Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 23.05.2013


BPatG 23.05.2013 - 20 W (pat) 28/09

(Patentbeschwerdeverfahren - "Prüfungsbescheid in Nachanmeldung" – eigenständige Anmeldung, die die innere Priorität einer Voranmeldung in Anspruch nimmt – Verfahrensfehler - Unzulässigkeit, im Zurückweisungsbescheid lediglich auf in der Voranmeldung erlassenen Bescheiden zu referenzieren und eine detaillierte Angabe von möglichen Gründen, die der Patentierung entgegenstehen könnten, zu unterlassen)


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsdatum:
23.05.2013
Aktenzeichen:
20 W (pat) 28/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Prüfungsbescheid in Nachanmeldung

Anders als im Falle einer Teilanmeldung, die in der Verfahrenslage weitergeführt wird, in der sich zum Zeitpunkt der Ausscheidung die Stammanmeldung befand und infolgedessen die bis dahin erlassenen Bescheide auch als in der Teilanmeldung erlassen anzusehen sind, ist es im Rahmen einer völlig eigenständigen Anmeldung, die die innere Priorität einer Voranmeldung in Anspruch nimmt, unzulässig, in Bescheiden lediglich auf in der Voranmeldung erlassenen Bescheide zu referenzieren und eine detaillierte Angabe von möglichen Gründen, die der Patentierung gemäß § 45 PatG entgegenstehen könnten, zu unterlassen.

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2007 004 863.9-52

hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) am 23. Mai 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. Mayer, die Richterin Kopacek sowie die Richter Dipl.-Ing. Kleinschmidt und Dipl.-Geophys. Dr. Wollny

beschlossen:

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I.

1

Am 31. Januar 2007 ist beim Deutschen Patent- und Markenamt die Patentanmeldung 10 2007 004 863.9 mit der Bezeichnung „Verfahren eines Filters mit unbeaufsichtigtem Training innerhalb eines automatischen Röntgenprüfsystems“ eingegangen. Für die Anmeldung wurde die innere Priorität aus der Voranmeldung 10 2006 004 418.5 vom 31. Januar 2006 in Anspruch genommen.

2

Mit Prüfungsbescheid vom 6. Juni 2008 hat die Prüfungsstelle für Klasse G 01 N des Deutschen Patent- und Markenamts den Gegenstand der angemeldeten Patentansprüche als nicht ausführbar beanstandet. Dabei hat die Prüfungsstelle, ohne im Einzelnen auf die Anspruchsmerkmale und hierzu relevanten Stand der Technik einzugehen, Bezug auf den in der Voranmeldung erlassenen Prüfungsbescheid genommen. Die Prüfungsstelle teilte mit, dass in dem zur Voranmeldung erlassenen Bescheid bereits die fehlende Ausführbarkeit der Lehre für den Fachmann bemängelt worden sei und zum Fachgebiet allgemeiner Stand der Technik in Form von vier Druckschriften zitiert worden sei. Weiter vertrat die Prüfungsstelle die Auffassung, dass in der zu prüfenden Anmeldung zwar gegenüber der Voranmeldung überarbeitete Unterlagen eingereicht worden seien, der Anspruchssatz jedoch bis auf eine unwesentliche Änderung identisch geblieben sei. Die geänderten Unterlagen hätten nicht vermocht, den Mangel der Ausführbarkeit zu beheben, Anspruch 1 sei deshalb nicht gewährbar.

3

Ergänzend verwies die Prüfungsstelle auf eine weitere Druckschrift, ohne jedoch Angaben zum Inhalt und zur Relevanz der Druckschrift zu machen. Dies würde sich nach Auffassung der Prüfungsstelle erübrigen, da die neu genannte Druckschrift auf den Erfinder der Anmeldung zurückginge.

4

Schließlich teilte die Prüfungsstelle der Anmelderin mit, dass bei Weiterverfolgung des Patentbegehrens in jedem Fall mit der Zurückweisung der Anmeldung gerechnet werden müsse.

5

Daraufhin hat die Anmelderin mit Schriftsatz vom 25. Februar 2009 erwidert, dass sie keinen Sinn darin sehe, in der Sache auf die Ausführungen der Prüfungsstelle einzugehen, da die Prüfungsstelle eindeutig zu erkennen gegeben habe, die Anmeldung zurückzuweisen. Die Anmelderin bat um zügige Beschlussfassung, damit sich das Bundespatentgericht mit dem Fall befassen könne.

6

Die Prüfungsstelle hat die Anmeldung durch Beschluss vom 6. Mai 2009 zurückgewiesen und dabei lediglich auf die Gründe des Bescheids vom 6. Juni 2008 Bezug genommen.

7

Gegen den ihr am 14. Juli 2009 zugestellten Zurückweisungsbeschluss hat die Anmelderin mit Schriftsatz vom 13. August 2009 Beschwerde eingelegt. Mit Schriftsatz vom 13. Mai 2013 hat sie die Patentanmeldung zurückgenommen.

8

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

9

Die zulässig erhobene Beschwerde hat sich durch die Rücknahme der Anmeldung in der Hauptsache erledigt. Die gleichwohl mögliche Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird aus Gründen der Billigkeit angeordnet (§ 80 Abs. 3 und 4 PatG).

10

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist veranlasst, wenn es aufgrund besonderer Umstände unbillig wäre, die Gebühr einzubehalten. Solche besonderen Umstände können u. a. in einem fehlerhaften Verfahren der Prüfungsstelle liegen (vgl. Schulte, PatG, 8. Aufl., § 80 Rdn. 110 ff., § 73 Rdn. 132 ff. m. Nw.; BPatG, Beschluss vom 22. Juni 2005 - 7 W (pat) 57/03, BPatGE 49, 111, 112 - Anhörung im Prüfungsverfahren), soweit der Verfahrensverstoß ursächlich für die Beschwerdeeinlegung war, mithin bei einwandfreier Verfahrensbehandlung durch das Amt die Beschwerde nicht erforderlich gewesen wäre (vgl. Benkard, PatG, 10. Aufl., § 80 Rdn. 23 und 28 m. Nw.; BPatG, Beschluss vom 13. April 1989 - 23 W (pat) 121/87, BPatGE 30, 207, 210 f.; BPatG, Teilbeschluss vom 16. Oktober 2003 - 17 W (pat) 1/01, BPatGE 47, 224, 231 - Mikroprozessor; BPatG, Beschluss vom 28. Dezember 2005 - 21 W (pat) 63/05, BPatGE 49, 154, 161 ff. - Tragbares Gerät; BPatG, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 10 W (pat) 43/07, Mitt. 2010, 41, 43 - Mobilfunknetzwerk). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

11

Die Prüfungsstelle hat verfahrensfehlerhaft gehandelt, indem sie die Zurückweisung der Anmeldung auf Umstände gestützt hat, die der Anmelderin nicht in dem notwendigen Maße mitgeteilt wurden. Anders als im Falle einer Teilanmeldung, die in der Verfahrenslage weitergeführt wird, in der sich zum Zeitpunkt der Ausscheidung die Stammanmeldung befand (BGH, Beschluss vom 10. Juli 1986 - X ZB 29/84, BGHZ 98, 196 - Kraftfahrzeuggetriebe; BPatG, Beschluss vom 31. Juli 2000 - 20 W (pat) 82/99, BPatGE 43, 159 - Akustisches Oberflächenwellenfilter) und infolgedessen die bis dahin erlassenen Bescheide auch als in der Teilanmeldung erlassen anzusehen sind, ist es im Rahmen einer völlig eigenständigen Anmeldung, die die innere Priorität einer Voranmeldung in Anspruch nimmt, unzulässig, in Bescheiden lediglich auf in der Voranmeldung erlassenen Bescheide zu referenzieren und eine detaillierte Angabe von möglichen Gründen, die der Patentierung gemäß § 45 PatG entgegenstehen könnten, zu unterlassen. Das Prüfungsverfahren in der Nachanmeldung stellt sich als vollständig selbständiges Verfahren dar, in dem der Anmelderin die Patentierungshindernisse im Einzelnen mitzuteilen sind und ihr Gelegenheit zur Äußerung zu geben ist.

12

Hinzu kommt, dass die Prüfungsstelle durch die Äußerung in dem Prüfungsbescheid, dass bei Weiterverfolgung des Patentbegehrens in jedem Fall mit der Zurückweisung der Anmeldung gerechnet werden müsse, ganz offensichtlich zu erkennen gegeben hat, dass sie sich von vornherein in ihrer Entscheidung festgelegt habe und dass sie nicht gewillt sei, etwaige Äußerungen der Anmelderin überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Das ist mit Grundsätzen eines fairen Verfahrens nicht vereinbar. Die Prüfungsstelle hat der Anmelderin verfahrensfehlerhaft das Recht auf Äußerung (§ 45 Abs. 2, § 48 Satz 2 i. V. m. § 42 Abs. 3 Satz 2 PatG) verwehrt.

13

Diese Verfahrensverstöße waren auch ursächlich für die Beschwerdeeinlegung. Hätte die Prüfungsstelle bei ordnungsgemäßer Verfahrensbehandlung einerseits die Umstände, die ihrer Auffassung nach einer Patenterteilung entgegenstehen, vollumfänglich und nicht nur durch einen vagen Bezug auf einen in einer anderen Anmeldung erlassenen Bescheid mitgeteilt und hierzu eine Äußerungsmöglichkeit eingeräumt, und wäre sie andererseits einer Äußerung der Anmelderin ergebnisoffen begegnet, ist nicht auszuschließen, dass die Anmelderin ihre Anmeldung trotz einer etwaigen Zurückweisung bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr weiterverfolgt und sich die Beschwerde erübrigt hätte.