Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 22.05.2013


BPatG 22.05.2013 - 19 W (pat) 14/11

Patentbeschwerdeverfahren – zur Rückzahlung der Beschwerdegebühr – schwerwiegender Fehler der Prüfungsstelle des DPMA bei der Beurteilung des Offenbarungsgehaltes


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsdatum:
22.05.2013
Aktenzeichen:
19 W (pat) 14/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2008 049 021.0-34

hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. Mai 2013 unter Mitwirkung des Richters Dipl.-Ing. Müller als Vorsitzender, der Richterin Kirschneck sowie der Richter Dipl.-Geophys. Dr. Wollny und Dipl.-Phys. Arnoldi

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H01R des Deutschen Patent- und Markenamts vom 23. Juni 2010 aufgehoben und das Patent erteilt.

Bezeichnung: Crimpautomat

Anmeldetag: 25. September 2008.

Der Patenterteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

Patentansprüche 1 bis 10 und

angepasste Beschreibung, Seiten 1 bis 11, überreicht in der mündlichen Verhandlung,

2 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 und 2, vom Anmeldetag.

2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I.

1

Die am 25. September 2008 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Patentanmeldung mit der Bezeichnung

2

„Crimpautomat“

3

wurde von der Prüfungsstelle für Klasse H01R mit Beschluss vom 23. Juni 2010 mit der Begründung zurückgewiesen, die jeweiligen Patentansprüche 1 nach Haupt- sowie nach Hilfsanträgen 1 bis 3 beruhten nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

4

Im Prüfungsverfahren, sind folgende Druckschriften berücksichtigt worden:

5

(1) US 5 622 329 A

6

(2) EP 1 225 661 A1

7

(3) US 4 363 167 A

8

(4) US 2006-0172610 A1

9

(5) JP 01- 028 154 A

10

(6) DE 10 2004 057 818 B3

11

wobei der Zurückweisungsbeschluss ausschließlich auf fehlende erfinderische Tätigkeit gegenüber der (2) EP 1 225 661 A1 gestützt worden ist.

12

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

13

Sie beantragt,

14

den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H01R des Deutschen Patent- und Markenamts vom 23. Juni 2010 aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

15

Patentansprüche 1 bis 10 und

16

angepasste Beschreibung, überreicht in der mündlichen Verhandlung,

17

2 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 und 2, vom Anmeldetag.

18

Außerdem beantragt sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

19

Der geltende Patentanspruch 1 lautet unter Einfügung einer Gliederung (diese Fassung ist gegenüber dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 des von der Prüfungsstelle zurückgewiesenen Hauptantrags unverändert):

20

„a Crimpautomat, umfassend

21

b1 ein durch einen ersten Motor angetriebenes Crimpwerkzeug (1) und

22

b2 eine Vorratsrolle (2) auf der

23

b3 ein metallisches Kontaktelementband (3) und

24

b4 ein darauf abgelegter Trennstreifen (4)

25

b5 gemeinsam zu einer Spirale aufgewickelt sind,

26

wobei

27

c dem Crimpwerkzeug (1) eine Einzugsvorrichtung zum Einziehen des Kontaktelementbandes (3) in das Crimpwerkzeug (1) zugeordnet ist,

28

d zum Abziehen des Kontaktelementbandes (3) von der Vorratsrolle (2) ein signalbetätigbarer, zweiter Motor (11) vorgesehen und weiter

29

e ein Sensor (5) vorgesehen ist, der den zweiten Motor (11) so betätigen kann, dass das Kontaktelementband (3) in der Zwischenzone zwischen der Vorratsrolle (2) und dem Crimpwerkzeug (1) U-förmig durchhängend in einem Hängespeicher (6) aufgenommen ist, um frei von Zugspannungen zu sein,

30

f der zweite Motor (11) zum Abziehen des Kontaktelementbandes (3) von der Vorratsrolle (2) mit einer Abzugsvorrichtung (10) für den Trennstreifen (4) zusammenwirkt,

31

dadurch gekennzeichnet,

32

g1 dass der Sensor (5) durch einen Schließkontakt für eine Steuerspannung gebildet ist, dass der Schließkontakt

33

g2 zumindest einen Eingang (7) und

34

g3 zumindest einen Ausgang umfasst, der durch das Kontaktelementband (3) gebildet ist, und dadurch,

35

h dass das Kontaktelementband (3) durch den zweiten Motor (11) auf den Eingang (7) absenkbar ist.“

36

Der geltende Patentanspruch 9 lautet unter Anlehnung an die Gliederung des Patentanspruchs 1:

37

„a1 Frei verschiebbarer Wagen (8)

38

a2 für einen Crimpautomaten nach einem der vorhergehenden Ansprüche,

39

umfassend

40

b61 eine Lagerung, auf der

41

b2 eine austauschbare Vorratsrolle (2) mit

42

b3 einem metallischen Kontaktelementband (3) und

43

b41 einem darauf abgelegten und gemeinsam mit dem metallischen Kontaktelementband (3)

44

b5 zu einer Spirale aufgewickelten

45

b42 Trennstreifen (4)

46

b61 gelagert ist,

47

g2 einen elektrischen Eingang (7) einen Schließkontakts für eine Steuerspannung, wobei

48

g1 der Schließkontakt durch einen Sensor (5) gebildet ist, und

49

g3 der Schließkontakt ferner einen Ausgang umfasst, der durch das Kontaktelementband (3) gebildet ist,

50

h1 ein gewölbtes Leitblech, das dadurch den elektrischen Eingang (7) für den Sensor (5) bildet,

51

h2 dass das Kontaktelementband (3) auf das Leitblech absenkbar ist,

52

h3 wobei bei Absenken des Kontaktelementbands (3) auf den Eingang (7) der Schließkontakt geschlossen wird,

53

i ein Steckkontaktelement (15)einer Steckverbindung (9), das mit einem dazu passenden Steckkontaktelement eines Crimpautomaten in Eingriff bringbar ist,

54

wobei der Wagen so ausgebildet ist, dass

55

e das Kontaktelementband (3) über dem Leitblech U-förmig durchhängend in einem Hängespeicher (6) so aufnehmbar ist, dass es frei von Zugspannungen ist.“

56

Als Aufgabe nennt die Anmelderin, es solle ein Crimpautomat entwickelt werden, bei dem die zur Verfügung stehenden Kontaktelementbänder problemlos und in hoher Crimpqualität verarbeitet werden können, und dass ein Austausch der Vorratsrollen erleichtert möglich und eine starre Verriegelung der Lagerung der Vorratsrollen nicht mehr nötig sei.

57

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere auch zum Wortlaut der abhängigen Patentansprüche, wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

58

1. Die frist- und formgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig. Der Zurückweisungsbeschluss der Prüfungsstelle ist zwar auf den 23. Juni 2010 datiert, ausweislich Blatt 98 der Amtsakte ist dieser jedoch erst am 27. September 2010 im Abholfach der Verfahrensbevollmächtigten der Anmelderin niedergelegt worden, so dass aufgrund der Fiktion gemäß § 127 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 PatG der 30. September 2010 als Tag der Zustellung gilt. Somit ist die Beschwerde am 29. Oktober 2010 fristgerecht eingegangen. Die Beschwerde hat auch Erfolg, da der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H01R aufzuheben und antragsgemäß ein Patent zu erteilen war.

59

2. Als Fachmann legt der Senat einen Dipl.-Ing. (FH) der Fachrichtung Maschinenbau zugrunde, der langjährige Erfahrung in der Entwicklung von automatischen Beschickungsvorrichtungen für Crimp- und andere Kabelkonfektioniervorrichtungen hat.

60

3. Dieser Fachmann misst dem Wortlaut der Patentansprüche folgende Bedeutung zu:

61

Abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch ist mit „Sensor“ kein Bauelement gemeint, das eine physikalische Größe misst und in einen elektrischen Strom oder eine Spannung umsetzt, sondern ein Schalter, der in seinem Ruhezustand offen ist. Durch die Bezeichnung dieses Schalters in Merkmal g1 des Patentanspruchs 1 als „Schließkontakt“ wird zum Ausdruck gebracht, dass das Schließen des ansonsten offenen Schalters eine besondere Bedeutung hat. Auch wenn der Anspruchswortlaut selbst diesen Zusammenhang nicht herstellt, ergibt sich aus der Gesamtschau der Unterlagen, dass die „Signalbetätigung“ des zweiten Motors gemäß Merkmal d durch diesen Schließkontakt bewirkt wird.

62

Wie bei einem Schalter üblich, besteht der Schließkontakt aus einem ortsfesten, unbeweglichen Kontakt sowie einem beweglichen Kontakt. Der unbewegliche Kontakt ist durch Merkmal g2 als „Eingang“ definiert, der bewegliche durch Merkmal g3 als „Ausgang“.

63

Für den Fachmann ist auch offensichtlich, dass in Merkmal g1 des Patentanspruchs 9 nichts anderes gemeint ist als in Patentanspruch 1, wonach der Sensor, der den zweiten Motor betätigt, ein im Normalfall offener Schalter ist.

64

Da durch Merkmal g3 bestimmt ist, dass der Ausgang, also der bewegliche Kontakt des Schalters, durch das Kontaktelementband gebildet ist, muss das Kontaktelementband elektrisch leitfähig sein. Ebenso muss der Eingang, also der unbewegliche Kontakt des Schalters, elektrisch leitfähig sein, wobei im Wortlaut des Patentanspruchs 1 offen bleibt, durch welchen Teil des Crimpautomaten der Eingang gebildet ist.

65

Der Fachmann weiß auch, dass sich die Biegelinie des Kontaktelementbandes in einem Hängespeicher von selbst ergibt, so dass der Angabe „U-förmig“ in Merkmal e nicht mehr Bedeutung beizumessen ist, als dass das Kontaktelementband innerhalb des Hängespeichers an seiner tiefsten Stelle die stärkste Krümmung hat.

66

Weiter weiß der Fachmann, dass aufgrund des Eigengewichts des zu fördernden Gutes auch bei Einsatz eines Hängespeichers Zugspannungen unvermeidbar sind. Insofern ist in Merkmal e mit der Angabe „frei von Zugspannungen“ offensichtlich gemeint, „frei von Zugspannungen, die von der Einzugsvorrichtung zum Einziehen des Kontaktelementbandes in das Crimpwerkzeug verursacht sind“.

67

4. Die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 9 sind neu (§ 3 PatG) und beruhen auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG).

68

4.1 Der Fachmann entnimmt der Entgegenhaltung 2 des Prüfungsverfahrens (EP 1 225 661 B1), auf die die Prüfungsstelle den Zurückweisungsbeschluss gestützt hat, nicht mehr als (vgl. insbesondere Figur 5): einen

69

a Crimpautomat, umfassend

70

b1 ein angetriebenes Crimpwerkzeug 1,9,50 und

71

b2 eine Vorratsrolle 120 auf der

72

b3 ein Kontaktelementband 60

73

b5 zu einer Spirale aufgewickelt ist,

74

wobei

75

c dem Crimpwerkzeug 1, 9, 50 eine Einzugsvorrichtung zum Einziehen des Kontaktelementbandes 60 in das Crimpwerkzeug 1,9,50 zugeordnet ist,

76

dteilw zum Abziehen des Kontaktelementbandes 60 von der Vorratsrolle 120 ein zweiter Motor vorgesehen (vgl. Abs. [0023]) und weiter

77

eteilw vorgesehen ist, den zweiten Motor so zu betätigen, dass das Kontaktelementband 60 in der Zwischenzone zwischen der Vorratsrolle 120 und dem Crimpwerkzeug 1,9,50 U-förmig durchhängend in einem Hängespeicher aufgenommen ist, und im Sinne der Anmeldung frei von Zugspannungen zu sein.

78

Dieser Druckschrift ist weder zu entnehmen, dass das Crimpwerkzeug durch einen ersten Motor angetrieben ist (Merkmal b1),

79

noch dass das Kontaktelementband 60 metallisch ist (Merkmal b3),

80

noch dass ein Trennstreifen vorhanden ist (Merkmal b3),

81

noch wie der Motor der Einrichtung 121 gesteuert wird (Restmerkmal d),

82

noch dass es einen Sensor gibt, der den Motor der Einrichtung 121 betätigt (Restmerkmal e),

83

noch eine Abzugsvorrichtung für einen Trennstreifen (Merkmal f).

84

Außerdem fehlt auch vollständig das Kennzeichen des Patentanspruchs 1, also die Merkmale g1 - h.

85

Somit ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber dem aus der EP 1 225 661 B1 Bekannten neu.

86

4.2 Auch die US 5 622 329 A (Entgegenhaltung 1 des Prüfungsverfahrens) offenbart nicht mehr als: einen

87

a Crimpautomat, umfassend

88

b1 ein angetriebenes Crimpwerkzeug 3 und

89

b2 eine Vorratsrolle 10, auf der

90

b3 ein metallisches Kontaktelementband B (siehe Fig. 2a) und

91

b4 ein darauf abgelegter Trennstreifen P

92

b5 gemeinsam zu einer Spirale aufgewickelt (geht bei einer Vorratsrolle gar nicht anders) sind,

93

wobei

94

c dem Crimpwerkzeug 3 eine Einzugsvorrichtung 3a zum Einziehen des Kontaktelementbandes B in das Crimpwerkzeug 3 zugeordnet ist,

95

d zum Abziehen des Kontaktelementbandes B von der Vorratsrolle 10 eine signalbetätigbare Vorrichtung 30 (Spalte 5, Zeilen 14 bis 42) vorgesehen und weiter

96

e ein Sensor 51 vorgesehen ist, der die Vorrichtung 30 so betätigen kann, dass das Kontaktelementband B in der Zwischenzone zwischen der Vorratsrolle 10 und dem Crimpwerkzeug 3 U-förmig gebogen aufgenommen ist, um frei von Zugspannungen zu sein, die von der Abzugsvorrichtung 30 verursacht werden (Titel in Verbindung mit Spalte 5, Zeilen 14 bis 22), und

97

f die Vorrichtung 30 zum Abziehen des Kontaktelementbandes B von der Vorratsrolle 10 mit einer Abzugsvorrichtung 32 für den Trennstreifen P zusammenwirkt, wobei

98

g1 der Sensor 51 durch einen Ein-Schalter, also einen Schließkontakt für eine Steuerspannung gebildet ist (Fig. 5 in Verbindung mit Spalte 4, Zeilen 29 – 30).

99

Wie alle mechanischen Schalter hat der Sensor 51 einen unbeweglichen Kontakt also im Sinne der Anmeldung

100

g2 einen Eingang.

101

Weiter ist es nach Überzeugung des Senats berechtigt, aus dem Textabschnitt Spalte 6, Zeilen 10 bis 13 der (1) US 5 622 329 A abzuleiten, dass die Vorrichtung 30 alternativ auch als elektrischer Motor ausgeführt sein soll. Ebenso liest der Fachmann selbstverständlich mit, dass auch das Crimpwerkzeug 3 selbst durch einen Motor angetrieben wird.

102

Jedoch ist aus der (1) US 5 622 329 A kein Hängespeicher (Merkmal e) bekannt.

103

Außerdem ist der Eingang des Schalters nicht durch das Kontaktelementband gebildet (Merkmal g3), und

104

das Kontaktelementband wir durch die Abzugsvorrichtung 30 nicht auf den unbeweglichen Kontakt des Sensors 51 abgesenkt (Merkmal h) sondern im Gegenteil davon wegbewegt.

105

Somit ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auch gegenüber dem aus der US 5 622 329 A Bekannten neu.

106

Auch keine der weiteren im Verfahren berücksichtigten Entgegenhaltungen offenbart einen Crimpautomaten, bei dem ein Kontaktelementband als Schaltkontakt eines Schalters dient, durch den die Abzugsvorrichtung für das Kontaktelementband gesteuert würde, vielmehr liegen diese noch weiter vom Gegenstand des Patentanspruchs 1 ab als die Entgegenhaltungen (1) und (2).

107

4.3 Da der (2) EP 1 225 661 B1 keine Aussagen zu entnehmen sind, wie das dort beschriebene Tragband 60 mit den darauf befestigten Verbindern 20 in den lediglich zeichnerisch dargestellten Hängespeicher gefördert wird, kann diese Druckschrift dem Fachmann keinen Anlass geben, an der Fördervorrichtung oder deren Steuerung etwas zu ändern, so dass es schon an einer Problemstellung mangelt, zu deren Beseitigung der Fachmann eine Entwicklung in Richtung auf den Gegenstand des Patentanspruchs 1 in Angriff hätte nehmen müssen.

108

Als nächstliegenden Ausgangspunkt für eine Betrachtung ob der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sieht der Senat dagegen den Crimpautomaten gemäß (1) US 5 622 329 A.

109

Bei dieser Vorrichtung kommt es durch die Einzugsvorrichtung 3a der Crimpvorrichtung 3 zu zeitweiligen unerwünschten Zugspannungen, die sich nachteilig auf die Qualität der Crimpung auswirken. Daher stellt sich bei dieser Anordnung in der Praxis von selbst die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass die Crimpstelle von Zugspannungen entlastet wird, die diese Ursache haben. Da aber die Steuerung der Abzugsvorrichtung 30 durch den Schalter 51 auf dem Prinzip beruht, dass die Zugspannung periodisch immer wieder auftritt, muss er zwangsläufig sein bisheriges Steuerprinzip verwerfen und eine andere Lösung suchen, wenn er Schwankungen in der Zugspannung vermeiden oder zumindest verringern will.

110

Der Senat hält es zwar noch für naheliegend, dass der Fachmann dazu das altbekannte Prinzip des Hängespeichers in Erwägung zieht. Das Eigengewicht des Kontaktelementbandes bewirkt zwar auch eine Zugspannung auf das Crimpwerkzeug, diese ist jedoch weitgehend konstant und daher besser beherrschbar. Diese Überlegung regt jedoch noch nicht dazu an, aus einer Vielzahl von Möglichkeiten, die theoretisch möglich sind, um den Durchhang des zu fördernden Gutes zu regeln, eine ganz bestimmte auszuwählen.

111

Die Variante, das zu fördernde Gut unter Spannung zu setzen oder zu erden und dafür einen anderen Teil des Crimpautomaten unter Spannung zu setzen und dies als Schließkontakt zur Betätigung eines Abzugsmotors zu verwenden, wird jedenfalls in keiner der von der Prüfungsstelle entgegengehaltenen Druckschriften in Betracht gezogen.

112

Auch der Senat konnte in einer eigenen Recherche zu diesem Sachverhalt, lediglich die US 2002/0108985 A1 (vgl. insbesondere Fig. 11 in Verbindung mit Absatz [0062]) ermitteln, bei der die Zugspannung eines Drahtes 52, der zur Durchkontaktierung von mehrlagigen Leiterplatten verwendet wird, dadurch gesteuert wird, dass ein Fördermotor 150 in Abhängigkeit davon, ob der Draht 52 die Platten 178, 180 berührt, betätigt wird.

113

Selbst unter der Annahme, dass der Fachmann die Vorrichtung US 2002/0108985 A1 überhaupt gekannt hat, ist es als erfinderische Tätigkeit zu werten, dass er das Steuerprinzip für die Förderungen eines Kontaktdrahtes für die Durchkontaktierung von Leiterplatten auf die Förderung von Kontaktelementen in einen Crimpautomaten übertragen hat.

114

Somit kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

115

5. Da der Senat die Patentfähigkeit des Crimpautomaten gemäß Patentanspruch 1 durch die Funktionalität des Kontaktelementbandes als beweglichem Kontakt eines elektrischen Schalters in Zusammenwirken mit einem feststehenden Gegenkontakt, der anderweitig an dem Crimpautomaten verwirklicht ist, als Besonderheit ansieht, ist auch die konkrete Ausgestaltung dieser Anordnung auf einem frei verschiebbaren Wagen für einen solchen Crimpautomaten neu und beruht auf erfinderischer Tätigkeit. Deshalb ist auch der in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Patentanspruch 9 gewährbar.

116

Die auf den Patentanspruch 1 oder 9 rückbezogen Patentansprüche erfüllen ebenso die an sie zu stellenden Anforderungen und auch die Beschreibung lässt hinreichend deutlich und vollständig erkennen, wie der Fachmann die Erfindung nacharbeiten kann und wie weit sich der Schutzbereich des Patents erstreckt.

117

6. Der Senat hat die Rückzahlung der Beschwerdegebühr aus Billigkeitsgründen angeordnet (§ 80 Abs. 3 PatG).

118

Zwar ist eine falsche Beurteilung der Sach- und Rechtslage allein noch kein Grund für die Rückzahlung der Beschwerdegebühr (vgl. Schulte, PatG, 8. Aufl., § 73 Rdn. 130). Die Rückzahlung kann aber ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn in der Entscheidung wesentliche Beurteilungsgrundsätze und ständige Rechtsprechung nicht beachtet wurden und infolgedessen die Begründung und ihr Ergebnis schlechterdings nicht vertretbar sind (BPatGE 7, 1, 7; BPatGE 46, 272). Davon ist vorliegend auszugehen.

119

So hat die Prüfungsstelle behauptet, der zeichnerischen Darstellung der EP 1 225 661 A1 (Figur 5) seien zwei Sensoren zu entnehmen, durch die ein ebenfalls nur zeichnerisch dargestellter zweiter Motor betätigt werde. Ebenfalls hat sie das restliche Merkmal e), die konkrete Funktionsweise der Sensoren im Zusammenwirken mit dem Motor, aus der Zeichnung herausgelesen. Dabei sind weder die Sensoren noch der Motor mit einem Bezugszeichen versehen und auch in der Druckschrift an keiner Stelle ausdrücklich genannt oder funktionell irgendwie beschrieben. Insbesondere ist der Druckschrift nicht zu entnehmen, dass die im dortigen Absatz [0023] genannte Einrichtung zum kontinuierlichen Abwickeln einen Motor umfasst, der durch Sensoren betätigt würde. Weiterhin hat die Prüfungsstelle das Vorhandensein eines Trennstreifens (Merkmal b4)) sowie das Zusammenwirken des zweiten Motors mit einer Abzugsvorrichtung für den Trennstreifen (Merkmal f)) allein aus der Figur 5 herausgelesen. Auch insoweit findet sich in der Beschreibung kein Hinweis auf diese Merkmale. Ein Trennstreifen ist in den Figuren der EP 1 225 661 A1 auch nicht zeichnerisch dargestellt, sondern nur ein Tragband 60, auf dem separate Bauteile 20 angeordnet sind (Figur 6), was allenfalls dem Kontaktelementband (3) in der Anmeldung entspricht, nicht aber dem Trennstreifen (4). Ferner ist in der Entgegenhaltung an keiner Stelle erwähnt, dass es sich bei dem Tragband 60 um ein metallisches handelt.

120

Diese Vorgehensweise bei der Beurteilung des Offenbarungsgehalts der Druckschrift EP 1 225 661 A1 steht im Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Danach ist für den Offenbarungsgehalt einer Entgegenhaltung maßgeblich was aus fachmännischer Sicht einer Schrift unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist. Auch wenn eine ausdrückliche Nennung nicht erforderlich ist, kann in den Offenbarungsgehalt einer Druckschrift nur einbezogen werden, was der Fachmann bei aufmerksamer Lektüre ohne Weiteres erkennt und in Gedanken mitliest (vgl. BGH X ZB 15/93 v. 17. Januar 1995 = BPatGE 35, 283 – Elektrische Steckverbindung; BGH X ZR 168/96 v. 30. September 1999 = GRUR 2000, 296 - Schmierfettzusammensetzung; BGH X ZR 168/98 v. 11. September 2001 = BPatGE 44, 284 – Luftverteiler). Diese ständige Rechtsprechung hat der BGH in der Entscheidung „Olanzapin“ (X ZR 89/07 v. 16. Dezember 2008 = GRUR Int. 2009, 330) weiter dahingehend präzisiert, dass die Einbeziehung von Selbstverständlichem keine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen erlaubt, sondern der vollständigen Ermittlung des Sinngehalts dient, d. h. derjenigen technischen Information, die der fachkundige Leser der jeweiligen Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt. Die oben genannte, von der Prüfungsstelle vorgenommene Interpretation der Figur 5 der EP 1 225 661 A1 basiert im Wesentlichen auf bloßen Behauptungen, nicht aber auf dem in der Figur Dargestellten und in der Druckschrift Beschriebenen. Eine Begründung, warum der Fachmann die von der Prüfungsstelle in der Zeichnung gesehenen konkreten Merkmale aufgrund seines Fachwissens ohne Weiteres erkennt und in Gedanken mitliest, lässt der Beschluss vermissen. Zu ihren diesbezüglichen Aussagen konnte die Prüfungsstelle vielmehr nur aufgrund ihrer Kenntnis der vorliegenden Anmeldeunterlagen gelangen. Damit handelt es sich aber um eine typische „ex post“-Betrachtung, die nach anerkannten Beurteilungsgrundsätzen unzulässig ist.

121

Ausgehend von diesem, entgegen anerkannten Beurteilungs- und Rechtsprechungsgrundsätzen fehlerhaft ermittelten Stand der Technik hat die Prüfungsstelle das Vorliegen einer erfinderischen Betätigung mit der Begründung verneint, der Fachmann müsse in Ermangelung einer konkreten Angabe den Sensortyp unter Berücksichtigung seines Fachwissens entsprechend der Aufgabe geeignet wählen und er würde aufgrund des elektrisch leitfähigen Materials der Vorratsrolle zu einem sehr einfach aufgebauten Spannungssensor gelangen.

122

Dabei lässt die Prüfungsstelle unberücksichtigt, dass nach ständiger Rechtsprechung allein die Kenntnis eines zum allgemeinen technischen Fachwissen gehörenden technischen Sachverhalts, den Fachmann noch nicht veranlasst, sich dieser Kenntnis bei der Lösung eines bestimmten technischen Problems zu bedienen (vgl. BGH Xa ZR 56/05 v. 30. April 2009 = GRUR Int. 2009, 937 - Airbag-Auslösesteuerung).

123

Daher hätte die Prüfungsstelle aufgrund des von ihr selbst dargelegten Sachstandes, wonach es keinen Anlass gibt, aus der Vielzahl von dem Fachmann an sich bekannten Sensoren, speziell einen Spannungssensor auszuwählen, zu dem Ergebnis kommen müssen, dass es nicht naheliegt, genau diese Auswahl zu treffen.

124

Hinzu kommt, dass die Prüfungsstelle der zeichnerischen Darstellung in der EP 1 225 661 A1 die Existenz von Sensoren im Zusammenhang mit dem Hängespeicher für das Tragband 60 allenfalls deshalb annehmen konnte, weil die Kontur der Bolzen, die in diesem Bereich dargestellt sind, mit der Kontur induktiver Näherungssensoren übereinstimmt.

125

Dies spricht aber gegen die von der Prüfungsstelle aufgestellte Behauptung, es läge nahe, einen Spannungssensor einzusetzen. Diesen Gedankenschritt hat die Prüfungsstelle jedoch nicht vollzogen. Es muss dahin gestellt bleiben, ob dies willentlich oder irrtümlich geschehen ist, jedenfalls ist eine Prüfung auf erfinderische Tätigkeit, bei der Beweisanzeichen, die für das Vorliegen einer erfinderische Tätigkeit sprechen, nicht berücksichtigt werden, nicht ordnungsgemäß.

126

Schließlich kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass nach dem Ergebnis des Beschwerdeverfahrens nach einer vom Senat ergänzend durchgeführten Recherche, insbesondere in der IPC-Klasse B 65 H 51/20 „Vorrichtungen für zeitweiliges Speichern von fadenförmigen Gut (z. B. Folien, Bahnen, Kabel) während des Förderns, z. B. Zwischenspeicherung“, welche, soweit aus den Akten ersichtlich, von der Prüfungsstelle, obwohl einschlägig, nicht herangezogen wurde, der Gegenstand des geltenden und auch bereits dem Beschluss der Prüfungsstelle zugrundeliegenden Patentanspruchs 1 als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend zu beurteilen war.

127

In ihrer Summe rechtfertigen daher die aufgezeigten schwerwiegenden Fehler der Prüfungsstelle in der Beurteilung der Sach- und Rechtslage hier ausnahmsweise die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.