Entscheidungsdatum: 20.02.2018
Rechtsschutzbedürfnis bei Schweigen des Patentinhabers über Geltendmachung von Rechten aus dem Streitpatent
Das Rechtsschutzbedürfnis des Nichtigkeitsklägers, der nach Erlöschen des Patents durch Ablauf der Schutzdauer das Nichtigkeitsverfahren nicht sogleich für erledigt erklärt, sondern vorerst mit dem Ziel fortsetzt, das Patent auch für die Vergangenheit zu vernichten, kann nicht verneint werden, solange der Nichtigkeitsbeklagte auf eine Aufforderung zu erklären, ob noch Rechte aus dem Patent für die Vergangenheit gegen den Kläger geltend gemacht werden sollen, schweigt.
In der Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das europäische Patent …
(DE…)
hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 20. Februar 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Guth sowie der Richter Heimen und Baumgardt
beschlossen
1. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
2. Der Streitwert wird auf 500.000 € festgesetzt.
I.
1. Die Beklagte war Inhaberin des europäischen Patents … mit der Bezeichnung … (im folgenden Streitpatent). Die Nichtigkeitsklägerin hat am 14. September 2015 eine gegen das Streitpatent gerichtete Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht eingereicht. Zuvor hatte die Nichtigkeitsklägerin die Nichtigkeitsbeklagte mit Schreiben vom 30. August 2015 abgemahnt, behauptet das Streitpatent sei nicht patentfähig und für den Fall, dass die Beklagte nicht auf ihr Patent verzichte, Nichtigkeitsklage angedroht.
Das Streitpatent ist am 19. November 2016 durch Zeitablauf erloschen.
Die Klägerin behauptete im Anschluss, sie habe weiterhin ein rechtliches Interesse an der Nichtigerklärung des Streitpatents, weil nach wie vor zu befürchten sei, dass aus dem Streitpatent, das zu einem Patent-Portfolio des Konzerns zähle, zu dem die Beklagten gehöre, gegen die Klägerin vorgegangen werden könnte. Konzernverbundene Unternehmen der Beklagten hätten stets eine Portfolio-Patentlizenz verlangt und immer offengelassen, aus welchem Patent konkret geklagt wurde. Das Streitpatent sei außergerichtlich wiederholt und gegen verschiedene vermeintliche Verletzer außergerichtlich geltend gemacht. Die Vertreter der konzernverbundenen Unternehmen der Beklagten hätten stets betont, sie würden keinesfalls ruhen, bis eine Portfolio-Lizenz abgeschlossen sei.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 21. September 2017 erklärt, sie verpflichte sich, weder gerichtlich noch außergerichtlich Ansprüche aus dem deutschen Teil von EP … gegen die V… GmbH oder die V1…l GmbH geltend zu machen. Dieser Verzicht erstrecke sich insbesondere auf jegliche Schadensersatz-, Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche wegen etwaiger Verletzung des deutschen Teils des EP ….
Daraufhin hat die Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Dieser Erledigungserklärung hatte sich die Beklagte vorab angeschlossen.
Die Klägerin, die der Meinung ist, die Klage habe sich erst durch den Verzicht der Beklagten auf Ansprüche gegenüber der Beklagten erledigt, beantragt eine Kostenentscheidung gemäß § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91a ZPO.
Die Beklagte beantragt ihrerseits,
die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin aufzuerlegen.
Sie ist der Meinung, zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses, nämlich des Verzichts, habe kein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin an der Vernichtung des erloschenen Patents für die Vergangenheit mehr bestanden. Die Klägerin habe zu keinem Zeitpunkt substantiiert dargelegt, inwieweit ihre eigenen Handlungen oder Produkte möglicherweise unter den Schutzbereich des Streitpatents hätten fallen können.
Die pauschal behauptete mögliche Gefahr einer Inanspruchnahme eines Tochterunternehmens der Klägerin begründe gerade kein solches rechtliches Interesse.
2. Zum Streitwert führt die Klägerin aus, es sei zu bedenken, dass die Beklagte für ihr gesamtes Patentportfolio Lizenzeinnahmen von rund … Millionen US-Dollar erzielt habe. Die Beteiligte meint, der in der Klageschrift vorgeschlagene Streitwert in Höhe von 500.000,- Euro sei angemessen angesichts der geringen Restlaufzeit des Streitpatents bei Klageeinreichung und des Umsatzes von … Millionen US-Dollar, das mit dem auslizensierten Patentportfolio der Beklagten, das über 4.200 Patente umfasse, im Jahr 2015 erzielt worden sei.
II.
1. a) Nachdem beide Parteien übereinstimmend die Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache erklärt haben, ist gem. § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 a Abs. 1 S. 2 ZPO nur noch über die Kosten des Verfahrens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Hierunter ist nach ständiger Rechtsprechung zu verstehen, dass grundsätzlich diejenige Partei die Kosten zu tragen hat, die voraussichtlich unterlegen wäre, wenn das zur Erledigung führende Ereignis nicht eingetreten wäre, ohne dass es dabei darauf ankommt, ob die Klage durch das den Rechtsstreit erledigende Ereignis unbegründet oder infolge eines Wegfalls des Rechtsschutzinteresses der Klägerin an der Nichtigerklärung des Streitpatents unzulässig geworden ist (dazu BGH, Beschluss vom 12. Juli 1983 - X ZR 62/81 - Brückenlegepanzer II).
Liegen wirksame Erledigungserklärungen der Parteien vor, so ist das Gericht daran gebunden. Es muss nach § 91a ZPO verfahren, ohne zu prüfen, ob tatsächlich ein Fall der Erledigung vorliegt. Es kommt daher insoweit auch auf den Zeitpunkt nicht an, zu dem Erledigung tatsächlich eingetreten ist (vgl. dazu Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 91a Rn. 11, 12, 16; Thomas-Putzo, ZPO, 37. Aufl., § 91a Rn. 14, 17). Die Entscheidung nach § 91a ZPO erfordert lediglich eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage. Der Grundgedanke der auf eine Vereinfachung des Verfahrens abzielenden Vorschrift des § 91a ZPO, die ein summarisches, zeit- und arbeitskraftsparendes Verfahren bezweckt, wäre nicht mit einer umfassenden Prüfung der Rechtslage vereinbar (BGH GRUR1961, 278, 279 - Lampengehäuse). Es soll vielmehr vermieden werden, unübersichtliche Probleme einzig im Rahmen der Kostenentscheidung zu klären (BGH a.a.O.).
Vorliegend besteht zwischen den Parteien Uneinigkeit, ob die Klägerin, nachdem das öffentliche Interesse an der Beseitigung eines möglicherweise schutzunfähigen Schutzrechtes entfallen ist, ein eigenes Rechtschutzbedürfnis hat und die Klage somit zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung noch zulässig war.
Grundsätzlich sieht sich ein Nichtigkeitskläger, der nach Erlöschen des Patents durch Ablauf der Schutzdauer das Nichtigkeitsverfahren nicht für erledigt erklärt, sondern mit dem Ziel fortsetzt, das Patent auch für die Vergangenheit zu vernichten, einer Abweisung der Klage als unzulässig wegen Fehlens des Rechtsschutzbedürfnisses und der Kostenfolge des § 91 ZPO i. V. m. § 84 PatG gegenüber.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bedarf es zu dem auf die Feststellung der Unwirksamkeit des durch Verzicht oder Zeitablauf erloschenen Schutzrechtes gerichteten Begehrens eines besonderen in der Person des Klägers liegenden, aus seiner Beziehung zu dem angegriffenen Schutzrecht abzuleitenden Interesses, wobei von einer großzügigen Gewährung von Rechtsschutz auszugehen ist. Für die Annahme des Rechtsschutzinteresses eines Antrages auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Gebrauchsmusters hat die Rechtsprechung weder eine Verwarnung wegen Gebrauchsmusterverletzung, noch auch nur eine Berühmung des Bestehens von solchen Ansprüchen für erforderlich gesehen, solange ein Grund zu der Besorgnis besteht, jemand könne aus dem Schutzrecht in Anspruch genommen werden. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat im Gebrauchsmusterrecht vielmehr bereits das Schweigen des Rechteinhabers auf eine Aufforderung des Klägers, auf etwaige Ansprüche zu verzichten als genügend für die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses nach Ablauf der Schutzdauer angesehen (vgl. BGH, GRUR 1981, 515 - Anzeigegerät; BGH, GRUR 85, 871 - Ziegelsteinformling II). Es besteht aufgrund der gleichen Interessenlage kein Anlass dies im vorliegenden Patentnichtigkeitsverfahren anders zu beurteilen, da im Nichtigkeitsverfahren grundsätzlich dieselben Maßstäbe gelten. So wird auch im Nichtigkeitsverfahren ein Rechtsschutzinteresse bejaht, wenn die rückwirkende Nichtigerklärung einen rechtlichen Vorteil bringt. Es genügt ebenfalls die Besorgnis, möglicherweise Ansprüchen aufgrund des Streitpatents ausgesetzt zu sein. Das Interesse fehlt nur bei einer offensichtlich nicht schutzwürdigen Rechtsverfolgung (vgl. Schulte, Patentgesetz, 10. Aufl., § 81 Rn. 40 ff.; Busse – Keukenschrijver, Patentgesetz, 8. Aufl., § 81 Rn. 69 ff.; jeweils mit Nachweisen).
Es reicht nach Auffassung des Senates daher zur Bejahung des Rechtsschutzinteresses aus, wenn der Nichtigkeitskläger bei Ablauf der Schutzdauer den Patentinhaber auffordert, zu erklären, ob noch Rechte aus dem Patent für die Vergangenheit gegen den Kläger geltend gemacht werden sollen, um anschließend prozessual reagieren zu können. Eine unterschiedliche Behandlung von Klägern, die entweder bereits zweifelsfrei als Patentverletzer in Anspruch genommen werden bzw. wurden oder eine Inanspruchnahme selbst als ausgeschlossen betrachten, gegenüber solchen Klägern, die sich darüber bei Klageerhebung im Ungewissen befinden und erst nach Ablauf der Schutzdauer ein eigenes Interesse darlegen müssen, erscheint jedenfalls in Verfahren, die als Popularklage erhoben wurden, nicht sachgerecht, insbesondere nicht prozessökonomisch.
Nach dem Anschluss der Beklagten an die Erledigungserklärung der Klägerin besteht im Übrigen kein Anlass mehr zu prüfen, ob und wann das, ursprünglich entbehrliche, individuelle Rechtsschutzbedürfnis entfallen ist.
Aus diesen Gründen kann somit bei der hier gegebenen Ausgangslage ein Rechtsschutzbedürfnis nicht verneint werden.
b) Im vorliegenden Fall ergibt sich für die Kostenentscheidung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes, dass die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.
Zum Zeitpunkt des Erlöschens des Streitpatents wäre die Klage nach der bisherigen Sach- und Rechtslage sachlich erfolgreich gewesen. Insoweit möchte der Senat in vollem Umfang auf seine Ausführungen im qualifizierten Hinweis vom 18. Juli 2017 verweisen, denen die Beklagte nicht widersprochen hat. Demnach ist Anspruch 1 des Streitpatents unzulässig erweitert sowie nicht neu gegenüber der Entgegenhaltung D1' und beruht gegenüber der Lehre der Entgegenhaltung NK9 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Das Streitpatent wäre darum voraussichtlich für nichtig erklärt worden.
2. Der Streitwert für das Patentnichtigkeitsverfahren war entsprechend dem ursprünglichen Vorschlag der Klägerin, dem die Beklagte zugestimmt hat und der von der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt wurde, auf 500.000 Euro festzusetzen (§ 2 Abs. 2 Satz 4 PatKostG i. V. m. § 63 GKG).