Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 10.01.2018


BPatG 10.01.2018 - 18 W (pat) 10/15

Patentbeschwerdeverfahren – "Verfahren zur fälschungssicheren Identifikation individueller elektronischer Baugruppen" – zur Sachdienlichkeit der Durchführung einer zweiten Anhörung im Prüfungsverfahren


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsdatum:
10.01.2018
Aktenzeichen:
18 W (pat) 10/15
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2018:100118B18Wpat10.15.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2005 031 378.7

hat der 18. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 2018 durch die Vorsitzende Richterin Dipl.-Ing. Wickborn sowie die Richter Kruppa, Dipl.-Phys. Dr. Schwengelbeck und Dipl.-Ing. Altvater

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts vom 14. Juli 2015 aufgehoben und das Patent auf der Grundlage der folgenden Unterlagen erteilt:

- Patentansprüche 1 bis 16, eingereicht in der mündlichen Verhandlung,

- Beschreibung, Seiten 1, 1a, 2, eingereicht in der mündlichen Verhandlung, Beschreibung, Seiten 3 bis 17, eingegangen am 5. Juli 2005,

- Figuren 1 und 2, eingegangen am 26. Oktober 2005, Figur 3, eingegangen am 27. Dezember 2017.

2. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die am 5. Juli 2005 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichte Patentanmeldung 10 2005 031 378.7 mit der geltenden Bezeichnung

2

„Verfahren zur fälschungssicheren Identifikation individueller elektronischer Baugruppen“

3

wurde mit Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts in der Anhörung vom 14. Juli 2015 zurückgewiesen, weil die Erfindung in der Anmeldung nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

4

Gegen den vorstehend genannten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

5

Die Anmelderin beantragt,

6

1. den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts vom 14. Juli 2015 aufzuheben und das Patent auf der Grundlage der folgenden Unterlagen zu erteilen:

7

- Patentansprüche 1 bis 16, eingereicht in der mündlichen Verhandlung,

8

- Beschreibung, Seiten 1, 1a, 2, eingereicht in der mündlichen Verhandlung,  Beschreibung, Seiten 3 bis 17, eingegangen am 5. Juli 2005,

9

- Figuren 1 und 2, eingegangen am 26. Oktober 2005,  Figur 3, eingegangen am 27. Dezember 2017,

10

2. die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen.

11

Der seitens des Senats mit einer Gliederung versehene Patentanspruch 1 lautet:

12

M1 „Verfahren zur fälschungssicheren Identifikation individueller elektronischer Baugruppen, die einen flüchtigen Halbleiterspeicher (2) aufweisen,

13

M2a indem die aus einem gezielten Ausfall einer oder mehrerer Hilfsfunktionen des Speichers (2), wie ein kurzzeitiges Ausschalten einer Versorgungsspannung, ein kurzzeitiges Entfernen eines Taktsignals oder ein kurzzeitiges Aussetzen der Auffrischzyklen des flüchtigen Speichers (2), für eine bestimmte Dauer einer individuellen elektronischen Baugruppe (1) resultierenden Zustandsänderungen bestimmter Speicherzellen des Speichers (2)

14

M2b mit vorab ermittelten, aus dem gezielten Ausfall der Hilfsfunktion des Speichers (2) der elektronischen Baugruppe (1) resultierenden speichercharakteristischen Referenz-Zustandsänderungen bestimmter Speicherzellen des Speichers (2) hinsichtlich Identität verglichen werden,

15

M3 wobei die individuelle elektronische Baugruppe (1) identifiziert wird, wenn die Anzahl ermittelter Zustandsänderungen von bestimmten Speicherzellen des Speichers (2) der individuellen elektronischen Baugruppe (1) einen bestimmten oberen Grenzwert nicht überschreitet und eine zumindest teilweise Übereinstimmung der Zustandsänderungen mit den vorab ermittelten speichercharakteristischen Referenz-Zustandsänderungen vorliegt, und

16

M4 wobei die individuelle elektronische Baugruppe (1) nicht identifiziert wird, wenn die Anzahl ermittelter Zustandsänderungen von bestimmten Speicherzellen des Speichers (2) der individuellen elektronischen Baugruppe (1) einen bestimmten unteren Grenzwert überschreitet und kleiner als eine bestimmte Teilmenge der vorab ermittelten speichercharakteristischen Referenz-Zustandsänderungen ist.“

17

Wegen des Wortlauts der abhängigen Ansprüche 2 bis 16 wird auf die Akte verwiesen.

18

Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die geänderten Anspruchsfassung zulässig und die Gegenstände der geltenden Ansprüche im Lichte des Standes der Technik neu seien und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten.

19

Im Prüfungsverfahren wurden als Stand der Technik die folgenden Druckschriften genannt:

20

D1 US 6 446 017 B1,

21

D2 US 2005 / 0 001 306 A1,

22

D3 US 5 185 717 A,

23

D4 EP 1 341 214 A1,

24

D5 DE 10 2004 009 629 A1.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

26

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Erteilung des nachgesuchten Patents.

27

1. Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur fälschungssicheren Identifikation individueller elektronischer Baugruppen (vgl. geltende Beschreibung, Seite 1, erster Abs.).

28

Die Anmeldung geht davon aus, dass es neben der typspezifischen Identifikation von elektronischen Baugruppen immer mehr Anwendungen gebe, in denen eine individuelle Identifikation von elektronischen Baugruppen erwünscht sei. Die Identifikation der individuellen elektronischen Baugruppe werde über Identifikationsdaten realisiert, die entweder in speziellen Registerbausteinen oder in schreibgeschützten Speicherbereichen von Standardspeichern abgelegt seien. In der von der Anmelderin beispielgebend genannten DE 195 23 654 A1 werde die individuelle Identifikation eines Transponders in einem als Registerspeicher realisierten Kennungsgeber abgespeichert. Durch einfaches Beschreiben der Speicherzellen des Kennungsgebers mit einer veränderten Identifikation oder durch Austausch des Kennungsgebers mit einem identischen Kennungsgeber, in dem eine veränderte Identifikation abgespeichert sei, könne die individuelle Identifikation der elektronischen Baugruppe vergleichsweise einfach manipuliert werden. Eine fälschungssichere Identifikation der individuellen elektronischen Baugruppe sei damit nicht gewährleistet (vgl. geltende Beschreibung S. 1, zweiter Absatz bis Seite 2, erster Abs.).

29

Die Anmeldung nennt als Aufgabe, ein Verfahren zur Identifikation individueller elektronischer Baugruppen zu schaffen, bei der die Identifikation der individuellen elektronischen Baugruppe fälschungssicher über die Lebensdauer der individuellen elektronischen Baugruppe erhalten bleibt (vgl. geltende Beschreibung S. 2, zweiter Abs.).

30

Der zuständige Fachmann weist eine abgeschlossene Hochschulausbildung der Elektrotechnik auf und verfügt über mehrjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Identifikation individueller elektronischer Baugruppen oder Bauelemente sowie auf dem Gebiet der flüchtigen dynamischen Speicher (DRAM).

31

Die Aufgabe soll durch ein Verfahren zur fälschungssicheren Identifikation individueller elektronischer Baugruppen nach Patentanspruch 1 gelöst werden.

32

Die individuellen elektronischen Baugruppen weisen nach Anspruch 1 einen flüchtigen Halbleiterspeicher auf (vgl. Merkmal M1). Zur Identifikation der Baugruppen werden die resultierenden Zustandsänderungen bestimmter Speicherzellen des Speichers bestimmt, die aus einem gezielten Ausfall einer oder mehrerer Hilfsfunktionen des Speichers resultieren, wobei der Ausfall gezielt für eine bestimmte Dauer erfolgt. Bei den Hilfsfunktionen handelt es sich beispielsweise um ein kurzzeitiges Ausschalten der Versorgungsspannung, ein kurzzeitiges Entfernen des Taktsignals oder ein kurzzeitiges Aussetzen der Auffrischzyklen des flüchtigen Speichers. Die Größenordnung der Dauer des gezielten Abschaltens erschließt sich dem Fachmann dabei aus den beispielgebend als Hilfsfunktion genannten Auffrischzyklen des betrachteten flüchtigen Halbleiterspeichers, die im Normalbetrieb eines flüchtigen Halbleiterspeichers den vorliegend betrachteten Zustandsänderungen im Speicher entgegenwirken (Merkmal M2a). Die resultierenden Änderungen werden mit vorab ermittelten, aus dem gezielten Ausfall der Hilfsfunktion resultierenden speichercharakteristischen Referenz-Zustandsänderungen bestimmter Speicherzellen hinsichtlich Identität, also im Hinblick auf ein Übereinstimmen verglichen (Merkmal M2b). Wegen des späteren Vergleichs der Zustandsänderungen mit speichercharakteristischen Referenz-Zustandsänderungen zur Identifizierung der Baugruppe liest der Fachmann mit, dass eine dauerhafte Speicherung der speichercharakteristischen Referenzwerte erfolgt ist.

33

Um die Baugruppe zu identifizieren, soll die Anzahl der Änderungen einen bestimmten oberen Grenzwert nicht überschreiten. Sie wird identifiziert, wenn dabei eine zumindest teilweise Übereinstimmung der Zustandsänderungen mit den vorab ermittelten speichercharakteristischen Referenz-Zustandsänderungen vorliegt (Merkmal M3). Die Baugruppe wird dagegen als nicht identifiziert angesehen, wenn die Anzahl ermittelter Zustandsänderungen einen bestimmten unteren Grenzwert überschreitet und die Übereinstimmungen mit den vorab ermittelten speichercharakteristischen Referenz-Zustandsänderungen kleiner als eine bestimmte Teilmenge sind (Merkmal M4).

34

Die oberen und unteren Grenzwerte bilden hierbei Randbedingungen, die eine ausreichende Anzahl von Zustandsänderungen zum Vergleich mit den speichercharakteristischen Referenz-Zustandsänderungen sicherstellen sollen und beispielsweise eine Anpassung der Ausfallzeit ermöglichen (vgl. Ansprüche 2 und 3). Der zur Identifikation vorausgesetzte Teilbereich der Übereinstimmung kann beispielsweise durch eine statistische Auswertung der auftretenden Zustandsänderungen bestimmt werden (vgl. Ansprüche 4 und 5). Die Referenz-Zustandsänderungen sollen jeweils in vergleichbarer Weise bestimmt werden (vgl. Ansprüche 6 und 7), wozu die Ansprüche 8 bis 11 weitere Ausgestaltungen beinhalten. Die Ansprüche 12 bis 16 sehen als ergänzende Sicherheitsmaßnahme eine verschlüsselte Speicherung der vorab ermittelten Referenz-Zustandsänderungen vor.

35

2. Die Patentansprüche 1 bis 16 sowie die Beschreibungsunterlagen mitsamt Figuren sind zulässig (§ 38 PatG).

36

Die Änderungen in den Ansprüchen 1 bis 16 gegenüber den Anmeldeunterlagen liegen im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung.

37

Der Patentanspruch 1 basiert auf den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 4 bis 7 sowie der Beschreibung der physikalischen Gegebenheiten, die der Erfindung gemäß den Seiten 2 bis 3 (seitenüberbrückender Absatz) der Anmeldeunterlagen zugrunde liegen. Die Patentansprüche 2 bis 16 stimmen inhaltlich mit den ursprünglichen Patentansprüchen 8 bis 22 überein und wurden in ihrer Nummerierung und ihren Rückbezügen angepasst.

38

Die Beschreibungseinleitung wurde an die geltenden Patentansprüche angepasst und eine Würdigung des Standes der Technik ergänzt. Die Figuren 1 bis 3 entsprechen inhaltlich den zum Anmeldetag eingereichten Figuren.

39

3. Der Gegenstand des unabhängigen Patentanspruchs 1 ist gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu (§ 3 PatG).

40

Druckschrift D2 befasst sich mit dem Identifizieren individueller elektronischer Baugruppen („peripheral circuit 16b“, vgl. Abs. [0037] i. V. m. Fig. 3), wobei der zugehörige Speicher ein flüchtiger DRAM-Speicher sein kann (vgl. Abs. [0073] / Merkmal M1). Als Identifizierungsinformation wird die unterschiedliche Zeitdauer ermittelt, welche einzelne Speicherbausteine (bspw. „DRAM chips“) zum Ausführen einer vorbestimmten Operation benötigen, bspw. durch das Umladen einer für den jeweiligen Baustein spezifischen parasitären Kapazität (vgl. Fig. 8 und Abs. [0065] i. V. m. [0062]). Hierzu wird die Zeitdauer der Zustandsänderung nach dem Einschalten der Spannungsversorgung ermittelt, wobei ein vorheriges Ausschalten der Spannungsversorgung im Sinne des Ausfalls einer Hilfsfunktion des Speichers nicht explizit genannt ist (vgl. Fig. 7 und Abs. [0053], [0054]) / teilweise Merkmal M2a). Dabei wird die mittels eines Zählers bestimmte Zeitdauer mit einem vorher beim Laden der parasitären Kapazität mittels eines Oszillators bestimmten Zählerstand verglichen (vgl. Fig. 8 und Abs. [0060]-[0062] / teilweise Merkmal M2b).

41

Druckschrift D2 unterscheidet sich vom Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 darin, dass die Zustandsänderung nicht durch den gezielten Ausfall einer Hilfsfunktion ausgelöst wird (vgl. Merkmale M2a, M2b), und insbesondere, dass nicht die Zustandsänderungen selbst zur Identifikation herangezogen werden, sondern eine Zeitmessung zum Charakterisieren der Zustandsänderung erfolgt (vgl. Merkmale M3, M4).

42

Druckschrift D4 ist ein Verfahren zur Identifikation individueller elektronischer Bauelemente oder Baugruppen („semiconductor integrated circuit device“) zu entnehmen (vgl. Abs. [0009], [0333] Punkt (1), Anspruch 1), welche dynamischen Speicher aufweisen (vgl. Abs. [0344] / Merkmal M1). Dabei wird unter anderem vorgeschlagen, die Haltezeiten mehrerer Speicherzellen eines dynamischen Speichers zu ermitteln und zur Identifikation des Bauelements zu verwenden (vgl. Abs. [0344]), wobei der Fachmann als Voraussetzung zum Ermitteln von Haltezeiten das gezielte Ausschalten einer oder mehrere Hilfsfunktionen des Speichers mitliest (Merkmal M2a). Zur Auswertung der mit der Haltezeit beschriebenen Zustandsänderungen und dem Identifizieren des Speichers sind Druckschrift D4 keine weiteren Angaben zu entnehmen.

43

Druckschrift D4 unterscheidet sich somit vom Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 insbesondere darin, dass weder speichercharakteristische Referenz-Zustandsänderungen vorgesehen sind (vgl. Merkmal M2b) noch eine Identifizierung anhand einer Auswertung der Zustandsänderungen der Speicherzellen selbst entnehmbar ist (vgl. Merkmale M3, M4).

44

Die Druckschriften D1, D3 und D5 sind zur Beurteilung der Patentfähigkeit des Patentanspruchs 1 nicht relevant.

45

Druckschrift D1 betrifft das Bereitstellen einer Datenbank zum Identifizieren von individuellen integrierten Schaltkreisen innerhalb eines Fertigungsprozesses, wozu Identifizierungsdaten in einem nicht-flüchtigen Teil des Schaltkreises gespeichert werden. Eine Auswertung charakteristischer Eigenschaften von Speicherzellen eines flüchtigen Speichers zur Identifizierung des integrierten Schaltkreises ist dagegen nicht entnehmbar.

46

Druckschrift D3 betrifft ein fälschungssicheres Speichermodul. Druckschrift D3 befasst sich nicht mit speicherspezifischen Zustandsänderungen beim (gezielten) Ausfall von Hilfsfunktionen des Speichers.

47

Druckschrift D5 betrifft weder die Identifikation einer Baugruppe noch eines flüchtigen Halbleiterspeichers, sondern Maßnahmen zur Verbesserung der technischen Eigenschaften bestimmter Arten von flüchtigen Speichern.

48

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher neu gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik.

49

4. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik auch auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG).

50

Keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften sieht vor, eine elektronische Baugruppe durch Vergleich von Zustandsänderungen mit Referenz-Zustandsänderungen zu identifizieren und dann als identifiziert anzusehen, wenn die Anzahl ermittelter Zustandsänderungen von bestimmten Speicherzellen des Speichers der individuellen elektronischen Baugruppe einen bestimmten oberen Grenzwert nicht überschreitet und eine zumindest teilweise Übereinstimmung der Zustandsänderungen mit den vorab ermittelten speichercharakteristischen Referenz-Zustandsänderungen vorliegt (vgl. Merkmal M3) bzw. sie als nicht identifiziert zu betrachten, wenn die Anzahl ermittelter Zustandsänderungen von bestimmten Speicherzellen des Speichers der individuellen elektronischen Baugruppe einen bestimmten unteren Grenzwert überschreitet und kleiner als eine bestimmte Teilmenge der vorab ermittelten speichercharakteristischen Referenz-Zustandsänderungen ist (vgl. Merkmal M4).

51

Zwar sieht auch Druckschrift D2 ein Identifizieren anhand von Zustandsänderungen des Speichers vor, wobei mit der Ladedauer für das Erreichen einer bestimmten Spannung eine speichercharakteristische Referenzgröße bestimmt wird. Zur Identifikation erfolgt jedoch kein Vergleich der Zustandsänderungen der einzelnen Speicherzellen unter Berücksichtigung der Gesamtzahl der Zustandsänderungen gemäß den Merkmalen M3 und M4, sondern eine Zeitmessung. Aufgrund dieser in grundlegenden Schritten abweichenden Vorgehensweise gibt Druckschrift D2 dem Fachmann keine Hinweise, mit denen er – auch unter Einbeziehung seines Fachwissens – zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen würde.

52

Die Betrachtung der Haltedauer von Speicherzellen zum Identifizieren des Speichers gemäß Druckschrift D4 weist den Fachmann ebenfalls in Richtung einer Zeitbestimmung zur Charakterisierung des Speichers und liefert keinen Hinweis darauf, die in einer vorgegebenen Zeit auftretenden Zustandsänderungen der einzelnen Speicherzellen unter Berücksichtigung der Gesamtzahl der Zustandsänderungen gemäß den Merkmalen M3 und M4 zur Identifikation zu verwenden.

53

Daher erhält der Fachmann auch aus einer Zusammenschau der Druckschriften D2 und D4 keinen Hinweis auf eine Identifizierung von Baugruppen anhand von Zustandsänderungen des Speichers entsprechend den Merkmalen M3 und M4. Eine gemeinsame Betrachtung mit den weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften führt aufgrund des dort jeweils fehlenden Bezugs zur Identifizierung oder zu Zustandsänderungen von flüchtigen Speichern zu keinem anderen Ergebnis.

54

Es ist daher anzuerkennen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und patentfähig ist.

55

5. Gleichfalls patentfähig sind die über das Selbstverständliche hinausgehenden Ausführungsformen gemäß den Ansprüchen 2 bis 16, die auf Anspruch 1 rückbezogen sind.

56

6. Da die vorgelegten geltenden Unterlagen auch den weiteren Voraussetzungen zur Patenterteilung (§§ 1, 2, 5, 34 PatG) genügen, war auf die Beschwerde des Anmelders der Zurückweisungsbeschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts aufzuheben und ein Patent gemäß Hauptantrag zu erteilen.

III.

57

Dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach § 80 Abs. 3 PatG war nicht zu folgen.

58

Nach dieser Vorschrift kann die Rückzahlung der Beschwerdegebühr angeordnet werden, wenn dies der Billigkeit entspricht. Dies kommt insbesondere bei Verfahrensfehlern oder unsachgemäßer Sachbehandlung durch das Deutsche Patent- und Markenamt in Betracht, wenn sie für die Erhebung der Beschwerde ursächlich sind (vgl. Schulte/Püschel, PatG, 10. Aufl., § 80 Rn. 113 ff. und § 73 Rn. 134 ff.; Busse/Engels, PatG, 8. Aufl., § 80 Rn 92 ff.). Eine sachliche Fehlbeurteilung allein, sei es hinsichtlich der Würdigung des Standes der Technik oder der Beurteilung der Ausführbarkeit der Erfindung, stellt dagegen keinen Billigkeitsgrund zur Rückzahlung der Beschwerdegebühr dar (vgl. auch Busse/Engels, a. a. O., § 80 Rn. 127; Schulte/Püschl, a. a. O., § 73 Rn. 140).

59

Entgegen der Auffassung der Anmelderin stellt die Nichtdurchführung einer nochmaligen Anhörung durch die Prüfungsstelle im vorliegenden Verfahren keinen die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigenden Verfahrensmangel dar. Eine erneute Anhörung ist nur dann geboten, wenn diese aufgrund einer geänderten Verfahrenslage sachdienlich erscheint (vgl. Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl., § 46 Rn. 12, 13, 15; Busse/Engels, a. a. O., § 80 Rn. 104; Benkard/Schäfers, PatG, 11. Auflage, § 46 Rn. 8, 8a, 8b). Dies war hier nicht der Fall. Die Durchführung einer weiteren, zweiten Anhörung sieht der Senat auch im Hinblick auf die ab 1. April 2014 geltende Fassung des § 46 PatG als nicht sachdienlich an, weil sich die Verfahrenslage nicht geändert hat.

60

Im Prüfungsverfahren führte die Prüfungsstelle in den Bescheiden vom 20. Dezember 2012 und 26. Februar 2015 aus, dass und warum sie die Anmeldung, insbesondere im Hinblick auf einen gezielten Ausfall von Hilfsfunktionen des flüchtigen Speichers, nicht für so ausreichend klar und deutlich offenbart ansah, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Die Frage der Ausführbarkeit der Erfindung war ausweislich der Niederschrift hinsichtlich des damaligen Hilfsantrags 1 Gegenstand der Anhörung vom 25. Februar 2015. Die Ausführbarkeit des Anmeldungsgegenstandes war im Anschluss an die Anhörung Gegenstand des Prüfungsbescheids vom 3. März 2015 und den Schriftsätzen der Anmelderin vom 5. März 2015 und 6. Juli 2015. Die Anmelderin hat im Schriftsatz vom 6. Juli 2015 die Anberaumung einer weiteren Anhörung beantragt.

61

Die Prüfungsstelle hat im Prüfungsbescheid vom 3. März 2015 die mangelnde Ausführbarkeit nicht nur in Bezug auf die beispielgebend für eine der als Alternativen beanspruchten Hilfsfunktionen genannte und erstmalig mit dem genannten Prüfungsbescheid in das Verfahren eingeführte Druckschrift D5 beanstandet, sondern stellte vielmehr, wie auch in den vorausgegangenen Prüfungsbescheiden, allgemein auf den gezielten Ausfall einer oder mehrerer dieser Hilfsfunktionen ab. Es ergab sich somit keine neue Sachlage, aufgrund derer die Durchführung einer weiteren Anhörung sachdienlich gewesen wäre. Die im Zurückweisungsbeschluss begründete Ablehnung der Durchführung dieser zweiten Anhörung ist daher nicht zu beanstanden.

62

Da die mangelnde Ausführbarkeit bereits in den Prüfungsbescheiden hinsichtlich aller beanspruchten alternativen Hilfsfunktionen festgestellt und im Beschluss entsprechend wiederholt wurde, enthält dieser keine neue Argumentation zur Ausführbarkeit der Erfindung, die eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellen würde.

63

Auch mangelt es damit nicht an einer Begründung hinsichtlich des Hilfsantrags 2, der den Anspruchsgegenstand auf nur eine der alternativen Hilfsfunktionen einschränkt.

64

Die Prüfungsstelle hat außerdem den Antrag auf Inaugenscheinnahme abgelehnt und ebenfalls inhaltlich begründet (vgl. Zurückweisungsbeschluss, Abschnitt IV.). Ein Begründungsmangel liegt im Zurückweisungsbeschluss somit ebenfalls nicht vor.

65

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs oder ein Begründungsmangel des angefochtenen Beschlusses, welche die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigen könnten, ist daher vorliegend nicht erkennbar (vgl. Busse/Engels, a. a. O., § 80 Rn. 97, 98, 100).