Entscheidungsdatum: 11.03.2015
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Patentanmeldung 10 2007 047 593.6-32
hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung am 11. März 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Hartung, der Richterin Kirschneck sowie der Richter Dr.-Ing. Scholz und Dipl.-Ing. J. Müller
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 02 P des Deutschen Patent- und Markenamts vom 14. Februar 2012 aufgehoben und die Sache zur Fortführung des Prüfungsverfahrens mit Anmeldetag 5. Oktober 2007 an das Patentamt zurückverwiesen.
I.
Die Anmelderin hat am 5. Oktober 2007 eine Patentanmeldung mit der Bezeichnung "Motor Controller" unter Inanspruchnahme der Priorität vom 11. Oktober 2006 der JP 2006-277364 beim Deutschen Patent- und Markenamt (i. W. DPMA) eingereicht. In der Patentakte sind mit Eingangsdatum 5. Oktober 2007 außer dem Antragsformular und der Erfinderbenennung jeweils in englischer Sprache eine Zusammenfassung und eine Beschreibung, in der auf Zeichnungen (Fig. 1, 2 und 3) Bezug genommen wird, sowie sechs Patentansprüche (claims), jedoch keine Zeichnungen enthalten.
Mit Eingabe vom 17. Dezember 2007, eingegangen am 18. Dezember 2007, hat die Anmelderin zusammen mit der japanischen Voranmeldung die deutsche Übersetzung der Patentanmeldung einschließlich zwei Blatt deutschsprachig beschrifteter Zeichnungen mit Figuren 1 bis 3 eingereicht.
Auf den von der Prüfungsstelle nach § 35 Abs. 1 Satz 2 PatG (in der bis 31. März 2014 geltenden Fassung, i. W. a. F.) erlassenen Bescheid vom 25. Februar 2008, mit dem die Anmelderin innerhalb einer Frist von einem Monat entweder zur Nachreichung von Zeichnungen oder zur Erklärung, dass jede Bezugnahme auf Zeichnungen als nicht erfolgt gelten solle, aufgefordert worden war, hat die Anmelderin mit Eingabe vom 17. März 2008 – abermals - deutschsprachig beschriftete Figuren 1 bis 3 eingereicht.
Gegen den Beschluss der Prüfungsstelle vom 18. April 2008, in dem der 18. Dezember 2007 als rechtswirksames Anmeldedatum festgestellt worden ist, hat Anmelderin Beschwerde eingelegt und - unter Vorlage der Empfangsbescheinigung des DPMA über den Eingang am 5. Oktober 2007 sowie einer eidesstattlichen Versicherung der zum damaligen Zeitpunkt in der Kanzlei des Vertreters der Anmelderin Patentanwalt K… in M… S2 beschäftigten Patentanwaltssekretärin Frau S… - geltend gemacht, dass mit der Anmeldung am 5. Oktober 2007 englischsprachige Zeichnungen eingereicht worden seien.
Mit Beschluss vom 28. Januar 2010 (Az.: 10 W (pat) 30/08) hat das Bundespatentgericht (i. W. BPatG) den angefochtenen Beschluss aufgehoben und die Sache an das DPMA zurückverwiesen, da eine gesonderte Festsetzung des Anmeldetags nach st. Rechtsprechung unzulässig sei. Ein Patent könne nur wie beantragt erteilt werden. Beantrage der Anmelder die Erteilung eines Patents mit einem Anmeldetag, der nicht zuerkannt werden könne, sei die Anmeldung insgesamt zurückzuweisen. Einen Nachweis, dass die Zeichnungen am 5. Oktober 2007 zusammen mit den übrigen englischen Anmeldeunterlagen dem DPMA zugeleitet worden seien, habe die Anmelderin bislang noch nicht erbracht.
Im Rahmen der Fortführung des Prüfungsverfahrens vor der Prüfungsstelle des DPMA ist am 16. September 2011 Frau S… als Zeugin vernommen worden. Weiterhin hat die Anmelderin mit Eingabe vom 21. Oktober 2011 beim DPMA eine eidesstattliche Versicherung des Herrn S1… von der Firma M1… GmbH in M…, vom 26. September 2011 eingereicht, wonach dieser am 5. Oktober 2007 bei Abholung der Amtspost für das DPMA aus der Patentanwaltskanzlei K… in S2… bemerkt habe, dass in das Kuvert für das DPMA auch Patentzeichnungen gegeben worden seien.
Mit Beschluss vom 14. Februar 2012 hat die Prüfungsstelle für Klasse H 02 P des DPMA den Erteilungsantrag der Anmelderin zurückgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Anmeldetag auf den 18. Dezember 2007 verschoben habe, da bei den am 5. Oktober 2007 eingereichten englischsprachigen Anmeldeunterlagen keine Zeichnungen beigelegen hätten. Die eidesstattliche Versicherung des Herrn S1… könne den Eingang der Zeichnungen am 5. Oktober 2007 nicht beweisen, da keine detaillierten Angaben zu den konkreten Anmeldeunterlagen gemacht worden und entscheidende Erkenntnisse bei einer Zeugenaussage nicht zu erwarten gewesen seien. Da die Anmelderin auf den früheren Anmeldetag beharrt habe, sei die Anmeldung zurückzuweisen gewesen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin vom 16. März 2012. Sie macht geltend, dass es sich, wenn Zeichnungen in das Kuvert für das DPMA gegeben worden seien, nur um die Zeichnungen zur vorliegenden Anmeldung gehandelt haben könne, da keine weiteren Anmeldeunterlagen am 5. Oktober 2007 beim DPMA eingereicht worden seien. Als weiteren Beleg reicht die Anmelderin eine zweite eidesstattliche Versicherung von Herrn S1… vom 16. März 2012, eine Kopie aus dem Kalender von Herrn S1… für die Tage Freitag, 5. Oktober, bis Sonntag, 7. Oktober 2007, eine Kopie der Auftragsliste der Firma M1… für den 5. Oktober 2007 sowie eine eidesstattliche Versicherung des Patentanwalts K… vom 13. März 2012 ein.
Die Anmelderin beantragt,
den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 02 P des Deutschen Patent- und Markenamts vom 14. Februar 2012 aufzuheben und die Sache zur Fortführung des Prüfungsverfahrens mit Anmeldetag 5. Oktober 2007 an das Patentamt zurückzuverweisen.
In der mündlichen Verhandlung am 11. März 2015 ist Herr S1… als Zeuge zu den Fragen des Beweisbeschlusses des Senats vom 12. Januar 2015 vernommen worden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.
II.
Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde hat insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und gemäß § 79 Abs. 3 Nr. 1 PatG zur Zurückverweisung der Sache an das Patentamt zur Fortführung des Prüfungsverfahrens mit Anmeldetag 5. Oktober 2007 führt.
Der Senat ist nach Würdigung der Gesamtumstände des vorliegenden Falles, insbesondere der eidesstattlichen Versicherungen des Herrn S1… vom 26. September 2011 und 16. März 2012 sowie seiner Zeugenaussage in der mündlichen Verhandlung am 11. März 2015 zu der Überzeugung gelangt, dass mit dem am 5. Oktober 2007 eingereichten Antrag der Anmelderin auf Erteilung eines Patents mit der Bezeichnung "Motor Controller" nicht nur in englischer Sprache die Zusammenfassung, die Beschreibung und die Patentansprüche, sondern auch die zugehörigen englisch beschrifteten Zeichnungen, Figuren 1 bis 3, beim DPMA eingegangen sind und damit dieser Tag der Anmeldetag ist (§ 35 Abs. 2 Satz 1 PatG a. F. i. V. m. § 34 Abs. 3 Nr. 1, 2 und 4 PatG).
Zwar sind die fraglichen Zeichnungen mit Eingangsdatum 5. Oktober 2007 in der beim DPMA geführten Akte der Patentanmeldung 10 2007 047 593.6 nicht enthalten. Auch ist nicht zu verkennen, dass die Anmelderin auf den gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 PatG a. F. erlassenen Bescheid der Prüfungsstelle vom 25. Februar 2008 mit Eingabe vom 17. März 2008 die Zeichnungen, Figuren 1 bis 3, mit deutscher Beschriftung (nochmals nach ihrer erstmaligen Einreichung am 18. Dezember 2007) eingereicht hat und sie sich erst nachdem der Beschluss der Prüfungsstelle vom 18. April 2008 über die Feststellung des 18. Dezember 2007 als Anmeldetag ergangen ist, darauf berufen hat, dass bereits am Anmeldetag 5. Oktober 2007 die englischsprachigen Zeichnungen beim DPMA eingereicht worden seien. Dies mag darauf beruhen, dass der Vertreter der Anmelderin nach einer genauen Überprüfung erst zu diesem Zeitpunkt realisiert hat, dass offenbar die englisch beschrifteten Zeichnungen in der Patentakte abgängig sind.
Der Überzeugungsbildung des Senats steht ferner nicht entgegen, dass die zum fraglichen Zeitpunkt in der (damaligen) Kanzlei P… K… des Vertreters der Anmelderin in der S2… Straße in M… S2, angestellte und mit der Zusammenstellung der Unterlagen der Patentanmeldung der Anmelderin betraute Patentanwaltssekretärin, Frau S…, in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 20. Juni 2008 nicht konkret bestätigen konnte, die zugehörigen Zeichnungen zu dem englischen Text der Voranmeldung beigefügt zu haben und sie sich auch später bei ihrer Vernehmung als Zeugin vor der Prüfungsstelle am 16. September 2011 nicht mehr daran erinnern konnte. Allein aus der fehlenden Erinnerung von Frau S… kann nicht der Schluss gezogen werden, dass die Zeichnungen nicht zu der Patentanmeldung gegeben worden sind.
Der Senat sieht demgegenüber den Eingang der Zeichnungen am 5. Oktober 2007, insbesondere nach dem schlüssigen Vortrag der Anmelderin bzw. ihres Vertreters und den diesen Vortrag bestätigenden eidesstattlichen Erklärungen des Herrn S1… sowie seiner Zeugenaussage in der mündlichen Verhandlung, als erwiesen an. Vorwegzustellen ist, dass der Zeuge S1…, dem am Ausgang des Verfahrens kein erkennbares Eigeninteresse unterstellt werden kann, einen offenen und aufrichtigen Eindruck gemacht hat, seine Aussagen stimmig waren, so dass für den Senat kein Grund ersichtlich ist, am Wahrheitsgehalt seiner Aussagen zu zweifeln.
Wie Herr S1… eidesstattlich versichert und in seiner Aussage vor Gericht wiederholt hat, sei er als Mitarbeiter der Firma M1… GmbH in M…, am 5. Oktober 2007 auftragsgemäß um ca. 13.30 Uhr in der sich zum damaligen Zeitpunkt in M… S2… befindlichen Kanzlei des Vertreters der Anmelderin, Patentanwalt K… gewesen, um, wie jeden Freitag, Amtspost für das EPA und/oder DPMA sowie Briefpost abzuholen. Dies wird auch durch die beiden Aufträge für den Kunden K… für Freitag, 5. Oktober 2007, 13.30 Uhr, in der eingereichten Auftragsliste der Firma M1… … sowie den entsprechenden Eintrag von Herrn S1… in seinem Kalender über den Tourenverlauf am Freitag, den 5. Oktober 2007, hinreichend belegt. Obwohl die fraglichen Kalenderseiten nur in Kopie vorgelegt wurden, bestehen an der Echtheit der Einträge keine begründeten Zweifel, nachdem Herr S1… als Zeuge vor Gericht glaubhaft ausgesagt hat, dass der Kalender bei einem Wohnungsumzug im Jahr 2013 entsorgt worden, die eingereichte Kopie jedoch Hundertprozent von seinem Kalender gefertigt worden sei.
Weiterhin hat Herr S1… eidesstattlich versichert und als Zeuge ausgesagt, dass er wegen eines Disputs zwischen Frau S… und ihrer Mutter, Frau S3…, beim Fertigstellen der Amtspost darauf habe warten müssen, dass die Damen die Amtspost in das zur Weiterleitung an das DPMA bestimmte Kuvert taten. Dabei habe er gesehen, dass ein Packen, bei dem Pläne dabei waren, nachträglich in das Kuvert eingeschoben worden sei. Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage. Zwar liegt das Geschehen relativ lange Zeit zurück. Herr S1… konnte den Vorgang jedoch anhand seines Kalendereintrags rekonstruieren, und zwar schon im September 2011 bei Abgabe seiner ersten eidesstattlichen Versicherung. Nachvollziehbar ist auch die Erinnerungsstütze aufgrund der besonderen Situation am 5. Oktober 2007 in der Kanzlei von Patentanwalt K…, und zwar aufgrund der nach eidesstattlicher Erklärung von Herrn S1… äußerst ungewöhnlichen Diskussion zwischen Frau S1… und ihrer Mutter, des Wartens auf die Fertigstellung der Amtspost, die nach seiner Zeugenaussage sonst üblicherweise schon verschlossen zur Abholung bereit lag, und der hierdurch entstandenen Verzögerung in seiner Tourenplanung mit telefonischer Verschiebung des nachfolgenden Termins bei der Kanzlei M2…-… & Partner. Die Verwendung des Begriffs "Pläne" in der Zeugenaussage von Herrn S1… ist dabei als laienhafte Formulierung für graphische Dokumente im Gegensatz zu Textdokumenten und daher ohne Weiteres auch im Sinn von Zeichnungen zu verstehen.
Auszuschließen ist dabei auch, dass die "Pläne" die Herr S1… gesehen hat, in der Kanzlei von einer der beiden Damen in ein für einen anderen Adressaten bestimmtes Kuvert gegeben worden sind. Denn laut seiner Zeugenaussage hat Herr S1… an diesem Tag außer dem Kuvert für das DPMA nur noch normale Briefpost zur Ablieferung beim Postamt abgeholt, die in Form von verschlossenen adressierten Kuverts bereit lag, die folglich nicht mehr befüllt worden sind.
Ferner steht zur Überzeugung des Senats fest, dass das von Herrn S1… abgeholte Kuvert mit Amtspost für das DPMA die einzige Sendung war, die am 5. Oktober 2007 aus der Kanzlei P… K… an das DPMA gegangen ist. Herr S1… hat eidesstattlich versichert und als Zeuge ausgesagt, dass er am Freitag, den 5. Oktober 2007, nur ein (einziges) Kuvert aus der Kanzlei von Patentanwalt K… in S2… abgeholt und beim DPMA abgeliefert habe. Zudem hat Patentanwalt K… an Eidesstatt versichert, dass seinerzeit Herr S1… von der Firma M1… der einzige gewesen sei, der Amtspost in der Kanzlei abgeholt und an das DPMA geliefert habe. Der Senat sieht keinen Grund, die Richtigkeit dieser Aussagen bzw. Erklärungen in Frage zu stellen.
Weiterhin weist die an die Kanzlei P… K… adressierte amtliche Empfangsbescheinigung des DPMA für den 5. Oktober 2007 nur zwei Eingänge aus, und zwar unter laufender Nr. 1: amtliches Aktenzeichen "DE 112005003420.8", Anmelder/Inhaber "N…" eingereichte Unterlagen "Eingabe, Einzugsermächtigung f. Anmeldegebühr" und unter laufender Nr. 2: amtliches Aktenzeichen "Neue Anmeldung", Anmelder/Inhaber "F… Corporation", eingereichte Unterlagen "Anmeldeantrag, Erfinderbenennung, 1 Abschrift der Voranmeldung". Die Beiziehung der elektronischen und der eingescannten Papierakte der Patentanmeldung 11 2005 003 420.8 hat ergeben, dass in dieser Akte am 5. Oktober 2007 nur die Eingabe des Vertreters der Anmelderin, K…, vom 1. Oktober 2007 mit der angefügten Einzugsermächtigung für die Anmeldegebühr, jedoch keine Zeichnungen eingegangen sind und Zeichnungen auch nicht angefordert waren oder sonst zur Einreichung anstanden.
Da mithin zur Überzeugung des Senats feststeht, dass Herr S… am 5. Oktober 2007 bei Abholung der Amtspost in der Kanzlei von Patentanwalt K… gesehen hat, dass in das für das DPMA bestimmte Kuvert Zeichnungen gegeben worden sind, dass dieses Kuvert die einzige Sendung war, die an diesem Tag aus der Kanzlei an das DPMA geliefert worden ist, und dass in dieser Sendung Zeichnungen nur zu der Neuanmeldung der Anmelderin gehören konnten, ist daraus nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss zu ziehen, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die fraglichen Zeichnungen zusammen mit den übrigen Anmeldeunterlagen der Patentanmeldung "Motor Controller" am 5. Oktober 2007 beim DPMA eingegangen sind.
Nachdem die Prüfungsstelle bisher noch nicht in der Sache entschieden hat und die Anmeldung nur wegen Unstimmigkeit über den Anmeldetag zurückgewiesen hat, hat der Senat von einer eigenen Sachentscheidung abgesehen und gemäß § 79 Abs. 3 Nr. 1 PatG die Sache zur Fortführung des Prüfungsverfahrens mit dem ursprünglichen Anmeldetag an das DPMA zurückverwiesen.
Auf die angefügte Rechtsmittelbelehrung wird hingewiesen.