Entscheidungsdatum: 27.04.2010
In der Einspruchssache
gegen das Patent 199 57 327
…
…
hat der 21. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. April 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Winterfeldt sowie der Richter Baumgärtner, Dipl.-Ing. Bernhart und Dipl.-Phys. Dr. Müller
beschlossen:
Das Patent DE 199 57 327 wird widerrufen.
I
Gegen das am 29. November 1999 angemeldete Patent (Streitpatent) mit der Bezeichnung "Vorrichtung und Verfahren zur Analyse von Mehrkanal-Bauteilen" dessen Erteilung am 17. Februar 2005 veröffentlicht worden ist, hat die Fa. R… GmbH & Co. KG, M1…straße in M2… am 28. April 2005 Einspruch eingelegt.
Sie ist der Auffassung, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht patentfähig sei. Hierzu verweist sie unter anderem auf die Entgegenhaltung
D1 US 5 578 932.
Die Einsprechende macht geltend, dass sowohl der Gegenstand des erteilten Sachanspruchs 1 als auch der des erteilten Verfahrensanspruchs 6 durch Kombination des der Entgegenhaltung D1 entnehmbaren Standes der Technik mit weiteren Entgegenhaltungen nahegelegt sei und daher nicht auf einer erfinderischer Tätigkeit beruhen und das Patent ferner die Erfindung nicht so deutlich offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könnte.
Der erteilte Patentanspruch 1 lautet gegliedert:
M1 Mehrkanalbauteil-Analysevorrichtung zum Prüfen von drei oder mehr Eingangs- und Ausgangsanschlüsse aufweisenden Mehrkanalbauteilen, enthaltend:
M2 - einen Netzwerkanalysator, der zur Analyse der Eigenschaften eines Mehrkanalbauteilprüflings mit Hilfe von Vektorwerten ein Prüfsignal an einem Kanal aussendet und ein Eingabesignal an einem anderen Kanal empfängt; und
M3 - eine Mehrkanal-Prüfgruppe, die mit den Kanälen des Netzwerkanalysators verbunden ist, um die Kanäle des Netzwerkanalysators durch einen in der Prüfgruppe angeordneten Umschalter in drei oder mehr Kanäle umzuwandeln,
M4 - wobei der Mehrkanalbauteilprüfling direkt mit der Mehrkanal-Prüfgruppe verbunden ist und
M5 Daten, die den Eigenschaften des Mehrkanalbauteilprüflings entsprechen, in Form von Vektorwerten analysiert werden, - dadurch gekennzeichnet ,
M6 dass die den Eigenschaften an jedem Anschluss des Mehrkanalbauteilprüflings entsprechenden Vektrodaten in Daten einer ausgewählten Impedanz umgewandelt werden, um den Mehrkanalbauteilprüfling zu analysieren.
Der erteilte Patentanspruch 6 lautet gegliedert:
N1 Mehrkanalbauteil-Analyseverfahren zum Prüfen eines drei oder mehr Eingangs- und Ausgangsanschlüsse aufweisenden Mehrkanalbauteils, enthaltend die folgenden Verfahrensschritte:
N2 - Vorsehen eines Netzwerkanalysators, der zur Analyse der Eigenschaften eines Mehrkanalbauteilprüflings mit Hilfe von Vektorwerten an einem Kanal ein Prüfsignal aussendet und an einem anderen Kanal ein Eingabesignal empfängt; und
N3 - Vorsehen einer Mehrkanal-Prüfgruppe, die mit den Kanälen des Netzwerkkanalysator s verbunden ist, um die Kanäle des Netzwerkanalysators durch einen in der Prüfgruppe vorhandenen Umschalter in drei oder mehr Kanäle umzuwandeln;
N4 - Verbinden des Netzwerkanalysators, der Mehrkanal-Prüfgruppe und von Verbindungskabeln, die den Mehrkanalbauteilprüfling mit der Mehrkanal-Prüfgruppe verbinden;
N5 - Durchführen einer Kalibrierung zur Gewinnung von Fehlerkorrekturdaten und Speichern der so gewonnenen Fehlerkorrekturdaten im Netzwerkkanalysator ;
N6 - direktes Verbinden des Mehrkanalbauteilprüflings mit der Mehrkanal-Prüfgruppe durch die Kabel zur Ermittlung der Daten, die den Eigenschaften des Mehrkanalbauteilprüflings entsprechen, in Form von Vektordaten; und
N7 - Analysieren des Mehrkanalbauteilprüflings durch Einsatz der Fehlerkorrekturdaten zur Durchführung eines Fehlerkorrekturschritts an den Vektordaten, die den Eigenschaften des Mehrkanalbauteilprüflings entsprechen; und
N8 - Erhalten von Vektordaten, die den Eigenschaften an jedem Anschluss des Mehrkanalbauteilprüflings entsprechen,
- gekennzeichnet durch
N9 Umwandeln der Vektordaten jedes Anschlusses in Daten, die einer ausgewählten Impedanz entsprechen, um den Mehrkanalbauteilprüfling zu analysieren.
Die Unteransprüche 2 bis 5, 7 und 8 betreffend wird auf die Akte verwiesen.
Der Vertreter der Einsprechenden stellt den Antrag,
das Patent DE 199 57 327 in vollem Umfang zu widerrufen.
Die ordnungsgemäß geladene Patentinhaberin ist, wie schriftlich angekündigt, zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen.
Mit Zwischenverfügung vom 29. März 2010 wurde den Verfahrensbeteiligten noch die Literaturstelle aus dem Lehrbuch
L1: F. Niebler: "Hochfrequenzschaltungstechnik", expertverlag , 2. verbesserte und erweiterte Auflage 1990, Kap. 6.2.5 Änderung des Bezugswellenwiderstandes, Seiten 227/228
übermittelt.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II
1. Da die Einspruchsfrist im vorliegenden Verfahren nach dem 1. Januar 2002 zu laufen begonnen hat und der Einspruch vor dem 1. Juli 2006 eingelegt worden ist, ist das Bundespatentgericht für die Entscheidung gemäß § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG in der bis einschließlich 30. Juni 2006 gültigen Fassung weiterhin zuständig (vgl. BGH GRUR 2007, 862 ff. - Informationsübermittlungsverfahren II; BPatG GRUR 2007, 499 f. - Rundsteckverbinder).
2. Der form- und fristgerecht erhobene Einspruch ist zulässig, denn die für die Beurteilung des behaupteten Widerrufsgrundes maßgeblichen tatsächlichen Umstände sind von der Einsprechenden innerhalb der gesetzlichen Frist im Einzelnen so dargelegt worden, dass die Patentinhaberin und der Senat daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ohne eigene Ermittlungen ziehen können. Die Zulässigkeit des Einspruchs war von der Patentinhaberin im Übrigen nicht bestritten worden.
3. Die Patentinhaberin als in J… ansässiges Unternehmen benötigt gemäß § 25 Abs. 1 PatG einen Inlandsvertreter, der im gesetzlich bestimmten Umfang bevollmächtigt ist. Auf den Hinweis im Ladungszusatz zur Ladung vom 16. Dezember 2009, in dem die Patentinhaberin darauf hingewiesen wurde, dass eine derartige Vollmacht bisher nicht vorgelegt wurde, hat die Patentinhaberin mit Eingabe vom 12. Januar 2010 mitgeteilt, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen und auch nicht vertreten sein wird. Mangels einer § 25 Abs. 1 PatG entsprechenden Bevollmächtigung liegt ein Verfahrenshindernis vor, das von Amts wegen zu berücksichtigen ist und das im vorliegenden Fall zur Folge hat, dass die gestellten Anträge der Patentinhaberin in ihrer Eingabe vom 4. Mai 2006 ins Leere gehen und die Patentinhaberin ihr Patent nicht mit den in ihrer Eingabe vom 10. Juli 2008 zuletzt eingereichten Patentansprüchen 1 bis 8 beschränkt verteidigen kann.
Sonach liegen dem Einspruchsverfahren in der mündlichen Verhandlung weiterhin die erteilten Patentansprüche 1 bis 8 zugrunde.
4. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung erweist sich der Einspruch auch als begründet, da die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 6 nicht patentfähig sind. Denn sie ergeben sich für den Fachmann, einen Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Nachrichtentechnik, der sich mit der rechnergestützten Entwicklung von HF-Netzwerken, vorliegend Mehrkanalbauteilen, befasst und der über einschlägige Berufserfahrung auf diesem Gebiet verfügt, in naheliegender Weise aus der Zusammenschau der Entgegenhaltung D1 mit der Literaturstelle aus dem Lehrbuch L1 .
Es kann daher dahinstehen, ob die Patentansprüche 1 und 6 durch die ursprüngliche Offenbarung gedeckt sind und ob ihre Gegenstände den Schutzbereich des Streitpatents erweitern.
4.1. Nach den Angaben in der Beschreibungseinleitung betrifft das Streitpatent eine Mehrkanalbauteil-Analysevorrichtung zur Analyse der Eigenschaften eines drei oder mehr Eingabe-/Ausgabe-Anschlüsse aufweisenden Mehrkanalbauteils sowie ein zugehöriges Verfahren (vgl. Patentschrift, Abs. [0001]). Im Folgenden ist in der Patentschrift ausgeführt, dass zur Analyse derartiger Mehrkanalbauteile Netzwerkkanalysatoren eingesetzt werden [0002]. Diese weisen üblicherweise einen Eingabe- und einen Ausgabekanal auf. Ein von einem Signalgenerator 15 bereitgestelltes Prüfsignal wird über Brücken 11, 12 ausgewählt (Umschalter 13 in Figur 1), einem der Kanäle P1, P2 zugeführt und an den Bauteileprüfling geleitet. Damit werden Daten bspw. Übertragungsfunktionen, Streuparameter und Gruppenverzögerungen gewonnen [0003 - 0004].
Zur Prüfung von Bauteileprüflingen mit drei oder mehr Anschlüssen - Mehrkanalbauteilen - wird zwischen dem Zweikanal-Netzwerkanalysator und dem Prüfling eine Mehrkanal-Prüfgruppe geschaltet (vgl. Figur 2 B, Bezugszeichen 20; [0005]). Neuere Mehrkanalprüflinge weisen Anschlüsse auf, deren Impedanz (150 Ohm) von den bei Analysegeräten üblichen 50 Ohm abweicht (Figur 3; [0006]). Beim Stand der Technik sind deshalb Abgleich-/Nichtabgleichkonverter vorgesehen (vgl. Figur 4, Bezugszeichen 42; [0007]). Nachteilig ist dabei, dass der Messwert nicht nur den reinen Bauteilprüfling 40 (Figur 4) erfasst, sondern zusätzlich die Eigenschaften des Abgleich-/Nichtabgleichkonverters 42 [0008].
Daran orientiert sich die dem Patent zugrundeliegende Aufgabe, eine Mehrkanalbauteil-Analysevorrichtung und ein entsprechendes Verfahren zu schaffen, durch die genaue Messungen an einem Mehrkanalbauteilprüfling durchgeführt werden können, bei dem der Aufbau der Eingabe/Ausgabeanschlüsse oder die Impedanz nicht mit dem Aufbau bzw. der Impedanz herkömmlicher Bauteileprüflinge übereinstimmen [0011].
4.2. Die Mehrkanalbauteil-Analysevorrichtung (" Multiport Network Analyzer ") aus Entgegenhaltung D1 ist gemäß dem Ausführungsbeispiel der Figur 14 für ein drei Eingangs- und Ausgangsanschlüsse aufweisendes Mehrkanalbauteil ausgelegt (vgl. Spalte 18, Zeilen 4 bis 8 " …a three-port test set 310… to convert the two-port VNA 112 into a three-port VNA" ). Mit dem V ector N etwork A nalyzer VNA können auch Mehrkanalbauteile mit mehr als drei Anschlüssen geprüft werden (vgl. Spalte 29, Zeilen 34 - 38 " However, there also exists a need to measure devices 210 with a plurality of ports 214,…. ") [ M1 ]. Zur Analyse der Eigenschaften eines Mehrkanalbauteilprüflings werden bei dem VNA aus D1 die als Vektorwerte vorliegenden Streuparameter S ermittelt (Spalte 11, Zeile 64 ff. " terms S 11A , S 22A , S 21A and S 12A , are the actual scattering parameters…" ). Gemäß Figur 9 wird (wie bei Vektoranalyzern allgemein üblich) das Prüfsignal an einem Kanal ( port 1; 114 ) des VNA ausgesendet und an einem Kanal empfangen ( port 2; 116 ) [ M2 ]. Das three-port test set 310 gemäß Figur 14 ist in seiner Funktion als Mehrkanal-Prüfgruppe mit den Kanälen des VNA verbunden ( first and second port 301, 303 ); es weist dazu einen Umschalter ( single-pole, double throw-switch 326 ) auf, zum Umwandeln der zwei Kanäle des VNA in die drei Kanäle des Prüflings (vgl. auch Spalte 18, Zeilen 4 bis 25). Analog dazu ist gemäß dem Ausführungsbeispiel der Figur 19 der Umschalter in der Prüfgruppe für vier Kanäle (somit für mehr als drei Kanäle) ausgelegt (vgl. auch Spalte 22, Zeile 60 single-pole, three-throw switch 430 ) [ M3 ]. Wie aus beiden Figuren 14 und 19 o. W. ersichtlich, ist der Prüfling (Γ L; source of reflection coefficients 328 ) direkt mit der Mehrkanal-Prüfgruppe 310 verbunden [ M4 ]. Die den Eigenschaften des Prüflings entsprechenden Streuparameter S werden, wie bereits oben dargelegt, im Vektor Network Analyzer VNA in Form von Vektorwerten analysiert [ M5 ].
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von diesem Stand der Technik sonach lediglich durch das einzige Merkmal [ M6 ] des kennzeichnenden Teils. Diesem Merkmal liegt letztendlich eine mathematische Berechnung zugrunde. Die mit der Messung der Eigenschaften von Hochfrequenznetzwerken verbundene Problematik hinsichtlich seiner wellenwiderstandsrichtigen Anpassung ist dem zuständigen Fachmann vertraut, insbesondere was die S-Parameter-Messung mit Vektoranalyzern anbelangt. In einschlägigen Lehrbüchern ist dies denn auch dargelegt. So sind in dem Lehrbuch der Hochfrequenzschaltungstechnik gemäß L1 im Kapitel 6 "Grundlagen der rechnergestützten Entwicklung von HF-Schaltungen" die Formeln für die Umrechnung von S-Parametern bei einem Widerstand in die eines anderen Bezugswiderstandes - "Umwandeln der Vektordaten in eine ausgewählte Impedanz" - aufgezeigt (vgl. Absatz 6.2.5 " Änderung des Bezugs-Wellenwiderstandes" auf S. 227/228). Auf eine solche, aus dem Lehrbuch L1 bekannte mathematische Umrechnung greift der Fachmann zu, um die Eigenschaften eines Mehrkanalbauteils zu messen, dessen Impedanz sich von der der Analysevorrichtung - dem Vektoranalyzer - unterscheidet. Auf den Vektoranalyzer aus D1 angewandt gelangt, der Fachmann damit ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Patentanspruchs 1.
4.2 Diese Bewertung trifft auch für das Verfahren nach Patentanspruch 6 zu.
In den Merkmalen [ N1 , N2 , N3 , N6 , N8 und N9 ] werden, in ihren Formulierungen lediglich dem Verfahrensanspruch Rechnung tragend, dieselben Mittel und Maßnahmen beansprucht, wie in den dazu korrespondierenden Merkmalen [ M1 - M6 ] des Sachanspruchs 1. Die dies betreffenden Ausführungen zum Patentanspruch 1 treffen deshalb auch für diese Merkmale zu. Zur Vermeidung bloßer Wiederholungen wird darauf Bezug genommen. Die darüber hinausgehenden Merkmale [ N4 , N5 und N7 ] des Patentanspruchs 6 können die erfinderische Tätigkeit seines Gegenstandes auch nicht stützen.
Das Merkmal [ N4 ] erschließt sich aus dem Ausführungsbeispiel der Figur 4, denn der VNA, das three-port test set 310 und der Prüfling - source of reflection coefficients 328 - sind notwendigerweise über Kabel verbunden (vgl. Spalte 18, bspw. Zeilen 15 bis 17 " A first port 301, of the test set 310 is coupled to port one of the VNA 112" ). Eine Kalibrierung zur Gewinnung von Fehlerkorrekturdaten gemäß Merkmal [ N5 ] ist - als eine bei Netzwerkanalyzern erforderliche Maßnahme - auch bei dem VNA aus D1 vorgesehen (vgl. Figur 14A; reference plane 114 sowie zu Figur 27 Spalte 30, Zeile 46 - 63 " …a method of controlling and calibrating the VNA" ). Schließlich stellt der Einsatz der gemäß [ N5 ] gewonnenen Fehlerkorrekturdaten zur Durchführung eines Fehlerkorrekturschritts für die Analyse des Prüflings gemäß dem Merkmal [ N7 ] eine für den Fachmann folgerichtige, bei Vektoranalyzern gängige Vorgehensweise dar.
5. Dass die Patentinhaberin neben den der mündlichen Verhandlung zugrunde liegenden Hauptansprüchen 1 und 6 auch eine Aufrechtrechterhaltung des Streitpatents im Umfang der Unteransprüche 2 bis 5, 7 und 8 begehrt, hat sie weder ausdrücklich noch stillschweigend zu erkennen gegeben. Darüber hinaus lassen diese Unteransprüche keine Patent begründenden Merkmale erkennen, was die Patentinhaberin im Übrigen auch nicht geltend gemacht hat (vgl. BGH GRUR 2007, 862 ff. - Informations-Übermittlungsverfahren II in Fortführung von BGH GRUR 1997, 120 ff. - elektrisches Speicherheizgerät).