Entscheidungsdatum: 11.12.2014
In der Patentnichtigkeitssache
…
…
betreffend das deutsche Patent 10 2004 005 362
hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2014 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Sredl sowie der Richter Merzbach, Dr.-Ing. Fritze, Dipl.-Ing. Univ. Fetterroll und Dipl.-Ing. Univ. Wiegele
für Recht erkannt:
I. Das Patent DE 10 2004 005 362 wird dadurch teilweise für nichtig erklärt, soweit es über folgende Fassung hinaus geht:
1. Regal-Boxen-System für Servicefahrzeuge, aufweisend ein Regal mit mindestens einer herausnehmbaren Regalbox 10), die mittels einer eine Arretiernase (20) und einen Arretieranschlag (22, 23) aufweisenden Arretiervorrichtung in einer in das Regal eingeschobenen hinteren Arretierposition und in einer vorderen Ausziehposition in Ausziehrichtung der Box (10) auf einem Regalboden (24) arretierbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Arretiernase (20) in einer auf dem Regalboden festlegbaren Führungsschiene (16) zur Führung der Regalbox (10) in Ausziehrichtung integral aufgenommen ist, und die Führungsschiene (16) einen Laufsteg (19) aufweist, der von einer komplementären Laufschiene (18) der Regal-Box (10), an deren Seitenwand die Arretieranschläge (22, 23) angeordnet sind, untergriffen wird, wobei der Abstand (s) zwischen der Oberkante der Laufschiene (18) und der Unterkante der Arretieranschläge (22, 23) größer ist als die Höhe (c) der Arretiernase (20).
2. Regal-Boxen-System nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Laufschiene (18) durch die Bodenplatten-Kante der Box (10) gebildet ist, die seitlich von der Boxen-Seitenwand abragt.
3. Regal-Boxen-System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass eine Führungsschiene (16) mit Arretiernase (20) zwischen zwei Boxen (10) angeordnet ist.
4. Regal-Boxen-System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Arretieranschläge (22, 23) in einer Seitenausnehmung (26) in der entsprechenden Seitenwand (12) der Box (10) ausgebildet sind
5. Regal-Boxen-System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Box (10) an ihrer Rückkante eine Gleitfläche (27) aufweist.
6. Regal-Boxen-System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Arretiernase (20) eine Gleitfläche (21) aufweist, auf der der jeweilige Arretieranschlag (22, 23) beim Einschieben der Box (10) gleitet und über die Arretiernase (20) hebbar ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 4/5 und die Beklagte 1/5.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 3. Februar 2004 angemeldeten und am 5. Januar 2006 veröffentlichten Patents DE 10 2004 005 362 mit der Bezeichnung „Regal-Boxen-System".Das Patent umfasst den Vorrichtungsanspruch 1 sowie die auf den Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 6.
Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung lautet wie folgt:
1. Regal-Boxen-System, insbesondere für Servicefahrzeuge, aufweisend ein Regal mit mindestens einer herausnehmbaren Regalbox (10), die mittels einer eine Arretiernase (20) und einen Arretieranschlag (22, 23) aufweisenden Arretiervorrichtung in einer in das Regal eingeschobenen hinteren Arretierposition und in einer vorderen Ausziehposition in Ausziehrichtung der Box (10) auf einem Regalboden (24) arretierbar ist, |
Wegen des Wortlauts der jeweils mittelbar oder unmittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 6 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Die Beklagte verteidigt ihr Patent beschränkt im Umfang der mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2014 (Bl. 279 ff. d.A.) als Hauptantrag eingereichten Ansprüche 1 bis 6 (Bl. 287 – 288 d.A.).
Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag hat danach folgenden Wortlaut:
Regal-Boxen-System für Servicefahrzeuge, aufweisend ein Regal mit mindestens einer herausnehmbaren Regalbox (10), die mittels einer eine Arretiernase (20) und einen Arretieranschlag (22, 23) aufweisenden Arretiervorrichtung in einer in das Regal eingeschobenen hinteren Arretierposition und in einer vorderen Ausziehposition in Ausziehrichtung der Box (10) auf einem Regalboden (24) arretierbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Arretiernase (20) in einer auf dem Regalboden festlegbaren Führungsschiene (16) zur Führung der Regalbox (10) in Ausziehrichtung integral aufgenommen ist, und die Führungsschiene (16) einen Laufsteg (19) aufweist, der von einer komplementären Laufschiene (18) der Regal-Box (10), an deren Seitenwand die Arretieranschläge (22, 23) angeordnet sind, untergriffen wird, wobei der Abstand (s) zwischen der Oberkante der Laufschiene (18) und der Unterkante der Arretieranschläge (22, 23) größer ist als die Höhe (c) der Arretiernase (20). |
Die weiteren Unteransprüche gemäß Hauptantrag entsprechenden den erteilten Unteransprüchen 2 bis 6.
Hilfsweise verteidigt die Beklagte das Streitpatent im Umfang der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Ansprüche 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag 0 (Bl. 310 – 311 d.A.) sowie der der mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2014 vorgelegten Ansprüche 1 bis 5 nach Hilfsantrag 1 (Bl. 289 – 290 d.A.) bzw. im Umfang der Ansprüche 1 bis 4 nach Hilfsantrag 2 (Bl. 291 – 292 d.A.).
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 0 hat danach folgenden Wortlaut (die Änderungen gegenüber dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag sind hervorgehoben):
Regal-Boxen-System für Servicefahrzeuge, aufweisend ein Regal mit mindestens einer herausnehmbaren Regalbox (10), die mittels einer eine Arretiernase (20) und einen Arretieranschlag (22, 23) aufweisenden Arretiervorrichtung in einer in das Regal eingeschobenen hinteren Arretierposition und in einer vorderen Ausziehposition in Ausziehrichtung der Box (10) auf einem Regalboden (24) arretierbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Arretiernase (20) in einer auf dem Regalboden festlegbaren Führungsschiene (16) zur Führung der Regalbox (10) in Ausziehrichtung integral aufgenommen ist, und die Führungsschiene (16) einen Laufsteg (19) aufweist, der von einer komplementären Laufschiene (18) der Regal-Box (10), an deren Seitenwand die Arretieranschläge (22, 23) angeordnet sind, untergriffen wird, wobei der Abstand (s) zwischen der Oberkante der Laufschiene (18) und der Unterkante der Arretieranschläge (22, 23) größer ist als die Höhe (c) der Arretiernase (20), die Arretiernase (20) mit ihrem Laufsteg (19) in eine Aussparung (26) der Regalbox (10) einragt, in der die Arretieranschläge (22,23) angeordnet sind. |
Der auf Patentanspruch 1 rückbezogene Patentanspruch 2 nach Hilfsantrag 0 lautet:
Regal-Boxen-System nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Abstand (s) zwischen der Oberkante der Laufschiene (18) und der Unterkante der Arretieranschläge (22, 23) größer ist als die Höhe (c) der Arretiernase (20).
Die weiteren Unteransprüche gemäß Hilfsantrag 0 entsprechenden den erteilten Unteransprüchen 2 bis 6, neu nummeriert als Ansprüche 3 bis 7
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 hat folgenden Wortlaut (die Änderungen gegenüber dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag sind hervorgehoben):
Regal-Boxen-System für Servicefahrzeuge, aufweisend ein Regal mit mindestens einer herausnehmbaren Regalbox (10), die mittels einer eine Arretiernase (20) und einen Arretieranschlag (22, 23) aufweisenden Arretiervorrichtung in einer in das Regal eingeschobenen hinteren Arretierposition und in einer vorderen Ausziehposition in Ausziehrichtung der Box (10) auf einem Regalboden (24) arretierbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Arretiernase (20) in einer auf dem Regalboden festlegbaren Führungsschiene (16) zur Führung der Regalbox (10) in Ausziehrichtung integral aufgenommen ist, und die Führungsschiene (16) einen Laufsteg (19) aufweist, der von einer komplementären Laufschiene (18) der Regal-Box (10), an deren Seitenwand die Arretieranschläge (22, 23) angeordnet sind, untergriffen wird, wobei der Abstand (s) zwischen der Oberkante der Laufschiene (18) und der Unterkante der Arretieranschläge (22, 23) größer ist als die Höhe (c) der Arretiernase (20), und die Arretiernase (20) eine Gleitfläche (21) aufweist, auf der der jeweilige Arretieranschlag (22, 23) beim Einschieben der Box (10) gleitet und über die Arretiernase (20) hebbar ist. |
Dem Patentanspruch 1 schließen sich die rückbezogenen erteilten Ansprüche 2 bis 5 an. |
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 hat folgenden Wortlaut (die Änderungen gegenüber dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag sind hervorgehoben: |
Regal-Boxen-System für Servicefahrzeuge, aufweisend ein Regal mit mindestens einer herausnehmbaren Regalbox (10), die mittels einer eine Arretiernase (20) und einen Arretieranschlag (22, 23) aufweisenden Arretiervorrichtung in einer in das Regal eingeschobenen hinteren Arretierposition und in einer vorderen Ausziehposition in Ausziehrichtung der Box (10) auf einem Regalboden (24) arretierbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Arretiernase (20) in einer auf dem Regalboden festlegbaren Führungsschiene (16) zur Führung der Regalbox (10) in Ausziehrichtung integral aufgenommen ist, und die Führungsschiene (16) einen Laufsteg (19) aufweist, der von einer komplementären Laufschiene (18) der Regal-Box (10), an deren Seitenwand die Arretieranschläge (22, 23) angeordnet sind, untergriffen wird, wobei der Abstand (s) zwischen der Oberkante der Laufschiene (18) und der Unterkante der Arretieranschläge (22, 23) größer ist als die Höhe (c) der Arretiernase (20), und die Arretiernase (20) eine Gleitfläche (21) aufweist, auf der der jeweilige Arretieranschlag (22, 23) beim Einschieben der Box (10) gleitet und über die Arretiernase (20) hebbar ist, und wobei die Arretieranschläge (22, 23) in einer Seitenausnehmung (26) in der entsprechenden Seitenwand (12) der Box (10) ausgebildet sind. |
Dem Patentanspruch 1 schließen sich die rückbezogenen erteilten Ansprüche 2 bis 4 an. |
Die Klägerin ist der Auffassung, dass auch der beanspruchte Gegenstand des Anspruchs 1 in der nunmehr gemäß dem Hauptantrag geltenden Fassung als auch in der Fassung der Hilfsanträge sowie die Gegenstände der auf diese Ansprüche direkt oder indirekt rückbezogenen Ansprüche gemäß Hauptantrag bzw. der Hilfsanträge 0, 1 und 2 gegenüber dem zu berücksichtigenden Stand der Technik nicht neu seien. Zumindest ergäben sich die Gegenstände der angegriffenen Ansprüche des Streitpatents in naheliegender Weise aus dem vorveröffentlichten Stand der Technik und beruhten daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Dazu beruft sich die Klägerin u.a. auf folgende Druckschriften:
D1 |
JP 10-23937 |
D2 |
DE 196 39 065 C1 |
D3 |
EP 0 572 971 A2 |
D4 |
US 5 330 063 |
D5 |
JP 9-10048 |
D6 |
DE 42 13 721 A1 |
D7 |
DE 2 258 249 |
D8 |
DE 2 223 822 |
D9 |
US 4 314 734 |
D10 |
U5 4 44 7 177 |
D11 |
KR 2003-0068489 |
D12 |
DE 853 049 |
Sie weist in diesem Zusammenhang noch auf die Dokumente |
FR 2 412 290 |
DE 195 46 984 A1 |
KR 2000-0017943 |
hin, die ebenfalls den Gegenstand der Erfindung so weit nahelegten, dass keine erfinderische Tätigkeit verbleibe. |
Die Klägerin macht weiterhin geltend, dass der Gegenstand des Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann die vermeintliche Erfindung des Streitpatents ausführen könne (§ 22 (1) i. V. m. § 21 (1) Nr. 2 PatG). Zudem gehe der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinaus, in der sie beim Deutschen Patent- und Markenamt ursprünglich eingereicht worden sei (§ 22 (1) i. V. m. § 21 (1) Nr. 4 PatG).
Gegenüber dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsantrag 0 hat sie eine verspätete Vorlage gerügt.
Die Klägerin beantragt,
das deutsche Patent DE 10 2004 005 362 B4 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent im verteidigten Umfang richtet.
Hilfsweise beantragt sie, dem Streitpatent eine der Fassungen der Hilfsanträge 1 bzw. 2, vorgelegt mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2014 (Bl. 289 ff. d. A.), bzw. der Fassung des Hilfsantrags 0, vorgelegt in der mündlichen Verhandlung, zu geben.
Die Beklagte tritt der Klägerin in allen Punkten entgegen. Sie sieht die ursprüngliche Offenbarung als gegeben an. Das Streitpatent gemäß Hauptantrag sei patentfähig; jedenfalls in einer der Fassungen der Hilfsanträge. Es mangele ihm gegenüber dem Stand der Technik weder an Neuheit noch an erfinderischer Tätigkeit; eine unzulässige Erweiterung liege nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Die zulässige Klage, mit der neben dem Nichtigkeitsgrund mangelnder Patentfähigkeit nach den §§ 1 bis 5 PatG auch die Nichtigkeitsgründe der unzureichenden Offenbarung (§§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG) und der unzulässigen Erweiterung (§§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG) geltend gemacht werden, ist insoweit begründet, als das Streitpatent ohne Sachprüfung insoweit für nichtig zu erklären ist, als es über die von der Beklagten nur noch beschränkt verteidigte Fassung hinausgeht (st. Rspr. vgl. BGHZ 170, 215 – Carvedilol II; GRUR 1996, 857 – Rauchgasklappe).
Die weitergehende Klage ist hingegen unbegründet. Die gemäß Hauptantrag verteidigte Fassung der Patentansprüche ist zulässig. Insbesondere greifen insoweit die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe der unzureichenden Offenbarung (§§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG) sowie der unzulässigen Erweiterung (§§ 22, 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG) nicht durch. Der Gegenstand des Streitpatents in der Fassung des Hauptantrags erweist sich zudem gegenüber dem Stand der Technik als neu und wird dem Fachmann durch den Stand der Technik nicht nahegelegt. In dieser Fassung ist das Streitpatent somit rechtsbeständig (§§ 22, 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG i. V. m. §§ 1 bis 5 PatG) und die Klage daher insoweit unbegründet.
I.
1. Das Streitpatent (DE 10 2004 005 362 B4) betrifft gemäß Abs. [0001] ein Regal-Boxen-System mit einem Regal und mindestens einer herausnehmbaren Regalbox, wobei eine Arretiervorrichtung vorgesehen ist, mit der die Box in Ausziehrichtung der Box auf einem Regalboden arretierbar ist.
Gemäß Abs. [0002] der Streitpatentschrift seien Arretiervorrichtungen für Regalboxen bekannt, mit denen eine Arretierposition der Box festgelegt sei, so dass die Regalbox nicht ungewollt aus dem Regal rutschen könne. So lasse sich die Regalbox vielmehr nur durch Betätigen der Arretiervorrichtung ausziehen. Derartige Regal-Boxen-Systeme mit einer Arretiervorrichtung fänden insbesondere in Transportfahrzeugen Anwendung, wobei die Arretierposition der Regalbox in ihrem eingeschobenen Zustand definiert sei, so dass sich die Box weder durch Rüttelbewegungen des Fahrzeuges noch in einer Kurvenlage desselben aus dem Regal bewegen könne.
Zum Stand der Technik offenbare die DE 2 223 822 A eine Kassettenregistratur, wobei die Kassetten in zwei Arretierpositionen bezogen auf die Ausziehrichtung der Kassette auf einem Regalbodenverschiebbar gehalten seien. Beim Herausziehen einer Kassette lasse sich diese über die Vorderkante des Regalbodens kippen und arretieren, so dass die Kassette in kombinatorischer Wirkung mit einem Anschlag der Kassette am darüber liegenden Regalboden nicht aus dem Regalsystem herausfallen könne (vgl. PS, Abs. [0003]).
2. Gegenüber dem genannten Stand der Technik liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, ein Regal-Boxen-System mit einer Arretiervorrichtung vorzusehen, mit dem eine einfache und sichere Handhabung der Regalbox in einem Regal und eine Entnahme aus diesem heraus möglich ist (vgl. PS, Abs. [0005]).
3. Diese Aufgabe wird durch ein Regal-Boxen-System für Servicefahrzeuge mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag gelöst, der angelehnt an eine von der Beklagten vorgeschlagene gegliederte Fassung folgendermaßen lautet:
M1 Regal-Boxen-System für Servicefahrzeuge,
M2 aufweisend ein Regal mit mindestens einer herausnehmbaren Regalbox (10),
M3 die mittels einer eine Arretiernase (20) und einen Arretieranschlag (22, 23) aufweisenden Arretiervorrichtung
M4 in einer in das Regal eingeschobenen hinteren Arretierposition und in einer vorderen Ausziehposition in Ausziehrichtung der Box (10) auf einem Regalboden (24) arretierbar ist, dadurch gekennzeichnet
M5 dass die Arretiernase (20) in einer auf dem Regalboden festlegbaren Führungsschiene (16) zur Führung der Regalbox (10) in Ausziehrichtung integral aufgenommen ist,
M6 und die Führungsschiene (16) einen Laufsteg (19) aufweist, der von einer komplementären Laufschiene (18) der Regal-Box (10), an deren Seitenwand die Arretieranschläge (22, 23) angeordnet sind, untergriffen wird,
M7 wobei der Abstand (s) zwischen der Oberkante der Laufschiene (18) und der Unterkante der Arretieranschläge (22, 23) größer ist als die Höhe (c) der Arretiernase (20).
Hierdurch werde erreicht, dass die Regalbox nicht aus dem Regal ungewollt herausfallen könne (vgl. Abs. [0008], 6. Satz).
4. Als Fachmann ist ein Möbeltechniker mit mehrjähriger Erfahrung im Entwurf von Regalsystemen anzusehen. Soweit die Beklagte geltend macht, dass der Durchschnittsfachmann ein (Fach-)Hochschul-Ingenieur (Bachelor) im Bereich des Fahrzeugbaus, insbesondere im Bereich der Fahrzeugeinrichtungen sei und keineswegs Kenntnis von Regal- und Schubladen-Systemen „aller Art" sondern nur besondere Fachkenntnisse bei der Konstruktion von Fahrzeugeinbauten habe, vermag der Senat dem nicht zu folgen, da der erteilte streitige Anspruch 1 eine solche Beschränkung nicht nahelegt.
II.
Der deutlich und vollständig offenbarte, nicht unzulässig erweiterte und gewerblich anwendbare Patentgegenstand ist patentfähig, da er neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
1. Der Gegenstand des Streitpatents ist deutlich und vollständig offenbart.
Nach Auffassung der Klägerin weist die Arretiervorrichtung (gemäß erteiltem Patentanspruch 1) eine Arretiernase und einen Arretieranschlag auf. Mit dieser Arretiervorrichtung sei die Regalbox in einer in das Regal eingeschobenen hinteren Arretierposition und in einer vorderen Ausziehposition nicht arretierbar. Dieses sei technisch nicht möglich. Denn gemäß der Offenbarung der Patentschrift, die der Fachmann zur Auslegung der Ansprüche heranziehe, werde die Arretierung durch die jeweiligen mit der Arretiernase zusammenwirkenden Arretieranschläge bewirkt. Folglich sei es notwendig, sowohl einen vorderen mit der Arretiernase zusammenwirkenden Arretieranschlag (für die vordere Ausziehposition) als auch beispielsweise einen hinteren Arretieranschlag, der mit der Arretiernase zusammenwirken könne, oder eine anders geartete Arretierung (für die hintere Arretierposition) vorzusehen (vgl. Abs. [0009] des Streitpatents). Dem Fachmann werde es nicht mit einem zumutbaren Aufwand gelingen, diesen technischen Widerspruch aufzulösen und eine anspruchsgemäße Arretiervorrichtung nachzuarbeiten.
Wie die Klägerin bereits selbst ausgeführt hat, ist die Lösung des von ihr aufgeworfenen Problems in dem Absatz [0009] des Streitpatents dargelegt. Danach wird der Fachmann dazu angeleitet, die Arretiervorrichtung derart auszugestalten, dass die Regal-Box sowohl einen vorderen (23) als auch einen hinteren (22) Arretieranschlag aufweist, die, abhängig von der Ausziehposition, jeweils mit der Arretiernase (20) zusammenwirken, um die Regal-Box in Ausziehrichtung zu arretieren. Der von der Klägerin problematisierte Singular im Merkmal M3 (einen Arretieranschlag) und der damit unterstellte angeblich unauflösbare technische Widerspruch lassen sich vom Fachmann, entgegen der Auffassung der Klägerin, aufgrund der Ausführungen im Absatz [0009] des Streitpatents ohne Weiteres lösen, zumal auch im Merkmal M6 (Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag) der Plural („die Arretieranschläge“) Anwendung findet.
Des Weiteren ist die Klägerin der Meinung, dass das Merkmal, wonach die Box in der hinteren Arretierposition und in der vorderen Auszugsposition in Ausziehrichtung der Box auf einem Regalboden arretierbar sei, nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass der Fachmann hieraus ausreichend deutlich ableiten könne, wie in der hinteren Arretierposition oder der vorderen Ausziehposition die Box auf dem Regalboden tatsächlich „arretiert“ werden solle. Unter „Arretieren“ sei zu verstehen, dass die Box auf dem Regalboden unbeweglich festgelegt werde. Wenn der Fachmann die Beschreibung zur Auslegung heranziehe, könne er dieser entnehmen, dass in der hinteren Arretierposition tatsächlich eine Arretierung vorgesehen sei. Die Box könne sich weder seitlich noch in oder entgegen der Auszugsrichtung bewegen. In der vorderen Auszugsposition sei die Box jedoch nicht gegen eine Bewegung entgegen der Auszugsrichtung arretiert. Es liege somit keine Arretierung vor und der Fachmann könne der Patentschrift auch nicht entnehmen, wie in der vorderen Auszugsposition eine Arretierung hergestellt werden könne. Dies erscheine mit der beanspruchten Arretiervorrichtung, selbst wenn zwei Arretieranschläge vorgesehen sein sollten – was gemäß (erteiltem) Anspruch 1 jedoch nicht vorgesehen sei – , unmöglich.
Im kennzeichnenden Teil des (ursprünglichen) Anspruchs 1 der Streitpatentanmeldung werde eindeutig definiert, dass in der vorderen Ausziehposition eine Arretierung, d. h. somit eine Festlegung sowohl in als auch entgegen der Auszugsrichtung, vorgesehen sein solle. Das Merkmal „in Ausziehrichtung“ werde im Anspruch 1 der Streitpatentanmeldung im Oberbegriff verwendet, um die hintere Arretierposition örtlich zu definieren, nämlich der in das Regal eingeschobenen hinteren Arretierposition in Ausziehrichtung der Box. Folglich werde die Art der Arretierung auch nicht durch das Teilmerkmal „in Ausziehrichtung“ spezifiziert, so dass es dem Fachmann nicht unter einem zumutbaren Aufwand gelingen werde, eine Arretierung in der vorderen und hinteren Arretierposition unter Zuhilfenahme der Lehre des Streitpatents nachzuarbeiten.
Die Definition des Begriffs „Arretieren“, wie sie die Klägerin zugrunde legt, findet im Offenbarungsgehalt weder der Offenlegungsschrift noch der Patentschrift eine Stütze. Bezüglich des Begriffs „Arretieren“ ist die Anmeldung ihr eigenes Lexikon (vgl. „Spannschraube“, BGH X ZR 85/96), aus dem sich ergibt, dass unter dem Begriff „Arretieren“ nur eine Bewegungseinschränkung der Regal-Box in Ausziehrichtung zu verstehen ist (vgl. Abs. [0026] Offenlegungsschrift bzw. [0028] Patentschrift).
Der Verweis auf den mit den Anmeldeunterlagen eingereichten Anspruch 1 kann nicht zielführend sein, da es sich zum einen bei diesem Anspruch lediglich um einen Formulierungsversuch handelt (vgl. PatG § 34, Rn. 193 ff., Schulte 9. Auflage) und zum anderen die Behauptung, das Teilmerkmal „in Ausziehrichtung“ werde im Anspruch 1 der Streitpatentanmeldung im Oberbegriff verwendet, um die hintere Arretierposition örtlich zu definieren, durch die in der Anmeldung offenbarte Definition widerlegt ist. Im geltenden Anspruch 1 gemäß Hauptantrag kommt dies durch das Merkmal M4 ebenfalls deutlich zum Ausdruck.
Somit trifft der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Offenbarung nicht zu.
2. Der Gegenstand des Streitpatents ist nicht unzulässig erweitert worden.
Die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen wurden in der DE 10 2004 005 362 A1 (NK3) veröffentlicht. Die erteilten Ansprüche 1 bis 6 sind aus Änderungen im Erteilungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt hervorgegangen und wurden veröffentlicht in der DE 10 2004 005 362 B4 (NK1).
Der Anspruch 1 nach Hauptantrag ist zulässig. So stützt sich der geltende Anspruch 1 nach Hauptantrag auf den erteilten Patentanspruch 1, der sich aus den Absätzen [0005], [0011] und [0012] der Offenlegungsschrift ableiten lässt, und auf die Beschreibung, Absätze [0023] und [0032], in der Offenlegungsschrift bzw. auf die Absätze [0025] und [0034] in der Patentschrift.
Demgegenüber ist die Klägerin der Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 des Streitpatents über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgehe, in der sie beim Deutschen Patent- und Markenamt ursprünglich eingereicht worden sei (§ 22 (1) i. V. m. § 21 (1) Nr. 4 PatG).
So ist sie der Meinung, aus den Ansprüchen 1 und 2 der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen und dem Absatz [0007] gehe hervor, dass die Arretiervorrichtung eine auf dem Regalboden angeordnete Arretiernase und die Regalbox einen mit der Arretiernase zusammenwirkenden vorderen und hinteren Arretieranschlag aufweise. Schließlich sei auch in der Beschreibung der Figuren nur eine solche Ausführungsform der Arretiervorrichtung beschrieben, bei der eine in der Führungsschiene 16 integral aufgenommene Arretiernase an Arretieranschlägen 22, 23 angreife, die an der Seitenwand 12 der Regalbox vorgesehen seien (vgl. Offenlegungsschrift, Abs. [0023]). Demgegenüber sei der erteilte Patentanspruch 1 unzulässig erweitert. So enthalte die Arretiervorrichtung nur noch eine Arretiernase und einen Arretieranschlag anstelle der in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen vorgesehenen zwei Arretieranschläge, welche mit einer Arretiernase zusammenwirken könnten, um die Regalbox zu arretieren.
Wie bereits zum Einwand der unzureichenden Offenbarung ausgeführt, greifen die Einwendungen der Klägerin bezüglich des nicht vorhandenen Plurals in Bezug auf das Merkmal „Arretieranschlag“ hier ebenfalls nicht durch, zumal auch der Plural (Arretieranschläge) im Merkmal M6 des geltenden Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag seinen Niederschlag gefunden hat.
Des Weiteren ist sie der Auffassung, dass durch Weglassen der in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen vorhandenen Merkmale,
„dass die jeweilige Arretierposition durch Kippen der Box (10) um eine Achse quer zur Ausziehrichtung (A) lösbar ist“ (vgl. Anspruch 1 der Offenlegungsschrift),
„dass die Arretiernase (20) an einer Führungsschiene (16) für die Box (10) angeordnet ist, welche Führungsschiene ihrer Länge nach in Ausziehrichtung (A) auf dem Regalboden (24) angeordnet ist” (vgl. Anspruch 4 der Offenlegungsschrift),
„dass die Laufschiene an der der Führungsschiene anliegenden Seitenwand der Box ausgebildet ist“ (vgl. Anspruch 5 der Offenlegungsschrift),
der erteilte Patentanspruch 1 unzulässig erweitert sei.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Wie bereits dargelegt handelt es sich bei ursprünglich eingereichten Ansprüchen lediglich um Formulierungsversuche (PatG § 34, Rn. 193 ff., Schulte 9. Auflage). So ist der Anmelder an die von ihm ursprünglich oder später eingereichten Ansprüche nicht gebunden. Das Prüfungsverfahren dient gerade dazu, eine gewährbare Fassung der Ansprüche festzustellen, die den Schutzbereich des Patents zutreffend bestimmen. Der Erfinder darf Schutz beanspruchen so weit wie seine Erfindung reicht. Der Anspruch darf dabei so weit verallgemeinert werden, wie es die Offenbarung der Erfindung und der Stand der Technik zulassen.
Bezüglich der zusätzlichen Merkmale des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag trägt die Klägerin vor, dass die als Offenbarungsstelle für diese Merkmale genannten Absätze [0023] und [0032] der Offenlegungsschrift jeweils konkrete Ausführungsbeispiele der Figuren beträfen. Diese umfassten neben den herausgegriffenen Merkmalen eine Vielzahl weiterer technischer Merkmale, die in technischem Wirkzusammenhang mit den aufgenommenen Merkmalen stünden. Durch das gezielte Herausgreifen einzelner Merkmale ohne Berücksichtigung des technischen Kontextes werde die vermeintliche Erfindung in nicht zulässiger Weise über die ursprüngliche Offenbarung hinaus erweitert.
Auch dieser Einwand kann nicht durchgreifen, da durch die genannten zusätzlichen Merkmale der Gegenstand des erteilten Patentanspruch 1 zulässig beschränkt wird. So ist der Ort der Anordnung der Arretieranschläge (22, 23) nunmehr festgelegt (vgl. Merkmal M6), und das Merkmal M7 definiert den Abstand (s) zwischen der Oberkante der Laufschiene (18) der Regal-Box (10) und der Unterkante der Arretieranschläge (22, 23), die an der Seitenwand der Regal-Box (10) angeordnet sind. Zur Aufnahme weiterer Merkmale aus den Ausführungsbeispielen besteht keine Veranlassung (vgl. „Spleißkammer“, BGH X ZB 9/89).
Somit sind die Merkmale in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag als zur Erfindung gehörend in den ursprünglichen Unterlagen offenbart und daher zulässig.
Die Ansprüche 2 bis 6 gemäß Hauptantrag entsprechen den erteilten Patentansprüchen 2 bis 6.
3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist neu, schon weil aus den im Verfahren befindlichen Druckschriften kein gattungsbildender Stand der Technik hervorgeht; ein Regal-Boxen-System für Servicefahrzeuge ist nicht Gegenstand dieser Schriften.
Ein Regal-Boxen-System für Servicefahrzeuge offenbart – entgegen der Auffassung der Klägerin – auch die Druckschrift D9 nicht. Sie befasst sich mit einem Werkzeugschrank (storage cabinet for tools, small appliances, parts and the like, vgl. Sp. 1, Z. 12 bis 15) für eine Zahnarztpraxis (vgl. Sp. 1, Z. 15 bis 23).
4. Das selbstverständlich gewerblich anwendbare Regal-Boxen-System für Servicefahrzeuge nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit.
Als Ausgangspunkt für die Betrachtung der Patentfähigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 ist auf einen Gegenstand abzustellen, der mit ihm hinsichtlich seiner wichtigsten funktionalen und baulichen Eigenschaften weitestgehend übereinstimmt. Dieses sind die Art der Führung der Box im Regal und deren Arretierung.
Die nächstkommende Druckschrift D3 betrifft ein Gleitsystem für Regal-Boxen (reciprocating organizer glide system having a base frame, Sp. 1, Z. 3 bis 6). Sie offenbart in Übereinstimmung mit dem Merkmal M2 eine herausnehmbare Regalbox (vgl. Sp. 1, Z. 56 bis Sp. 2, Z. 3). Diese Regalbox (organizer 16) ist mittels einer eine Arretiernase (stop 52) und einen Arretieranschlag (stop member 28) aufweisenden Arretiervorrichtung (Merkmal M3) in einer vorderen Ausziehposition in Ausziehrichtung der Box (organizer 16) auf einem Regalboden (support surface vgl. Sp. 7, Z. 20 bis 23 i. V. m. Fig. 1) arretierbar (vgl. Fig. 10) (Teilmerkmal von M4). Die Arretiernase 58 ist dabei in einer auf dem Regalboden festlegbaren (screws 34, Fig. 1) Führungsschiene (support rails 14) zur Führung der Regalbox 16 in Ausziehrichtung integral aufgenommen (vgl. Sp. 8, Z. 18 bis 20) (Merkmal M5). Die Führungsschiene 14 weist einen Laufsteg (surface 42) auf, der von einer komplementären Laufschiene (side runners 18) des Grundrahmens (base frame 12) untergriffen wird (vgl. Fig. 12) (Teilmerkmal von M6).
Von diesem Stand der Technik unterscheidet sich der streitige Gegenstand gemäß Hauptantrag dadurch:
- dass das Regal-Boxen-System für Servicefahrzeuge vorgesehen ist,
- dass in einer vorderen Ausziehposition in Ausziehrichtung der Box (10) diese auf einem Regalboden (24) arretierbar ist,
- dass an der Seitenwand der Regal-Box (10) die Arretieranschläge (22, 23) angeordnet sind und
- dass der Laufsteg (19) von einer komplementären Laufschiene (18) der Regal-Box (10) untergriffen wird
- dass der Abstand (s) zwischen der Oberkante der Laufschiene (18) und der Unterkante der Arretieranschläge (22, 23) größer ist als die Höhe (c) der Arretiernase (20).
Diese Merkmale lassen sich auch nicht in naheliegender Weise aus dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns oder der Druckschrift D3 selbst ableiten und dem Gegenstand der D3 so hinzufügen, dass der Fachmann ohne eigenes erfinderisches Zutun zur vollständigen Lehre des Anspruchs 1 nach Hauptantrag gelangt.
Der Auffassung der Klägerin, dass es für den Fachmann, der die Lehre des Dokuments D3 auf ein Regal-Boxen-System für Servicefahrzeuge anwenden wolle, vollkommen naheliegend sei, ein weiteres „stop means“, das ja bereits durch die Offenbarung des Dokuments D3 (Spalte 6, Zeile 35) bekannt sei, in der Weise anzubringen, dass die Box an einem Herausgleiten gehindert werde, mag unter der genannten Voraussetzung zutreffend sein. Die Umsetzung dieses Gedankens führte aber allenfalls zu einer Anordnung der „stop means“ an der „base frame“ und nicht wie beim Streitgegenstand an der Seitenwand des „containers 16“.
Hiergegen wendet die Klägerin ein, dass ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D3 die Anordnung der Anschläge an den Seitenwänden der Regalbox allenfalls eine rein konstruktive Maßnahme darstelle, die im fachüblichen Können eines Fachmanns liege. So sei es naheliegend, wenn eine Vereinfachung der Gestaltung des base frame der D3 angestrebt werde, wie sie bereits teilweise in der Umsetzung der Figur 14 gezeigt sei, auf das Vorsehen der Stopperenden 30 an dem base frame zu verzichten und diese stattdessen an den Seitenwänden des Behälters 16 anzubringen. Hierdurch könne eine weitere Vereinfachung der Herstellung des base frame erreicht werden, insbesondere könnten die Formwerkzeuge signifikant vereinfacht werden und mögliche Produktionsprobleme verringert werden. Die D3 schlage unter anderem „molding“ zum Formen des base frame vor (vgl. Spalte 6, Zeilen 23 ff.).
Diese Argumentation kann nicht überzeugen, da sie ersichtlich geprägt ist vom Wissen um den Streitgegenstand. Dies zeigt sich insbesondere in der Behauptung, dass es naheliegend sei, eine Vereinfachung der Gestaltung des base frame anzustreben und daher auf die Stopperenden 30 am base frame zu verzichten und stattdessen diese an den Seitenwänden des Behälters 16 anzubringen. Die Gesamtoffenbarung der D3 legt jedoch gerade nicht nahe, den Grundrahmen (base frame 12) konstruktiv abzuändern, denn die Aufgabe ist dort, ein Gleitsystem zu schaffen, das einen Grundrahmen umfasst, der unabhängig von der mit ihm lösbar zu verbindenden Regalbox (container 16) sein soll (Sp. 5, Z. 12 bis 17 i. V. m. Sp. 1, Z. 50 bis 55). Es würde auch keinen Sinn ergeben eine Regalbox 16, die zur Entnahme aus dem Regal von dem Grundrahmen abgehoben werden kann (vgl. Sp. 1, Z. 56 bis Sp. 2, Z. 3), mit Stopperenden 30 zu versehen, da dann der im Regal verbleibende Grundrahmen ohne Arretierung wäre und herausfallen könnte.
Dass der Laufsteg (sloop top channel surface 42) der Führungsschiene (support rail 14) der D3 nicht von einer komplementären Laufschiene der Regalbox (container 16) sondern von der Laufschiene (side runner 18) des Grundrahmens (base frame 12) untergriffen wird (vgl. Fig. 8 i. V. m. Fig. 3) ist unstreitig (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 30. Mai 2012, S. 19, letzter Abs. bis S. 20, 1. Abs.).
Bezüglich des Merkmals M7 trägt die Klägerin vor, dass die D3 eine Höhenbeweglichkeit des base frame vorsehe, da sie notwendiger Bestandteil des base frame sei; anderenfalls könne dieser weder in die Führungsschienen 14 eingeschoben, noch aus diesen herausgezogen werden. Auch sei gerade das Lösen der Arretierung und Herausziehen des base frame zusammen mit dem Behälter gemäß der Offenbarung der D3 gewollt und die Bewegung der Stopperenden 30 über die Anschlagnasen 52 nicht auf den Zusammenbau beschränkt (vgl. unter anderem Spalte 9, Zeilen 11 bis 15). So erfolge das Lösen der Arretierung gemäß Dokument D3 durch ein Entlasten und Anheben des base frame (mit dem Behälter), wodurch die Stopperenden 30 über die Anschläge 52 bewegt werden könnten (vgl. Spalte 9, Zeilen 11 ff.). Dementsprechend sei auch das Merkmal betreffend den Abstand s und die Höhe c in Dokument D3 gezeigt.
Dieser Schlussfolgerung kann jedoch nicht gefolgt werden. Das Merkmal M7 besagt nämlich, dass zwischen Oberkante der Laufschiene 18 und Unterkante der Arretieranschläge 22, 23 mehr Platz ist (Höhe s) als die Arretiernase 20 benötigt (Höhe c), um dazwischen durch zu gleiten (vgl. Fig. 4). Eine solche Maßvorgabe geht definitiv aus der D3 nicht hervor. In der von der Klägerin zitierten Spalte 9, Zeilen 11 bis 15 ist lediglich die Rede davon, dass sowohl der vordere als auch der hintere keilförmige Arretieranschlag (wedge stop 52, 54) so konstruiert sein soll, dass das Herausnehmen (removal) der Regalbox (organizer 16) und des Grundrahmens (base frame 12) erleichtert werden soll. Das Herausnehmen erfolgt dabei durch Anheben des Grundrahmens und Ziehen (pulling) über die Arretiernase 52. Bei diesem Ziehen über die Arretiernase 52 besteht kein Spiel zwischen ihr und dem Arretieranschlag (distal end 30). Dies folgt aus der konstruktiven Gegebenheit, dass bereits beim Zusammenbau von Grundrahmen 12 und Führungsschienen 14 ein leichter Druck (slight pressure) ausgeübt werden muss, um den Arretieranschlag 30 über die Arretiernase 52 schieben zu können (vgl. Sp. 8, Z. 30 bis 40). Ein Kraftaufwand ist demnach auch beim Ausbau desselben notwendig, was auch die Forderung der konstruktiven Gestaltung der Arretiernasen 52, 54 in Bezug auf eine Erleichterung beim Herausziehen des Grundrahmens erklärt. Hiernach ist aber klar, dass die Elastizität des Arretieranschlags 30 genutzt wird, und nicht wie streitpatentgemäß ein definierter Abstand zwischen Arretieranschlag und Arretiernase, um den Arretieranschlag über die Arretiernase führen zu können.
Auch im gesamten übrigen Stand der Technik findet sich keine Druckschrift, die ein Regalboxen-System für ein Servicefahrzeug beschreibt. Es ist daher kein Anlass erkennbar, warum der Fachmann überhaupt auf den genannten Stand der Technik zurückgreifen sollte, um nach Lösungen für sein Problem zu suchen. Aber selbst wenn er dies täte, gelangte er nicht zum streitigen Gegenstand gemäß Anspruch1 nach Hauptantrag.
Beim Gegenstand der D1, einem Gleitboden (sliding tray) für eine Regalbox (storage case), sind zwar ein vorderer Arretieranschlag (ends 18a, b of reinforcing rip 18) sowie ein hinterer Arretieranschlag (solvents 21a, 22a) vorhanden (vgl. Fig. 1), davon arretiert jedoch nur der hintere Arretieranschlag (21a, 22a) die Regalbox 12 in Ausziehrichtung während der vordere Arretieranschlag (18a, b) den Weg der Regalbox 12 nur in Einschubrichtung begrenzt (vgl. Fig. 5 u. 6). Der Auffassung der Klägerin, die D1 zeige alle neuen Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags, insbesondere das Merkmal M7, kann nicht beigetreten werden. Schon ihre Bezugnahme auf die (vorderen) Arretieranschläge 18a, 18b zum Nachweis des Merkmals M7 muss fehl gehen, da, wie bereits gezeigt, es sich hierbei nicht um streitpatentgemäße Arretieranschläge handelt. Bei sachlicher Würdigung des Merkmals M7, zu der dann dessen Auslegung mit Hilfe des Absatzes [0034] bzw. der Figur 4 der Streitpatenschrift gehörte, würde der Fachmann den Abstand zwischen der Oberkante der Laufschiene 21, 22 und der Unterkante der Arretieranschläge 18a, 18b nicht in horizontaler Richtung bestimmen, wie dies die Klägerin mit ihrem Hinweis tut, dass dieser Abstand anspruchsgemäß nicht auf eine bestimmte Richtung beschränkt sei, insbesondere nicht auf einen vertikalen Maximalabstand.
Auch die Lehre der D2 vermag keinen über den der bereits besprochen Druckschriften hinausgehenden Beitrag zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu liefern, da ihr Gegenstand ebenfalls nur einen Arretieranschlag (Bremsnocken 9) in Ausziehrichtung der Regalbox (Einschubteil 1) offenbart.
Die Druckschriften D4 und D5 gehören zur selben Patentfamilie wie Druckschrift D3 und zeigen dasselbe „organizer glide system“. Ein Eingehen auf die Druckschriften D4 und D5 erübrigt sich daher, zumal diese auch von der Klägerin nur rein vorsorglich, ohne näher darauf einzugehen, in das vorliegende Verfahren eingeführt wurden (vgl. Klageschriftsatz vom 30.05.2014, Abschnitt 2.3.3).
Das Regalsystem der Druckschrift D6 umfasst in der Art eines Transportwagens eine Anordnung aus miteinander verbundenen Querstegen 4, Führungsschienen 5 und Eckpfosten 1 sowie in den Eckpunkten angeschweißten Rohrstücken 6, die einen Halterahmen für eine Reihe von Behältern bilden können (vgl. Fig. 1; Sp. 3, Z. 34 bis 42). Dabei ist weder ein Regalboden noch eine darauf befindliche Führungsschiene, die von einer komplementären Laufschiene der Regalbox untergriffen werden könnte, vorhanden. Das, was von der Klägerin als Führungsschiene interpretiert wird, besteht bei der D6 nur aus einem Haken (Halteelement 9 mit dazu querverlaufenden Riegeln 10, 11, vgl. Fig. 1 i. V. m. 5). Die D6 gibt dem Fachmann daher ebenfalls keine Hinweise, die ihm den streitigen Gegenstand nahelegen könnten.
Kassettenregistraturen zur bevorzugten Ablage von ungelochtem Schriftgut in aufrecht stehender Stellung sind Gegenstand sowohl der D7 als auch der D8. Diesen Gegenständen fehlen mindestens jeweils die Merkmale M5 bis M7.
Die Druckschrift D9 betrifft ein Trägersystem (system for supporting) für Schubladen (drawers) in einem Schrank (cabinet), das es gestattet, die Schubladen in Ausziehstellung zu neigen (vgl. Sp. 1, Z. 6 bis 8). Das Regal 10 weist einen Einsatz (insert 16) auf, in den Längsnuten (slots 22, 32, 42) eingearbeitet sind. In diese Längsnuten ragen die von den Schubladen seitlich abstehenden Trageglieder (support members 47, 48 ,49) hinein (vgl. Fig. 2 i. V. m. Fig. 3). Dabei werden die Trageglieder 47, 48, 49 bei Bewegung der Schublade 41 zwischen der oberen und der unteren Führungsschiene (guide rail 43, 44) der Längsnut 42 geführt (vgl. Sp. 2, Z. 30 bis 40). Die Schubladen sind dabei in Ausziehrichtung sowohl in der eingeschobenen als auch in der ausgezogenen Position arretierbar (vgl. Fig. 2).
Entgegen der Auffassung der Klägerin macht das Streitpatent jedoch keinen Gebrauch von der Lehre der Druckschrift D9. So unterscheidet sich das streitige Regal-Boxen-System fundamental von dem der D9 dadurch, dass die Regal-Boxen des streitigen Systems zwischen Führungsschienen bewegt werden, die auf einem Regalboden festlegbar sind, wohingegen beim Gegenstand der D9 als Trage- und Führungskonstruktion für die Schubladen ein U-förmiges einteiliges Einbauteil 16 mit Längsnuten ohne Regalböden vorgesehen ist (vgl. Fig. 3 i. V. m. Sp. 2, Z. 23 bis 29).
Die Druckschrift D10, betrifft eine Schubladenanordnung, die sich an die Bodenplatte eines Hängeschranks, eines Regals oder eines Tisches montieren lässt (vgl. Sp. 1, Z. 10 bis 20). Eine Schubladenanordnung eines Wäschetrockners offenbart die Druckschrift D11. Gegenstand der Druckschrift D12 ist ein Möbel mit Schubladen deren Schubladenführungen in der Höhe beliebig und stufenlos verstellbar sind.
Den Gegenständen dieser Druckschriften fehlen mindestens jeweils die Merkmale M5 bis M7.
Gegenstand der Druckschrift D13 ist eine Schrankvorrichtung mit Einschüben und Trägerwänden für diese, wobei die Trägerwände sich über ihre Tiefe ersteckende Tragschienen aufweisen, zwischen denen Führungsnuten ausgebildet sind, in die auf den Oberseiten der Tragschienen aufliegende und von diesen getragene Auflageränder der Schubkästen eingreifen. Solche Schrankvorrichtungen sind beispielsweise im medizinischen Bereich, in der Material- und Lagerwirtschaft zur Aufnahme kleinerer zu lagernder Gegenstände, wie Medikamente, Kleinteile etc. vorgesehen. Die Trägerwände können dabei integriert in Seitenwänden von Schränken ausgebildet sein. Es können aber auch separate Trägerwände sein, die mit Seitenwänden von Schränken verbunden sind, indem sie beispielsweise nachträglich nachgerüstet wurden (vgl. S. 2, 1. Abs.). Das Trage- und Führungssystem der Schubladen entspricht im Prinzip etwa dem gemäß der D9 und weist wie dieses grundlegende Unterschiede zum Streitgegenstand auf.
Die weiteren Druckschriften wurden von der Klägerin nur kursorisch in das Verfahren eingeführt, ohne im Einzelnen darzulegen wie deren Offenbarungsgehalte die Patentfähigkeit des streitigen Gegenstandes in Frage stellen könnten. Der Senat sieht daher keine Veranlassung darauf einzugehen; sie bleiben daher ohne Beachtung (vgl. „Tretkurbeleinheit“ BGH X ZR 19/12).
Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag aus dem Stand der Technik nicht nahe gelegt und beruht daher auf erfinderischer Tätigkeit.
Die auf ihn rückbezogenen angegriffenen Ansprüche 2 bis 6 sind zusammen mit dem Anspruch 1 ebenfalls schutzfähig, da sie auf vorteilhafte, nicht selbstverständliche Ausgestaltungen des Patentgegenstands gerichtet sind.
Bei dieser Sachlage erübrigt es sich, auf die Hilfsanträge einzugehen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.