Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 10.12.2015


BPatG 10.12.2015 - 2 Ni 39/13 (EP)

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Reit-/Pferdehalfter" (europäisches Patent)" - zu den Voraussetzungen einer Teilerledigungserklärung im Nichtigkeitsverfahren bei nachträglicher Beschränkung des Streitpatents durch das EPA – Fehlen einer übereinstimmenden (Teil-)Erledigungserklärung nach Beschränkung des Patents im Beschränkungsverfahren – Zulässigkeit des Antrags auf Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits im Umfang der Beschränkung des Streitpatents – zu Begründetheit dieses Feststellungsantrags


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
10.12.2015
Aktenzeichen:
2 Ni 39/13 (EP)
Dokumenttyp:
Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Reit-/Pferdehalfter

1. Fehlt es nach der Beschränkung des Streitpatents im Beschränkungsverfahren an einer übereinstimmenden (Teil-)Erledigungserklärung, so ist ein Antrag des Klägers, der darauf gerichtet ist, festzustellen, dass der Rechtsstreit im Umfang der Beschränkung des Streitpatents erledigt ist, zulässig (§ 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 256 ZPO).

2. Ein solcher Feststellungsantrag ist nur begründet, wenn die Klage insoweit ursprünglich zulässig und begründet gewesen und erst infolge der Beschränkung nach Rechtsanhängigkeit unzulässig bzw. unbegründet geworden ist.

Anders als im Fall einer übereinstimmenden Erledigungserklärung bedarf es hierzu einer strengen, am Sach- und Streitstand ausgerichteten Prüfung der Erfolgsaussicht der ursprünglichen Nichtigkeitsklage, weil es sich insoweit – anders als im Fall einer übereinstimmenden Erledigungserklärung – um eine echte Sach- und nicht nur um eine Kostenentscheidung handelt, bei der die mit § 91a ZPO bezweckte Vereinfachung des Verfahrens nicht zum Tragen kommt. Die Erfolgsaussicht des Feststellungsantrags kann daher nicht schon daraus gefolgert werden, dass der Patentinhaber sein Patent selbst beschränkt hat.

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 675 801

(DE 50 2004 012 888)

hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts durch den Vorsitzenden Richter Guth, die Richterin Dr. Hoppe und die Richter Dr.-Ing. Fritze, Dipl.-Ing. Fetterroll und Dipl.-Ing. Wiegele in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2015

für R e c h t erkannt:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Nichtigerklärung des europäischen Patents 1 675 801. Der Beklagte ist Inhaber dieses am 15. Oktober 2004 angemeldeten Patents (im Folgenden: Streitpatent), das auf die PCT-Anmeldung PCT/EP2004/011662 zurückgeht, die als WO 2005/037707 A1 veröffentlicht worden ist, und für das die Priorität der deutschen Patentanmeldung DE 103 48 341 vom 17. Oktober 2003 in Anspruch genommen wird. Das in der Verfahrenssprache Deutsch mit der Bezeichnung „Reit-/Fahrhalfter“ abgefasste Streitpatent ist am 21. September 2011 als EP 1 675 801 B1 veröffentlicht worden und wird vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 50 2004 012 888.2 geführt.

2

Der ursprünglich erteilte Patentanspruch 1, dem sich die darauf rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 8 anschließen, lautet in EP 1 675 801 B1 (K1):

3

Reit-/Fahrhalfter mit einem Sperrhalfter (11) und Backenriemen (7) zur Befestigung zumindest des Sperrhalfters (11) und mit Backenstücken (3) zur Befestigung eines Gebisses am Pferdekopf, dadurch gekennzeichnet, dass die Backenriemen (7) durch eine Verschnallung abgewinkelt verlaufen, sodass eine Zugkraft im Backenriemen (7) in Richtung auf den Pferdehals gelenkt wird.

4

Hinsichtlich des Wortlauts der rückbezogenen Patentansprüche wird auf die Patentschrift EP 1 675 801 B1 (K1) verwiesen.

5

Auf Antrag des Beklagten hat die Patentabteilung des Europäischen Patentamts das Streitpatent mit Entscheidung vom 18. Dezember 2014 beschränkt. Das geänderte Streitpatent ist am 14. Januar 2015 als EP 1 675 801 B3 (K1B) veröffentlicht worden. Aufgrund dieser Beschränkung hat die Klägerin den Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2015 in der Hauptsache insoweit für teilweise erledigt erklärt.

6

Das Streitpatent umfasst in seiner beschränkten Fassung nunmehr den Anspruch 1 und die darauf rückbezogenen Ansprüche 2 bis 6.

7

Anspruch 1 lautet:

8

Reit-/Fahrhalfter mit einem Sperrhalfter (11) und Backenriemen (7) zur Befestigung zumindest des Sperrhalfters (11) und mit Backenstücken (3) zur Befestigung eines Gebisses am Pferdekopf dadurch gekennzeichnet, dass die Backenriemen (7) durch eine Verschnallung abgewinkelt verlaufen, wobei die Backenriemen (7) jeweils aus einem oberen Backenriementeil (7A) und einem unteren Backenriementeil (7B) bestehen und in einem Winkelpunkt (8) miteinander verbunden sind, an dem auch ein Unterkieferriemen (9) angreift, der über die Backenmuskulatur unter dem Unterkieferknochen des Pferdes verläuft, und die Backenriemen (7) jeweils am Winkelpunkt (8) durch den Unterkieferriemen (9) abgewinkelt werden, sodass eine Zugkraft im Backenriemen (7) in Richtung auf den Pferdehals gelenkt wird.

9

Hinsichtlich des Wortlauts der rückbezogenen Patentansprüche wird auf die Patentschrift EP 1 675 801 B3 (K1B) verwiesen.

10

Die Klägerin hat das ursprünglich erteilte Streitpatent in vollem Umfang angegriffen und greift auch das beschränkte Streitpatent vollumfänglich an. Sie macht zu beiden Fassungen den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit und bezüglich der Patentansprüche nach der Beschränkung eine Erweiterung des Schutzbereichs und eine unzulässige Erweiterung gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung geltend. Zur Stützung ihres Vorbringens nennt sie folgende Druckschriften:

11

D1 US 5,079,904

12

D2 DE 203 06 705 U1

13

D3 US 4,459,795

14

Die Klägerin meint, sowohl dem Gegenstand von Anspruch 1 des ursprünglich erteilten Streitpatents als auch dem des Streitpatents in der beschränkten Fassung mangele es im Hinblick auf die D1 an Neuheit; ungeachtet dessen beruhe er unter Berücksichtigung der D1 und der D2 nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Der Gegenstand der abhängigen Unteransprüche sei – jeweils für sich gesehen – ebenfalls nicht neu, beruhe jedoch zumindest nicht auf erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik.

15

Das Streitpatent in der beschränkten Fassung beinhalte zudem eine Schutzbereichserweiterung und eine unzulässige Erweiterung gegenüber der ursprünglichen Anmeldung, weil letztere nicht erkennen lasse, dass der rechte und der linke Backenriemen an einem Winkelpunkt miteinander verbunden seien. Ferner finde sich keine Stütze für einen Unterkieferriemen, der auch an dem Winkelpunkt (8) angreife, an dem die Backenriemen miteinander verbunden seien.

16

Die Klägerin beantragt,

17

1. das europäische Patent 1 675 801 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären,

18

2. festzustellen, dass der Rechtsstreit im Umfang der Beschränkung des europäischen Patents 1 675 801 gemäß Beschluss des EPA vom 18. Dezember 2014 in der Hauptsache erledigt ist.

19

Der Beklagte beantragt,

20

die Klage abzuweisen.

21

Der Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und meint, der Gegenstand des beschränkten Streitpatents sei patentfähig; in der neuen Fassung sei er weder unzulässig erweitert gegenüber der ursprünglichen Anmeldung noch sei der Schutzbereich gegenüber dem Streitpatent in der zuerst erteilten Fassung erweitert.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

23

Die Klage ist zulässig, aber in der Sache erfolglos.

I.

24

Der Feststellungsantrag der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.

25

1. Der Feststellungsantrag, mit dem die Klägerin beantragt festzustellen, dass der Rechtsstreit im Umfang der Beschränkung des Streitpatents erledigt ist, ist zulässig, denn nachdem das Europäische Patentamt das Streitpatent beschränkt hat, hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Teilerledigung (§ 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 256 Abs. 1 ZPO). Die teilweise Beschränkung des Streitpatents im Beschränkungsverfahren vor dem Europäischen Patentamt hat nämlich zur Folge, dass das Streitpatent insoweit mit rückwirkender Kraft (Singer/Stauder, EPÜ, 6. Aufl., § 105b Rd. 27; Benkhard, EPÜ, 2. Aufl., Art. 105b Rd. 35) beschränkt wird und eine Nichtigerklärung im Umfang eines darüber hinaus gehenden Teils des Streitpatents ins Leere gehen würde.

26

Eine übereinstimmende Teilerledigungserklärung liegt nicht vor. Der ursprüngliche Antrag des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 30. Oktober 2013, das Verfahren bis zum Abschluss des Beschränkungsverfahrens vor dem Europäischen Patentamt auszusetzen und die Klage hinsichtlich der beschränkten Fassung abzuweisen, ist nicht als Teilerledigungserklärung auszulegen, weil das Streitpatent zu diesem Zeitpunkt noch nicht beschränkt war. Hinzu kommt, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt auch noch keine Teilerledigung erklärt hatte, der sich der Beklagte hätte anschließen können. Außerdem fehlt es an der für eine Prozesshandlung erforderlichen Klarheit und Eindeutigkeit der notwendigen Erklärung des Beklagten.

27

Eine Fiktion der Erledigungserklärung seitens der Beklagten nach § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO in Verbindung mit § 99 Abs. 1 PatG ist ebenfalls nicht eingetreten, da der Beklagte mit Zustellung des Schriftsatzes vom 16. Oktober 2015 nicht darauf hingewiesen worden ist, dass seine Zustimmung zur Erledigungserklärung fingiert wird, wenn er der Erledigungserklärung der Klägerin nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes widerspricht.

28

2. Die Feststellungsklage wäre aber nur begründet, wenn die Klage ursprünglich zulässig und begründet gewesen und erst durch ein Ereignis nach Rechtshängigkeit unzulässig oder unbegründet geworden wäre. Das ist hier indes nicht der Fall, weil die ursprüngliche, gegen das erteilte Streitpatent in der unbeschränkten Fassung gerichtete Klage, mit der ausschließlich der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit geltend gemacht worden ist (Artikel II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Artikel 54 und Artikel 56 EPÜ), unbegründet gewesen ist.

29

Die Erfolgsaussicht dieses Feststellungsantrags ist anhand einer umfassenden Prüfung der Sach- und Rechtslage zu bestimmen; sie kann nicht schon daraus gefolgert werden, dass der Patentinhaber sein Patent selbst beschränkt hat. Zwar wird im Rahmen einer übereinstimmenden Erledigungserklärung vertreten, dass eine Selbstbeschränkung (bzw. ein Patentverzicht) darauf hindeute, dass die Klage insoweit zulässig und begründet gewesen wäre, sodass die entsprechenden Kosten dem Beklagten aufzuerlegen seien (Schulte, PatG, 9. Aufl., § 81 Rd. 171, 174; vgl. BGH GRUR 1961, 278, 279 – Lampengehäuse; BPatGE 31, 191, 192; 3, 53; 3, 172; 18, 50; 31, 191). Der BGH begründet dies damit, dass der Grundgedanke der auf eine Vereinfachung des Verfahrens abzielenden Vorschrift des § 91a ZPO nicht mit einer umfassenden Prüfung der Rechtslage vereinbar sei (BGH GRUR 1961, 278, 279 – Lampengehäuse). Es solle vermieden werden, unübersichtliche Probleme einzig im Rahmen der Kostenentscheidung zu klären (BGH GRUR 1961, 278, 279 – Lampengehäuse; relativierend aber: BGH GRUR 2004, 623, 624 – Stretchfolienumhüllung, wonach eine andere Kostenverteilung geboten sein könne, wenn die Annahme, dass das Streitpatent sich ohne das erledigende Ereignis nicht als patentfähig erwiesen hätte, nicht gerechtfertigt sei).

30

Im Rahmen eines Feststellungsantrags infolge einer nur einseitigen Erledigungserklärung ist aber stets eine strenge, am Sach- und Streitstand ausgerichtete Prüfung der Erfolgsaussicht der ursprünglichen Nichtigkeitsklage vorzunehmen, weil es sich insoweit um eine echte Sach- und nicht nur um eine Kostenentscheidung handelt, bei der die mit § 91a ZPO bezweckte Vereinfachung des Verfahrens nicht zum Tragen kommt.

31

3. Die Prüfung der Erfolgsaussicht der ursprünglichen Nichtigkeitsklage hat ergeben, dass die Gegenstände der Patentansprüche gemäß dem ursprünglich erteilten Streitpatent (EP 1 675 801 B1) patentfähig waren.

32

a) Das Streitpatent betrifft ein Reit-/Fahrhalfter mit einem Sperrhalfter und Backenriemen zur Befestigung zumindest des Sperrhalfters und eines Gebisses am Pferdekopf. Aus den Ausführungen zum Stand der Technik in der Streitpatentschrift geht hervor, es sei bekannt, dass viele körperliche sowie reit- und fahrsportliche Probleme bei Pferden ihren Ursprung im Genickbereich des Pferdes hätten und dass starker Druck im Nacken des Pferdes, ausgelöst durch die Zäumung, Ursache körperlicher Beschwerden sein könne. Die DE 203 06 705 U1 (hier als D2 im Verfahren) offenbare ein Zaumzeug für ein Pferd gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1, das hinter den Ohren und am Kopf des Pferdes anliege und das zumindest einen Kehlriemen und/oder wenigstens einen Gebissriemen halte, wobei das Genickstück auf seiner den Ohren zugewandten Seite wenigstens eine Aussparung aufweise; ferner offenbare die DE 203 06 705 U1 einen Nasenriemen, der durch geradlinig verlaufende Reithalfterriemen zu einem Genickstück festgelegt sei.

33

b) Vor diesem Hintergrund besteht die Aufgabe des Streitpatents darin, ein Reit-/Fahrhalfter zu schaffen, bei dem störende Einflüsse aus dem Druck auf den Nacken des Pferdes vermindert werden.

34

c) Gelöst wurde diese Aufgabe im ursprünglich erteilten Patent durch den Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 8. Dabei umfasste der Patentanspruch 1 die folgenden Merkmale:

35

a) Reit-/Fahrhalfter

36

ba) mit einem Sperrhalfter (11) und

37

bb) Backenriemen (7) zur Befestigung zumindest des Sperrhalfters (11) und

38

bc) mit Backenstücken (3) zur Befestigung eines Gebisses am Pferdekopf

39

dadurch gekennzeichnet, dass

40

c) die Backenriemen (7) durch eine Verschnallung abgewinkelt verlaufen,

41

cb) sodass eine Zugkraft im Backenriemen (7) in Richtung auf den Pferdehals gelenkt wird.

42

d) Als Fachmann ist hier ein Sattlermeister mit einschlägigen Kenntnissen und Erfahrungen auf dem Gebiet der Pferdehalfter, der einen Pferdeveterinär zu Rate zieht, anzusehen. Für die Auslegung des Patentanspruchs, die nach ständiger Rechtsprechung stets geboten ist (BGH GRUR 2015, 875 (Rd. 16) Rotorelemente), sind die Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen, die die Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen (vgl. BGH GRUR 2015, 972 (Rd. 22) - Kreuzgestänge m. w. N.).

43

Zum Merkmal a), Reit-/Fahrhalfter, ist in der Streitpatentschrift dargelegt, das erfindungsgemäße Reit-/Fahrhalfter könne für alle Reit- und Fahrtiere verwendet werden; es werde von einem Einsatz an Pferden ausgegangen, da es sich dabei um das Hauptanwendungsgebiet handele (K1, Sp. 2, Abs. [0008], erster Satz). Mit so einem Reit- bzw. Fahrhalfter wird ein Reiter oder Fahrer in die Lage versetzt, beispielsweise einem Pferd im Reit- und Fahrbetrieb Hilfen, insbesondere lenkende und bremsende Zügelhilfen, zu vermitteln, um das Reit-/Fahrtier auf diese Weise zu kontrollieren (vgl. D1, Sp. 1, Z. 21 bis 24). Ein Fachmann weiß, dass dazu die Riemen eines Reit-/Fahrhafters, ohne das Tier zu beeinträchtigen, an dessen Kopf straff anliegen müssen (vgl. K1, Sp. 1, Abs. [0003], Z. 39 bis 40). Dies unterscheidet ein Reit-/Fahrhalfter von einem lose sitzenden Stallhalfter, das dem Pferdemaul Bewegungsspielraum ermöglicht.

44

Ein Sperrhalfter 11 gemäß Merkmal ba) umfasst hier u. a. einen um die Nase des Pferdes verlaufenden Riemen eines, beispielsweise als Trensenzaum ausgebildeten, üblichen Reit-/Fahrhalfters (K1, Sp. 5, Abs. [0023], Z. 7 bis 9). Fig. 2 zeigt ein Reit-/Fahrhalfter gemäß dem Stand der Technik mit diesem Merkmal; die Fig. 3a, 3b, 4a und 4b zeigen das streitpatentgemäße Reit-/Fahrhalfter als insoweit übereinstimmend ausgestaltet. Dem Fachmann ist aufgrund seines Fachwissens bekannt, dass der Nasenriemen (11) verhindern soll, dass das Pferd das Maul zu weit aufsperrt.

45

Zur Befestigung zumindest des Sperrhalfters 11 sind gemäß Merkmal bb) Backenriemen 7 vorgesehen. Die Zweckangabe ist hier als einschränkend zu berücksichtigen, denn sie macht deutlich, dass die Backenriemen dem Nasenriemen Halt geben und im Wesentlichen lediglich die vom Sperrhalfter herrührenden Zugkräfte aufnehmen und weiterleiten und keine körperliche Verbindung zu einem Gebiss besteht. Zumindest bedeutet, dass an dem Sperrhalfter zusätzlich beispielsweise ein Pullerriemen 12 befestigt sein kann (K1, Sp. 5, Abs. [0025], Z. 50 und 51 sowie Fig. 3a). Die Fig. 3a und 3b zeigen das noch unvollständige erfindungsgemäße Halfter jeweils ohne angeschnalltes Gebiss - zum einen mit Blick auf die linke Seite, zum anderen auf die Unterseite und teilweise die rechte Seite des Pferdekopfes; sie lassen erkennen, dass zwei Backenriemen 7 vorhanden sind, jeweils einer auf jeder Seite des Kopfes.

46

Zusätzlich zu den Backenriemen 7 sind Backenstücke 3 vorgesehen. Diese haben gemäß Merkmal bc) eine andere Funktion als die Backenriemen 7, denn sie dienen ausweislich des ursprünglich erteilten Anspruchs 1 nicht der Befestigung des Sperrhalfters 11, sondern „zur Befestigung eines Gebisses am Pferdekopf“. Dies ist bei der Beurteilung des Gegenstands des Anspruchs ebenfalls entsprechend zu berücksichtigen, denn gemäß ihrem angegebenen Zweck nehmen diese Backenstücke 3 die vom Gebissstück herrührenden Kräfte auf. Die Fig. 4a und 4b illustrieren die Anordnung der Backenstücke 3 aus den Perspektiven gemäß den Fig. 3a und 3b; sie zeigen sowohl die Backenriemen 7 als auch das mit einem linken und einem rechten Backenstück 3 in das Halfter eingeschnallte Trensengebiss 13. Die Figuren 3a und 4a nebeneinander betrachtet verdeutlichen, dass die Backenstücke 3, um ihrer Funktion als Gebissbefestigung gerecht zu werden, am Nackenstück 5 an einer eigenen Strupfe 18 befestigt sind, wogegen die Backenriemen 7 als Sperrhalfterbefestigung an einer anderen Strupfe 19 angeschnallt sind.

47

Das Merkmal c) gemäß dem gegliederten Patentanspruch 1, wonach die Backenriemen (7) „durch eine Verschnallung“ abgewinkelt verlaufen, ist im Sinne von mittels einer Verschnallung zu verstehen (vgl. K1, Sp. 2, Abs. [0009] und [0010]). Die konkrete Ausführung der Verschnallung lässt der Anspruch 1 offen. Jedenfalls soll diese aber so ausgeführt sein, dass Merkmal cb) erfüllt ist, wonach eine Zugkraft im Backenriemen (7) in Richtung auf den Pferdehals gelenkt wird. Zum Verständnis dessen kann der Fachmann der Fig. 4a anhand des darin abgebildeten Kräfteparallelogramms unmittelbar entnehmen, dass im Vergleich zum Stand der Technik, den die Fig. 2 illustriert, die Zugkraft des Sperrhalfters 11 nicht mehr direkt über einen gerade verlaufenden Riemen 4 (Wangenstück vgl. K1, Sp. 7, Abs. [0032]) auf den Pferdenacken einwirkt, sondern aufgrund des abgewinkelten Verlaufs des Backenriemens 7 nun in zwei Komponenten 7A, 7B aufgeteilt ist, von denen eine - 7B - in Richtung auf den Pferdehals weist.

48

e) Ausgehend von dieser Auslegung war bereits das Reit-/Fahrhalfter gemäß dem Anspruch 1 des zuerst erteilten Streitpatents patentfähig.

49

aa) Zum einzigen gegen die ursprünglich erteilte Fassung des Streitpatents geltend gemachten Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit ist festzustellen, dass das aus Druckschrift D1 hervorgehende Zaumzeug (bridle 10) mit dem davon umfassten Halfter (headstall 13) schon nicht die im Oberbegriff des Anspruchs 1 des zunächst erteilten Streitpatents angegeben Merkmale vollständig erfüllt und daher die Neuheit bereits dieses Anspruchsgegenstandes gegeben war.

50

Dem Halfter gemäß dem Stand der Technik D1 fehlen jedenfalls die beiden Merkmale bb) und bc) des Halfters gemäß dem ursprünglich erteilten Streitpatent, welche die Backenriemen 7 bzw. Backenstücke 3 und deren jeweilige Funktion betreffen. Beim Streitpatent verlaufen diese als jeweils voneinander getrennte Komponenten des Halfters seitlich über die Backen des Pferdekopfes und erfüllen klar voneinander zu unterscheidende Funktionen. Wie oben dargelegt dienen die Backenriemen 7 der Befestigung zumindest des Sperrhalfters 11, und die Backenstücke 3 bezwecken die Befestigung eines Gebisses am Pferdekopf. Bei dem aus der Druckschrift D1 hervorgehenden Halfter ist dagegen nur eine Komponente erforderlich, die aber beide Funktionen zu leisten vermag: sowohl als Stallhalfter (halter to tether a horse) als auch als Reithalfter (for riding purposes), weist es beidseits des Pferdekopfes angeordnet ein Backenstück (cheek pieces, 17a bzw. 17b) mit einteilig damit verbundenen Teilbereichen (portions 33a bis 33b) auf. Die Backenstücke 17 sind zweilagig (two layered) und haben an gegenüberliegenden Seiten jeweils eine Vereinzelung (separation 32a bzw. 32b), worin das Nasenband (nose band 16) angebracht ist. Die Teilbereiche (portions 33a bzw. 33b) verlängern die Backenstücke nach dem Nasenband (extending from cheek pieces 17a und 17b respectively, past nose band 16). Durch Umbiegen der Teilbereiche 33 nach außen zurück (double outwardly back) werden Schlaufen (loops 34) geformt und die Teilbereiche mittels Klettverschlüssen auf der Oberseite des Wangen- oder Backenstücks befestigt. Auf diese Weise bildet man zunächst ein Stallhalfter, welches aber in ein Reithalfter umgewandelt werden kann, indem man die Teilbereiche 33 durch die Ringe 37 eines Gebisses (bit 14) führt, um dieses in den Schlaufen 34 zu befestigen. Umgekehrt lässt sich das Gebiss durch Öffnen des Klettverschlusses jederzeit abnehmen (D1 Sp. 3, Z. 5 bis 39 i. V. m. Fig. 4 und 5) und das Reithalfter wieder in ein Stallhalfter zurückbauen.

51

Demnach sind die portions 33a und 33b des aus der D1 bekannten Halfters als integraler Bestandteil jeweils der cheek pieces 17a bzw. 17b offenbart und entsprechen nicht der Vorgabe des erteilten Anspruchs 1 des Streitpatents, wonach das erfindungsgemäße Reit-/Fahrhalfter außer den Backenriemen 7 davon getrennte, zusätzliche Backenstücke 3 jeweils mit unterschiedlichen Funktionen aufzuweisen hat.

52

Bereits aufgrund dieses Unterschiedes war die Neuheit des Reit-/Fahrhalfters gemäß dem zuerst erteilten Streitpatent anzuerkennen, und es kann dahin gestellt bleiben, in wieweit bezüglich der weiteren im Patentanspruch 1 angegebenen Merkmale Übereinstimmungen zwischen dem Reit-/Fahrhalfter gemäß dem zuerst erteilten Streitpatent und dem aus dem Stand der Technik gemäß Druckschrift D1 bekannten bestehen.

53

Die Auffassung der Klägerin, wonach der Patentinhaber sich die in Druckschrift D1 gezeigten und beschriebenen portions 33 als die patentgemäß vorgesehenen Backenstücke 3 entgegenhalten lassen müsse, trifft nicht zu. Letztere sind Gegenstand des in den Oberbegriff des Patentanspruchs 1 aufgenommenen Merkmals bc) gemäß der Gliederung, das in die Neuheitsprüfung einzubeziehen ist.

54

Entgegen der Ansicht der Klägerin handelt es sich bei Merkmal bc) um ein einschränkendes Merkmal, denn es bildet mit den Merkmalen a), ba) und bb) den Oberbegriff des erteilten Patentanspruchs, und in ihrer Gesamtheit grenzen sie diese aus einem einzigen Stand der Technik bekannten Merkmale von den kennzeichnenden Merkmalen der Erfindung ab, für die der Patentinhaber in Verbindung mit dem Oberbegriff Schutz begehrt.

55

Auch der Einwand der Klägerin, das Merkmal bc) sei nicht notwendig, um die Lehre des Patents auszuführen, und betreffe daher eine Überbestimmung, greift nicht durch, denn die Merkmale des Oberbegriffs und somit auch Merkmal bc) gehören in ihrer Gesamtheit, wenn auch aus dem Stand der Technik bereits bekannt, gleichwohl untrennbar zur erfindungsgemäßen Lehre.

56

Der Auffassung der Klägerin, Merkmal bc) an sich trage nicht zur Lösung der zugrundeliegenden Aufgabe bei, ist zwar zuzustimmen, zumal die zweiteilige Anspruchsfassung verdeutlicht, dass es zu den bereits aus dem Stand der Technik bekannten Merkmalen zählt. Dennoch muss es - wie bereits oben ausgeführt - für die vollständige und sachgerechte Beurteilung, ob ein Nichtigkeitsgrund vorliegt, mit in Betracht gezogen werden.

57

bb) Das Reit-/Fahrhalfter gemäß dem ursprünglich erteilten Anspruch 1 beruhte zudem auf einer erfinderischen Tätigkeit.

58

Der Gegenstand ergibt sich nicht in naheliegender Weise aus einer Kombination der D1 mit der D2.

59

Wie bereits oben zur Neuheit ausgeführt, sind die Backenstücke 3 auch in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, denn grundsätzlich sind alle in dem Patentanspruch benannten Merkmale als erfindungswesentlich anzusehen, auch die bereits aus dem Stand der Technik bekannten, weil damit diesem gegenüber die Tragweite der Erfindung deutlich wird.

60

Die Klägerin geht von der Druckschrift D1 als nächstliegendem Stand der Technik aus. Dieser offenbare bereits die abgewinkelte Verschnallung gemäß den kennzeichnenden Merkmalen im Anspruch 1. Allein die Backenstücke 3 zur Befestigung des Gebisses am Pferdekopf verblieben als Unterschied. Druckschrift D1 offenbare ebenfalls Backenstücke, nämlich die portions 33, an denen dort das Gebiss befestigt sei. Vor der Aufgabe, diese wenig stabile Befestigung zu verbessern, habe der Fachmann Veranlassung, sich nach einer alternativen Befestigung umzusehen und zöge die Druckschrift D2 heran, welche die im Streitpatent konkret dargestellten Backenstücke sogar als Standardlösung bezeichne (siehe S. 1, 3. Abs. in D2). Der Gegenstand des Streitpatentanspruchs sei aus dem Stand der Technik somit nahegelegt.

61

Dies trifft nicht zu, denn der Oberbegriff des Anspruchs 1 des Streitpatents in der ursprünglich erteilten Fassung bringt klar zum Ausdruck, dass hinsichtlich Anordnung, Ausgestaltung und Zweck Unterschiede zwischen den Backenriemen (7) zur Befestigung des Sperrhalfters und den Backenstücken (3) zur Befestigung des Gebisses am Pferdekopf bestehen. Die von der Klägerin in der D1 dagegen als Backenstücke angesehenen portions 33 sind – wie zum Neuheitsvergleich im vorigen Abschnitt bereits dargelegt ist – Teilbereiche (eben: „portions“), die in der in Druckschrift D1 aufgezeigten Ausgestaltung des bekannten Halfters Verlängerungen und somit integrale Bestandteile der Backenriemen 17 (cheek pieces) sind. Diese dienen – erstens - zur Befestigung eines Nasenriemens und sollen – zweitens - zusätzlich ein Gebiss halten können, was die Umwandlung eines Stallhalfters in ein Reithalfter ermöglicht. Davon abzuweichen, besteht aus fachmännischer Sicht kein Anlass, schon weil zusätzliche Komponenten am Halfter vorzusehen wären, und dies auch die in der Druckschrift D1 formulierte Aufgabe nicht löst, ein neues und verbessertes Zaumzeug zu schaffen (provide a new and improved bridle), das als sicheres Stallhalfter gebraucht werden kann (which may be safely used as a halter), mit einem Gebiss, das einfach angebracht und entfernt werden kann (with a bit that can easily attached and removed) und das leicht in ein Stallhalfter umgewandelt werden kann (which can be easily transformed into a halter (Sp. 1, Z. 56 bis 64)). Die von der Klägerin gemäß ihrer Definition zugrunde zu legende Aufgabe, das Gebiss stabiler zu befestigen, kann dort vom Fachmann beispielsweise bereits mit einem längeren und/oder breiteren Klettverschluss einfacher gelöst werden. Die von der Klägerin als Standardlösung bezeichnete Lehre gemäß der D2, die jeweils separate Riemen (S. 3, 3. Abs. und Fig. 1 und 2, Gebissriemen 15) zur Befestigung des Gebisses vorsieht, ist demgegenüber technisch ersichtlich aufwändiger. Unter anderem ist dann an dem aus D1 bekannten Zaum anstelle des dortigen aus einem einfachen Riemen gebildeten Kopfstücks (crown piece 18) ein Kopfstück nach dem Vorbild der Lehre aus der Druckschrift D2 mit Strupfen zur Befestigung der Backenriemen und Backenstücke vorzusehen. Das bekannte Halfter wäre demnach komplett umzugestalten, wobei für den Benutzer auch noch der eigentliche Vorteil des aus Druckschrift D1 bekannten Zaumzeugs fortfiele, auf einfache Weise den Umbau von einem Stall- in ein Reithalfter vornehmen zu können. Die streitpatentgemäße Lösung ist dem Fachmann daher ausgehend von der Druckschrift D1 als nächstem Stand der Technik nicht nahegelegt.

62

Weiterhin vertritt die Klägerin den Standpunkt, dem Streitgegenstand liege eine erfinderische Tätigkeit ausgehend von einem Reithalfter gemäß der Druckschrift D2 als nächstem Stand der Technik nicht zugrunde. Zwar erfüllt dieses Reithalfter gemäß D2 bereits den Oberbegriff des Patentanspruchs 1, und es stellt sich objektiv dieselbe Aufgabe wie im Streitpatent, den Druck auf den Nacken des Pferdes zu verringern. Indes offenbart die Druckschrift D2 die kennzeichnenden Merkmale des Reit-/Fahrhalfters gemäß dem erteilten Anspruch 1 nicht und legt diese auch nicht nahe.

63

Die Klägerin vertritt den Standpunkt, der Fachmann werde ausgehend von dem Stand der Technik der Druckschrift D2 auf die Druckschrift D1 zugreifen und könne Anregungen zur Lösung der Aufgabe des Streitpatents daraus entnehmen; D1 offenbare eine abgewinkelte Verschnallung der Backenriemen mit der erkennbaren Wirkung der Linderung des Drucks auf die Ohrhöcker. Dieser Stand der Technik setze so die entscheidende Lehre des Streitpatents um, nach der eine Druckentlastung des Pferdenackens erreicht werden solle, so dass dem Fachmann die vom Beklagten als patentbegründend angesehene Lösung aus der Zusammenschau von Merkmalen der aus den Druckschriften D2 und D1 bekannten Halfter nahegelegt sei.

64

Dem ist nicht zuzustimmen. Vielmehr hat ein Fachmann schon keinen Anlass, von einem Stand der Technik gemäß der D2 ausgehend auf die Druckschrift D1 zuzugreifen, denn diese befasst sich – wie bereits aufgezeigt – nicht mit dem Problem, wie störende Einflüsse aus dem Druck auf den Nacken des Pferdes vermindert werden können, sondern mit dem Problem der leichteren Umwandlung von einem Reithalfter in ein Stallhalfter und umgekehrt (D1, Spalte 1, Z. 56 bis 64).

65

Sollte ein Fachmann dennoch diese Druckschrift betrachten, kann er zwar aus den zeichnerischen Darstellungen des Halfters auf einen abgewinkelten Verlauf der das Gebiss haltenden Backenriemen auch bei am Pferdekopf angelegtem Halfter schließen. An keiner Stelle der Druckschrift D1 sind aber Hinweise darauf enthalten, dass dort eine abgewinkelte Verschnallung im Sinne des kennzeichnenden Merkmals c) des Anspruchs 1 des Streitpatents vorzunehmen ist, weil damit eine Zugkraft im Backenriemen soweit in Richtung auf den Pferdehals gelenkt werden kann, dass eine Entlastung des Pferdenackens eintritt. Die mit der Lösung gemäß dem Streitpatent korrespondierenden Vorteile legt der Stand der Technik gemäß Druckschrift D1 jedenfalls nicht nahe, denn dort ist nicht das Wohlbefinden des Pferdes bei der Verwendung eines Reit-/Fahrhalfters im Fokus, sondern die doppelte Verwendbarkeit eines Stallhalfters und dessen erleichterte Handhabbarkeit durch den Reiter.

66

Auf die noch von der Klägerin genannte weitere Druckschrift D3 zuzugreifen, welche die Klägerin in dem Klageschriftsatz lediglich mit Blick auf den erteilten Unteranspruch 7 herangezogen hat, hat der Fachmann keine Veranlassung, denn diese betrifft ausdrücklich ein gebissloses Zäumungssystem im Gegensatz zum Anspruchsgegenstand, der ein Zaumzeug mit Gebiss voraussetzt. Zudem ist dort lediglich ein in den Nackenriemen übergehender Riemen vorgesehen, nicht aber der im Streitpatent neben dem Backenstück (3) zusätzlich vorgesehene Backenriemen (7). In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin diese Druckschrift zu Recht nicht mehr berücksichtigt.

67

Die Patentfähigkeit des Anspruchs 1 trägt auch die darauf rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 8.

68

Das Streitpatent war somit in der ursprünglich erteilten Fassung rechtsbeständig.

II.

69

Der Antrag auf Nichtigerklärung des Streitpatents in der beschränkten Fassung, mit der außer fehlender Patentfähigkeit zusätzlich die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung (Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Artikel 138 Absatz 1 lit. c) EPÜ) und der Erweiterung des Schutzbereichs (Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 4 IntPatÜG i. V. m. Artikel 138 Absatz 1 lit. d) EPÜ) geltend gemacht werden, ist zulässig, aber unbegründet.

70

1. Die Klägerin hat erstmals im Schriftsatz vom 16. Oktober 2015 als weiteren Nichtigkeitsgrund eine unzulässige Erweiterung und eine Schutzbereichserweiterung geltend gemacht. Dies stellt eine Klageänderung dar (BGH GRUR 2010, 901 - polymerisierbare Zementmischung), die gem. § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 263 ZPO sachdienlich und damit zulässig ist (vgl. BGH GRUR 2014, 650 (Rd. 26) - Reifendemontiermaschine).

71

2. a) Das beschränkte Streitpatent schützt mit seinem neuen Patentanspruch 1 - hier gegliedert und mit durch Fettdruck kenntlich gemachten ergänzten Merkmalen - ein:

72

a) Reit-/Fahrhalfter

73

ba) mit einem Sperrhalfter (11) und

74

bb) Backenriemen (7) zur Befestigung zumindest des Sperrhalfters (11) und

75

bc) mit Backenstücken (3) zur Befestigung eines Gebisses am Pferdekopf

76

dadurch gekennzeichnet, dass

77

c) die Backenriemen (7) durch eine Verschnallung abgewinkelt verlaufen,

78

ca1) wobei die Backenriemen (7) jeweils aus einem oberen Backenriementeil (7A) und einem unteren Backenriementeil (7B) bestehen und

79

ca2) in einem Winkelpunkt (8) miteinander verbunden sind, an dem auch ein Unterkieferriemen (9) angreift, der

80

ca3) über die Backenmuskulatur unter dem Unterkieferknochen des Pferdes verläuft, und

81

ca4) die Backenriemen (7) jeweils am Winkelpunkt (8) durch den Unterkieferriemen (9) abgewinkelt werden,

82

cb) sodass eine Zugkraft im Backenriemen (7) in Richtung auf den Pferdehals gelenkt wird.

83

b) Die zusätzlich aufgenommenen Merkmale bedürfen teilweise einer Erläuterung.

84

Der Deutung des Anspruchswortlauts durch die Klägerin, wonach gemäß den Merkmalen ca1) und ca2) des beschränkten und in Kraft stehenden Hauptanspruchs 1 die Backenriemen (7) selber – d. h. der rechte und der linke Backenriemen (7) – in einem Winkelpunkt (8) miteinander verbunden seien, ist nicht zu folgen.

85

Ein zutreffendes Verständnis der Merkmale ca1) und ca2) ergibt sich für den Fachmann, wenn er bei einer sachgerechten Auslegung des Patentanspruchs die Beschreibung und die Zeichnungen der Patentschrift heranzieht.

86

Die Patentschrift des beschränkten Streitpatents (EP 1 675 801 B3; K1B) beschreibt in Absatz [0011], dass „die Backenriemen jeweils aus einem oberen Backenriementeil und einem unteren Backenriementeil, welche am Winkelpunkt miteinander verbunden sind“ bestehen. In den Figuren 3a bis 5 werden diese beiden Backenriementeile (7A/7B) gezeigt. In Absatz [0025] wird zu der Figur 3a ausgeführt, dass der Backenriemen 7 „aus einem oberen Teil 7A zwischen dem Nackenstück 5 und einem Winkelpunkt 8 und einem unteren Teil 7B zwischen dem Winkelpunkt 8 und dem Sperrhalfter 11 gebildet“ ist. Legt man den geltenden Patentanspruch 1 im Sinne dieser Beschreibungspassagen und der zugehörigen Zeichnungen aus, so ergibt sich eindeutig, dass das Patentanspruch 1 hinzugefügte Merkmal „und in einem Winkelpunkt (8) miteinander verbunden sind“ sich auf die beiden Backenriementeile 7A und 7B bezieht. Für die von der Klägerin vorgenommene Auslegung, dass damit eine unmittelbare Verbindung des linken Backenriemens mit dem rechten Backenriemen in einem Winkelpunkt gemeint sein soll, ergibt sich demgegenüber in der gesamten Patentschrift keinerlei Anhaltspunkt, und es ist deshalb ausgehend von der Patentschrift auch nicht ersichtlich, inwieweit dadurch die erfindungsgemäße Lehre verwirklicht werden könnte. Eine derartige Auslegung stünde daher im Widerspruch zu einer sinnvollen Auslegung des Patents.

87

3. Dieses Verständnis der nunmehr maßgeblichen Patentansprüche in dem beschränkten Streitpatent (EP 1 675 801 B3; K1B) zu Grunde gelegt, wird der Gegenstand des Streitpatents gegenüber der ursprünglichen Anmeldung nicht unzulässig erweitert (Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Artikel 138 Absatz 1 lit. c) EPÜ).

88

Eine fehlende ursprüngliche Offenbarung der Merkmale a), ba), bb), bc), c) und cb) wurde ebenso wie die der zusätzlichen Merkmale ca3) und ca4) nicht geltend gemacht. Aber auch die in den neuen Anspruch 1 aufgenommenen Merkmale ca1) und ca2) sind entgegen der Meinung der Klägerin in den zur Patentanmeldung eingereichten ursprünglichen Unterlagen offenbart.

89

Merkmal ca1) und der erste Teil des Merkmals ca2) stammen aus Anspruch 4 der ursprünglichen Anmeldung, wobei aber hinsichtlich Merkmal ca2) an die Stelle von „am Winkelpunkt (8) miteinander“ klarstellend der Wortlaut aus dem von S. 5 auf S. 6 der Offenlegungsschrift WO2005/037707 übergreifenden Satz gesetzt wurde, wonach der Backenriemen 7 aus einem oberen Teil 7A…und einem unteren Teil 7B gebildet ist, die …im Winkelpunkt 8 miteinander verbunden sind. Der zweite Teil von Merkmal ca2), wonach an dem Winkelpunkt auch ein Unterkieferriemen angreift, stammt aus dem Anspruch 2 der ursprünglichen Anmeldung (…durch einen an einem Winkelpunkt (8) …angreifenden Unterkieferriemen…).

90

4. Mit den nunmehr maßgeblichen Patentansprüchen des beschränkten Streitpatents (EP 1 675 801 B3) wird der Schutzbereich gegenüber dem der Patentansprüche in der ursprünglich erteilten Fassung des Streitpatents nicht erweitert (Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 4 IntPatÜG i. V. m. Artikel 138 Absatz 1 lit. d) EPÜ).

91

Die in den geltenden Patentanspruch 1 aufgenommenen zusätzlichen Merkmale ca1 bis ca4 bewirken eine Beschränkung des mit der erteilten Fassung gewährten Patentschutzes. Ausgehend von der Auslegung unter Ziffer II. 2. b), wonach sich die Verbindung an dem Winkelpunkt 8 auf die Backenriementeile 7A und 7B bezieht, präzisieren diese Merkmale die Ausgestaltung des bereits gemäß dem zuerst erteilten Patentanspruch 1 vorgesehenen Backenriemens 7 als aus zwei Teilen bestehend, die jeweils an einem Winkelpunkt 8 angreifen. Zusätzlich ist nun der Unterkieferriemen 9 Bestandteil des beanspruchten Reit-/Fahrhalfters, der ebenfalls an dem Winkelpunkt 8 angreift. Zudem benennt der Anspruch den Verlauf und die Lage des Unterkieferriemens 9 („über die Backenmuskulatur unter dem Unterkieferknochen“) und dessen Funktion, wonach durch den Unterkieferriemen 9 die Backenriemen 7 jeweils am Winkelpunkt 8 abgewinkelt werden. Die neue Anspruchsfassung gibt somit nunmehr konkret die Mittel vor, welche bewirken, dass gemäß Merkmal cb) eine Zugkraft im Backenriemen 7 in Richtung auf den Pferdehals gelenkt wird. Gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1, der die Auswahl dieser Mittel in das Belieben des Fachmanns stellte, umfasst der neue Anspruch 1 somit zusätzliche, den Schutzgegenstand und den Schutzbereich beschränkende Merkmale.

92

Demzufolge wurde - entgegen der Auffassung der Klägerin – auch der ursprünglich erteilte auf den Anspruch 1 rückbezogene Patentanspruch 2 durch diese zusätzlichen Merkmale nicht erweitert, da dieser lediglich ein auf Patentanspruch 1 rückbezogener Unteranspruch ist, dessen Schutzbereich kleiner ist, als der des Hauptanspruchs.

93

5. Die Gegenstände der geltenden, beschränkten Patentansprüche in der Fassung des Streitpatents gemäß der EP 1 675 801 B3 sind zudem patentfähig, weil die darin beanspruchte Lehre zum maßgeblichen Prioritätszeitpunkt gegenüber dem Stand der Technik neu und erfinderisch war (Artikel II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Artikel 54 und Artikel 56 EPÜ). Das folgt schon daraus, dass die zusätzlich aufgenommenen Merkmale - wie unter Ziffer II. 4. Begründet - lediglich zu einer Beschränkung des zuerst erteilten Patentanspruchs 1 geführt haben. Da bereits der Gegenstand des zuerst erteilten Streitpatents mit dem weiter gehenden Schutzgegenstand und Schutzbereich patentfähig war (vgl. Ziffer I, 3.e)), muss dies schon zwangsläufig für das nunmehr nach der Beschränkung noch geltende Patent ebenfalls zutreffen.

III.

94

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.