Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 05.08.2010


BPatG 05.08.2010 - 21 W (pat) 44/07

Patentbeschwerdeverfahren - "Hochleistungs-Verstärkersystem" – Verweigerung einer sachdienlichen Anhörung im Prüfungsverfahren - Rückzahlung der Beschwerdegebühr


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
21. Senat
Entscheidungsdatum:
05.08.2010
Aktenzeichen:
21 W (pat) 44/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 196 19 983.2-54

hat der 21. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 5. August 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Winterfeldt sowie der Richter Baumgärtner, Dipl.-Phys. Dr. Morawek und Dipl.-Ing. Veit

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 01 S des Deutschen Patent- und Markenamts vom 31. August 2007 aufgehoben und das Patent DE 196 19 983 erteilt.

Bezeichnung: Hochleistungs-Lichtwellenleiter-Verstärkersystem mit zeitproportionaler Frequenzmodulation auf Grundlage von mit seltenen Erden dotierten Mantel-Pumplicht-Lichtwellenleitern

Anmeldetag: 17. Mai 1996.

Die Priorität der Anmeldung in den USA (Az: P 08/445,287) vom 19. Mai 1995 ist in Anspruch genommen.

Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

Patentansprüche 1 bis 18, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 5. August 2010,

7 Seiten Beschreibung, Sp. 1 bis 14, gemäß Offenlegungsschrift

8 Blatt Zeichnungen Figuren 1, 2(a), 2(b), 3 bis 8, gemäß Offenlegungsschrift.

2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I

1

Die Patentanmeldung wurde am 17. Mai 1996 unter Inanspruchnahme der Priorität der amerikanischen Anmeldung 445287 vom 19. Mai 1995 unter der Bezeichnung "Hochleistungs-Lichtwellenleiter-Verstärkersystem mit zeitproportionaler Frequenzmodulation auf Grundlage von mit seltenen Erden dotierten Mantel-Pumplicht-Lichtwellenleitern" beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Die Offenlegung erfolgte am 21. November 1996.

2

Die Prüfungsstelle für Klasse H 01 S hat die Anmeldung mit Beschluss vom 31. August 2007 zurückgewiesen, da der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber dem ermittelten Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

3

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, die in der mündlichen Verhandlung neue Patentansprüche 1 bis 18 eingereicht hat.

4

Der geltende Patentanspruch 1 lautet mit einer Merkmalsgliederung versehen:

5

M1 Hochleistungs-Verstärkersystem

6

M2 mit zeitproportionaler Frequenzmodulation, das ultrakurze Impulse von fs bis ps mit hoher Energie von nJ bis μJ erzeugt und

7

M3 eine gedehnte Impulse erzeugende Quelle,

8

M4 eine Leistungsverstärkerstufe (640; 700) zur Verstärkung der Impulse und

9

M5 einen die aus der Leistungsverstärkerstufe (640; 700) empfangenen gedehnten Impulse komprimierenden Komprimierer (670; 760) aufweist,

10

M6 wobei die Leistungsverstärkerstufe einen Doppelmantel-Lichtwellenleiter (650) und eine Pumplichtquelle aufweist.

11

Im Prüfungsverfahren wurden die Druckschriften

12

D1 US 5 400 350

13

D2 M.E. Fermann et. al., All-fiber source of 100-nJ subpicosecond pulses, Appl. Phys. Lett. 64 (11), 14. März 1994, S. 1315-1317

14

D3 US 5 235 606

15

D4 DE 195 31 059 A1

16

D5 DE 195 12 160 A1

17

D6 L. Zenteno, High-power double-clad fiber lasers, Journal of lightwave technology, Vol. 11, No. 9, September 1993, S. 1435-1446

18

D7 WO 95/10868 A1

19

D8 GB 2 161 612 A

20

genannt.

21

Die Anmelderin stellt den Antrag,

22

den Beschluss der Prüfungsstelle des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 31. August 2007 aufzuheben und

23

das Patent DE 196 19 983 zu erteilen

24

mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüchen 1 bis 18

25

sowie mit der Beschreibung und

26

der Zeichnung gemäß Offenlegungsschrift.

27

Wegen weiterer Einzelheiten und der abhängigen Patentansprüche 2 bis 18 wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II

28

1. Die zulässige Beschwerde der Anmelderin ist begründet, denn das - zweifelsohne gewerblich anwendbare - Hochleistungs-Verstärkersystem gemäß Anspruch 1 ist neu und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die Unteransprüche betreffen vorteilhafte Ausgestaltungen des Anspruchs 1 und die übrigen Unterlagen erfüllen insgesamt die an sie zu stellenden Anforderungen.

29

2. Die geltenden Ansprüche sind zulässig. Die Merkmale im Anspruch 1 ergeben sich aus dem ursprünglichen Anspruch 1 und der ursprünglichen Beschreibung, siehe insbesondere die Spalte 2, Zeilen 11 bis 15 der Offenlegungsschrift zur Offenbarung der Merkmalsgruppe M2 . Die neu eingereichten Unteransprüche 2 und 18 entsprechen den ursprünglichen Unteransprüchen 2 bis 18.

30

3. Die Erfindung betrifft ein Verstärkersystem zur Erzeugung ultrakurzer Impulse hoher Ausgangsleistung, wobei es sich um optische Laser-Impulse in einem Lichtwellenleiter handelt.

31

Gemäß der Beschreibung der Patentanmeldung ist es problematisch, mit solchen Systemen hohe durchschnittliche Ausgangsleistungen zu erreichen, während gleichzeitig die Kompaktheit beibehalten und die Kosten des gesamten Lichtwellenleitersystems mit zeitproportionaler Frequenzmodulations-Verstärkung verringert werden (siehe Spalte 4, Zeilen 23 bis 28 und Spalte 14, Zeilen 6 bis 11).

32

4. Zur Lösung dieses Problems wird ein Hochleistungs-Verstärkersystem beansprucht, das insbesondere eine Leistungsverstärkerstufe mit einem Doppelmantel-Lichtwellenleiter aufweist.

33

Der in Patentanspruch 1 beanspruchte Gegenstand ist neu. Keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften offenbart sämtliche patentgemäßen Merkmale.

34

4.1. Aus der Druckschrift D1 (siehe insbesondere die Fig. 1 mit zugehöriger Beschreibung) ist unstreitig ein

35

M1= Hochleistungs-Verstärkersystem

36

M2= mit zeitproportionaler Frequenzmodulation bekannt (siehe abstract), das ultrakurze Impulse von 1.8 ps mit hoher Energie von 800 nJ erzeugt (siehe Spalte 7, Zeilen 24 bis 27) und

37

M3= eine gedehnte Impulse erzeugende Quelle 102,

38

M4= eine Leistungsverstärkerstufe 110, 114, 116 zur Verstärkung der Impulse und

39

M5= einen die aus der Leistungsverstärkerstufe empfangenen gedehnten Impulse komprimierenden Komprimierer 112 aufweist,

40

M6≠ wobei die Leistungsverstärkerstufe eine Pumplichtquelle 118, 120 aufweist.

41

Im Unterschied zum Anmeldungsgegenstand weist die Leistungsverstärkerstufe 110, 114, 116 nach der Druckschrift D1 keinen Doppelmantel-Lichtwellenleiter gemäß Merkmalsgruppe M6 auf.

42

Aus der Druckschrift D7 (siehe insbesondere die Fig. 2 mit zugehöriger Beschreibung) ist ein

43

M1= Hochleistungs-Verstärkersystem bekannt,

44

M6= wobei die Leistungsverstärkerstufe einen Doppelmantel-Lichtwellenleiter 1, 2, 3 und eine Pumplichtquelle 4a, 4b aufweist (siehe abstract).

45

Die Druckschrift D7 betrifft ein Verstärkersystem für ein Telekommunikations-Übertragungssystem (siehe Seite 1, Absatz "technical field" und Seite 7, Absatz "industrial applicability") und offenbart kein Verstärkersystem mit zeitproportionaler Frequenzmodulation, das ultrakurze Impulse mit hoher Energie gemäß den Merkmalsgruppen M2 bis M5 erzeugt. Unter der zeitproportionalen Frequenzmodulation versteht der Fachmann ein Verfahren, bei dem ultrakurze Pulse vor der Verstärkung gedehnt, dann verstärkt und schließlich zurückkomprimiert werden (siehe OS Spalte 3, Zeilen 26 bis 30 und Zeilen 13 bis 18: CPA, "chirped pulse amplification").

46

4.2. Der in Patentanspruch 1 beanspruchte Gegenstand beruht für den Fachmann, einen mit der Entwicklung von Lasern befassten Dipl.-Physiker, auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

47

Ausgehend von der nächstliegenden Druckschrift D1 stellt sich die Frage, ob der Fachmann eine Veranlassung hat, die Leistungsverstärkerstufe bei dem Verstärkersystem gemäß der Druckschrift D1 mit einem aus der Druckschrift D7 bekannten Doppelmantel-Lichtwellenleiter zur Steigerung der durchschnittlichen Ausgangsleistung des Verstärkersystems zu versehen, während gleichzeitig die Kompaktheit des Verstärkersystems beibehalten und die Kosten des gesamten Lichtwellenleitersystems mit zeitproportionaler Frequenzmodulations-Verstärkung verringert werden. Dabei genügt es nicht, wenn lediglich keine Hindernisse oder Hemmnisse erkennbar sind, die den Einsatz von bekannten Doppelmantel-Lichtwellenleitern bei dem Hochleistungs-Verstärkersystem gemäß der Druckschrift D1 entgegenstehen, da die Verneinung der erfinderischen Tätigkeit voraus setzt, dass der Stand der Technik dem Fachmann Anlass oder Anregung gibt, zu der beanspruchten Lehre zu gelangen (siehe z. B. BGH, GRUR 2010, 407 - einteilige Öse, LS).

48

Da aus der Druckschrift D7 lediglich ein Doppelmantel-Lichtwellenleiter bei einem Hochleistungs-Verstärkersystem für (Standard) -Telekommunikations-Übertragungssysteme bekannt ist, die hinsichtlich der Impulsdauern und -energien weit weg von dem beanspruchten Verstärkersystem zur Erzeugung von ultrakurzen Impulsen von fs bis ps mit hohen Energien von nJ bis μJ liegen, ergibt sich für den Fachmann keine Veranlassung, den bekannten Doppelmantel-Lichtwellenleiter zur Lösung des genannten Problems bei den Hochleistungs-Verstärkersystemen mit ultrakurzen Impulsen und hohen Energien einzusetzen.

49

Die weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften gehen über den abgehandelten Stand der Technik nicht hinaus und enthalten ebenfalls keine Anregung für den Ersatz einer Erbium-dotierten Lichtleiterfaser durch einen Doppelmantel-Lichtwellenleiter bei dem aus der Druckschrift D1 bekanntem Verstärkersystem.

50

5. Der geltende Patentanspruch 1 ist somit gewährbar und die Unteransprüche 2 und 18 werden von dessen Patentfähigkeit mitgetragen.

51

6. Rückzahlung der Beschwerdegebühr (§ 80 Abs. 3 PatG).

52

Die Billigkeit der antragsgemäßen Zurückzahlung der Beschwerdegebühr ergibt sich vorliegend daraus, dass die Prüfungsstelle die beantragte Anhörung abgelehnt hat, ohne dass die von ihr dafür genannten, oder auch andere Gründe dies rechtfertigen könnten.

53

Eine einmalige Anhörung ist grundsätzlich in jedem Verfahren sachdienlich (Schulte, PatG, 8. Aufl., § 46 Rdnr. 8 sowie aktuell BPatG, Beschl. v. 28. April 2009 - 21 W (pat) 41/05 m. w. Nachw.).

54

Darüber hinaus wurde im vorliegenden Fall von der Prüfungsstelle in dem dem Zurückweisungsbeschluss vorangehenden Bescheid vom 5. September 2006 nicht ausgeschlossen, dass bei geeigneter Beschränkung zu einem patentfähigen Anmeldungsgegenstand gelangt werden kann und ausgeführt: "Die Durchführung einer Anhörung erscheint sinnvoll".

55

Im vorliegenden Fall leidet das Prüfungsverfahren somit an einem gravierenden Verfahrensfehler, der auch ursächlich für die Beschwerdeeinlegung war. Denn bei fehlerfreier Sachbehandlung wäre die Beschwerde nicht zwangsläufig erforderlich geworden.