Entscheidungsdatum: 28.02.2012
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 103 56 478.0-53
…
hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 28. Februar 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Fritsch, der Richterin Eder sowie der Richter Dipl.-Ing. Baumgardt und Dipl.-Phys. Dr. Forkel
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.
I.
Die vorliegende Patentanmeldung, welche eine japanische Priorität vom 4. Dezember 2002 in Anspruch nimmt, wurde am 3. Dezember 2003 in englischer Sprache beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Sie trägt in der deutschen Übersetzung die Bezeichnung:
„Anpassungswerterzeugungsvorrichtung, Anpassungsprozedursteuerprogramm und Anpassungswerterzeugungsprogramm“.
Die Anmeldung wurde von der Prüfungsstelle für Klasse G06F des Deutschen Patent- und Markenamtes mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Lehre des Patentanspruchs 1 unter das Patentierungsverbot des § 1 PatG falle, weil sie eine mathematische Methode als solche bzw. ein Verfahren für gedankliche Tätigkeiten als solche darstelle und daher dem Patentschutz nicht zugänglich sei.
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet.
Die Anmelderin stellt den Antrag,
den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte
Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche 1 – 17,
überreicht in der mündlichen Verhandlung,
noch anzupassende Beschreibung Seiten 1 – 4, 6 – 9
vom 21. Dezember 2007,
Seiten 5, 10 – 31 und
13 Blatt Zeichnungen mit 13 Figuren,
jeweils vom 25. Februar 2004.
Ferner regt die Anmelderin die Rückzahlung der Beschwerdegebühr an.
Im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt ist die Druckschrift
D1 DE 197 45 682 A1
genannt worden. Vom Senat wurde zusätzlich die Druckschrift
D2 US 6 249 712 B1
eingeführt.
Zu den Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.
Der geltende Patentanspruch 1, hier mit einer möglichen geänderten Gliederung versehen, lautet:
„Anpassungswerterzeugungssystem zur Erzeugung eines Anpassungswerts zum Steuern eines Objekts (3) unter einer vorbestimmten Steuerbedingung mit:
(A) einer Messvorrichtung (2) zum Erhalten von Messdaten durch Messen eines Zustands des Objekts (3) unter vorbestimmten Betriebsbedingungen des Objekts, die die vorbestimmte Steuerbedingung enthalten,
(B) einer statistischen Verarbeitungsvorrichtung (10) zum Ausführen eines statistischen Prozesses, wenn ein Satz eines Eingangswerts und eines Ausgangswerts und eine zumindest einen Parameter umfassende Funktion bezeichnet werden, wodurch ein Wert des Parameters derart bestimmt wird, dass ein dem Eingangswert entsprechender Berechnungswert der Funktion dem Ausgangswert nahe kommt, und ein Näherungsausdruck erzeugt wird,
(C) einer Anpassungsvorrichtung (1) zum Bestimmen einer Näherungsfunktion zum Schätzen des Zustands des Objekts (3),
(D) einer Darstellungsvorrichtung (15) zum Darstellen von Informationen für einen Benutzer, wodurch eine Eingabe abgefragt wird,
(E) wobei die Anpassungsvorrichtung (10) eingerichtet ist, die Darstellungsvorrichtung (15) zum Darstellen der Informationen beruhend auf den Messdaten zu veranlassen, die dem Benutzer helfen, die Näherungsfunktion zu bezeichnen, und
(F) einer Eingabevorrichtung (14) zum Empfangen der Eingabe von dem Benutzer und Ausgeben eines Ausgangssignals gemäß der Eingabe von dem Benutzer zu der Anpassungsvorrichtung,
(G) wobei die Anpassungsvorrichtung zum Veranlassen der statistischen Verarbeitungsvorrichtung (10) zur Erzeugung eines vorübergehenden Näherungsausdrucks auf der Grundlage des Ausgangssignals, Ausgeben von die bestimmte Näherungsfunktion bezeichnenden Informationen zu der statistischen Verarbeitungsvorrichtung (10), und Ausgeben einer Vielzahl von Sätzen eines Messwerts als Ausgangswert und einer Steuerbedingung als Eingangswert zu der statistischen Verarbeitungsvorrichtung (10) eingerichtet ist, wobei der Messwert Messdaten darstellt, die durch die Messvorrichtung unter der entsprechenden Steuerbedingung des Objekts gemessen werden,
(H) wobei die statistische Verarbeitungsvorrichtung (10) zum Erfassen und Ausgeben anormaler Daten durch Vergleichen des Berechnungswerts unter Verwendung des vorübergehenden Näherungsausdrucks mit dem Messwert für jeden der Sätze eingerichtet ist, und
(I) die Anpassungsvorrichtung (10) zum Veranlassen der Messvorrichtung (2) zum Erhalten neuer Messdaten unter der den anormalen Daten entsprechenden Steuerbedingung, wenn die anormalen Daten von der statistischen Verarbeitungsvorrichtung (10) erhalten werden,
(J) Veranlassen der statistische Verarbeitungsvorrichtung (10) zum Erzeugen eines endgültigen Näherungsausdrucks durch Ersetzen der den anormalen Daten entsprechenden Messdaten durch die neuen Messdaten,
(K) Bewerten einer Genauigkeit des endgültigen Näherungsausdrucks durch Bestimmen, ob Fehler zwischen den Berechnungswerten und den Messwerten der Sätze innerhalb eines vorbestimmten Bereichs liegen, wenn der endgültige Näherungsausdruck von der statistischen Verarbeitungsvorrichtung empfangen wird, und
(L) Erzeugen des Anpassungswerts unter Verwendung des endgültigen Näherungsausdrucks, wenn bestimmt wird, dass die Fehler sich in dem vorbestimmten Bereich befinden, eingerichtet ist,
(M) und wenn bestimmt wird, dass sich die Fehler nicht in dem vorbestimmten Bereich befinden, die Anpassungsvorrichtung zum Wiederholen der vorstehenden Operationen bezüglich weiterer Messdaten, die neue, hinzugefügte Messdaten enthalten, eingerichtet ist, bis der Anpassungswert erzeugt ist.“
Zum nebengeordneten Patentanspruch 8 und zu den Unteransprüchen 2 bis 7 sowie 9 bis 17 wird auf die Akte verwiesen.
Der Anmeldung soll laut Beschreibung die Aufgabe zugrunde liegen, eine Anpassungswerterzeugungsvorrichtung, ein Anpassungsprozedursteuerprogramm und ein Anpassungswerterzeugungsprogramm bereitzustellen, die zum automatischen oder halbautomatischen Ausführen einer Folge von Prozessen in der Lage sind (siehe Offenlegungsschrift, Absatz [0007]).
Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2012 führte der Senat aus, dass die mit der Beschwerdebegründung eingereichte Fassung des Patentanspruchs 1 nicht patentfähig sein dürfte, da die beanspruchte Lehre mit Rücksicht auf den aus den Druckschriften D1 und D2 bekannten Stand der Technik nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
Die Anmelderin trägt zu den in der mündlichen Verhandlung überreichten neuen Patentansprüchen 1 – 17 vor, dass mit dem beanspruchten Anpassungswerterzeugungssystem in kurzer Zeit ein relativ präzises Näherungsmodell in Form einer mathematischen Funktion erhalten werden könne. Die Näherungsfunktion werde ermittelt und hinsichtlich ihrer Güte bewertet, wobei anormale (Mess-)Daten ausgeschlossen würden. Eine solcher Ausschluss anormaler Daten sei aber weder in der D1 noch in der D2 offenbart. Weiterhin seien im aufgezeigten Stand der Technik für die Bestimmung von Modellen keine Fehlerbereiche vorgesehen, welche als Güte- bzw. Abdruckkriterium für iterative Näherungsverfahren in Frage kämen. Die D1 und D2 gäben auch keinerlei Anregung für die in Merkmal (M) enthaltene Anweisung, einer bereits vorhandenen Menge von Messwerten neue Messdaten hinzuzufügen, falls zur Bestimmung des Anpassungswerts ein neuer Rechenzyklus erforderlich werde.
Der Gegenstand nach dem Patentanspruch 1 sei damit nicht nur neu sondern beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit.
II.
Die Beschwerde wurde rechtzeitig eingelegt und ist auch sonst zulässig. Sie hat jedoch keinen Erfolg, weil der Gegenstand des Patentanspruchs 1 bei Berücksichtigung nur derjenigen Anweisungen, die die Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen (BGH GRUR 2011, 125 – Wiedergabe topografischer Informationen), nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (§ 4 Satz 1 PatG).
1. Die vorliegende Patentanmeldung betrifft gemäß ihrem Titel eine Anpassungswerterzeugungsvorrichtung, ein Anpassungsprozedursteuerprogramm und ein Anpassungswerterzeugungsprogramm.
Laut Beschreibung handelt es sich beim Gegenstand der Anmeldung im Wesentlichen um ein System bzw. Verfahren zur Ermittlung optimaler Betriebsbedingungen für ein zu steuerndes Objekt, wobei dessen Hauptanwendung insbesondere im Bereich moderner Steuerungssysteme für Antriebseinheiten, z. B. für Brennkraftmaschinen liegt, wo motorspezifische Kenngrößen verwendet werden, die in einem Speicher des Motorsteuergeräts als Kennlinien, Kennfelder oder Tabellen abhängig von messbaren Betriebsgrößen der Antriebseinheit abgelegt sind. Die Kennfelder für die optimalen Werte sind dabei abhängig von den verschiedenen Betriebsbedingungen (z. B. Motordrehzahl) und bilden die Grundlage für die Bestimmung eines Steuerausmaßes bzw. Steuerumfanges. Um den Betrieb eines Motors innerhalb eines definierten Steuerumfanges überhaupt beschreiben zu können, werden in der Regel Modelle herangezogen, welche die Beziehung zwischen Steuerbedingung und Steuerumfang herstellen. Die Modelle sind dabei durch mathematische Funktionen gegeben, welche Parameter beinhalten. Die optimierte Bestimmung von Anpassungswerten, d. h. die optimale Anpassung der Modellparameter an die tatsächlichen Betriebsbedingungen führt zu einer einfachen Bestimmung der relevanten Kenngrößen. Die Optimierung beruht im Wesentlichen auf der Auswahl eines Modells, dem Ausführen einer Messung der Betriebsbedingungen, dem Berechnen der Modellparameter mit Hilfe der Messwerte und dem Berechnen eines optimierten Anpassungswerts unter Verwendung des Modells.
Die Anmeldung greift das Problem auf, dass die zuletzt genannten Schritte bislang nicht automatisiert und durchgängig durchgeführt werden können. Dabei erweisen sich gerade die manuelle Eingabe von Daten in die bekannten allgemeinen Berechnungsprogramme sowie die Auswahl eines geeigneten Modells in der Regel als sehr zeitaufwändig.
Zur Verbesserung dieser Situation wird von der Anmeldung ein Anpassungswerterzeugungssystem zur Erzeugung eines Anpassungswerts zum Steuern eines Objekts vorgeschlagen, welches über eine Messvorrichtung zum Erhalten von Messdaten, eine statistische Verarbeitungsvorrichtung zum Ausführen eines statistischen Prozesses (laut Beschreibung offenbar eine CPU mit statistischem Verarbeitungsprogramm – siehe Offenlegungsschrift Fig. 1 CPU (10)) sowie eine Anpassungsvorrichtung zum Bestimmen einer Näherungsfunktion (laut Beschreibung ein herkömmlicher Computer – siehe Offenlegungsschrift Fig. 1 Computer (1)) verfügt. Die Messvorrichtung dient der Datenerfassung unter vorbestimmten Betriebsbedingungen des Objekts, die eine Steuerbedingung enthalten. Damit ist gemeint, dass bei der Messung unterschiedliche Betriebspunkte eines Motors ausgesucht werden, welche z. B. durch vorgegebene Werte der Motordrehzahl, der Füllung oder der Abgaszusammensetzung als Steuerbedingung gekennzeichnet sind. In den Betriebspunkten werden unter solchen Steuerbedingungen relevante Größen wie Drehmoment, Zündwinkel oder Wirkungsgrad gemessen.
Zur Behandlung von anormalen Daten, d. h. von stark abweichenden Messwerten, wird vorgeschlagen, eine vorübergehende Näherungsfunktion anzuwenden, mit deren Hilfe anormale Daten bestimmt und ausgeschlossen werden können. Die anormalen Daten werden durch neue Messwerte ersetzt, welche unter der den anormalen Daten entsprechenden Steuerbedingung aufgenommen worden sind. Mit Hilfe der Anpassungsvorrichtung werden die so korrigierten Messwerte und die Steuerbedingung zusammen mit einer neu ausgewählten Näherungsfunktion (mit zumindest einem Parameter) über ein Anpassungsprozedursteuerprogramm an die statistische Verarbeitungsvorrichtung mit statistischem Verarbeitungsprogramm übergeben. Bei der Näherungsfunktion kann es sich laut Beschreibung beispielsweise um ein Polynom, eine trigonometrische Funktion oder aber um eine Exponentialfunktion handeln (siehe Offenlegungsschrift Absatz [0052]). Das statistische Verarbeitungsprogramm bestimmt die Parameter der Näherungsfunktion z. B. über das Verfahren der kleinsten Quadrate (eher bekannt als „least squares fit“) unter Verwendung der Messwerte und gibt den endgültigen Näherungsausdruck an das Anpassungsprozedursteuerprogramm der Anpassungsvorrichtung zurück. Das Steuerprogramm ermittelt für den gefundenen Näherungsausdruck einen mittleren quadratischen Fehler. Liegt der Fehler in einem vorgegebenen Toleranzbereich, so wird ein Optimierungsverfahren eingeleitet, um einen Anpassungswert bzw. einen optimalen Punkt zu ermitteln. Bei dem optimalen Punkt kann es sich z. B. um eine minimale Kraftstoffeinspritzmenge unter einer bestimmten Betriebsbedingung handeln. Als Optimierungsverfahren kommen laut Beschreibung das Newton-Verfahren oder Gradienten-Verfahren in Betracht (siehe Offenlegungsschrift Absatz [0062]). Schließlich wird der errechnete Anpassungswert anhand von Messdaten noch verifiziert. Liegt der mittlere quadratische Fehler jedoch außerhalb des vorgegebenen Toleranzbereichs, so müssen Datenerfassung, Modellerzeugung bzw. Wahl des Näherungsausdrucks, Optimierungsverfahren und Verifikation so lange wiederholt werden, bis der Fehler innerhalb des gewünschten Bereichs liegt. Nach allem beruht das vorgeschlagene System im Wesentlichen auf einer Messvorrichtung sowie einem herkömmlichen Computer, auf dem u. a. ein Anpassungsprozedursteuerprogramm und ein statistisches Verarbeitungshilfsprogramm ablaufen.
Als Fachmann, der mit der Aufgabe betraut wird, die Ermittlung von Kenngrößen bei modernen Steuerungssystemen zu verbessern, ist zunächst ein Ingenieur mit Hochschul- oder Fachhochschulabschluss anzusehen, der über eine mehrjährige Berufserfahrung auf dem Gebiet der Steuerungstechnik verfügt und der einen Messtechnik-Ingenieur wegen der Erfassung benötigter Messdaten und anschließender Messdatenanalyse hinzuziehen wird.
2. Als Stand der Technik sind die Druckschriften D1 und D2 besonders zu berücksichtigen. Sie zeigen Folgendes:
Die D1 betrifft eine Vorrichtung zur Ermittlung von Kenngrößen, welche Teil eines Modells zur Steuerung einer Antriebseinheit sind (Seite 2 Zeilen 5-17). Durch die automatische Abarbeitung eines vorgegebenen Meßprogramms an einem Prüfstand werden Messdaten für zumindest eine Betriebsgröße der Antriebseinheit für verschiedene Betriebspunkte der Antriebseinheit erfasst (Seite 2 Zeilen 39-42 – Merkmal (A)).
Die Betriebspunkte sind durch vorgegebene Steuerbedingungen gekennzeichnet, nämlich durch vorgegebene Werte der Motordrehzahl, der Füllung (Gemischzusammensetzung) und der Abgaszusammensetzung (Seite 3, Zeilen 1-5). In jedem Betriebspunkt wird der Zündwinkel variiert und das von der Antriebseinheit abgegebene effektive Drehmoment als Betriebsgröße unter einer Steuerbedingung gemessen (Seite 3, Zeilen 6-11). Eine Recheneinheit führt in einem nächsten Schritt ein Optimierungsprogramm zur Ermittlung der Kenngrößen aus. Das Programm führt eine Optimierung der Abweichung der gemessenen und der auf der Basis der Kenngrößen berechneten Werte der Betriebsgröße durch. Hierzu werden ein Satz eines Eingangswerts als Steuerbedingung (Drehzahl, Füllung u. a.), ein Satz eines Ausgangswerts, d. h. eines gemessenen Drehmoments, und ein Modell in Gestalt einer Näherungsfunktion mit noch zu bestimmenden Parametern herangezogen (Seite 3, Zeilen 24-48 - Merkmal (B)).
Die Parameter der Näherungsfunktion werden derart bestimmt, dass die Abweichung zwischen den gemessenen Werten der Betriebsgröße (gemessenes Moment) und den zugehörigen, aus den Steuerbedingungen berechneten Werten minimal wird. Resultat ist eine optimale Anpassung der Modellparameter an die Messwerte und damit die Bestimmung einer Näherungsfunktion, welche den Zustand des zu steuernden Objekts, nämlich der Antriebseinheit, bestmöglich beschreibt (Seite 3, Zeilen 49-55 - Merkmal (C)).
Die Recheneinheit der D1 ist dazu ausgelegt, alle zur Bestimmung der Näherungsfunktion notwendigen Informationen zu erfassen, v. a. aber eine Vielzahl von Messwertsätzen als Ausgangswert (gemessene Momente in einem Betriebspunkt, aber zu verschiedenen Zündwinkeleinstellungen) und eine Steuerbedingung als Eingangswert (Motordrehzahl, Füllung, Abgaszusammensetzung) zu verarbeiten (Seite 3, Zeilen 17-46 - Merkmal (G)).
Die Recheneinheit der D1 führt das Optimierungsverfahren so lange durch, bis ein Gütekriterium erfüllt ist und ein Fehler zwischen Messwerten und berechneten Werten minimal wird (Seite 3, Zeilen 49-51 - Merkmal (K)), d. h. die ermittelte Näherungsfunktion wird dann als hinreichend genau bewertet, wenn die Abweichung zwischen gemessenen und errechneten Werten unterhalb einer festgelegten Fehlergrenze verbleibt.
Die D2 beschreibt ein System zur selbstanpassenden Steuerung einer Rotationsbeschichtung für den Photolackauftrag auf einem Substrat. Bei dem Substrat handelt es sich um einen Halbleiterwafer (Spalte 5, Zeilen 48-65). Die Aufgabe der beschriebenen Steuerung besteht darin, eine Photolackschicht bestimmter Dicke möglichst homogen auf einem Wafer aufzubringen. Um die Vielzahl der am Herstellungsprozess beteiligten Eingangsgrößen und Steuerparameter in geeigneter Weise zu optimieren, werden die an einem Wafer gemessenen Photoschichtdicken verglichen mit entsprechenden Schichtdicken, welche sich nach geeigneten Modellen bzw. Näherungsfunktionen (Polynome) errechnen lassen.
Der Ablauf für die Ermittlung optimaler Eingangsgrößen und Steuerparameter ist gleichbedeutend mit einer Qualitätskontrolle der hergestellten Wafer-Schichtdicken: Liegt die Abweichung zwischen gemessener und errechneter Schichtdicke außerhalb einer Fehlertoleranz, werden die Modellparameter der zugrundeliegenden Näherungsfunktion nach dem „Least squares fit“ neu ermittelt und den Prozessparametern der Steuerung zugrundegelegt (Spalte 9, Zeilen 36-51). Der Satz an Eingangsgrößen („optimum recipe“ als Anpassungswert) wird dann unter Verwendung der neuen Näherungsfunktion so gewählt, dass sich nach der mathematischen Funktion der gewünschte Wert für die Schichtdicke ergibt (Spalte 9, Zeilen 52-54). Diese Eingangsgrößen bilden zusammen mit den Prozessparametern die Grundlage für die Herstellung des nächsten Wafers. Danach werden in einem neuen Zyklus weitere Messdaten für die Schichtdicke des Wafers ermittelt und wieder mit errechneten Werten aus dem jeweils gültigen Modell verglichen. Modellparameter, Steuerparameter und Eingangsgrößen werden so lange iterativ bestimmt und mit neu hinzugefügten Messdaten der Schichtdicken verglichen, bis über eine Folge gemessener Schichtdicken hinweg nur noch geringfügige Abweichungen zwischen den einzelnen Zyklen auftreten und der gesamte Herstellungsprozess als stabil betrachtet werden darf. Nach den Iterationen wird der optimale Satz an Eingangsgrößen als Anpassungswert i. S. d. Anmeldung festgelegt (Spalte 9, Zeilen 55-58 - Merkmale (L) und (M)).
3. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit (§ 4 Satz 1 PatG).
Der geltende Patentanspruch 1 ist seinem Wortlaut nach auf ein „Anpassungswerterzeugungssystem zur Erzeugung eines Anpassungswerts zum Steuern eines Objekts unter einer vorbestimmten Steuerbedingung“ gerichtet.
Wie bereits oben ausgeführt, zeigt die D1 ein technisches System nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1, welches durch die Merkmale (A) bis (C) sowie (G) und (K) beschrieben wird. Das bekannte System verfügt zumindest über eine Messvorrichtung zum Erhalten von Messdaten durch Messen eines Zustands des Objekts unter vorbestimmten Betriebsbedingungen des Objekts (Seite 3, Zeilen 1-5) und über eine statistische Verarbeitungsvorrichtung sowie eine Anpassungsvorrichtung, welche sowohl die Parameter eines Näherungsausdrucks zur Beschreibung von Messdaten bestimmen (Seite 3, Zeilen 24-48) als auch Optimierungsverfahren anwenden (Seite 3, Zeilen 56-62).
Wie dem bereits eingangs genannten zuständigen Fachmann seit langem bekannt ist, kann es bei der Auswertung und Visualisierung von von Prüfständen erzeugten Messdaten vorkommen, dass Fehler einfließen und die Messdaten aufgrund von anormalen Daten nicht mehr vollständig auswertbar sind. In einem solchen Fall ist es immer entscheidend zu prüfen, ob der begründete Verdacht besteht, dass bei der entsprechenden Messung ein Fehler unterlaufen ist. Aus Sicht des Fachmannes wäre es unsinnig, Messwerte in einer Analyse zu verwenden, die sachlich begründet als fehlerhaft verdächtigt werden. Um ein späteres aufwändiges Lokalisieren von Fehlern wegen fehlerhafter Messdaten zu verhindern, bot es sich für den Fachmann daher an, die Messdaten zumindest einer Analysefunktion, die in Form eines „vorübergehenden Näherungsausdruck“ vorliegen kann, zu unterwerfen und anschließend zu korrigieren (Merkmal (H)). Eine Messwiederholung für die anormalen Daten unter denselben Steuerbedingungen am Prüfstand ist dabei einer automatischen (durch Auswerteprogramme erzielten) oder gar manuellen Korrektur immer vorzuziehen (Merkmal (I)). Lediglich die anormalen Daten durch neue Messdaten zu ersetzen, ist hierbei ein geeignetes Mittel, um die zumeist kostenintensiven Messwiederholungen für die gesamten Messwerte zu vermeiden (Merkmal (J)). Dem fachkundig besetzten Senat ist geläufig, dass dieses prinzipielle Vorgehen der Fehlerbetrachtung und des Ausschlusses fehlerhafter Messwerte bei einer Messreihe dem Ingenieur bereits im Studium vermittelt wird.
Die Merkmale (D) bis (F) betreffen den Dialog zwischen Benutzer und Anpassungsvorrichtung bzw. Recheneinheit und hier insbesondere die Darstellung von Informationen zu Messdaten und Mittel zur Auswahl von Näherungsfunktionen durch den Benutzer. Sie gehen nicht über die außertechnischen Vorgänge der Erfassung, Verarbeitung, Speicherung und Übermittlung von Daten hinaus (BGH GRUR 2009, 479 – Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten; BGH GRUR 2011, 610 - Webseitenanzeige). Die Art der Darstellung der Messdaten sowie der Funktionsauswahl lassen keine technische Problemstellung erkennen, weil sich eine solche Darstellung allenfalls an der menschlichen Auffassungsgabe orientiert. Auch die Erzeugung und Übermittlung einer derartigen Darstellung an eine Anzeigeeinrichtung wird nicht etwa durch technische Parameter, sondern durch eine Anforderung des Benutzers ausgelöst, welche über herkömmliche Eingabemittel generiert wird. Die Merkmale (D) bis (F) gehen demnach nicht über den Bereich der Datenverarbeitung als solche hinaus. Durch sie wird keine Anweisung zur Lösung eines technischen (Teil-)Problems gegeben, weswegen diese Merkmale bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen sind (BGH, a. a. O. - Wiedergabe topografischer Informationen, Leitsatz b).
Weiterhin ist in der zusätzlich ermittelten D2 ein System zur Erzeugung eines Anpassungswerts zum Steuern eines Objekts beschrieben, d. h. ein System zur Bestimmung optimaler Eingangsgrößen und Steuerparameter, mit dessen Hilfe Näherungsfunktionen bzw. Modelle zur mathematischen Beschreibung von Messwerten ausgewählt und angepasst werden (Fig. 1; Fig. 2; Spalten 8-10). Im System der D2 werden bei der Steuerung des Objekts – nämlich im Rahmen der Steuerung einer Halbleiterwaferherstellung – Näherungsmodelle in aufeinanderfolgenden Rechen- und Messzyklen angepasst, und die auftretenden Fehler zwischen Berechnungswerten und zugehörigen Messwerten bewertet (Spalte 8, Zeilen 1-40; Spalte 9, Zeilen 25-58 – Merkmale (L) und (M)).
Wenn der Fachmann, der sich insbesondere mit Problemen der Auswertung von Messwerten befasst, die Genauigkeit von deren mathematischer Beschreibung zu verbessern sucht, wird er überall dort nach Lösungen suchen, wo solche Auswertungen zur Anwendung kommen, so z. B. auch auf dem Gebiet der Prozesssteuerungssysteme in der Waferherstellung. Er wird daher auch die in der D2 angebotenen iterativen Modellanpassungen ins Auge fassen, umso mehr, da dort ausdrücklich hervorgehoben wird, dass nicht nur die Anwendung spezieller numerischer Näherungsverfahren sondern auch die Auswahl geeigneter Modelle für die Beschreibung der Messwerte eine Bestimmung optimaler Betriebsbedingungen eines zu steuernden Objekts unterstützt (Spalte 7, Zeilen 47-62).
Aus dieser Druckschrift erhält er somit den entscheidenden Hinweis auf eine Lösung gemäß Patentanspruch 1. Die verbleibenden Detailunterschiede zu den in der D1 und D2 beschriebenen Anpassungswerterzeugungssystemen liegen im Rahmen dessen, was dem Fachmann ohne besondere erfinderische Leistung zuzutrauen ist.
4. Der Einwand der Anmelderin, weder D1 noch D2 gäben einen Hinweis auf die Einrichtung von Fehlerbereichen für die Bestimmung der Näherungsfunktionen bzw. Modelle, vermochte nicht zu überzeugen.
So wird bereits in der D1 ausdrücklich auf ein vorgegebenes Gütekriterium hingewiesen, welches durch einen minimalen Fehler repräsentiert wird (Seite 3, Zeilen 49-51). Weiterhin kommt auch in der D2 die Bedeutung von Fehlerbetrachtungen in der iterativen Bestimmung von Eingangsgrößen und Steuerparametern für die Steuerung eines Objekts, d. h. einer Anlage zur Rotationsbeschichtung von Substraten, zum Ausdruck (Spalte 8, Zeilen 9-11; Spalte 9, Zeilen 55-58).
Die Anmelderin hat ferner eingewendet, die Anreicherung einer Menge von Messdaten mit neuen Messdaten gemäß Merkmal (M) sei aus keiner der genannten Druckschriften bekannt oder nahegelegt. Dem konnte nicht gefolgt werden, da der Prozess der Waferherstellung gemäß D2 auf Stabilität geprüft wird (Spalte 9, Zeilen 55–58), was nichts anderes bedeutet, als dass die gemessenen Schichtdicken mehrerer aufeinanderfolgender Prozesszyklen zueinander in Beziehung gesetzt und ausgewertet werden. In jeder Verfahrensschleife („go to 4 and loop“) werden dabei neue Prozessdaten hinzugenommen (Spalte 9, Zeilen 44-47; Schritt 6).
5. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht nach alledem nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, da seine technischen Merkmale durch den Stand der Technik nahegelegt sind, und seine die Interaktion mit dem Benutzer betreffenden Merkmale das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen können.
Mit dem Patentanspruch 1 fallen zwangsläufig auch die übrigen Patentansprüche, da über einen Antrag nur einheitlich entschieden werden kann.
III.
Bei dieser Sachlage war die Beschwerde der Anmelderin gegen den Zurückweisungsbeschluss der Prüfungsstelle für Klasse G06F des Deutschen Patent- und Markenamtes zurückzuweisen.
IV.
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr entspricht der Billigkeit.
1. Wie der Senat bereits mehrfach ausgeführt hat, stellt schon die Ablehnung eines Antrags auf Anhörung einen Verfahrensfehler dar, wenn rechtfertigende Gründe für die Ablehnung nicht ersichtlich sind.
Im vorliegenden Fall hat sich die Anmelderin mit den von der Prüfungsstelle in dem einzigen Prüfungsbescheid geäußerten Bedenken auseinandergesetzt und hat diese bei der Abfassung neuer Patentansprüche berücksichtigt. Sie durfte so damit rechnen, vor einem Zurückweisungsbeschluss gehört zu werden. Der Auffassung der Prüfungsstelle, durch den genannten Bescheid sei der Anmelderin bereits ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden, so dass eine Anhörung aus Gründen der Verfahrensökonomie nicht als sachdienlich angesehen werde, kann bereits grundsätzlich nicht gefolgt werden.
2. Die Prüfungsstelle hat mit der Begründung des Zurückweisungsbeschlusses zudem eine zusätzliche Verletzung des rechtlichen Gehörs der Anmelderin begangen.
Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs beinhaltet, dass eine Entscheidung nur auf Gründen beruhen darf, zu denen sich der Beteiligte äußern konnte (vgl. auch § 42 Abs. 3 Satz 2 PatG, § 45 Abs. 2 PatG und § 48 Satz 2 PatG). Die Anmelderin konnte sich im vorliegenden Verfahren aber nicht zu allen Gründen, auf denen der Zurückweisungsbeschluss beruht, äußern. Denn in dem dem Beschluss zugrundeliegenden Anspruchssatz wurde in Patentanspruch 1 das Merkmal „einer Messvorrichtung zum Erhalten eines Messwerts durch Messen eines Zustands des Objekts unter der vorbestimmten Steuerbedingung“ aufgenommen, zu dem die Prüfungsstelle erstmalig im Beschluss Stellung genommen hat. Hinzu kommt, dass die in Patentanspruch 1 neu hinzugekommenen Merkmale des ursprünglichen Patentanspruchs 2 im vorangegangenen, einzigen Bescheid lediglich pauschal und erst im Beschluss begründet abgehandelt worden sind.