Entscheidungsdatum: 29.09.2011
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 27. November 2009 - 9 Sa 1884/09, 9 Sa 1968/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Parteien streiten noch über den Zeitpunkt der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses.
Die Beklagte betreibt eine Restaurantkette. Der 1977 geborene Kläger war seit dem 10. Februar 1999 in einer ihrer Niederlassungen als Servicekraft tätig. Auf das Arbeitsverhältnis fanden aufgrund einzelvertraglicher Inbezugnahme die Bestimmungen des jeweils gültigen Manteltarifvertrags für Arbeitnehmer der Systemgastronomie (MTV) Anwendung.
§ 14 MTV idF vom 23. Oktober 2007 enthält Regelungen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Gemäß § 14 Nr. 1 Satz 1 MTV richtet sich die Kündigungsfrist nach der Betriebszugehörigkeit. Für gewerblich Beschäftigte beträgt sie nach fünfjähriger Betriebszugehörigkeit einen Monat zum Monatsende und nach zehnjähriger Betriebszugehörigkeit drei Monate zum Monatsende (§ 14 Nr. 1 Satz 3 MTV). Für Angestellte gelten längere Fristen (§ 14 Nr. 1 Satz 4 MTV). Laut § 14 Nr. 1 Satz 5 MTV werden bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit „entsprechend § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB Beschäftigungszeiten, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegen, nicht berücksichtigt“. Gemäß § 14 Nr. 2 MTV ist das Arbeitsverhältnis nach einer Betriebszugehörigkeit von zehn Jahren und Vollendung des 55. Lebensjahres durch den Arbeitgeber nur noch aus wichtigem Grund kündbar. Davon ausgenommen sind Änderungskündigungen und Kündigungen bei Betriebsänderungen (Betriebsstilllegung).
Mit Schreiben vom 27. März 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien wegen beabsichtigter Schließung eines ihrer Restaurantbetriebe „fristgemäß mit Wirkung zum nächstmöglichen Zeitpunkt“; dies sei ihren Berechnungen zufolge der 30. April 2009.
Der Kläger hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben und - soweit noch von Interesse - geltend gemacht, die Beklagte habe die maßgebliche Kündigungsfrist nicht eingehalten. Bei deren Berechnung seien auch die Zeiten vor Vollendung seines 25. Lebensjahres zu berücksichtigen. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB sei unionsrechtswidrig und unanwendbar. Für die arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifregelung könne nichts anderes gelten. Das Arbeitsverhältnis habe damit keinesfalls vor dem 30. Juni 2009 geendet.
Der Kläger hat beantragt
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 27. März 2009 nicht aufgelöst worden ist. |
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung mit Ablauf des 30. April 2009 aufgelöst worden. Die tarifvertragliche Kündigungsfristenregelung sei insgesamt wirksam. Sie halte sich in den Grenzen des den Tarifvertragsparteien durch § 622 Abs. 4 BGB eröffneten Gestaltungsspielraums. Die Nichtberücksichtigung von Beschäftigungszeiten, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres lägen, sei sachlich gerechtfertigt. Sie trage einem branchentypischen Flexibilisierungsinteresse Rechnung und ziele darauf, die Beschäftigung jüngerer Arbeitnehmer in der Systemgastronomie zu fördern. Im Gegenzug biete der Tarifvertrag Arbeitnehmern auch Vergünstigungen, etwa durch die in § 14 Nr. 2 MTV enthaltenen „Unkündbarkeitsregelungen“ und die damit gewährleistete Arbeitsplatzsicherheit. Die Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs zu § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB seien nicht auf die fraglichen tariflichen Regelungen übertragbar. Da diese Bestimmungen aufgrund einzelvertraglicher Inbezugnahme gölten, müsse zudem der Grundsatz der Vertragsfreiheit Beachtung finden. Überdies habe sie - die Beklagte - auf die Wirksamkeit der Vereinbarungen vertraut und sei insoweit schutzwürdig.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 27. März 2009 (erst) mit Ablauf des 30. Juni 2009 beendet worden ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 27. März 2009 nicht zum 30. April 2009 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 30. Juni 2009 fortbestanden hat.
1. Der Kläger war im maßgebenden Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung länger als zehn Jahre bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin beschäftigt. Das führt auf der Grundlage der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifregelung des § 14 Nr. 1 Satz 3 MTV zu einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende. Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer sind entgegen § 14 Nr. 1 Satz 5 MTV auch die Zeiten zu berücksichtigen, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Klägers liegen. Die tarifliche Anrechnungsvorschrift ist ebenso wie die gesetzliche Bestimmung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB unionsrechtswidrig und gelangt auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zur Anwendung.
a) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat darauf erkannt, dass das Unionsrecht, insbesondere das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf dahin auszulegen ist, dass es einer Regelung wie § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB entgegensteht, nach der vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegende Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers bei der Berechnung der Kündigungsfrist nicht berücksichtigt werden (EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - [Kücükdeveci] Rn. 43, Slg. 2010, I-365). Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts ist § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB damit unanwendbar, wenn der zu entscheidende Sachverhalt in den sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG fällt (vgl. BAG 9. September 2010 - 2 AZR 714/08 - AP BGB § 622 Nr. 66 = EzA BGB 2002 § 622 Nr. 8; 1. September 2010 - 5 AZR 700/09 - Rn. 18, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 71 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 90). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Im Streit stehen die Wirkungen einer im Jahr 2009 erklärten Kündigung. Zu diesem Zeitpunkt war die für die Bundesrepublik Deutschland ua. hinsichtlich des Diskriminierungsmerkmals „Alter“ bis zum 2. Dezember 2006 verlängerte Umsetzungsfrist abgelaufen (vgl. EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - [Kücükdeveci] Rn. 21 f., 24 f., aaO).
b) Die Beklagte kann sich für die Nichtberücksichtigung von Beschäftigungszeiten, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres des Klägers liegen, nicht erfolgreich auf § 14 Nr. 1 Satz 5 MTV berufen. Das gilt unabhängig davon, ob die fragliche Tarifregelung einen rein deklaratorischen Hinweis auf die gesetzliche Bestimmung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB enthält oder ob sie - wie die Beklagte meint - von einem eigenständigen Normsetzungswillen der Tarifvertragsparteien getragen ist.
aa) Es liegt nahe, die Tarifregelung als lediglich deklaratorischen Verweis auf § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB zu verstehen. In diesem Fall teilt sie das rechtliche Schicksal der gesetzlichen Bestimmung und ist wie diese unanwendbar. Der Verweis ginge ins Leere.
(1) Dafür, dass es sich um eine rein deklaratorische Verweisung handelt, spricht bereits die wort- bzw. inhaltsgleiche Übernahme des Gesetzestextes. Hinzu kommt die ausdrückliche Nennung von § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, der nach Maßgabe des § 14 Nr. 1 Satz 5 MTV bei der Berechnung der Beschäftigungszeiten „entsprechend“ Anwendung finden soll. Beides bringt zum Ausdruck, dass sich die Tarifvertragsparteien hinsichtlich der Berechnung der Beschäftigungszeiten an der geltenden Gesetzeslage orientieren und lediglich im Interesse der Klarstellung und Übersichtlichkeit auf die gesetzliche Vorschrift hinweisen wollten (vgl. für ähnliche Fälle BAG 21. April 2010 - 10 AZR 308/09 - Rn. 16, AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 212 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 47; 10. Februar 1999 - 5 AZR 698/98 - zu III 3 der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Getränkeindustrie Nr. 1).
(2) Einem solchen Verständnis steht nicht entgegen, dass die Tarifvertragsparteien erkennbar eigenständige Regelungen zur Länge der Kündigungsfrist als solche treffen wollten. Aus dem konstitutiven Charakter eines Teils eines einheitlichen Regelungsbereichs kann nicht auf einen entsprechenden Charakter der übrigen Teile einer Tarifbestimmung geschlossen werden. Den Tarifvertragsparteien steht es frei, von ihrer Befugnis zur eigenständigen Normsetzung nur für einen Teilbereich Gebrauch zu machen und im Übrigen ohne Absicht zur normativ selbständigen Regelung auf die gesetzlichen Bestimmungen zu verweisen (BAG 10. Februar 1999 - 5 AZR 698/98 - zu III 3 b aa der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Getränkeindustrie Nr. 1; 14. Februar 1996 - 2 AZR 166/95 - zu II 4 der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Textilindustrie Nr. 21 = EzA BGB § 622 nF Nr. 54; jeweils mwN).
bb) Selbst wenn zugunsten der Beklagten unterstellt wird, der Tarifregelung sei der Wille der Tarifvertragsparteien zu entnehmen, eine eigenständige, gesetzesgleiche Anrechnungsvorschrift zu schaffen, führte dies zu keinem anderen Ergebnis. Dann wäre die tarifvertragliche Regelung wegen Verstoßes gegen das durch § 7 Abs. 1, § 1 AGG konkretisierte Verbot der Altersdiskriminierung nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam.
(1) Gemäß § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden. Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen dieses Benachteiligungsverbot verstoßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Zu den Vereinbarungen iSv. § 7 Abs. 2 AGG zählen neben Arbeitsverträgen auch Tarifverträge, und zwar auch dann, wenn sie vor Inkrafttreten des AGG abgeschlossen wurden (vgl. ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 7 AGG Rn. 5; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 7 Rn. 21, 32b). Der Begriff der Benachteiligung bestimmt sich nach § 3 AGG. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung kann nach § 10 AGG unter den dort genannten Voraussetzungen zulässig sein. § 10 Satz 1 und 2 AGG gestatten die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters, wenn diese objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist und wenn die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Die zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung herangezogenen Tatsachen und Erwägungen müssen einer Nachprüfung zugänglich sein. Bloße Vermutungen und Einschätzungen genügen nicht (vgl. BAG 8. Dezember 2010 - 7 ABR 98/09 - Rn. 62, EzA TVG § 1 Betriebsnorm Nr. 5; 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 55 mwN, BAGE 129, 181). Außerdem ist eine Abwägung zwischen dem Schutz vor Ungleichbehandlung und dem verfolgten Ziel vorzunehmen. Die Ungleichbehandlung muss durch das verfolgte Ziel sachlich gerechtfertigt sein. Schließlich ist nach § 10 Satz 2 AGG zu prüfen, ob auch die eingesetzten Mittel zur Erreichung des Ziels verhältnismäßig sind (BAG 8. Dezember 2010 - 7 ABR 98/09 - Rn. 62 mwN, aaO).
(2) Die in § 14 Nr. 1 Satz 5 MTV angeordnete Nichtberücksichtigung der vor Vollendung des 25. Lebensjahres zurückgelegten Beschäftigungszeiten bewirkt eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters. Die tarifvertragliche Regelung behandelt Personen, die die gleiche Beschäftigungsdauer aufweisen, unterschiedlich, je nachdem in welchem Alter sie in den Betrieb eingetreten sind (vgl. EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - [Kücükdeveci] Rn. 31, Slg. 2010, I-365).
(3) Die Beklagte hat vorgebracht, die Ungleichbehandlung sei durch die Besonderheiten der Systemgastronomie gerechtfertigt. In dieser Branche beschäftigte Arbeitnehmer seien bei Aufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit in der Regel sehr jung. Durch die kurzen Kündigungsfristen solle ihnen ermöglicht werden, in vielen verschiedenen Bereichen und Betrieben Erfahrungen zu sammeln. Ein Arbeitgeber, der wisse, dass er sich bei schlechter wirtschaftlicher Lage von jungen Mitarbeitern kurzfristig wieder lösen könne, werde eher bereit sein, solche Arbeitnehmer einzustellen. Deshalb kämen kurze Kündigungsfristen jungen Arbeitnehmern unmittelbar zugute.
(4) Selbst wenn damit legitime Ziele iSv. § 10 Satz 1, Satz 3 Nr. 1 AGG beschrieben sein sollten, fehlt es an der Angemessenheit und Erforderlichkeit der Mittel, die zur Erreichung der Ziele eingesetzt werden. Die nach § 10 Satz 2 AGG vorzunehmende Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt, dass die eingesetzten Differenzierungsmittel das angestrebte Ziel tatsächlich fördern und die Interessen der benachteiligten (Alters-)Gruppe nicht unverhältnismäßig stark vernachlässigen (vgl. BAG 8. Dezember 2010 - 7 ABR 98/09 - Rn. 62, EzA TVG § 1 Betriebsnorm Nr. 5; 23. März 2010 - 1 AZR 832/08 - Rn. 20, AP BetrVG 1972 § 75 Nr. 55 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 35). Eine solche Angemessenheit ist für die fragliche Tarifbestimmung ebenso wenig dargetan wie für die gesetzliche Regelung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB. Sie gilt für Arbeitnehmer, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres in den Betrieb eingetreten sind, einschränkungslos und unabhängig davon, wie alt sie im Zeitpunkt ihrer Entlassung sind. Sie hemmt bei solchen Arbeitnehmern den Eintritt verlängerter Kündigungsfristen selbst dann noch, wenn sie - wie der Kläger - im Kündigungszeitpunkt ihr 25. Lebensjahr bereits vollendet haben und eine lange Betriebszugehörigkeit aufweisen. Diese Folge ist mit dem aufgezeigten Zweck der Tarifregelung nicht hinreichend abgestimmt (für § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB: EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - [Kücükdeveci] Rn. 40, 41, Slg. 2010, I-365 ).
(5) In welchen Grenzen Tarifvertragsparteien bei der Rechtfertigung einer Altersdiskriminierung ein Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum in Bezug auf die ihren Regelungen zugrunde liegenden Tatsachen und Interessen zuzugestehen ist (zur Problematik: BAG 20. Mai 2010 - 6 AZR 319/09 (A) - Rn. 20 ff., BAGE 134, 311), bedarf im Streitfall keiner vertieften Erörterung. Trotz der verfassungsrechtlich durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie und ihres in Art. 28 EuGrdRCh anerkannten Rechts auf Kollektivverhandlungen dürfen die Tarifvertragsparteien nicht zwingende unionsrechtliche Vorgaben umgehen. Sie müssen ihre Rechte im Einklang mit dem Unionsrecht ausüben (vgl. EuGH 8. September 2011 - C-297/10 und C-298/10 [Hennings] - Rn. 67, NZA 2011, 1100; 15. Juli 2010 - C-271/08 - Rn. 43, NZA 2011, 564; BAG 20. Mai 2010 - 6 AZR 319/09 (A) - Rn. 20, BAGE 134, 311). Dem wird die Regelung in § 14 Nr. 1 Satz 5 MTV nicht gerecht. Daran vermögen andere, die Arbeitnehmer begünstigende tarifliche Bestimmungen wie etwa die Unkündbarkeitsregelungen in § 14 Nr. 2 MTV nichts zu ändern. Das Verbot der Altersdiskriminierung ist bei jeder Tarifvorschrift gesondert zu beachten. Die Kompensation einer Ungleichbehandlung durch die Arbeitnehmer begünstigende Regelungen scheidet grundsätzlich aus. Abgesehen davon ist der durch § 14 Nr. 2 MTV begünstigte Personenkreis mit dem Kreis derjenigen Arbeitnehmer, die durch die Nichtanrechnung vor Vollendung des 25. Lebensjahres zurückgelegter Beschäftigungszeiten eine Benachteiligung erfahren, nicht deckungsgleich. Eine Kohärenz zwischen benachteiligender und begünstigender Regelung ist damit nicht erkennbar.
cc) Die Unanwendbarkeit von § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB und die Unwirksamkeit der Regelung in § 14 Nr. 1 Satz 5 MTV bewirken eine „Anpassung nach oben“ dergestalt, dass bei der Berechnung der tariflichen Kündigungsfristen sämtliche im Betrieb oder Unternehmen zurückgelegten Beschäftigungszeiten Berücksichtigung finden (vgl. BAG 9. September 2010 - 2 AZR 714/08 - AP BGB § 622 Nr. 66 = EzA BGB 2002 § 622 Nr. 8).
dd) Zu Unrecht meint die Beklagte, im Streitfall müsse deshalb etwas anderes gelten, weil die Regelungen des MTV auf das Arbeitsverhältnis nicht unmittelbar und zwingend, sondern aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung zur Anwendung gelangten. Sie verkennt, dass die Möglichkeit, bezüglich der Kündigungsfrist individualrechtlich hinter dem Gesetz zurückbleibende Vereinbarungen zu treffen, abgesehen von § 622 Abs. 5 BGB überhaupt nur im Rahmen einer einzelvertraglichen Übernahme einschlägiger tarifvertraglicher Regelungen besteht (§ 622 Abs. 4 Satz 2 BGB). Sind die in Bezug genommenen Tarifvorschriften wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam, schlägt dies auf die vertragliche Vereinbarung durch (vgl. ErfK/Müller-Glöge 11. Aufl. § 622 BGB Rn. 36).
2. Die Beklagte kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Der Gerichtshof hat den zu § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB ergangenen Tenor seiner Entscheidung vom 19. Januar 2010 (- C-555/07 - [Kücükdeveci], Slg. 2010, I- 365) zeitlich nicht begrenzt und damit Vertrauensschutz nicht gewährt (vgl. BAG 9. September 2010 - 2 AZR 714/08 - Rn. 26, AP BGB § 622 Nr. 66 = EzA BGB 2002 § 622 Nr. 8; 1. September 2010 - 5 AZR 700/09 - Rn. 19, NZA 2010, 1409). Mit Blick auf die fragliche tarifvertragliche Regelung kann nichts anderes gelten. Unabhängig davon hat die Beklagte die Kündigung ausdrücklich zum „nächstmöglichen“ Termin erklärt. Damit hat sie zum Ausdruck gebracht, dass sie deren Wirkungen auch dann eintreten lassen will, wenn der erklärte Kündigungstermin nicht der objektiven Rechtslage entsprechen sollte. Die gewählte Formulierung deutet zudem darauf hin, dass sie sich der Möglichkeit einer falschen Berechnung der Kündigungsfrist durchaus bewusst war. Unter diesen Gesichtspunkten ist nicht zu erkennen, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erst zum 30. Juni 2009 für die Beklagte wegen möglicher finanzieller Folgeansprüche des Klägers eine unzumutbare Härte bedeuten könnte. Soweit sie sich auf die mögliche Erhöhung einer dem Kläger zustehenden Sozialplanabfindung beruft, fehlt es an Darlegungen, woraus sich dies ergeben soll. Gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 des einschlägigen Sozialplans vom 5. März 2009 sind für die Berechnung der Sozialplanabfindung ua. die „berücksichtigungsfähigen Betriebszugehörigkeitszeiten“ maßgebend. Dabei handelt es sich laut § 3 Abs. 3 Satz 2 des Sozialplans um die Jahre „entsprechend der Anlage 1“. Gemäß dieser Anlage sind für den Kläger 10,15 Beschäftigungsjahre in Ansatz zu bringen. Wie sich hiervon ausgehend die Verlängerung der Kündigungsfrist auf die Abfindungshöhe auswirken könnte, ist nicht nachvollziehbar.
3. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
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