Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 11.11.2013


BPatG 11.11.2013 - 20 W (pat) 2/10

Patentbeschwerdeverfahren – „Verfahren zum Konfigurieren eines sicheren Busteilnehmers und sicheres Steuerungssystem mit einem solchen“ – zur Patentfähigkeit – kein technisches Mittel zur Lösung eines technischen Problems – das Verfahren geht nicht über den Bereich der Datenverarbeitung hinaus


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsdatum:
11.11.2013
Aktenzeichen:
20 W (pat) 2/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 199 40 874

hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündlichen Verhandlungen vom 11. November 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. Mayer, die Richterin Kopacek sowie die Richter Dipl.-Ing. Albertshofer und Dipl.-Geophys. Dr. Wollny

beschlossen:

Der Beschluss der Patentabteilung 31 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 28. September 2009 wird aufgehoben und das Patent 199 40 874 widerrufen.

Gründe

I.

1

Auf die am 27. August 1999 eingereichte Patentanmeldung, welche die innere Priorität 199 39 919.0 vom 23. August 1999 in Anspruch nimmt, wurde vom Deutschen Patent- und Markenamt das Patent 199 40 874 mit der Bezeichnung „Verfahren zum Konfigurieren eines sicheren Busteilnehmers und sicheres Steuerungssystem mit einem solchen“ erteilt. Die Patenterteilung wurde am 3. Mai 2007 im Patentblatt veröffentlicht. Das Patent umfasst insgesamt 10 Patentansprüche.

2

Gegen das Patent wurde am 3. August 2007 Einspruch erhoben, mit dem der Widerruf des Patents begehrt wird. Der Einspruch stützt sich auf den Widerrufsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG). Die Patentabteilung 31 des Deutschen Patent- und Markenamts hat das Patent mit Beschluss vom 28. September 2009 unverändert aufrechterhalten. Sie hielt den Einspruch zwar für zulässig, in der Sache jedoch für unbegründet.

3

Hiergegen wendet sich die Einsprechende mit ihrer Beschwerde vom 21. Dezember 2009. Sie ist der Auffassung, der Gegenstand des Patentanspruches 1 nach Hauptantrag bzw. nach Hilfsantrag 1 und 2 sei gemäß § 1 Abs. 3 i. V. m. Abs. 4 vom Patentschutz ausgeschlossen, i. Ü. beruhe er jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. In der mündlichen Verhandlung beantragt sie,

4

den Beschluss der Patentabteilung 31 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 28. September 2009 aufzuheben und das Patent 199 40 874 zu widerrufen.

5

Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin beantragt,

6

das Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen aufrecht zu erhalten:

7

Patentansprüche:

8

Patentansprüche 1 bis 10, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 11. November 2013

9

Beschreibung:

10

Beschreibungsseiten 2 bis 10, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 11. November 2013

11

Zeichnungen:

12

Figuren 1 bis 3, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 11. November 2013.

13

Hilfsweise beantragt sie,

14

das Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen aufrecht zu erhalten:

15

Hilfsantrag 1:

16

Patentansprüche 1 bis 9, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 11. November 2013

17

Beschreibung und Zeichnungen wie Hauptantrag.

18

Hilfsantrag 2:

19

Patentansprüche 1 bis 9, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 11. November 2013

20

Beschreibung und Zeichnungen wie Hauptantrag.

21

Die unabhängigen Ansprüche haben folgenden Wortlaut:

22

„1. Verfahren zum Konfigurieren eines sicheren Busteilnehmers (12, 14, 18-24) beim Anschließen an einen Feldbus (16) in einem sicheren Steuerungssystem (10), wobei dem sicheren Busteilnehmer (12, 14, 18-24) eine definierte Teilnehmeradresse (90) zugeordnet wird, mit den Schritten:

23

- Versenden eines ersten Anmeldetelegramms (114) von dem sicheren Busteilnehmer (12, 14, 18-24) zu einer an den Feldbus (16) angeschlossenen Verwaltungseinheit (70), wobei das erste Anmeldetelegramm (114) eine festgelegte Universaladresse (92) beinhaltet,

24

- Versenden eines Adreßvergabetelegramms (118) von der Verwaltungseinheit (70) an den sicheren Busteilnehmer (12, 14, 18-24), wobei das Adreßvergabetelegramm (118) die definierte Teilnehmeradresse (90) beinhaltet und

25

- Abspeichern der definierten Teilnehmeradresse (90) in einem Speicher (58; 120) des sicheren Busteilnehmers,

26

- wobei die Anwesenheit aller aktiv an den Feldbus (16) angeschlossenen Busteilnehmer (12, 14, 18 - 24) anhand einer Sollkonfiguration von Busteilnehmern (12, 14, 18 - 24) sowie anhand von Antworttelegrammen (104) der Busteilnehmer (12, 14, 18 - 24) überprüft wird, und

27

- wobei die Teilnehmeradresse (90) eines als nicht mehr aktiv erkannten Busteilnehmers (12, 14, 18 - 24) als definierte Teilnehmeradresse (90) versendet wird.“

28

„10. Steuerungssystem zum sicheren Steuern von sicherheitskritischen Prozessen (28 - 32), mit einer Verwaltungseinheit (70) und mit zumindest einem sicheren Busteilnehmer (12, 14, 18 - 24), die an einen Feldbus (16) angeschlossen sind, wobei der sichere Busteilnehmer (12, 14, 18 - 24) erste Mittel (40) zum Aufnehmen und Auswerten eines Bustelegramms (80) sowie einen Speicher (58; 120) zum Speichern einer dem Busteilnehmer (12, 14, 18 - 24) zugeordneten Teilnehmeradresse (90) aufweist, wobei der Busteilnehmer (12, 14, 18 - 24) zweite Mittel (40, 120; 40, 58) aufweist, um sich unter einer festgelegten Universaladresse (92) bei der Verwaltungseinheit (70) anzumelden, sowie dritte Mittel (42, 54), um ein Adreßvergabetelegramm (118) mit der Teilnehmeradresse (90) aufzunehmen und auszuwerten, wobei die Verwaltungseinheit (70) dazu ausgebildet ist, die Anwesenheit aller aktiv an den Feldbus (16) angeschlossenen Busteilnehmer (12, 14, 18 - 24) anhand einer Sollkonfiguration von Busteilnehmern (12, 14, 18 - 24) sowie anhand von Antworttelegrammen (104) der Busteilnehmer (12, 14, 18 - 24) zu überprüfen und die Teilnehmeradresse (90) eines als nicht mehr aktiv erkannten Busteilnehmers (12, 14, 18 - 24) als definierte Teilnehmeradresse (90) an den zumindest einen Busteilnehmer (12, 14, 18 - 24) zu versenden.“

29

An den geltenden Patentanspruch 1 nach Hauptantrag schließen sich abhängige Patentansprüche 2 bis 9 an, bezüglich derer auf die Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2013 verwiesen wird.

30

Der geltende Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 entspricht dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag und ist wie folgt ergänzt (das Wort „und“ vor der letzten Bindestrich wurde gestrichen):

31

und wobei ein Fehlersignal (128) von einer Verwaltungseinheit (70) erzeugt wird, wenn mehr als ein Busteilnehmer (12, 14, 18-24) das erste Anmeldetelegramm (114) versendet.“

32

An den geltenden Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 schließen sich abhängige Patentansprüche 2 bis 8 an, bezüglich derer auf die Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2013 verwiesen wird.

33

Der geltende Patentanspruch 9 nach Hilfsantrag 1 entspricht dem Patentanspruch 10 nach Hauptantrag und ist um folgendes Merkmal ergänzt:

34

und wobei die Verwaltungseinheit (70) ein Fehlersignal (128) erzeugt, wenn mehr als ein Busteilnehmer (12, 14, 18-24) das erste Anmeldetelegramm (114) versendet.“

35

Der geltende Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 entspricht dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag und ist wie folgt ergänzt:

36

und wobei der sichere Busteilnehmer (12, 14, 18-24) nach Empfang des Adreßvergabetelegramms (118) ein zweites Anmeldetelegramm (112) an die Verwaltungseinheit (70) versendet, das die definierte Teilnehmeradresse (90) beinhaltet.“

37

An den geltenden Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 schließen sich abhängige Patentansprüche 2 bis 8 an, bezüglich derer auf die Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2013 verwiesen wird.

38

Der geltende Patentanspruch 9 nach Hilfsantrag 2 entspricht dem Patentanspruch 10 nach Hauptantrag und ist um folgendes Merkmal ergänzt:

39

und wobei der sichere Busteilnehmer (12, 14, 18-24) nach Empfang des Adreßvergabetelegramms (118) ein zweites Anmeldetelegramm (112) an die Verwaltungseinheit (70) versendet, das die definierte Teilnehmeradresse (90) beinhaltet.“

40

Die Patentinhaberin ist der Ansicht, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag, jedenfalls der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 oder 2 patentfähig seien. Insbesondere handele es sich bei dem Gegenstand des Hauptantrags bzw. der Hilfsanträge 1 und 2 um kein Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches. Denn mit dem anspruchsgemäßen Abspeichern einer definierten Teilnehmeradresse erfolge eine Modifikation des Speichers des sicheren Busteilnehmers, in dem sich die Bitfolge im Speicher ändere, was eine geänderte Verteilung der Elektronen im Speicher zur Folge habe. Die technische Aufgabe bestehe darin, eine Teilnehmeradresse einem Busteilnehmer zuzuordnen. Die technischen Mittel zur Lösung dieser Aufgabe seien die verwendeten Gerätekomponenten. Die ferner von der Einsprechenden behauptete offenkundige Vorbenutzung werde mit Nichtwissen bestritten. Die Patentinhaberin bezweifelt, dass es sich bei den hierzu vorgelegten Druckschriften um vorveröffentlichten Stand der Technik handelt. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Hauptantrags bzw. der Hilfsanträge 1 und 2 sei gegenüber dem vorliegenden Stand der Technik neu und beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

41

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

42

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist in rechter Frist und Form unter Zahlung der Beschwerdegebühr eingelegt worden.

43

Die Beschwerde ist auch begründet, da sich der Gegenstand des Patents in keiner der beanspruchten Fassungen als patentfähig erweist.

44

1. Als Aufgabe nennt das Streitpatent, ein Verfahren anzugeben, mit dem einem sicheren Busteilnehmer von einer zentralen Stelle aus auf einfache und gleichzeitig fehlersichere Art und Weise eine Teilnehmeradresse zugeordnet werden kann [0019]. Es soll darüber hinaus Aufgabe der Erfindung sein, ein entsprechendes Steuerungssystem anzugeben.

45

2. Zum Hauptantrag

46

Der geltende Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet mit eingefügten Gliederungszeichen:

47

PA1.a Verfahren zum Konfigurieren eines sicheren Busteilnehmers (12, 14, 18-24) beim Anschließen an einen Feldbus (16) in einem sicheren Steuerungssystem (10),

48

PA1.b wobei dem sicheren Busteilnehmer (12, 14, 18-24) eine definierte Teilnehmeradresse (90) zugeordnet wird, mit den Schritten:

49

PA1.c Versenden eines ersten Anmeldetelegramms (114) von dem sicheren Busteilnehmer (12, 14, 18-24) zu einer an den Feldbus (16) angeschlossenen Verwaltungseinheit (70),

50

PA1.d wobei das erste Anmeldetelegramm (114) eine festgelegte Universaladresse (92) beinhaltet,

51

PA1.e Versenden eines Adreßvergabetelegramms (118) von der Verwaltungseinheit (70) an den sicheren Busteilnehmer (12, 14, 18-24),

52

PA1.f wobei das Adreßvergabetelegramm (118) die definierte Teilnehmeradresse (90) beinhaltet und

53

PA1.g Abspeichern der definierten Teilnehmeradresse (90) in einem Speicher (58; 120) des sicheren Busteilnehmers,

54

PA1.h wobei die Anwesenheit aller aktiv an den Feldbus (16) angeschlossenen Busteilnehmer (12, 14, 18 - 24) anhand einer Sollkonfiguration von Busteilnehmern (12, 14, 18 - 24) sowie anhand von Antworttelegrammen (104) der Busteilnehmer (12, 14, 18 - 24) überprüft wird, und

55

PA1.i wobei die Teilnehmeradresse (90) eines als nicht mehr aktiv erkannten Busteilnehmers (12, 14, 18 - 24) als definierte Teilnehmeradresse (90) versendet wird.

56

2.1 Als für die Beurteilung der Lehre des Patents relevanten Fachmann sieht der Senat einen Diplomingenieur der Fachrichtung Nachrichtentechnik bzw. Diplominformatiker an, der über mehrjährige praktische Erfahrungen mit Feldbussystemen und mit deren sicherheitsbezogenem Einsatz verfügt. Diesem Fachmann sind die auf diesem Gebiet einschlägigen Bussysteme wie Canbus, Interbus, DeviceNet mit ihren Übertragungsprotokollen geläufig. Zu seinen Aufgaben gehört insbesondere auch die Konfigurierung und Programmierung der an diese Bussysteme angeschlossenen und hierüber kommunizierenden programmierbaren Einheiten, die in der Patentschrift allgemein als Busteilnehmer bezeichnet werden [0008].

57

2.2 Einige Begriffe im Patentanspruch 1 bedürfen der Erläuterung:

58

Das anspruchsgemäße Verfahren nutzt ein Bussystem (Netzwerk), an das eine Verwaltungseinheit („Management Device“ mit Buscontroller 40) und mindestens ein Busteilnehmer (ebenfalls mit Buscontroller 40) angeschlossen sind, in der Patentschrift mit Steuerungssystem 10 benannt (vgl. Fig. 1 i. V. m. insbesondere [0053], [0057], [0061]). Verwaltungseinheit und Busteilnehmer kommunizieren jeweils mit Hilfe der Buscontroller 40 über das Bussystem. Die Buscontroller sind als Standard-Bausteine üblicherweise konfigurierbar und somit programmierbar [0053]. Für den Fachmann bildet das anspruchsgemäße Steuerungssystem somit eine Datenverarbeitungsanlage. Die Steuerung bzw. Regelung von Prozessen selbst (vgl. insbesondere in Fig. 1 die Bezugszeichen 28, 30, 32) ist nicht Gegenstand des anspruchsgemäßen Verfahrens, da die E/A-Kanäle und die hierüber übertragenen Signale bzw. Datenwerte keine Berücksichtigung finden (vgl. insbesondere Absätze 0049 und 0050). Soweit in den Patentansprüchen von einem „sicheren“ Busteilnehmer in einem „sicheren“ Steuerungssystem gesprochen wird, ergibt sich für den Fachmann aus dem Begriff „sicher“ keine Beschränkung des Patentgegenstandes, denn es ist nicht erkennbar, durch welche Eigenschaften bzw. Merkmale des anspruchsgemäßen Verfahrens dies gewährleistet sein soll.

59

Unter einem (ersten) „Anmeldetelegramm“ (PA1.c) und einem „Adreßvergabetelegramm“ (PA1.e) versteht der Fachmann Nachrichten, mittels denen Informationen zwischen einem Busteilnehmer und der Verwaltungseinheit ausgetauscht werden [0054]. Bei der als Information übertragenen „festgelegten Universaladresse“ (PA1.d) kann es sich um eine beliebige Adresse (= Information) handeln, es muss jedenfalls keine universelle Geräteadresse eines Busteilnehmers sein. Wie die „Adressierung“ der Telegramme innerhalb des Netzwerk erfolgt, damit eine Nachricht z. B. den Busteilnehmer erreicht (vgl. PA1.e), lässt der Patentanspruch offen; die Verwendung einer bestimmten Adresse, z. B. der „festgelegten Universaladresse“ ist anspruchsgemäß nicht gefordert. Die so bezeichnete „definierte Teilnehmeradresse“ ist Teil der mit dem Adreßvergabetelegramm übertragenen Information (PA1.i).

60

Unter einer „Sollkonfiguration“ (PA1.h), an Hand der die Anwesenheit aller aktiv an den Feldbus angeschlossenen Busteilnehmer überprüft werden soll, versteht der Fachmann ganz allgemein eine Liste, die in einem Speicher abgelegt ist. Was dort gespeichert ist, lässt der Patentanspruch 1 offen und auch der Beschreibung ist hierzu nichts zu entnehmen. Ebenso lässt der Patentanspruch offen, wie und wann die Überprüfung der Teilnehmer stattfindet. Gemäß der Beschreibung der Streitpatentschrift wird die Verwaltungseinheit über die Zahl der aktiv an den Feldbus angeschlossenen Teilnehmer informiert, indem diese mittels eines Antworttelegramms auf ein von der Verwaltungseinheit an alle Teilnehmer gesendetes Telegramm antworten (vgl. Streitpatent, Abs. [0075]). Eine Information über die antwortenden Teilnehmer wird offensichtlich in der Sollkonfiguration gespeichert. An Hand dieser Sollkonfiguration wird überprüft, welches Gerät sich noch nicht angemeldet hat und die Teilnehmeradresse eines nicht mehr aktiv erkannten Busteilnehmers wird als definierte Teilnehmeradresse ausgewählt.

61

2.3 Das Verfahren des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag ist nicht patentfähig (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG); es unterfällt dem Patentierungsausschluss des § 1 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 PatG.

62

Der Einspruch im Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt ist auf den Widerrufsgrund nach § 21, Abs. 1, Nr. 1 PatG gerichtet, wonach ein Patent widerrufen wird, wenn sich ergibt, dass der Gegenstand des Patents nach den §§ 1 bis 5 PatG nicht patentfähig ist. Das Patentgericht ist daher befugt, neben der im Einspruchsverfahren gegenüber den §§ 3 und 4 PatG erfolgten Prüfung auf Neuheit und erfinderischer Tätigkeit auch zu überprüfen, ob eine patentfähige Erfindung nach § 1 PatG vorliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 1995 - X ZB 11/92, GRUR 1995, 333, Leitsatz 3, - Aluminium-Trihydroxid).

63

Gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei Erfindungen mit Bezug zu Geräten und Verfahren (Programmen) der elektronischen Datenverarbeitung zunächst zu klären, ob der Gegenstand der Erfindung zumindest mit einem Teilaspekt auf technischem Gebiet liegt (§ 1 Abs. 1 PatG). Danach ist zu prüfen, ob dieser Gegenstand lediglich ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches darstellt und deshalb vom Patentschutz ausgeschlossen ist. Der Ausschlusstatbestand greift nicht ein, wenn diese weitere Prüfung ergibt, dass die Lehre Anweisungen enthält, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen (BGH, Urteil vom 24. Februar 2011 - X ZR 121/09, GRUR 2011, 610, Leitsatz a – Webseitenanzeige).

64

a) Das Verfahren des Patentanspruchs 1 liegt auf dem Gebiet der Technik gemäß § 1 Abs. 1 PatG, weil es der datenverarbeitungsmäßigen Abarbeitung von Verfahrensschritten in netzwerkmäßig verbundenen Geräten dient und somit den Einsatz von programmierbaren Einheiten, den Busteilnehmern, bedingt. Es lehrt eine bestimmte Nutzung der Komponenten eines Steuerungssystem und gibt damit eine Anweisung zum technischen Handeln (BGH, Beschluss vom 22. April 2010 - Xa ZB 20/08, BGHZ 185, 214, Tz. 20-22 – Dynamische Dokumentengenerierung).

65

b) Die Lehre des Patentanspruchs 1 enthält jedoch keine Anweisungen, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen.

66

Ob ein konkretes technisches Problem durch eine Erfindung mit technischen Mitteln gelöst wird, ist objektiv danach zu bestimmen, was die Erfindung tatsächlich leistet. Dies ist durch Auslegung des Patentanspruchs zu entwickeln. Die in der Patentschrift angegebene Aufgabe fungiert lediglich als Hilfsmittel bei der Ermittlung des objektiven technischen Problems (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 2011 – X ZR 121/09, GRUR 2011, 610, Tz. 20 – Webseitenanzeige mit weiteren Nachweisen).

67

Aus Sicht des Senats kann dahingestellt bleiben, ob in der „Zuordnung einer definierten Teilnehmeradresse“ an einen Busteilnehmer (Merkmale PA1.b und Beschreibung Absatz 0019) ein konkretes technisches Problem gesehen werden kann, da es an den technischen Mitteln fehlt, dieses Problem zu lösen.

68

Ein technisches Mittel zur Lösung eines technischen Problems liegt vor, wenn Gerätekomponenten modifiziert oder grundsätzlich abweichend adressiert werden (BGH, Urteil vom 24. Februar 2011 – X ZR 121/09, GRUR 2011, 610 – Webseitenanzeige, Rn. 21). Unter „adressiert“ ist hier nicht die Zuordnung einer anderen Adresse zu Gerätekomponenten zu verstehen, sondern ob die Gerätekomponenten in einer grundsätzlich anderen Weise als üblich in den Verfahrensablauf einbezogen sind bzw. im Verfahrensablauf zusammenarbeiten. Ersichtlich zielt keine der im Patentanspruch 1 aufgezeigten Maßnahmen auf die Modifikation einer Gerätekomponente oder auf eine andere als die übliche Nutzung der Komponenten.

69

Von einem zur Lösung eines technischen Problems eingesetzten technischen Mittel kann ferner dann gesprochen werden, wenn der Ablauf eines zur Problemlösung eingesetzten Datenverarbeitungsprogramms durch technische Gegebenheiten außerhalb der Datenverarbeitungsanlage bestimmt wird oder wenn die Lösung gerade darin besteht, ein Datenverarbeitungsprogramm so auszugestalten, dass es auf die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage Rücksicht nimmt (BGH, Urteil vom 24. Februar 2011 - X ZR 121/09, GRUR 2011, 610 - Webseitenanzeige, Rn. 22). Auch diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

70

Gemäß den Merkmalen PA1.c und PA1.d wird von einem Busteilnehmer über ein Netzwerk (Feldbus) eine Nachricht (Anmeldetelegramm) zu einer Verwaltungseinheit versandt, wobei diese Nachricht als Information eine festgelegte Universaladresse beinhaltet. Die Verwaltungseinheit versendet eine weitere Nachricht (Adreßvergabetelegramm) an den Busteilnehmer, die als Information eine definierte Teilnehmeradresse beinhaltet (Merkmale PA1.e und PA1.f) und der Busteilnehmer speichert diese definierte Teilnehmeradresse im Speicher des Busteilnehmers ab (PA1.g). Aus dem Zusammenhang ergibt sich für den Fachmann, dass dies mit Mitteln der elektronischen Datenverarbeitung erfolgt, also durch die programmiertechnische Umsetzung dieser Anweisung. Die Merkmale PA1.c bis PA1.g beschränken sich darauf, im Stand der Technik bekannte technische Mittel einzusetzen, um im Rahmen des Informationsaustausches zwischen Verwaltungseinheit und verschiedenen Busteilnehmern, die über das Bussystem verbunden sind, eine Teilnehmeradresse zu übermitteln und abzuspeichern.

71

Das gleiche gilt auch für die Anweisungen in den Verfahrensschritten PA1.h und PA1.i. Anhand von in einer Sollkonfiguration vorliegenden Daten und anhand von von den Busteilnehmern empfangenen Informationen (Antworttelegramme), wird demnach die Anwesenheit aller aktiv angeschlossenen Busteilnehmer überprüft (Merkmal PA1.h). Wie dies geschehen soll, bleibt dem Fachmann überlassen. Dabei handelt es sich zur Überzeugung des Senats aus fachmännischer Sicht um einen programmtechnischen Vergleich von in einem Speicher vorliegenden Daten (Sollkonfiguration) mit Informationen, die in den Nachrichten über eine übliche Schnittstelle übertragen und empfangen werden. Wird von dem Programm festgestellt, dass ein Teilnehmer nicht mehr aktiv an dem Netzwerk angeschlossen ist, so wird dessen Teilnehmeradresse, die offensichtlich den gespeicherten Daten (Sollkonfiguration) entnommen wird, als definierte Teilnehmeradresse verwendet und versendet (Merkmal (PA1.i).

72

Das Verfahren nach Patentanspruch 1 sieht nicht vor, dass die Verwaltungseinheit bzw. die mit ihr über ein Netzwerk verbundenen Busteilnehmer auf technische Gegebenheiten Rücksicht nehmen, die diesem Steuerungssystem selbst anhaften oder die außerhalb davon vorhanden sind. Das anspruchsgemäße Verfahren erschöpft sich vielmehr darin, Informationen zwischen einer Verwaltungseinheit und Busteilnehmern über ein Netzwerk zu übertragen, zu speichern und in bestimmter Weise aufzubereiten, also in den üblichen Operationen der Datenverarbeitung. Hierzu sieht es nicht vor, etwa technische Umweltparameter - zu denen hier insbesondere die an den Busteilnehmern angeschlossenen Systeme zur Prozesssteuerung (z. B. Prozesse 28, 30, 32 in Fig. 1) zählen - durch geeignete Messeinrichtungen zu erfassen oder die Daten in Abhängigkeit von technischen Gegebenheiten zu verarbeiten (vgl. insbesondere [0049], [0050]). Damit geht das anspruchsgemäße Verfahren nicht über den Bereich der Datenverarbeitung als solche hinaus.

73

Die Leistung des anspruchsgemäßen Verfahrens besteht somit lediglich im Versenden (PA1.c, e, i), Abspeichern (PA1.g) und Verarbeiten (PA1.h) von in nicht näher bestimmter Form zusammengestellten Informationen (PA1.d, f, i), also üblichen datentechnischen Verfahrensschritten, was die Patentfähigkeit im Hinblick auf § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG jedenfalls nicht begründen kann (BGH, Urteil vom 24. Februar 2011 – X ZR 121/09, GRUR 2011, 610 – Webseitenanzeige, Rn. 29).

74

Aus diesem Grund geht auch die Argumentation der Patentinhaberin, wonach bereits das Speichern von Adressen eine Modifikation von Gerätekomponenten bedeute, da sich der Busteilnehmer in Bezug auf die Verteilung der Elektronen im Speicher geändert habe, ins Leere.

75

Ob die Anwendung des anspruchsgemäßen Verfahrens dazu beitragen kann, dass sich eine Modifikation gegenüber der bisherigen Konfiguration der Adresse von Busteilnehmern mittels mechanischer Codierschalter [0011] ergibt, wie die Patentinhaberin geltend macht, kann dahinstehen, weil solche sich vielleicht einstellende Folgen nicht Gegenstand der patentgemäßen Anweisungen im Patentanspruch 1 sind, sondern sich unter Umständen als deren mittelbare Folge ergeben können.

76

2.6 Die Merkmale des Gegenstands des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag erschöpfen sich somit zur Überzeugung des Senats in einem Verfahren, das über den Bereich der Datenverarbeitung als solche nicht hinausgeht und somit nicht patentfähig ist (§ 21 Abs. 1 Nr. 1).

77

3. Zum Hilfsantrag 1

78

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag i. W. durch das zusätzliche Merkmal

79

PA1.j und wobei ein Fehlersignal (128) von einer Verwaltungseinheit (70) erzeugt wird, wenn mehr als ein Busteilnehmer (12, 14, 18-24) das erste Anmeldetelegramm (114) versendet.

80

Der Fachmann versteht hier unter einem „Fehlersignal“ lediglich eine programmtechnisch erzeugte Information. Das Merkmal PA1.j erschöpft sich somit in rein programmbezogenen Überlegungen, nämlich der Erzeugung einer Information über das Vorliegen eines Fehlers, wenn die Verwaltungseinheit mehr als ein erstes Anmeldetelegramm über das Netzwerk empfängt. Der Einsatz von technischen Mitteln ist nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen worden.

81

Die Berücksichtigung dieses Merkmals im Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag kann daher die Patentfähigkeit des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 im Hinblick auf § 1 Abs. 3 Nr. 3 jedenfalls nicht begründen.

82

4. Zum Hilfsantrag 2

83

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag durch das zusätzliche Merkmal

84

PA1.k und wobei der sichere Busteilnehmer (12, 14, 18-24) nach Empfang des Adreßvergabetelegramms (118) ein zweites Anmeldetelegramm (112) an die Verwaltungseinheit (70) versendet, das die definierte Teilnehmeradresse (90) beinhaltet.

85

Die Verfahrensmaßnahme PA1.k besteht lediglich im Empfang und der Übermittlung von Informationen als übliche datentechnische Verfahrensschritte. Der Einsatz von technischen Mitteln ist nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen worden.

86

Die Berücksichtigung dieses Merkmals im Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag kann daher die Patentfähigkeit des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 im Hinblick auf § 1 Abs. 3 Nr. 3 jedenfalls nicht begründen.

87

4. Die Patentinhaberin hat auch auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung ihr Patent lediglich in der Fassung der Anträge verteidigt. Mit dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag sowie Hilfsanträgen 1 und 2 fallen auch alle anderen Ansprüche der jeweiligen Antragsfassungen, da das Patent nur so Bestand haben kann, wie es beantragt ist (BGH, Beschluss vom 26. September 1996 – X ZB 16/95, GRUR 1997, 120 – elektrisches Speicherheizgerät, mit weiteren Nachweisen).

88

Die Beschwerde erweist sich somit als begründet und das Patent war im Ergebnis zu widerrufen.

89

Auf den von der Einsprechenden in das Verfahren eingeführten Stand der Technik und seine Relevanz für den Rechtsbestand des Streitpatents kommt es unter diesen Umständen nicht an.