Entscheidungsdatum: 18.06.2012
In der Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das europäische Patent 1 990 135
(DE 50 2007 001 909)
hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 18. Juni 2012 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Sredl sowie der Richter Merzbach, Dr.-Ing. Fritze, Dipl.-Ing. Univ. Rothe und Dipl.-Ing. Univ. Hubert
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent EP 1 990 135 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist Inhaberin des am 11. Mai 2007 in der Amtssprache Deutsch angemeldeten europäischen Patents 1 990 135 (Streitpatent) mit der Bezeichnung „Werkstückspannvorrichtung“, das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 50 2007 001 909 geführt wird.
Das Streitpatent umfasst 10 Ansprüche.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 22. Juli 2011 Klage auf Erklärung der Nichtigkeit des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 990 135 eingereicht.
Die Klägerin stellt den Antrag,
das europäische Patent EP 1 990 135 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte hat zu der ihr am 22. August 2011 zugestellten Klage mit einem am 22. September 2011 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz erklärt, der Antrag, den deutschen Teil des Streitpatents in vollem Umfang für nichtig zu erklären, werde „im Sinne von § 93 ZPO sofort anerkannt“.
Gleichzeitig hat sie beantragt,
der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,
da sie - was zwischen den Parteien unstreitig ist - vor Klageerhebung nicht zum Verzicht auf das Schutzrecht aufgefordert worden sei.
Dagegen wendet sich die Klägerin, indem sie mit Eingabe vom 9. November 2011 ihrerseits beantragt, der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Es fehle bereits an einem „Anerkenntnis“ i. S. von § 93 ZPO, da die Beklagte nicht den dazu erforderlichen Verzicht auf das Streitpatent bei gleichzeitiger Freistellung der Klägerin von Ansprüchen aus dem Streitpatent erklärt habe. Zudem habe die Beklagte auch Veranlassung zur Klage gegeben. Die Beklagte habe mit ihrem Schreiben an die deutsche Tochtergesellschaft der Klägerin vom 20. August 2010 (Anl. Ni 12) sowie der in Kenntnis der am 24. November 2010 in Italien eingereichten Nichtigkeitsklage der Klägerin (Anl. Ni 14) betreffend die Feststellung der Nichtigkeit des italienischen Teils des Streitpatents vorgenommenen Zahlung der Jahresgebühr beim Deutschen Patent- und Markenamt zur Verlängerung des deutschen Teils des Streitpatents am 31. Mai 2011 hinreichend deutlich zu erkennen gegeben, dass sie nicht auf das Streitpatent verzichten wolle.
Die Beklagte hält dies für irrelevant. Das Schreiben vom 20. August 2010 sei nicht an sie gerichtet gewesen, enthalte zudem auch nur eine Berechtigungsanfrage. Die als Anlage Ni 14 vorgelegte Klage betreffe nicht das Streitpatent.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien und den Inhalt der vorgelegten Dokumente wird auf den Akteninhalt verwiesen.
I.
Die Klage ist zulässig.
Die Erklärung der Beklagten, den Antrag der Klägerin, den deutschen Teil des Streitpatents in vollem Umfang für nichtig zu erklären, anzuerkennen, führt nicht zu einer Erledigung des Verfahrens. Ein sich unmittelbar auf den Rechtsbestand des Streitpatents auswirkender Verzicht auf das Streitpatent nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 PatG für die Zukunft („ex nunc“) – welcher zur Erledigung eines Nichtigkeitsverfahrens führt, falls nicht die Klägerin ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Nichtigkeit des Streitpatents mit Wirkung ex tunc geltend macht (vgl. Schulte-Kühnen, Patentgesetz, 8. Aufl., § 81 Rdnr. 176) - kann darin schon deshalb nicht gesehen werden, weil dieser nur schriftlich gegenüber dem Deutschen Patent- und Markenamt, nicht jedoch gegenüber dem Bundespatentgericht erklärt werden kann (vgl. Benkard-Rogge, Patentgesetz, 10. Aufl., § 83 Rdnr. 5). Zudem geht die Erklärung der Beklagten inhaltlich auch über einen lediglich für die Zukunft wirkenden Verzicht insoweit hinaus, als die Beklagte auch dem mit der Nichtigkeitsklage verfolgten Begehren auf Feststellung der Nichtigkeit des Streitpatents von Anfang an („ex tunc“) nicht entgegentritt. Über den Bestand des Streitpatents ist demnach nach wie vor durch Urteil zu entscheiden.
Die Entscheidung kann dabei ohne mündliche Verhandlung ergehen. Insoweit findet § 82 Abs. 2 PatG Anwendung. Denn mit ihrem Anerkenntnis bringt die Beklagte auch zum Ausdruck, dass sie einen Widerspruch i. S. von § 82 PatG nicht erheben will (vgl. BPatG 2 Ni 48/97 v. 4. 03. 1998 sowie BPatG GRUR 2003, 726), wenngleich – wie noch unter III. zu erörtern ist – die Erklärung der Beklagten sich nicht in einem fehlenden Widerspruch i. S. von §§ 82, 83 PatG erschöpft.
II.
Die auf den Nichtigkeitsgrund mangelnder Patentfähigkeit des Streitpatents (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ) gestützte Klage ist auch begründet. Da die Beklagte das Streitpatent insgesamt nicht mehr verteidigt, ist es mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland antragsgemäß und ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären.
Auch wenn § 307 Abs. 1 ZPO allgemeiner Meinung nach keine Anwendung findet (vgl. BGH GRUR 1995, 577; Benkard-Rogge, Patentgesetz, 10. Aufl., § 83 Rdnr. 5; Schulte-Kühnen, Patentgesetz, 8. Aufl., § 84 Rdnr. 43), kommt dem seitens der Beklagten abgegebenen Anerkenntnis gleichwohl insoweit Bedeutung zu, als diese damit zu erkennen gibt, dass sie das Streitpatent nicht mehr verteidigen und sich der von der Klägerin begehrten Beseitigung des Streitpatents nicht widersetzen werde. Daher ist das Streitpatent nach Auffassung des Senats aufgrund eines solchen Anerkenntnisses regelmäßig antragsgemäß ohne weitere Sachprüfung in vollem Umfang für nichtig zu erklären, wenn der Patentinhaber es - wie vorliegend - jedenfalls bis zur Entscheidung des Gerichts ausdrücklich nicht verteidigen will. Hierin ist eine faktisch dem Anerkenntnis des Klageantrags i. S. v. § 307 ZPO ähnliche Erklärung zu sehen, die eine Nichtigerklärung des Streitpatents unter Befreiung von der Sachprüfung rechtfertigt (so auch BPatG 3 Ni 27/08 (EU) vom 5. März 2009 unter dem Gesichtspunkt einer „Selbstbeschränkung auf Null“; Benkard-Rogge, a. a. O, § 83 Rdnr. 5; vgl. auch bereits BPatG GRUR 1980, 782, 783).
III.
Die Kosten des Rechtsstreits sind abweichend von § 91 Abs. 1 ZPO der Klägerin aufzuerlegen (§ 93 ZPO i. V. m. §§ 84 Abs. 2, 99 Abs. 1 PatG).
a) Die Beklagte hat innerhalb der Erklärungsfrist nach § 82 Abs. 1 PatG das mit der Klage verfolgt Klageziel „sofort anerkannt“ i. S. von § 93 ZPO.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann ein „Anerkenntnis“ i. S. von § 93 ZPO in Patentnichtigkeitsverfahren nicht nur dann angenommen werden, wenn die Patentinhaberin auf das angegriffene Streitpatent (gegenüber dem Deutschen Patent- und Markenamt) verzichtet, ggf. unter gleichzeitiger Freistellung der Klägerin von Ansprüchen aus dem Streitpatent. „Anerkenntnis“ i. S. des § 93 ZPO ist im Patentnichtigkeitsverfahren vielmehr jede unmissverständliche und vorbehaltlose Erklärung des Patentinhabers, mit der dem Kläger verbindlich zugesichert wird, dass sein Klagebegehren erfolgreich ist, er also sicher sein kann, aus dem Patent nicht in Anspruch genommen zu werden (vgl. Schulte-Kühnen, Patentgesetz, 8. Aufl., § 84 Rdnr. 44). Um eine solche Erklärung handelt es sich bei dem seitens der Beklagten mit Schriftsatz vom 22. September 2011 abgegebenen „Anerkenntnis“, welches aus den dargelegten Gründen dazu führt, dass das Streitpatent antragsgemäß ohne weitere Sachprüfung mit Wirkung von Anfang an („ex tunc“) für nichtig zu erklären ist.
Die Anerkennung der Vernichtbarkeit des Streitpatents in seiner Gesamtheit ist dabei abzugrenzen gegenüber einer bloß eingeschränkten Verteidigung des Streitpatents. Diese steht stets unter dem Vorbehalt der Prüfung der Zulässigkeit der Einschränkung z.B. im Hinblick auf eine mögliche unzulässige Erweiterung. Sie ist ferner – wie im Beschränkungsverfahren nach § 64 PatG – bis zum (rechtskräftigen) Anschluss des Verfahrens jederzeit widerrufbar. Daher erschöpft sich in diesen Fällen ein „Anerkenntnis“ der Vernichtbarkeit des über die beschränkte Verteidigung hinausgehenden Teils des Streitpatents letztlich in einem fehlenden Widerspruch (vgl. dazu BGH GRUR 1995, 577–„Drahtleiter“). Die Beklagte hat demgegenüber mit ihrem „Anerkenntnis“ unmissverständlich und vorbehaltlos zum Ausdruck gebracht, dass sie das Streitpatent in seiner Gesamtheit aufgeben bzw. nicht verteidigen wolle. Auch wenn dadurch – wie bereits dargelegt – das Streitpatent nicht unmittelbar in seinem Rechtsbestand angetastet wird, so hat sich die Beklagte damit in unwiderruflicher Weise gegenüber der Klägerin verpflichtet, sich sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft nicht mehr auf eine (ursprüngliche) Wirksamkeit des Streitpatents zu berufen (vgl. dazu auch BGH, GRUR 1961, 231, 233 – Zierfalten). Das „Anerkenntnis“ der Beklagten erschöpft sich daher nicht in einem fehlenden Widerspruch, vielmehr bringt die Beklagte damit auch zum Ausdruck, dass sie das Streitpatent ebenfalls in vollem Umfang für nicht rechtsbeständig hält. Hinzu kommt, dass eine Nichtigerklärung des Streitpatents aufgrund eines solchen, gleichsam eine „Selbstbeschränkung auf Null“ enthaltenden Anerkenntnisses der Rechtssicherheit und damit dem Interesse der Allgemeinheit effektiver Rechnung trägt als der gegenüber dem Deutschen Patent- und Markenamt zu erklärende Verzicht auf das Patent nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 PatG (ggf. verbunden mit gleichzeitiger Freistellung der klagenden Partei von Ansprüchen aus dem Streitpatent). Mit einem Verzicht kann der Patentinhaber das Streitpatent nur zu einem Erlöschen mit Wirkung ex nunc bringen und die Erledigung des Rechtsstreits durch einen inter partes gegenüber dem Nichtigkeitskläger wirkenden Verzicht auf Ansprüche aus dem Streitpatent für die Vergangenheit herbeiführen. Im Falle einer aufgrund eines „Anerkenntnisses“ durch das Gericht ausgesprochenen Nichtigerklärung des Streitpatents gelten jedoch gemäß § 22 Abs. 2 i. V. m. § 21 Abs. 3 Satz 1 PatG die Wirkungen des Streitpatents und der Anmeldung mit Wirkung gegenüber jedermann als von Anfang an nicht eingetreten (vgl. BPatG 3 Ni 27/08 (EU) vom 5. März 2009). Die entsprechende Anwendung des § 93 ZPO auf diesen Fall ist daher anzuerkennen (so auch bereits BPatG GRUR 2003, 726, 727 zu Ziff. 2. – Luftverteiler; BPatG GRUR 1980, 782, 783 – Kraftfahrdrehleiter).
b) Die Beklagte hat auch keine Veranlassung zur Klage gegeben. Veranlassung zur Klagerhebung ergibt sich grundsätzlich dann, wenn das Verhalten des Beklagten vor Prozessbeginn gegenüber dem Kläger so gestaltet war, dass dieser annehmen musste, er werde ohne Klage nicht zu seinem Recht kommen (Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 93 Rn. 4). Im Patentnichtigkeitsverfahren ist dies grundsätzlich erst der Fall, wenn der Kläger den Beklagten unter substantiierter Angabe der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe und mit angemessener Fristsetzung erfolglos zum Verzicht auf das Schutzrecht aufgefordert hat (BPatG GRUR-RR 2009, 325, 326; Busse/Keukenschrijver PatG, 6. Aufl., § 84 Rn. 18 und Rn. 24; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., § 81 Rn. 38). Eine solche vorherige Verzichtsaufforderung ist nur entbehrlich, wenn aufgrund des Verhaltens des Patentinhabers oder sonstiger besonderer Umstände eine solche Abmahnung als aussichtslos oder unzumutbar erscheint (vgl. Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., Rdnr. 38; Busse/Keukenschrijver § 82 Rn. 18). An diesen Voraussetzungen fehlt es vorliegend.
Die als Anlage Ni 12 zur Akte gereichte Berechtigungsanfrage der Klägerin an die Beklagte rechtfertigt keine sofortige Klageerhebung. Wenn bereits nach allgemeiner Meinung eine Verwarnung durch den Patentinhaber keine Veranlassung zur Klage i. S. von § 93 ZPO gibt (vgl. Schulte-Kühnen, Patentgesetz, 8. Aufl., § 84 Rdnr. 30), gilt dies erst recht für eine bloße Berechtigungsanfrage durch den Patentinhaber, zumal vorliegend die Anfrage noch nicht einmal an die Klägerin, sondern an deren inländische Tochtergesellschaft gerichtet war.
Unerheblich ist insoweit entgegen der Auffassung der Klägerin ferner, dass die Beklagte nach Anhängigkeit der in Italien eingereichten Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des italienischen Teils des europäischen Patents EP 1 990 135 die Schutzdauer des deutschen Teils des Streitpatents durch Zahlung der Jahresgebühr verlängert hat. Dies gilt selbst dann, wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, dass der Beklagten mit der Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des italienischen Teils des Streitpatents die eine Schutzunfähigkeit auch des deutschen Teils des Streitpatents begründenden Umstände bekannt geworden sind. Denn die Aufrechterhaltung des Schutzrechts durch die Patentinhaberin auch in Kenntnis der die Schutzunfähigkeit begründenden Umstände rechtfertigt keine sofortige Klageerhebung ohne vorherige Verzichtsaufforderung (vgl. Benkard-Rogge, a. a. O, § 81 Rdnr. 38 m. w. Nachw.).
Ebenso wenig berechtigte allein die in Italien anhängige Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des italienischen Teils des europäischen Patents EP 1 990 135 die Klägerin zu einer sofortigen Klageerhebung. Vor dem Hintergrund, dass das europäische Patent ein Bündel von nationalen Patenten darstellt, deren Durchsetzung in den benannten Staaten unter voneinander abweichenden Bedingungen steht, müssen konkrete Umstände vorliegen, aufgrund derer die Beklagte damit rechnen musste, dass die Klägerin das Streitpatent zur Verteidigung ihrer Rechte umfassend in allen Vertragsstaaten oder zumindest jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland angreifen würde. Dafür ist jedoch nichts ersichtlich. Eine gerichtliche Inanspruchnahme der Klägerin aus dem Streitpatent ist in Deutschland nicht erfolgt. Auch eine Inanspruchnahme der Nichtigkeitsklägerin in Italien aus dem italienischen Teil des europäischen Patents ist für den Senat nicht erkennbar. Vielmehr ist dort allein eine - der deutschen Nichtigkeitsklage vergleichbare - Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des italienischen Teils des Streitpatents anhängig. Wenn aber bereits ein Patentinhaber selbst bei einer im Ausland erfolgenden Inanspruchnahme des Nichtigkeitsklägers aus dem ausländischen Teil eines europäischen Streitpatents im Wege einer Verletzungsklage keinen Anlass zur Klage zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen den deutschen Teil des europäischen Patents i. S. von § 93 ZPO bietet (vgl. BPatGE 34, 93), gilt dies erst Recht, wenn es bereits - wie vorliegend - an einer solchen Inanspruchnahme im Ausland durch den Patentinhaber fehlt.
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG, § 709 Satz 1 und 2 ZPO.