Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 03.04.2013


BPatG 03.04.2013 - 20 W (pat) 13/09

Patenteinspruchsbeschwerdeverfahren – „System und Verfahren zum Klassifizieren von elektronischen Nachrichten“ – zur Patentfähigkeit – zur Nichtberücksichtigung von Merkmalen, die die Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln nicht bestimmen oder zumindest nicht beeinflussen


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsdatum:
03.04.2013
Aktenzeichen:
20 W (pat) 13/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In dem Einspruchsbeschwerdeverfahren

…       

betreffend das Patent 10 2004 014 139            

 hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 3. April 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. Mayer, die Richterin Kopacek sowie die Richter Dipl.-Ing. Albertshofer und Richter Dipl.-Geophys. Dr. Wollny

beschlossen:

Der Beschluss der Patentabteilung 31 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. November 2008 wird aufgehoben und das Patent 10 2004 014 139 wird widerrufen.

        

Gründe

1

I.    

2

 Gegen das Patent 10 2004 014 139 mit der Bezeichnung „System und Verfahren zum Klassifizieren von elektronischen Nachrichten“, dessen Erteilung am 20. Juli 2006 im Patentblatt veröffentlicht wurde, hat die Einsprechende am 19. Oktober 2006 Einspruch erhoben.

Mit Beschluss vom 20. November 2008 hat die Patentabteilung 31 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent in beschränktem Umfang aufrechterhalten. Gegen diesen Beschluss, der ihr am 16. Februar 2009 zugegangen ist, hat die Einsprechende Beschwerde mit Schriftsatz vom 15. Januar 2009 eingelegt, der per Fax am 16. Januar 2009 im Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen, ist.

Sie beantragt,

3

den Beschluss der Patentabteilung 31 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. November 2008 aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

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 Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin beantragt,

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den Beschluss der Patentabteilung 31 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. November 2008 aufzuheben und das Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen aufrecht zu erhalten:

Patentansprüche 1 bis 43, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 3. April 2013

Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift,

hilfsweise :

Patentansprüche 1 bis 20, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 3. April 2013

Beschreibung und Zeichnungen wie Hauptantrag.

        
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Die einander nebengeordneten Patentansprüche 1 und 21 in der Fassung gemäß Hauptantrag lauten:

        
7

„1. Vorrichtung (1) zum Klassifizieren von elektronischen Nachrichten (2), die in einer Empfangsvorrichtung empfangen wurden, wobei die Vorrichtung (1) zumindest zwei Bewertungseinheiten (11, 12) umfasst, dadurch gekennzeichnet, dass den Bewertungseinheiten (11, 12) eine Kombinationseinheit (13) zugeordnet ist, dass die Bewertungseinheiten der Kombinationseinheit (13) vorgeschaltet sind und mit dieser für einen Datentransfer von den Bewertungseinheiten (11, 12) zu der Kombinationseinheit (13) verbunden sind, dass mit dieser die Bewertung der einzelnen Bewertungsverfahren kombiniert werden und diese kombinierte Bewertung zur Zuordnung zu zumindest einer Klasse verwendet wird und in Abhängigkeit von der Klassifizierung die Nachricht anschließend von einem Verteiler an einen zutreffenden Speicherort weitergeleitet wird, und der Ausgang der Kombinationseinheit (13) mit zumindest einem Eingang einer der Bewertungseinheiten (12) verbunden ist und mindestens eine Bewertungseinheit (11, 12) eine Berechnungseinheit (123) für die Berechnung einer Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit der Nachricht zu einer Klasse umfasst.“

„21. Verfahren zum Klassifizieren von elektronischen Nachrichten (2), die auf einer Empfangsvorrichtung empfangen werden, dadurch gekennzeichnet, dass die empfangene Nachricht (2) einem ersten Bewertungsverfahren und mindestens einem zweiten Bewertungsverfahren unterzogen wird, wobei der Nachricht (2) in den Bewertungsverfahren jeweils eine Bewertung zugeordnet wird, die Bewertungen der beiden Bewertungsverfahren miteinander kombiniert werden, die Nachricht (2) aufgrund der kombinierten Bewertung mindestens einer Klasse zugeordnet wird und in Abhängigkeit von der Klassifizierung die Nachricht anschließend von einem Verteiler an einen zutreffenden Speicherort weitergeleitet wird und Nachrichten (2) zumindest einer Klasse zumindest teilweise für die Bewertung von weiteren Nachrichten (2) in zumindest einem der Bewertungsverfahren verwendet werden und in zumindest einem Bewertungsverfahren jeweils eine Wahrscheinlichkeit (Sa, Sb) der Zugehörigkeit der Nachricht (2) zu einer Klasse bestimmt wird.“

8

 Wegen der abhängigen Patentansprüche 2 bis 20 und 22 bis 43 wird auf die in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen verwiesen.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet:

9

„1. Vorrichtung (1) zum Klassifizieren von elektronischen Nachrichten (2), die in einer Empfangsvorrichtung empfangen wurden, wobei die Vorrichtung (1) zumindest zwei Bewertungseinheiten (11, 12) umfasst, dadurch gekennzeichnet, dass den Bewertungseinheiten (11, 12) eine Kombinationseinheit (13) zugeordnet ist, dass die Bewertungseinheiten der Kombinationseinheit (13) vorgeschaltet sind und mit dieser für einen Datentransfer von den Bewertungseinheiten (1, 12) zu der Kombinationseinheit (13) verbunden sind, dass mit dieser die Bewertung der einzelnen Bewertungsverfahren kombiniert werden und diese kombinierte Bewertung zur Zuordnung zu zumindest einer Klasse verwendet wird und in Abhängigkeit von der Klassifizierung die Nachricht anschließend von einem Verteiler an einen zutreffenden Speicherort weitergeleitet wird, und der Ausgang der Kombinationseinheit (13) mit zumindest einem Eingang einer der Bewertungseinheiten (12) so verbunden ist, daß der Ausgang der Kombinationseinheit (13) mit einer Speichereinheit (16), die einer Bewertungseinheit (12) zugeordnet ist, verbunden ist und der Bewertung dieser Bewertungseinheit (11, 12) mit zunehmender Zeit eine größere Gewichtung bei der Kombination der Bewertungen zugeteilt wird, und mindestens eine Bewertungseinheit (11, 12) eine Berechnungseinheit (123) für die Berechnung einer Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit der Nachricht zu einer Klasse umfasst.“

10

 Wegen der abhängigen Patentansprüche 2 bis 20 wird auf die in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen verwiesen.

Die Patentinhaberin hält die Gegenstände ihrer Anspruchsfassungen jeweils für patentfähig, da sie durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik weder neuheitsschädlich vorweggenommen, noch dem Fachmann nahe gelegt seien. Im Übrigen würde durch die Anspruchsgegenstände nach Haupt- und Hilfsantrag ein technisches Problem mit technischen Mitteln gelöst.

Die Einsprechende hält den Gegenstand der Anspruchsfassung des Hauptantrags und des Hilfsantrags für nicht patentfähig. Im Übrigen ändere der Gegenstand des Patentanspruchs 22 nach Hauptantrag und der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag den Schutzbereich des ursprünglich erteilten Patents in unzulässiger Weise.

Die Einsprechende hatte ihren Einspruch auf die bereits im Erteilungsverfahren in Betracht gezogenen Druckschriften

11

(D1) WO 2004/079501 A2

(D2) US 5 999 932 A

(D3) US 2004/0039786 A1

        
12

sowie auf die weiteren Druckschriften

13

(D4) US 6 161 130A

(D5) US 6 072 942 A

(D6) Webwasher, „Spam erkennen und bekämpfen“, Management White Paper, 30. Juli 2003

(D7) IT SecCity.de - Newsletter ,“'SpamEquator Prime' schützt T-Online Kunden vor unerwünschten Werbe-Mails“, 16. Januar 2004

(D8) „Eine Spam zu löschen kostet ein Lächeln. Hunderte kosten Produktivität“, W… AG in P…, 10. März 2004

14

 gestützt:

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

15

II.     

16

 Die zulässige Beschwerde der Einsprechenden hat Erfolg, da der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag nicht patentfähig ist, weil die Merkmale, durch die er sich vom Stand der Technik unterscheidet, die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln nicht bestimmen oder zumindest beeinflussen und deshalb bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen sind.

17

1. Das Patent betrifft eine Vorrichtung bzw. ein System sowie ein Verfahren zum Klassifizieren von elektronischen Nachrichten (vgl. Streitpatent, Abs. [0001]).

18

Elektronische Nachrichten, wie beispielsweise elektronische Post (E-Mail), würden zunehmend verwendet, um Werbemitteilungen oder dergleichen einer Vielzahl von Empfängern schnell und einfach zur Verfügung zu stellen. Ein Großteil dieser Nachrichten sei aber von dem Empfänger gar nicht erwünscht. Da die Anzahl dieser sogenannten „Spam“ immer mehr zunehme, seien Filter entwickelt worden, die sich eines Verfahrens zur Erkennung von unerwünschten E-Mails bedienten, die „Spams“ erkennen und diese in einem separaten Ordner ablegen oder löschen würden (vgl. Streitpatent, Abs. [0002]).

Das Streitpatent stellt sich vor diesem Hintergrund die Aufgabe, eine Vorrichtung bzw. ein System und ein Verfahren zum Klassifizieren von elektronischen Nachrichten zu schaffen, bei dem unerwünschte Nachrichten zuverlässig erkannt werden könnten und die Anzahl von fälschlich klassifizierten Nachrichten, insbesondere die Einstufung von legitimen E-Mails als Spam, gering sei (Streitpatent, Abs. [0012]).

19

2. Die patentgemäße Lehre richtet sich als einschlägigen Fachmann an einen Nachrichtentechniker mit Fachhochschulabschluss, der Erfahrungen mit der Verarbeitung von Informationen hat, die von einer Datenverarbeitungsanlage empfangen werden.

3. Hauptantrag und Hilfsantrag

20

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag umfasst die Merkmale des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag. Nachdem der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 - wie die nachfolgenden Ausführungen zum Hilfsantrag 1 zeigen - nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist auch der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag nicht rechtsbeständig.

3.1 Die Vorrichtung des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag wird durch folgende Merkmale beschrieben (mit eingefügter Merkmalsgliederung, ohne Angabe der Bezugszeichen, Ergänzungen gegenüber Hauptantrag unterstrichen):

21

M1.1 Vorrichtung zum Klassifizieren von elektronischen Nachrichten, die in einer Empfangsvorrichtung empfangen wurden, wobei

M1.2 die Vorrichtung zumindest zwei Bewertungseinheiten umfasst, dadurch gekennzeichnet, dass

M1.3 den Bewertungseinheiten eine Kombinationseinheit zugeordnet ist, dass

M1.3a die Bewertungseinheiten der Kombinationseinheit vorgeschaltet sind und

M1.3b mit dieser für einen Datentransfer von den Bewertungseinheiten zu der Kombinationseinheit verbunden sind,

M1.3c dass mit dieser die Bewertung der einzelnen Bewertungsverfahren kombiniert werden und

M1.4 diese kombinierte Bewertung zur Zuordnung zu zumindest einer Klasse verwendet wird und

M1.5 in Abhängigkeit von der Klassifizierung die Nachricht anschließend von einem Verteiler an einen zutreffenden Speicherort weitergeleitet wird, und

M1.6 der Ausgang der Kombinationseinheit mit zumindest einem Eingang einer der Bewertungseinheiten so verbunden ist, daß der Ausgang der Kombinationseinheit mit einer Speichereinheit, die einer Bewertungseinheit zugeordnet ist, verbunden ist und

M1.7 der Bewertung dieser Bewertungseinheit mit zunehmender Zeit eine größere Gewichtung bei der Kombination der Bewertungen zugeteilt wird, und

22

M1.8 mindestens eine Bewertungseinheit eine Berechnungseinheit für die Berechnung einer Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit der Nachricht zu einer Klasse umfasst.

23

 Ausgehend von dem Fach- und Erfahrungswissen des einschlägigen Fachmanns legt der Senat dem vorstehenden Patentanspruch 1 und den darin enthaltenen Begriffen folgendes Verständnis zu Grunde:

Die verteidigte Vorrichtung muss in der Lage sein, elektronische Nachrichten zu empfangen (Merkmal M1.1). Bei der Empfangsvorrichtung handelt es sich um eine Datenverarbeitungsanlage (also einen Computer), z. B. einen PC, einen Laptop, einen Server oder ein Mobiltelefon (vgl. Streitpatentschrift Abs. [0049]), die insbesondere über eine Datenverbindung (z. B. LAN- oder WLAN-Verbindung) mit entsprechendem Interface und Speichereinheiten verfügt. Bezüglich der Ausgestaltung der Empfangsvorrichtung ist dem Streitpatent zu entnehmen, dass insbesondere die Bewertungseinheiten und die Kombinationseinheit vorzugsweise als Programme und nicht räumlich-körperlich ausgeführt sind (vgl. Streitpatent, Abs. [0047]), mithin handelt es sich für den einschlägigen Fachmann beim Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag um eine Datenverarbeitungsanlage, auf der ein oder mehrere Programme ablaufen.

Bei den vorgesehenen Bewertungseinheiten und der Kombinationseinheit handelt es sich um einzelne Programmmodule. In den Programmmodulen für die Bewertungseinheiten werden die empfangenen elektronischen Nachrichten mittels eines nicht näher beschriebenen Bewertungsverfahrens zunächst mit einer Bewertung versehen (Merkmal M1.2, vgl. Streitpatent, Abs. [0018]). In dem Programmmodul für die Kombinationseinheit werden die Bewertungen der einzelnen Bewertungsverfahren anschließend in nicht näher beanspruchter Weise kombiniert (Merkmal M1.3c). Hierzu werden die Ergebnisse (Bewertungen) der Programmmodule für die Bewertungseinheiten über die Speichereinheiten der Datenverarbeitungsanlage an das Programmmodul für die Kombinationseinheit weitergegeben, mithin sind die Bewertungseinheiten der Kombinationseinheit vorgeschaltet (Merkmal 1.3a) und mit dieser für einen Datentransfer von den Bewertungseinheiten zu der Kombinationseinheit verbunden (Merkmal 1.3b). Die kombinierte Bewertung wird für die Zuordnung (einer Nachricht) zu zumindest einer Klasse (z. B. „Spam“, „kein Spam“; vgl. Streitpatent, Abs. [0014]) verwendet (Merkmal M1.4). Die Nachricht wird anschließend in Abhängigkeit von der Klassifizierung an einen zutreffenden Ort der Speichereinheiten („Spam“, „kein Spam“) weitergeleitet, d. h. im Programmablauf werden die klassifizierten Nachrichten an die zutreffenden Speicherorte verteilt („Verteiler“; Merkmal M1.5) und insbesondere innerhalb der Datenverarbeitungsanlage gespeichert.

Das Merkmal 1.6, wonach der Ausgang der Kombinationseinheit mit zumindest einem Eingang einer der Bewertungseinheiten so verbunden ist, dass der Ausgang der Kombinationseinheit mit einer Speichereinheit, die einer Bewertungseinheit zugeordnet ist, verbunden ist, versteht der einschlägige Fachmann in der Weise, dass das Ergebnis der Bewertung in einer Speichereinheit innerhalb der Datenverarbeitungsanlage gespeichert wird, auf die auch eines der Programmodule für die Bewertungseinheiten Zugriff hat. Damit wird eine Datenbasis für das Bewertungsverfahren in einer der Bewertungseinheiten aufgebaut (vgl. Streitpatent, Abs. [0062], vorletzter Satz).

Mithin versteht der einschlägige Fachmann die Merkmale als Schritte innerhalb eines Programmablaufs, also eines Computerprogramms auf einer Datenverarbeitungsanlage, dessen Aufgabe allein darin liegt, eine Vorsortierung der eingehenden Nachrichten für eine Benutzerinformation („Spam“ bzw. „kein Spam“) zu erreichen und diese Vorsortierung im laufenden Betrieb zu verbessern.

3.2 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung des Hilfsantrags beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit durch den einschlägigen Fachmann.

a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss eine Anmeldung, die ein Computerprogramm oder ein durch ein Datenverarbeitungsprogramm verwirklichtes Verfahren zum Gegenstand hat, über die für die Patentfähigkeit unabdingbare Technizität hinaus verfahrensbestimmende Anweisungen enthalten, die die Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln zum Gegenstand haben. Schutzfähig ist eine programmbezogene Lehre nur dann, wenn die Lösung des konkreten technischen Problems neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht (BGH, Beschluss vom 22. April 2010 - Xa ZB 20/08, GRUR 2010, 613 - Dynamische Dokumentengenerierung). Bei der Prüfung der Erfindung auf erfinderische Tätigkeit sind dabei nur diejenigen Anweisungen zu berücksichtigen, die die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2010 - X ZR 47/07, GRUR 2011, 125 - Wiedergabe topografischer Informationen).

Von einem zur Lösung eines technischen Problems eingesetzten technischen Mittel kann insbesondere dann gesprochen werden, wenn der Ablauf eines zur Problemlösung eingesetzten Datenverarbeitungsprogramms durch technische Gegebenheiten außerhalb der Datenverarbeitungsanlage bestimmt wird oder wenn die Lösung gerade darin besteht, ein Datenverarbeitungsprogramm so auszugestalten, dass es auf die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage Rücksicht nimmt (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 2011 – X ZR 121/09, GRUR 2011, 610 - Webseitenanzeige). Außerhalb der Technik liegende Anweisungen, insbesondere wenn sie sich darauf beschränken, zu umschreiben, wozu der Computer eingesetzt werden soll, genügen in diesem Zusammenhang grundsätzlich nicht (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2004 – X ZB 20/03, GRUR 2004, 667 – Elektronischer Zahlungsverkehr).

24

b) Unstrittig dienen die Merkmale M1.1 und M1.5 teilweise zur Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln, da mittels der verteidigten Vorrichtung elektronische Nachrichten in einer Empfangseinrichtung empfangen an verschiedene Speicherorte weitergeleitet werden.

c) Im vorliegenden Fall werden die empfangenen Nachrichten im Programmablauf mittels zumindest zwei (vorgeschalteten) Bewertungsverfahren (Programmmodule) bewertet und die Bewertungen an eine Kombinationseinheit (weiteres Programmmodul) weitergegeben, in der diese Bewertungen kombiniert und die Nachrichten entsprechend der kombinierten Bewertung einer Klasse zuordnet werden (Merkmale M1.2 bis M1.4). Aus dem Zusammenhang ergibt sich zwar, dass dies mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitungsanlage erfolgt. Ersichtlich wird durch diese Merkmale kein technisches Problem mit technischen Mitteln gelöst, es handelt sich vielmehr um außerhalb der Technik liegende Anweisungen, die sich darauf beschränken, zu umschreiben, wozu der Computer eingesetzt werden soll.

25

 Nichts anderes gilt für die Merkmale M1.5 Rest und M1.6, gemäß denen - nach dem Verständnis des einschlägigen Fachmanns - die Nachrichten in Abhängigkeit von der Klassifizierung gespeichert werden und das Ergebnis der kombinierten Bewertung in einer Speichereinheit abgelegt wird, auf die zumindest eine der Bewertungseinheiten zugreifen kann. Auch hier handelt es sich um außerhalb der Technik liegende Anweisungen, die sich darauf beschränken, zu umschreiben, wozu der Computer eingesetzt werden soll.

Der Vortrag der Patentinhaberin, die Merkmale seien technischer Natur, da sie eine Übermittlung elektronischer Nachrichten gewährleisten und ein Volllaufen eines Mail-Postfaches verhindern, indem ein geeigneter Speicherort bereitgestellt wird und die Datenverarbeitungsanlage insofern beeinflussen, dass diese festlegt, wo die entsprechenden Daten abgelegt bzw. gespeichert werden, führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Zur Überzeugung des Senats wird dadurch kein technisches Problem gelöst, da der Ablauf des hier eingesetzten Datenverarbeitungsprogramms nicht durch technische Gegebenheiten außerhalb der Datenverarbeitungsanlage bestimmt oder beeinflusst wird.

Das Merkmal M1.7 erschöpft sich in der Anweisung, mit zunehmender Zeit einer Bewertungseinheit eine größere Gewichtung bei der Kombination der Bewertungen zuzuteilen. Insofern geht dieses Merkmal über die bloße Verarbeitung von Daten nicht hinaus. Gleiches gilt für das Merkmal M1.8, wonach in einem der Programmmodule für die Bewertungseinheiten ein bestimmter Algorithmus (Berechnung einer Wahrscheinlichkeit) verwendet werden soll. Diese Anweisungen haben keinen technischen Charakter und lösen auch kein technisches Problem.

Die Merkmale M1.2 bis M1.4, M1.5 Rest , M1.6 bis M1.8 beziehen sich somit allesamt auf den Ablauf des Datenverarbeitungsprogramms, deren Zweck allein darin liegt, eine Vorsortierung der empfangenen Nachrichten für eine Benutzerinformation („Spam“ bzw. „kein Spam“) zu erreichen. Alle Schritte finden innerhalb der Datenverarbeitungsanlage statt. Es handelt sich zur Überzeugung des Senats um Anweisungen zur Auswahl von Daten, deren technischer Aspekt sich auf die Anweisung beschränkt, hierzu Mittel der elektronischen Datenverarbeitung einzusetzen. Diese können bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit jedoch nicht berücksichtigt werden (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 – X ZR 3/12 - Routenplanung).

d) Die Vorrichtung des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag, und somit auch nach Hauptantrag, beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Die Druckschrift US 6 161 130 A (D4) offenbart eine Vorrichtung zur Überprüfung einkommender E-Mail-Nachrichten, insbesondere prüft sie, ob es sich um „junk“ handelt (vgl. Abstract; Sp. 1, Z. 10 bis 18 i. V. m. Fig. 3A „Incoming E-Mail Messages“ und „Mail Classifier“). Mithin ist hieraus eine Vorrichtung zum Klassifizieren von elektronischen Nachrichten bekannt, die in einer Empfangsvorrichtung empfangen werden (Merkmal M1.1) und an verschiedene Speicherorte („Mail Store“ 220 in Fig. 3A) weitergeleitet werden (Merkmal M1.5 teilweise ).

Aus der US 6 161 130 A (D4) sind in Übereinstimmung mit dem verteidigten Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag weitere Merkmale bekannt, da auch dort die Bewertung (vgl. Fig. 3A, „CLASSIFIER 370“, Sp. 15, Z. 57 bis 60) der eingehenden Nachrichten in zumindest zwei Bewertungseinheiten („Classifier“; Sp. 15, Z. 18) mit unterschiedlichen Klassifikationstechniken erfolgt, wobei eine Bewertungseinheit eine Berechnungseinheit für die Berechnung einer Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit der Nachricht zu einer Klasse umfasst, und die Ergebnisse der Bewertungseinheiten kombiniert werden, und daraus eine Wahrscheinlichkeit für die Zugehörigkeit der eingehenden Nachricht zu einer Klasse berechnet (vgl. Sp. 15, Z. 10 bis 23), und die Nachricht einer Klasse (erwünschte/unerwünschte Nachricht) zugeordnet wird (vgl. Sp. 13, Z. 60 bis Sp. 14, Z. 11; Merkmale M1.2 bis M1.5 Rest und M1.8). Ein Abstand zum Stand der Technik ergibt sich dann aus den Merkmalen M1.6 und M1.7. Insbesondere diese Merkmale sind aber für die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen, weil sie - wie unter c) dargelegt - die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln nicht bestimmen oder beeinflussen. Das gelöste Problem ist nicht ein technisches, welches außerhalb der Datenverarbeitungsanlage liegt, sondern eine Adaption der bekannten Vorrichtung an den Benutzerwunsch, die inhaltliche Vorauswahl („Spam“ oder „Nicht-Spam“) von empfangenen elektronischen Nachrichten zu verbessern. Technische Probleme, die sich aus einer technischen Vorrichtung oder einem technischen Ablauf außerhalb einer Datenverarbeitungsanlage ergeben würden, haben für diese Merkmale ebenso wenig eine Bedeutung wie die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage selbst. Eine erfinderische Tätigkeit ist daher aufgrund eines sich aus den Merkmalen M1.6 und M1.7 ergebenden Abstandes zum Stand der Technik nicht zu erkennen.

Bei dieser Betrachtungsweise kann dahinstehen, dass auch die Merkmale M1.2 bis M1.4, M1.5 Rest , M1.8, wie oben ausgeführt, eine erfinderische Tätigkeit ebenfalls nicht begründen könnten.

e) Mit dem Patentanspruch 1 nach Hilfs- und Hauptantrag fällt auch der nebengeordnete Patentanspruch 21 nach Hauptantrag, da ein Patent nur so erteilt werden kann, wie es beantragt ist (BGH, Beschluss vom 26. September 1996 - X ZB 18/95, GRUR 1997, 120 - elektrisches Speicherheizgerät m. w. N.).

3.3. Unter diesen Umständen bedarf die Frage, ob weitere Widerrufsgründe vorliegen, keiner Entscheidung.

4. Das Patent war somit zu widerrufen. Die zulässige Beschwerde der Einsprechenden führte zum Erfolg.