Entscheidungsdatum: 02.09.2014
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Patentanmeldung ...
(hier: Wiedereinsetzung in die Versäumnis der Beschwerdefrist und Verfahrenskostenhilfe)
hat der 21. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 2. September 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Häußler sowie der Richterin Hartlieb, des Richters Dipl.-Phys. Dr. Müller und der Richterin Dipl.-Phys. Zimmerer
beschlossen:
I. Dem Anmelder wird Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Beschwerde gewährt.
II. Dem Anmelder wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Monatsraten oder sonstige Zahlungen sind nicht zu leisten.
I.
Der Beschwerdeführer und Anmelder hat am 27. Januar 2012 ein Patent mit der Bezeichnung „...“ angemeldet und mit Schreiben vom 13. Februar 2012, 1. März 2012 und 16. März 2012 Verfahrenskostenhilfe für das Erteilungsverfahren beantragt. Mit Beschluss vom 10. Mai 2012 wurde dem Anmelder Verfahrenskostenhilfe für das Erteilungsverfahren und die im Erteilungsverfahren fällig werdenden Jahresgebühren bewilligt. Als anwaltlicher Vertreter wurde ihm Patentanwalt S… als Vertreter beigeordnet.
Mit Bescheid vom 20. Juni 2013 beanstandete die Prüfungsstelle für Klasse G 10 D des Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung und teilte dem Anmelder mit, dass der angemeldete Anspruch 1 mangels Neuheit seines Gegenstandes nicht gewährbar sei. Die Prüfungsstelle bezog sich hierzu mit näheren Ausführungen insbesondere auf die Druckschrift US 24 866 460 A sowie auf weiteren druckschriftlich belegten Stand der Technik. Mit Schreiben vom 17. Juli 2013 hat der patentanwaltliche Vertreter neue Patentansprüche 1 bis 10 vorgelegt und zu den Beanstandungen ausführlich Stellung genommen. Mit Beschluss vom 26. August 2013 hat die Prüfungsstelle für Klasse G 10 D die Anmeldung zurückgewiesen, da das neu in den geltenden Anspruch 1 aufgenommene Merkmal nicht über den aus der angeführten Druckschrift 1 bereits bekannten Stand der Technik hinausgehe. Laut Empfangsbekenntnis des beigeordneten Patentanwalts wurde ihm der Beschluss am 29. August 2013 zugestellt.
Mit Schreiben vom 9. September 2013 an das Deutsche Patentamt beantragte der Anmelder Verfahrenskostenhilfe zum Einlegen einer Beschwerde gegen den Beschluss vom 26. August 2013 und hat eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt. Im Schreiben hat er ausgeführt: „Wegen der Fristwahrung (bis spätestens 29. September 2013) bitte ich um fristgerechte Bearbeitung.“.
In der Folgezeit wurde dieser Antrag auf Verfahrenskostenhilfe im Deutschen Patentamt bearbeitet. Der Mängelbescheid vom 11. September 2013 zum Verfahrenskostenhilfeantrag wurde an die patentanwaltlichen Vertreter versandt, als bearbeitende Stelle war darin die Prüfungsstelle für Klasse G 10 D und als Kontakt der Name eines Beamten des gehobenen Dienstes angegeben. Daraufhin reichte der Anmelder ein Schreiben vom 17. September 2013 ein und nahm Bezug auf ein Telefonat mit diesem Beamten des gehobenen Dienstes vom selben Tag. Auf einen weiteren Mängelbescheid vom 11. Oktober 2013 und ein weiteres Schreiben des Anmelders vom 27. Oktober 2013 erging am 11. Februar 2014 ein Beschluss mit folgendem Wortlaut:
„Auf den Antrag, eingegangen am 09.09.2013, wird Herrn F… in E… zum Aktenzeichen 10 2012 001 520.8 Verfahrenskostenhilfe bewilligt für: Beschwerde.
Es sind keine Monatsraten oder sonstigen Zahlungen auf die Verfahrenskostenhilfe zu leisten. Sollte die Erfindung durch Veräußerung, Benutzung, Lizenzvergabe oder sonstige Weise wirtschaftlich verwertet werden, so ist dies dem Deutschen Patent- und Markenamt unverzüglich anzuzeigen (§ 137 Patentgesetz). Prüfungsstelle für Klasse G 10 D“.
Nach diesem Text folgte der Name des bearbeitenden Beamten des gehobenen Dienstes sowie der Hinweis, dass das Dokument elektronisch signiert und ohne Unterschrift gültig ist.
Mit Schreiben vom 5. März 2014 an das Deutsche Patent- und Markenamt hat der Anmelder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und gleichzeitig Beschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 26. August 2013 eingelegt. Darin ist ausgeführt, dass der Anmelder zunächst von der Einlegung der Beschwerde abgesehen habe und nur einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe gestellt habe. Kurz vor Ablauf der Frist zur Einlegung der Beschwerde habe sein anwaltlicher Vertreter nachgefragt, ob Beschwerde eingelegt werden solle und darauf hingewiesen, dass im Falle, dass keine Verfahrenskostenhilfe bewilligt werde, die amtliche Gebühr sowie die Anwaltskosten anfallen würden. Daraufhin habe sich der Anmelder mit dem Beamten, der im Deutschen Patentamt diesen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe bearbeitet habe, telefonisch in Verbindung gesetzt. Dieser habe mitgeteilt, es seien keine weiteren Schritte erforderlich, da in jedem Fall, nachdem der Beschluss über die Verfahrenskostenhilfe ergangen sei, noch ein Monat Zeit sei, um die Beschwerde einzulegen. Der Anmelder habe daraufhin seinem anwaltlichen Vertreter mitgeteilt, es sei vorerst nichts zu unternehmen, da laut Auskunft des Deutschen Patentamts alle erforderlichen Schritte soweit erledigt seien. Nach Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe mit Beschluss vom 11. Februar 2014 habe sich der Anmelder mit seinem anwaltlichen Vertreter wegen der Begründung der Beschwerde verständigt. Im Anschluss habe er ein Schreiben seines Vertreters erhalten, wonach dieser nach Einholung einer Registerauskunft festgestellt habe, dass keine Beschwerde eingelegt sei. Daraufhin habe der Anmelder seinem Anwalt die Vertretung entzogen.
Der Anmelder hat seinem Antrag und der Beschwerde eine Beschwerdebegründung beigefügt. Ergänzend hat er ausgeführt, er habe in seinem Antrag auf Verfahrenskostenhilfe ausdrücklich erwähnt, dass die Verfahrenskostenhilfe für die Beschwerde gedacht sei. Seiner Ansicht nach sei der formale Akt der Beschwerde als sein ausdrücklicher Wille erkennbar.
Das Deutsche Patentamt hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten verwiesen.
II.
1. Dem Anmelder wird Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Beschwerde gewährt. Die Beschwerde des Anmelders gilt damit als rechtzeitig eingelegt.
a) Der entsprechende Antrag ist statthaft, da die Frist zur Beschwerdeeinlegung versäumt ist (§ 123 Abs. 1 PatG).
Der Zurückweisungsbeschluss vom 26. August 2013 wurde laut Empfangsbekenntnis des beigeordneten Patentanwalts am 29. August 2013 zugestellt.
In dem Antrag auf Verfahrenskostenhilfe vom 9. September 2013, der vom Anmelder unterzeichnet ist, kann keine wirksame Beschwerdeeinlegung gesehen werden. Das Schreiben ist im Betreff als Antrag auf Verfahrenskostenhilfe bezeichnet und enthält den ausdrücklichen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe zum Einlegen einer Beschwerde gegen den Beschluss vom 26. August 2013. Außerdem wird „wegen der Fristwahrung (bis spätestens 29. September 2013)“ um fristgerechte Bearbeitung gebeten. Der Wille des Anmelders ging demnach gerade nicht dahin, Beschwerde einzulegen. Vielmehr sollte Beschwerde erst nach Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag eingelegt werden. Dies ist auch dem Antrag auf Wiedereinsetzung vom 5. März 2014 zu entnehmen, wonach der Anmelder seinem anwaltlichen Vertreter Weisung gegeben hatte, trotz in Kürze ablaufender Beschwerdefrist keine Beschwerde einzulegen.
b) Der Anmelder hat in seinem Wiedereinsetzungsantrag die für die Gewährung der Wiedereinsetzung erforderlichen Tatsachen innerhalb der 2-Monatsfrist des § 123 Abs. 2 PatG vorgetragen sowie die versäumte Handlung nachgeholt, indem er Beschwerde und Begründung eingereicht hat.
Eine Glaubhaftmachung der vorgetragenen Tatsachen gemäß § 123 Abs. 2 Satz 2 PatG ist vorliegend entbehrlich, da es sich um aktenkundige Tatsachen handelt sowie um die Darlegung von Gründen, die ein Versehen erklären können (vgl. Schulte, PatG 9. Aufl., § 123 Rdn. 42).
c) Dem Anmelder war Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde (§ 73 Abs. 2 Satz 2 PatG) zu gewähren, da er nach Überzeugung des Senats ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war (§ 123 PatG).
Verschulden umfasst Vorsatz und jede Form von Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt nach § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB, wer die im Verkehr übliche Sorgfalt außer Acht lässt. Auch leichte Fahrlässigkeit und ein Mitverschulden schließen eine Wiedereinsetzung aus (vgl. Schulte a. a. O. § 123 Rdn. 67). Im Hinblick auf das Maß der Sorgfalt ist auf den jeweiligen Anmelder und Antragsteller abzustellen; dabei muss der Maßstab des Verschuldens auf die vorauszusetzenden Fähigkeiten der betreffenden Person (subjektiv) angelegt werden; er ist bei Rechtsunkundigen weit geringer als bei Rechtsanwälten. Allerdings ist jede Partei verpflichtet, für den ordnungsgemäßen Fortgang des Verfahrens zu sorgen, z. B. sich nach Form und Frist zu erkundigen (Schulte, a. a. O., § 123 Rdnr. 72). Das Verschulden des anwaltlichen Vertreters steht dem Verschulden des Anmelders gleich.
Der Anmelder befand sich offensichtlich im Rechtsirrtum darüber, dass der von ihm gestellte Antrag auf Verfahrenskostenhilfe im Falle der Bewilligung gemäß § 130 Abs. 2 PatG zwar bewirkt, dass hinsichtlich der Beschwerdegebühr, die Gegenstand der Verfahrenskostenhilfe ist, die für den Fall der Nichtzahlung vorgesehenen Rechtsfolgen nicht eintreten, somit lediglich die Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr betroffen ist, sich aber der Antrag nicht auf die Frist zur Einlegung der Beschwerde auswirkt. Die Monatsfrist des § 134 PatG betrifft lediglich die Hemmung von Zahlungsfristen. Der Vortrag des Anmelders lässt die Vermutung zu, dass sich auch der anwaltliche Vertreter in einem Rechtsirrtum befand, da nach dem Vortrag des Anmelders hierzu keine weitere Aufklärung durch den anwaltlichen Vertreter erfolgte. Dies kann jedoch angesichts der Schwere der Verfahrensfehler durch die unrichtige Sachbearbeitung durch das Deutsche Patent- und Markenamt dahinstehen.
d) Gemäß § 135 Abs. 2 PatG beschließt über das Gesuch um Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe die Stelle, die für das Verfahrens zuständig ist, für welches die Verfahrenskostenhilfe nachgesucht wird. Über ein Verfahrenskostenhilfegesuch für eine Beschwerde, das beim Patentamt eingereicht wurde, kann das Patentamt nicht entscheiden, sondern hat es zusammen mit der Beschwerde dem Bundespatentgericht vorzulegen. Nur wenn das Patentamt im einseitigen Verfahren der Beschwerde abhelfen will, kann es auch Verfahrenskostenhilfe für die Beschwerde bewilligen (vgl. Schulte a. a. O. § 135 Rdn. 5). So lag der Fall hier aber nicht, da noch gar keine Beschwerde eingelegt war. Somit war zu diesem Zeitpunkt keine Zuständigkeit des Patentamts gegeben, den Bewilligungsbeschluss vom 11. Februar 2014 zu erlassen.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 PatG i. V. m. § 24 Abs. 1 DPMAV für die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe die Patentabteilung zuständig ist, auch für Patentanmeldungen, die vor der Prüfungsstelle anhängig sind. Beamte des gehobenen Dienstes sind nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 WahrnV lediglich mit der formellen Bearbeitung von Anträgen auf Verfahrenskostenhilfe betraut. Sowohl die vorausgegangenen Mängelbescheide wie auch der ergangene Bewilligungsbeschluss sind aber mit dem Zusatz Prüfungsstelle G 10 D versehen. Wie eine Nachfrage des juristischen Mitglieds des Senats im Patentamt ergeben hat, gehört zudem der sachbearbeitende Beamte dem gehobenen Dienst an, so dass auch eine funktionell unzuständige Stelle tätig gewesen ist.
Vor Bewilligung hat eine summarische Prüfung dahingehend zu erfolgen, ob gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 PatG hinreichende Aussicht auf Erteilung des Patents besteht, diese hat offensichtlich nicht stattgefunden.
e) Zwar ist ein Rechtsirrtum bzw. mangelnde Rechtskenntnis grds. kein Wiedereinsetzungsgrund. Denn an sich ist jeder Beteiligte verpflichtet, sich die notwendigen Kenntnisse über das jeweils geltende Recht zu verschaffen und sich gegebenenfalls sachkundigen Rat einzuholen (vgl. Schulte a. a. O. § 123 Rdn. 134). Insoweit muss sich der Anmelder den Rechtsirrtum seines Vertreters, für den vorausgesetzt werden kann, dass er das geltende Recht vollinhaltlich kennt, anrechnen lassen. So hätte es dem anwaltlichen Vertreter auch auffallen müssen, dass hinsichtlich der Bearbeitung und Entscheidung des Verfahrenskostenhilfeantrags die unzuständige Stelle tätig wurde, so dass er Auskünfte von dort entsprechend hätte werten und tätig werden müssen.
Vorliegend erachtet der Senat die irrige Rechtsauffassung des Anmelders, die letztendlich zur Anweisung an seinen anwaltlichen Vertreter geführt hat, keine Beschwerde einzulegen, ausnahmsweise für entschuldbar, da der Rechtsirrtum auch bei zumutbarer Sorgfalt nicht zu vermeiden gewesen wäre. Der Irrtum beruhte nämlich ersichtlich auf dem Zusammenwirken und Fortwirken einer Reihe von schwerwiegenden Verfahrensfehlern. Der bei Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe schon funktionell unzuständige Beamte des gehobenen Dienstes des Patentamtes, dessen Zuständigkeit bei Beschwerdeverfahren ohnehin nicht gegeben war, hat durch seine fortwirkende unrichtige Sachbearbeitung bis hin zur Entscheidung und unrichtige Auskunft beim Anmelder den irrigen Eindruck erweckt, es sei alles in Ordnung und er müsse bis zur Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag nichts weiter veranlassen. Dies führte ursächlich dazu, dass der Anmelder es unterlassen hat, fristgerecht Beschwerde einzulegen (vgl. Schulte a. a. O. § 123 Rdn. 111, 135).
Angesichts der Schwere der vorliegenden Verfahrensfehler war es dem Anmelder auch nicht zuzurechnen, dass er es unterlassen hat, zusätzliche Auskunft einzuholen. Es konnten sich für den Anmelder aus den Gesamtumständen keine Zweifel an der Zuständigkeit und Kompetenz des bearbeitenden Beamten ergeben. Der hier ursächliche Rechtsirrtum ist ausnahmsweise entschuldbar.
Aufgrund der zu gewährenden Wiedereinsetzung gilt die Beschwerde als eingelegt.
2. Dem statthaften und zulässigen Antrag des Anmelders auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren vor dem Patentgericht (§§ 129, 130, 136 Satz 1 PatG, § 119 Abs. 1 ZPO) war stattzugeben.
Der Senat hält den vom Patentamt unter Verstoß gegen die Vorschriften der §§ 130, 135 Abs. 2 PatG ergangenen Beschluss zur Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für nichtig (vgl. insoweit zur einer in beschlussunfähiger Besetzung ergangenen Entscheidung des Patentamts BPatG GRUR 1979, 402 m. w. N.). Über den Antrag war daher vom Senat zu entscheiden.
Der Senat hält es aufgrund der bereits beim Patentamt eingereichten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Anmelders vom 9. September 2013 einschließlich der erläuternden Ausführungen für hinreichend glaubhaft, dass der Anmelder nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht aufbringen kann.
Es besteht auch hinreichende Aussicht für einen Erfolg der Beschwerde, weil eine Patenterteilung nicht ausgeschlossen erscheint (vgl. Schulte, a. a. O., § 130 Rdn. 40 ff.).