaften für Kraftfahrzeuge oder Haushaltsgeräte.

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Um in Kraftfahrzeugen die von den Motoren, Reifen oder Luftströmungen verursachten Geräusche beim Eindringen in den Fahrgastraum bzw. bei der Emission in die Umgebung zu dämpfen, werden sogenannte Schallabsorber eingesetzt, die insbesondere im Fahrgastraum, Kofferraum, Motorraum oder im Unterbodenbereich angeordnet sind. Solche Schallabsorber weisen bspw. kammerförmige Innenräume auf, so dass die eindringenden Schallwellen durch Resonanzeffekte weitgehend gedämpft werden können, oder bestehen aus porösen Materialien, wie Schäumen oder Vliesstoffen. Darüber hinaus sind auch sogenannte Folien- und Membran-Absorber bekannt, bei denen eine dünne, als Folie ausgebildete Schicht durch die Schallwellen zum Schwingen angeregt wird, so dass hierdurch ein Energieverlust der Schallwelle stattfindet und diese gedämpft wird, vgl. Streitpatent Abs. [0001] und [0002].

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Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, ein Einbau- oder Verkleidungsteil mit schalldämmenden oder schalldämpfenden Eigenschaften für Kraftfahrzeuge oder Haushaltsgeräte dahingehend zu verbessern, dass es bei einfacher Herstellbarkeit wenig Platz in Anspruch nimmt und an vielen Stellen z. B. im Kraftfahrzeug anbringbar ist bzw. übliche KFZ-Einbauteile ersetzt oder an diesen ohne großen Raumbedarf anbringbar ist, vgl. Streitpatent Abs. [0003].

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Diese Aufgabe wird gemäß Anspruch 1 durch ein Einbau- oder Verkleidungsteil mit schalldämmenden und/oder schalldämpfenden Eigenschaften für Kraftfahrzeuge oder Haushaltsgeräte gelöst, das aus einer Platte oder Schicht besteht, die mit vielen kleinen Durchbrechungen bzw. Löchern versehen ist und eine Dicke zwischen 0,05 mm und 4 mm aufweist, wobei die Löcher einen Durchmesser zwischen 0,01 mm und 0,7 mm aufweisen und das Lochflächenverhältnis zwischen 0,01 % und 5 % beträgt.

29

Für das Einbau- oder Verkleidungsteil des Anspruchs 1 ist demnach wesentlich, dass es aus einer Platte bzw. Schicht mit Löchern besteht und dass die Schichtdicke, der Lochdurchmesser und das Lochflächenverhältnis innerhalb dieser vorgegebenen Grenzen liegt.

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3. Die Zulässigkeit der Ansprüche ist im Einspruchsverfahren von Amts wegen auch dann zu überprüfen, wenn von der Einsprechenden der Widerrufsgrund der unzulässigen Erweiterung - wie vorliegend - nicht geltend gemacht worden ist (vgl. hierzu BGH GRUR 1995, 333 - „Aluminium-Trihydroxid“).

31

Im vorliegenden Fall kann jedoch dahinstehen, ob Patentanspruch 1 zulässig ist (BGH GRUR 1991, 120, 121 li. Sp. Abs. 3 - „Elastische Bandage“), denn der Einspruch hat jedenfalls deshalb Erfolg, weil der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber dem Stand der Technik gemäß den Druckschriften E4 und E5 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns beruht (§ 4 PatG), der hier als ein mit der Entwicklung von schalldämmenden Abschirmungen betrauter, berufserfahrener Maschinenbau-Ingenieur mit Fachhochschulabschluss und Erfahrung auf dem Gebiet der Akustik zu definieren ist.

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Im Einzelnen offenbart Druckschrift E4, vgl. deren Figur 1 und Beschreibung in den Absätzen [0010] und [0011], mit den Worten des Anspruchs 1 ein

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Einbau- oder Verkleidungsteil mit schalldämmenden und/oder schalldämpfenden Eigenschaften bestehend aus einer Platte oder Schicht, die mit vielen kleinen Löchern versehen ist und eine Dicke von 0,38 mm aufweist, wobei die Löcher einen Durchmesser zwischen 0,076 mm und 0,64 mm aufweisen und das Lochflächenverhältnis zwischen 3 % und 12 % beträgt.

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(This invention relates in general to microporous metallic and non-metallic sheets, and in particular to a microporous sheet and a process for its production and use where the sheet has both acoustical and structural functionality by having formed therethrough a plurality of apertures of a size and number sufficient to enable the sheet to function as an acoustical noise suppressor while retaining capability of functioning as a structural element / vgl. Abs. [0001].

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The apertures 12 here formed are generally circular and have a diameter of from about 0.003 inch to about 0.025 inch / vgl. Sp. 3, Zn. 3 bis 5.

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In the titanium sheet 10 here shown and having a thickness of about 0.015 inch , from about 3 % to about 12 % open area can be provided without significantly jeopardizing structural functionality while still achieving noise suppression capabilities / vgl. Sp. 3, Zn. 16 bis 21.)

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Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Inch die Länge von 2,54 cm hat.

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Da somit Schichtdicke, Lochdurchmesser und Lochflächenverhältnis des in Druckschrift E4 offenbarten und aus einer Platte oder Schicht bestehenden Einbau- oder Verkleidungsteils innerhalb der durch Patentanspruch 1 vorgegebenen Grenzen liegen bzw. sich mit diesen überschneiden, unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von dem aus Druckschrift E4 bekannten Teil lediglich durch die Verwendungsangabe „für Kraftfahrzeuge oder Haushaltsgeräte“, denn in Druckschrift E4 wird explizit nur auf die Verwendung als Triebwerkgehäuse Bezug genommen (jet engine housing / Abs. [0012))].

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Diese unterschiedliche Verwendung des Einbau- oder Verkleidungsteils beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des vorstehend definierten Fachmanns, denn diesem ist der Einsatz derartiger Lochabsorber zur Geräuschreduktion von Kraftfahrzeugen und damit deren Verwendung für Kraftfahrzeuge aus dem Stand der Technik bekannt. So lehrt bspw. die einschlägige Druckschrift E5, die Radkästen eines Kraftfahrzeugs zur Reduktion von Fahrbahngeräuschen mit einer Hülle aus einem schalldämmenden Lochabsorber zu versehen, wobei dessen Außenhülle eine Dicke zwischen 0,5 und 5 mm aufweist und ebenfalls Löcher mit einem Durchmesser zwischen 0,1 bis 1 mm hat und das Lochflächenverhältnis zwischen 5 % und 80 % liegt, vgl. deren Figuren 1 bis 3 mit Beschreibung in Sp. 3, Z. 53 bis Sp. 4, Z. 34. Demnach zieht der Fachmann das in Druckschrift E4 beschriebene Einbauteil entsprechend der Lehre von Druckschrift E5 auch zur Schalldämmung bzw. -dämpfung in Kraftfahrzeugen in Betracht und gelangt so zum Gegenstand des Anspruchs 1, ohne dabei erfinderisch tätig werden zu müssen.

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Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird dem Fachmann daher durch den Stand der Technik gemäß den Druckschriften E4 und E5 nahegelegt.

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Das Streitpatent war daher zu widerrufen (§ 61 Abs. 1 Satz 1 PatG i. V. m. (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG).