Entscheidungsdatum: 07.08.2013
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2006 029 919.1-35
…
hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 7. August 2013 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Hartung, der Richterin Kirschneck sowie der Richter Dr.-Ing. Scholz und Dipl.-Phys. Bieringer
beschlossen:
Die Beschwerde bezüglich der Patentanmeldung 10 2006 029 919.1 wird zurückgewiesen.
I
Das Deutsche Patent- und Markenamt - Prüfungsstelle für Klasse H 04 B - hat die am 29. Juni 2006 unter Beanspruchung der inländischen Priorität vom 29. Juni 2005 der DE 10 2005 030 801.5 eingereichte Patentanmeldung mit Beschluss am 27. Januar 2010 zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin vom 1. März 2010.
Der Vertreter der Anmelderin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt,
die Patentanmeldung 10 2006 029 919.1 wird geteilt.
Bezüglich der Stammanmeldung beantragt die Anmelderin,
den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 04 B des Deutschen Patent- und Markenamts vom 27. Januar 2010 aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Patentanspruch 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung,
Beschreibung, Seiten 1 bis 11, und
5 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 7, vom Anmeldetag.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet unter Einfügung einer Gliederung:
"M1 Schaltungsanordnung, mit:
M2 - einem ID-Geber, zur Generierung eines datenmodulierten kapazitiven Wechselfeldes,
M3 - einem IR-Reciever mit
M3.1 - einem ersten Schnittstellensystem zur Aufnahme eines auf elektromagnetischem Wege in den Bereich des ersten Schnittstellensystems verbrachten Signalereignisses,
M3.2 - einem zweiten Schnittstellensystem zur Aufnahme eines auf feldelektrischem Wege in den Bereich des zweiten Schnittstellensystems verbrachten Signalereignisses,
M3.3 - einer mit dem ersten Schnittstellensystem gekoppelten Signalverarbeitungsschaltung, zur Generierung einer auf dem empfangenen Signalereignis basierenden Ausgangsignalsequenz,
- wobei
M4 - das zweite Schnittstellensystem in das erste Schnittstellensystem derart eingebunden ist, dass die durch das zweite Schnittstellensystem aufgenommenen Signalereignisse über eine der Ankoppelung des ersten Schnittstellensystems dienende Portstruktur der Signalverarbeitungsschaltung zugeführt werden."
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.
II.
1. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg, da die beanspruchte Erfindung in der Anmeldung nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 34 Abs. 4 PatG).
2. Die Anmeldung betrifft eine Schaltungsanordnung zur Abwicklung einer dem Transfer von Daten dienenden Signalübertragung, insbesondere mit einem Funk- oder IR-Empfänger, wobei nur eine Variante mit einem IR-Empfänger ("Receiver") beansprucht ist (vgl. Seite 1 der Beschreibung i. V. m. geltenden Patentanspruch 1).
Der Anmeldung liegt der Beschreibung (S. 1, Abs. 4) zufolge die Aufgabe zugrunde, hinsichtlich der Abwicklung eines Datentransfers Nutzervorteile gegenüber dem Stand der Technik zu bieten, wobei auf bekannte Schaltungskonzepte zurückgegriffen werden solle.
Als Lösung schlägt die Anmeldung vor, ein kapazitives Koppelelement über eine "Portstruktur" an einen IR-Empfänger mit einer Signalverarbeitungsschaltung anzukoppeln. Die Beschreibung und die Figur 1 zeigen einen ID-Geber, der ein elektrisches Wechselfeld erzeugt und über die Haut des menschlichen Körpers an dem kapazitiven Koppelfeld eine Ladungsverschiebung erzeugt.
Anwendungen der Anmeldung seien Einsatz als Türöffner, Startknopf eines Kraftfahrzeugs, Erkennen einer bestimmten Person auf dem Fahrersitz, indem Identifikationsdaten vom ID-Geber über das Koppelfeld in eine Funk -oder IR-Schnittstelleneinrichtung eingekoppelt werden sollen.
3. Als Fachmann legt der Senat einen Fachhochschulingenieur der Nachrichtentechnik mit Kenntnissen über Nahfeldkommunikation und Zugangsberechtigungssysteme, insbesondere für Anwendungen in der Kraftfahrzeugtechnik, zugrunde.
4. Der Fachmann entnimmt dem Patentanspruch 1, dass die Schaltungsanordnung (Merkmal M1), mittels eines Infrarotempfängers (Merkmal M3) ein Infrarotsignal empfängt (Merkmal M3.1, mit "erstem Schnittstellensystem") und dieses mittels einer nachgeschalteten Signalverarbeitungsschaltung in ein nutzbares Ausgangssignal verarbeitet (Merkmal M3.3). Dieses Infrarotsignal ist im Merkmal M3.1 als "auf elektromagnetischem Wege in den Bereich des ersten Schnittstellensystems verbrachtes Signalereignis" bezeichnet. Der Fachmann entnimmt dem Patentanspruch 1 weiterhin, dass ein ID-Geber vorgesehen ist, der ein kapazitatives Wechselfeld erzeugt (Merkmal M2), welches über induzierte Ladungsverschiebung ("auf feldelektrischem Wege") ein moduliertes Signal an einer zweiten Schnittstelle erzeugt (Merkmal M3.2 i. V. m Merkmal M2). Aus der Beschreibung (vgl. Seite 3, letzter Absatz) entnimmt der Fachmann, dass die zweite Schnittstelle ein Draht oder eine Kondensatorplatte sein kann. Dem Merkmal M4 entnimmt der Fachmann noch, dass die zweite Schnittstelle in den Empfängerkreis des Infrarotempfängers eingebunden sein soll. Dabei soll eine "Portstruktur" dazu dienen, dass das durch Ladungsverschiebung an der zweiten Schnittstelle erzeugte Signal, der (nachgeschalteten) Signalverarbeitungsschaltung zugeführt wird.
5. Die Schaltungsanordnung nach Patentanspruch 1 ist nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 34 Abs. 4 PatG).
Eine Erfindung ist ausführbar offenbart, wenn die in der Patentanmeldung enthaltenen Angaben dem fachmännischen Leser so viel an technischer Information vermitteln, dass er mit seinem Fachwissen und seinem Können in der Lage ist, die Erfindung erfolgreich auszuführen. Eine für die Ausführbarkeit hinreichende Offenbarung ist demnach gegeben, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs aufgrund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen am Anmelde- oder Prioritätstag praktisch so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird (BGH, Urteil vom 13. Juli 2010 - Xa ZR 126/07, GRUR 2010, 916 - Klammernahtgerät (m. w. N.)). Dies ist jedoch hier nicht gegeben.
Das Merkmal M4 offenbart lediglich, dass die zweite Schnittstelle in den Empfängerkreis des Infrarotempfängers eingebunden sein soll und dass eine Portstruktur vorgesehen ist, die dazu dienen soll, dass das durch Ladungsverschiebung erzeugte Signal, der Signalverarbeitungsschaltung zugeführt wird, ohne zu definieren, was eine Portstruktur sein soll, die dies leistet.
Selbst wenn man dem Vortrag der Anmelderin in der mündlichen Verhandlung folgt, es handele sich bei der Portstruktur um einen Lötpunkt, fehlt es dem Fachmann noch an einem gangbaren Weg, wie dadurch das aus dem kapazitiven Koppelelement erzeugte Signal der Signalverarbeitungsschaltung zugeführt werden soll.
Zwar zeigt die Figur 2 eine Schemadarstellung eines IR-Empfangssystems mit einem zweiten Schnittstellensystem zum Datenempfang mittels eines modulierten E-Feldes über die Haut einer Person am Beispiel des Bausteins U2538B (TEMIC) als Signalverarbeitungsschaltung. Jedoch ist für den Fachmann aus Figur 2 hinsichtlich der Ankopplung lediglich entnehmbar, dass eine Koppelfläche unter Zwischenschaltung eines Kondensators mit dem Empfangskreis einer IR-Diode verbunden ist und gemäß korrespondierender Beschreibung an den Eingang eines IR-Detektors angeschlossen ist (vgl. Beschreibung, Seite 6, Zeilen 3 bis 8). Weder aus der Figur 2 noch aus den korrespondierenden Beschreibungsteilen ist ersichtlich, wie allein das Anlöten (Portstruktur) eines Drahtes oder einer Kondensatorplatte bewirken soll, dass das datenmodulierte Signal der Signalverarbeitungsschaltung zugeführt werden soll.
Nach Überzeugung des Senats ergibt sich am Eingang der Signalverarbeitungsschaltung eine Überlagerung von IR-Signal mit einem am Port (Lötpunkt) eingespeisten weiteren Signal, das die Signalverarbeitungsschaltung ohne weitere Maßnahmen nur als Störung (durch den Draht bzw. die in Figur 2 gezeigte Kondensatorfläche) interpretieren kann, weil das datenmodulierte Signal des ID-Gebers ohne weitere Verarbeitung oder Weichenschaltung nicht in der ursprünglichen Form an der Signalverarbeitungsschaltung ankommen kann. Aber auch eine solche Verarbeitungs- oder Weichenschaltung ist für den IR-Receiver des Patentanspruchs 1 nicht offenbart. Aus der Gesamtschau der Anmeldeunterlagen erhält der Fachmann nach Überzeugung des Senats keinen Hinweis, wie er die undefinierte "Portstruktur" auszuführen hätte, damit die Schaltungsanordnung im Sinne der Erfindung wirkt. Denn die Schaltung für die Ankopplung der grundsätzlich verschiedenartigen Signale an den beiden Schnittstellen, hätte der Fachmann nicht ohne eine erfinderische Tätigkeit entwickeln können. Angesichts der bei derartigen Schaltungen auftretenden Störsignale und der Notwendigkeit von Frequenzabstimmungen mangelt es an Offenbarung, wie eine "Portstruktur" (Merkmal M4) definiert sein soll, die dieses berücksichtigt.
Die Lehre des Patentanspruchs 1 erweist sich also in der Anmeldung als nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 34 Abs. 4 PatG).
6. Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, ob der beanspruchte Anmeldungsgegenstand den Anforderungen der §§ 3 und 4 PatG genügt.