Entscheidungsdatum: 10.07.2012
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2004 063 388.6-53
…
hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 10. Juli 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Fritsch, der Richterin Eder, des Richters Dipl.-Ing. Baumgardt und des Richters Dipl.-Phys. Dr. Forkel
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
I.
Die vorliegende Patentanmeldung wurde am 23. Dezember 2004 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Sie trägt die Bezeichnung
"Verfahren zur adaptiven Klassifizierung von Werkstücken".
Die Anmeldung wurde von der Prüfungsstelle für Klasse G06F des Deutschen Patent- und Markenamtes mit der Begründung zurückgewiesen, dass die jeweiligen Gegenstände nach dem Patentanspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag vom 19. Juni 2007 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhen.
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet.
Die Anmelderin beantragt,
den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
gemäß Hauptantrag mit
Patentansprüchen 1 - 11 vom Anmeldetag,
Beschreibung, Seite 1 vom Anmeldetag,
Seiten 2, 2a vom 23. Dezember 2005, eingegangen am 2. Januar 2006,
Seiten 3 bis 8 vom Anmeldetag,
Seite 9 vom 13. Januar 2008, eingegangen am 13. Januar 2008,
Seiten 10 bis 16 vom Anmeldetag,
3 Blatt Zeichnungen mit 3 Figuren vom Anmeldetag,
gemäß Hilfsantrag mit
Patentanspruch 1 vom 13. Januar 2008, eingegangen am 13. Januar 2008,
Patentansprüche 2 bis 11 vom Anmeldetag,
im Übrigen wie Hauptantrag.
Im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt sind die Druckschriften
D1 DE 34 31 609 C1,
D2 DE 42 17 007 A1
und
D3 CINAR, A; UNDEY, C.: Statistical process and controller performance monitoring. A tutorial on current methods and future directions. In: Proceedings of the American Control Conference, 1999. ISSN 0743-1619. Piscataway: IEEE, 1999, Vol. 6, S. 2625 - 2639
genannt worden.
Zu den Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.
Der geltende Patentanspruch 1 vom Anmeldetag gemäß Hauptantrag, hier mit einer möglichen Gliederung versehen, lautet:
"Verfahren zur adaptiven Klassifizierung von Werkstücken in zumindest eine Gut-Gruppe und eine Schlecht-Gruppe, die folgenden Schritte umfassend:
(A) Auswahl eines oder mehrerer Gütemerkmale;
(B) Ermitteln einer Vielzahl von Messwerten für die ausgewählten Gütemerkmale an Musterwerkstücken;
(C) Zusammenfassung der ausgewählten Gütemerkmale zu einem Gütemerkmalvektor;
(D) Parametrieren eines Auffälligkeitserkennungsbereichs durch Bestimmen einer oberen und einer unteren Auffälligkeitsgrenze und einer oberen und einer unteren Eingreifgrenze, die innerhalb des durch die obere und untere Auffälligkeitsgrenze eingeschlossenen Bereichs liegen, für jedes Gütemerkmal des Gütemerkmalvektors;
(E) Ermitteln der Messwerte für die ausgewählten Gütemerkmale an den zu prüfenden Werkstücken;
(F) Einordnen der geprüften Werkstücke in die Gut-Gruppe, wenn die im Schritt (E) ermittelten Messwerte für jedes Gütemerkmal innerhalb der Auffälligkeitsgrenzen liegen, und in die Schlecht-Gruppe, wenn die Auffälligkeitsgrenzen überschritten werden;
(G) fortlaufendes Ermitteln einer oder mehrerer Kenngrößen, die für die Bestimmung der oberen und unteren Auffälligkeitsgrenze genutzt wurden, während der Prüfung der Werkstücke;
(H) Adaption des Auffälligkeitserkennungsbereichs, wenn die im Schritt (G) ermittelte Kenngröße nicht mehr zwischen der oberen und unteren Eingreifgrenze liegt, durch erneutes Ausführen des Schritts (D) unter Einbeziehung der fortlaufend ermittelten Kenngrößen;
(I) Fortsetzung der Überprüfung der Werkstücke gemäß den Schritten (E) bis (H) unter Anwendung des adaptierten Auffälligkeitserkennungsbereichs."
Zu den Unteransprüchen 2 bis 11 wird auf die Akte verwiesen.
Der geltende Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag, hier mit einer möglichen Gliederung versehen, lautet (Unterschiede zum Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag unterstrichen):
"Verfahren zur adaptiven Klassifizierung von Werkstücken in zumindest eine Gut-Gruppe und eine Schlecht-Gruppe, die folgenden Schritte umfassend:
(A) Auswahl eines oder mehrerer Gütemerkmale;
(B*) Ermitteln einer Vielzahl von Messwerten für die ausgewählten Gütemerkmale an Musterwerkstücken, von denen eine überwiegende Anzahl der Gut-Gruppe angehört;
(C) Zusammenfassung der ausgewählten Gütemerkmale zu einem Gütemerkmalvektor;
(D*) Parametrieren eines Auffälligkeitserkennungsbereichs durch Bestimmen einer oberen und einer unteren Auffälligkeitsgrenze und einer oberen und einer unteren Eingreifgrenze, die innerhalb des durch die obere und untere Auffälligkeitsgrenze eingeschlossenen Bereichs liegen, für jedes Gütemerkmal des Gütemerkmalvektors anhand einer statistischen Analyse des Gütemerkmalsvektors;
(E) Ermitteln der Messwerte für die ausgewählten Gütemerkmale an den zu prüfenden Werkstücken;
(F) Einordnen der geprüften Werkstücke in die Gut-Gruppe, wenn die im Schritt (E) ermittelten Messwerte für jedes Gütemerkmal innerhalb der Auffälligkeitsgrenzen liegen, und in die Schlecht-Gruppe, wenn die Auffälligkeitsgrenzen überschritten werden;
(G) fortlaufendes Ermitteln einer oder mehrerer Kenngrößen, die für die Bestimmung der oberen und unteren Auffälligkeitsgrenze genutzt wurden, während der Prüfung der Werkstücke;
(H) Adaption des Auffälligkeitserkennungsbereichs, wenn die im Schritt (G) ermittelte Kenngröße nicht mehr zwischen der oberen und unteren Eingreifgrenze liegt, durch erneutes Ausführen des Schritts (D*) unter Einbeziehung der fortlaufend ermittelten Kenngrößen;
(I) Fortsetzung der Überprüfung der Werkstücke gemäß den Schritten (E) bis (H) unter Anwendung des adaptierten Auffälligkeitserkennungsbereichs."
Zu den Unteransprüchen 2 bis 11 wird wieder auf die Akte verwiesen.
Der Anmeldung soll die Aufgabe zugrunde liegen, Werkstücke bei der Prüfung in eine Gut- und eine Schlecht-Gruppe zu klassifizieren, wobei vor Beginn der Prüfung keine Merkmalsgrenzen zur Aussonderung in die Schlecht-Gruppe festgelegt bzw. bekannt sind. Eine Teilaufgabe soll in der automatisierten Adaption der festgelegten Merkmalsgrenzen bei sich ändernden Prozessbedingungen bestehen (siehe Beschwerdebegründung, Seite 5, letzter Absatz - Seite 6, erster Absatz).
Mit Schriftsatz vom 4. Mai 2012 führte der Senat aus, dass der mit der Beschwerdebegründung eingereichte Haupt- und Hilfsantrag nicht gewährbar sein dürften, weil ihre jeweiligen Gegenstände nach Patentanspruch 1 u. a. nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhen würden.
Die Anmelderin vertritt die Auffassung, dass es beim Gegenstand der Anmeldung für eine Reaktion auf sich ändernde Prozessbedingungen gerade nötig sei, im Prozess Werkstücke fortlaufend zu prüfen und die Messwerte für eine Adaption des Auffälligkeitserkennungsbereichs heranzuziehen, also auch auf den eigentlichen Prüfprozess rückzukoppeln. Dies gehe über die reine Erfassung und Sortierung von Daten klar hinaus.
Der beanspruchte Gegenstand sei nicht nur dem Patentschutz grundsätzlich zugänglich, er sei darüber hinaus auch neu und beruhe auf erfinderischer Tätigkeit.
II.
Die Beschwerde wurde rechtzeitig eingelegt und ist auch sonst zulässig. Sie hat jedoch keinen Erfolg, weil die jeweiligen Gegenstände nach Patentanspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag bei Berücksichtigung nur derjenigen Anweisungen, die die Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen (BGH GRUR 2011, 125 – Wiedergabe topografischer Informationen), nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen (§ 4 Satz 1 PatG).
1. Die vorliegende Patentanmeldung betrifft ein Verfahren zur adaptiven Klassifizierung von Werkstücken.
Laut Beschreibung liege die Hauptanwendung des beschriebenen Verfahrens im Bereich der automatisierten Qualitätsprüfung, wobei sich auch atypische Änderungen an geprüften Werkstücken analysieren und bei der Gütebewertung berücksichtigen lassen würden.
Werkstücke oder Bauteile würden in den unterschiedlichsten Bereichen der Technik einer Güteprüfung unterworfen. Das jeweilige Werkstück bzw. Bauteil werde in der Regel bewertet, indem einzelne Gütemerkmale gemessen würden, die dann auch mit computergestützten Analyseverfahren ausgewertet werden könnten. Die angewandten Verfahren würden über die Güte des Werkstücks entscheiden bzw. darüber, ob das Werkstück in eine Gut-Gruppe oder in eine Schlecht-Gruppe eingeordnet werde, d. h. ob das Werkstück fehlerfrei oder fehlerbehaftet sei.
Die Bewertung von ausgewählten und gemessenen Gütemerkmalen erfolge üblicherweise mit Hilfe von Klassifikatoren, d. h. mit Methoden und Kriterien zur Einteilung von Objekten in Klassen.
Die Anmeldung führt im Weiteren aus, die aus dem Stand der Technik bekannten Klassifikationssysteme seien nicht oder nur sehr eingeschränkt in der Lage, zeitliche Veränderungen im Wertebereich ausgewählter Gütemerkmale aufgrund von aus dem Fertigungsprozess resultierenden Einflüssen zu berücksichtigen. Solche Veränderungen könnten z. B. hervorgerufen werden durch Werkzeugverschleiß oder auch durch zeitliche Änderungen von Umgebungsbedingungen (Temperatur, Druck) in einer Fertigungsstrecke. Weiterhin könnten Änderungen von auf die Güte einwirkenden Prozessgrößen auftreten, wie z. B. Materialvorschub und Materialart.
Zur Verbesserung dieser Situation wird im Wesentlichen vorgeschlagen, zu den jeweiligen Gütemerkmalen, welche die zu überprüfenden Werkstücke charakterisieren, Verteilungsdichtefunktionen zu bestimmen, welche durch die jeweiligen Kenngrößen (Mittelwerte, Standardabweichungen) vollständig beschrieben werden können. Bei den Kenngrößen handelt es sich um "gleitende Kenngrößen", die über die Anzahl der zu untersuchenden Werkstücke hinweg mitgeführt und angepasst werden. Sie legen u. a. die Auffälligkeitsgrenzen für die jeweiligen Gütemerkmale dynamisch fest, nach denen ein Werkstück klassifiziert wird.
Als Fachmann, der mit der Aufgabe betraut wird, ein Klassifizierverfahren in einer Prozesssteuerung zu verbessern, sieht der Senat einen Ingenieur mit Fachhochschul- oder Hochschulabschluss an, welcher über eine mehrjährige Berufserfahrung im Bereich der statistischen Prozesslenkung verfügt und fundierte Kenntnisse in der Anwendung von Algorithmen auf dem Gebiet der Qualitätssicherung und Statistik besitzt.
2. Zum Hauptantrag
Dem Hauptantrag konnte nicht gefolgt werden, weil der Gegenstand seines Patentanspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (§ 4 Satz 1 PatG).
2.1 Als Stand der Technik sind die Druckschriften D1 und D3 besonders zu berücksichtigen. Sie zeigen Folgendes:
Die D1 offenbart ein Verfahren zur Qualitätsklassifikation eines auf einem Prüfstand zu prüfenden Produkts. Anhand von einfach messbaren Daten sollen zu prüfende Produkte auf gut oder fehlerhaft sowie hinsichtlich ihrer einzelnen Qualitätsmerkmale unterschieden werden. Dabei sollen die als fehlerhaft klassifizierten Produkte einen Hinweis auf Fehlerart, -ort und ggfs. –größe erhalten. Für diesen Zweck werden m messbare Merkmale des zu prüfenden Produkts aufgenommen, die über verschiedene Funktionen des Produkts beschreibende mathematische Gleichungen mit insgesamt n Parametern in Beziehung stehen (Spalte 3, Zeilen 36-50). Im bekannten Verfahren werden zunächst die Werte der n Parameter von fehlerfreien Produkten einer Klasse von guten Produkten und die Werte der n Parameter der mit vorausbestimmten Fehlern behafteten Produkte einer oder mehreren Klassen von fehlerhaften Produkten zugeordnet. Die n Parameter bilden Sequenzen, die in einem Speicher listenförmig abgespeichert werden (Spalte 3, Zeilen 26-35). In einem weiteren Schritt werden die Werte der n Parameter eines zu klassifizierenden, den Prüfstand durchlaufenden Produkts anhand der m im Prüfstand gemessenen Merkmale unter Verwendung der mathematischen Gleichungen von einem Rechner errechnet. Die sich daraus ergebende Sequenz der das geprüfte Produkt kennzeichnenden Parameterwerte wird dann mit den Sequenzen der abgespeicherten Liste verglichen. Bei Übereinstimmung der errechneten mit einer der abgespeicherten Sequenzen wird das geprüfte Produkt in die der abgespeicherten Sequenz zugeordneten Klasse eingeordnet (Spalte 3, Zeilen 51-66). Kann keine Übereinstimmung der errechneten Sequenz mit irgendeiner der abgespeicherten Sequenzen festgestellt werden, dann wird das geprüfte Produkt ohne Klassenzuordnung als fehlerhaft bewertet (Spalte 3, Zeilen 62-66). Für jeden Parameterwert wird ein Toleranzbereich festgelegt (Spalte 4, Zeilen 5-10).
Die D3 beschreibt zusammengefasst die theoretischen Grundlagen für verschiedene Methoden aus der statistischen Prozesslenkung (Shewhart, CUSUM, EWMA). Sie zeigt insbesondere die Abhängigkeiten der relevanten Kenngrößen sowie deren Bedeutung im Monitoring von Prozessen auf (Seiten 2626-2627 u. a.).
2.2 Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit (§ 4 Satz 1 PatG).
Der geltende Patentanspruch 1 ist auf ein "Verfahren zur adaptiven Klassifizierung von Werkstücken in zumindest eine Gut-Gruppe und eine Schlecht-Gruppe" gerichtet.
Der D1 ist ein vergleichbares Verfahren entnehmbar, mit dem Werkstücke, z. B. Elektromotoren, in eine Gut- und eine Schlecht-Gruppe eingeteilt werden können (Spalte 1, Zeilen 55-58; Spalte 3, Zeilen 36-50; Spalte 3, Zeilen 59-66; Spalte 3, Zeile 67 - Spalte 4, Zeile 4).
Im bekannten Verfahren werden mehrere Gütemerkmale ausgewählt (Spalte 3, Zeilen 26-33 - Merkmal (A)) und zu einem aus diesen Merkmalen bestehenden Tupel zusammengefasst. Der so bestimmte Vektor umfasst n Parameter, die z. B. im Fall eines Elektromotors den Kupferwiderstand, den Eisenwiderstand im Blechpaket, die Wicklungsinduktivitäten oder die Durchflutungen beschreiben. Die n Parameter bilden dabei spezielle Sequenzen, die in einem Speicher hinterlegt werden (Spalte 3, Zeilen 33-35 - Merkmal (C)). Dem Einwand der Anmelderin, die D1 gebe keinerlei Hinweis auf die Bildung eines Gütemerkmalvektors, kann somit nicht gefolgt werden.
Gemäß der D1 werden für die ausgewählten Gütemerkmale zunächst an Musterwerkstücken Messwerte ermittelt. Bei den Musterwerkstücken handelt es sich sowohl um fehlerfreie Elektromotoren als auch um Motoren, die mit vorausbestimmten Fehlern behaftet sind (Spalte 3, Zeilen 26-35 - Merkmal (B)). Die Ermittlung der Messwerte an Musterwerkstücken entspricht einer Anlernphase für die sich anschließende Qualitätsklassifikation der zu prüfenden Motoren.
Außerdem wird für jedes Gütemerkmal des Gütemerkmalvektors ein Auffälligkeitserkennungsbereich mit Auffälligkeitsgrenzen bestimmt. Der Auffälligkeitsbereich ist nach der D1 durch einen Toleranzbereich gegeben, der für jeden einzelnen Parameter festgelegt wird, z. B. auch für die Parameterwerte eines fehlerfreien Motors (Spalte 3, Zeile 67 - Spalte 4, Zeile 10; Spalte 5, Zeilen 11-18 - Teile von Merkmal (D)). Der Toleranzbereich eines Parameters für die Klasse von guten Motoren bezeichnet nichts anderes als seine Abweichung von einem Normzustand, nach dem der Motor noch als fehlerfrei einzustufen ist. Die Anmelderin bemerkt allerdings zu Recht, dass der Toleranzbereich der D1 nicht ausdrücklich in Beziehung zu statistischen Kenngrößen, wie Mittelwerten oder Standardabweichungen, gesetzt und dementsprechend auch berechnet wird.
In der D1 werden weiterhin an den zu prüfenden Elektromotoren für die ausgewählten Gütemerkmale Messwerte ermittelt (Spalte 3, Zeilen 36-50 - Merkmal (E)).
Die geprüften Motoren werden in eine Gut-Gruppe eingeordnet, falls die Messwerte für jedes Gütemerkmal innerhalb der Auffälligkeitsgrenzen liegen (Spalte 3 Zeile 67 - Spalte 4 Zeile 10; Fig. 2). Werden hingegen Auffälligkeitsgrenzen überschritten, so erfolgt die Einordnung in die Schlecht-Gruppe bzw. in eine bestimmte Fehlerklasse (Spalte 4, Zeilen 24-35 - Merkmal (F)).
Im Verfahren der D1 kann der Auffälligkeitserkennungs- bzw. Toleranzbereich angepasst werden (Spalte 5, Zeilen 2-18 - Teile von Merkmal (H)). Die Anpassung erfolgt jedoch nicht auf Basis fortlaufend ermittelter Kenngrößen und auch nicht automatisiert.
Außerdem wird in der D1 noch darauf hingewiesen, dass die Überprüfung der Motoren mit Hilfe des angepassten Auffälligkeitserkennungsbereichs fortgesetzt werden kann (Spalte 5, Zeilen 7-10 - Merkmal (I)).
Ferner ist aus der D3 ein Verfahren zur statistischen Prozessführung bekannt, in dem Auffälligkeitserkennungsbereiche ermittelt werden, welche untere und obere Auffälligkeitsgrenzen sowie untere und obere Eingreifgrenzen beinhalten. Die Eingreifgrenzen liegen hierbei innerhalb des durch die untere und obere Auffälligkeitsgrenze eingeschlossenen Bereichs (Seite 2626, linke Spalte, zweiter Absatz - letzter Absatz; siehe insbesondere Abschnitte "Selection of Control limits" und "Warning limits" - restliche Teile von Merkmal (D)).
Außerdem geht aus der D3 hervor, eine oder mehrere Kenngrößen fortlaufend zu ermitteln, welche für eine Bestimmung der Auffälligkeitsgrenzen genutzt werden. Der Auffälligkeitserkennungsbereich wird unter Einbeziehung der fortlaufend ermittelten Kenngrößen angepasst (Seite 2626, rechte Spalte, vorletzte Zeile - Seite 2627, linke Spalte, dritte Zeile; siehe "The control limits computations are based on averages and values of S …"; Seite 2627, linke Spalte, letzter Absatz - rechte Spalte, dritter Absatz, siehe "The CUSUM can be computed recursively…" - Merkmal (G) + Teile von Merkmal (H)). Dabei treffen die in der D3 getroffenen Aussagen über Auffälligkeitsgrenzen ("Control limits" und "Warning Limits") mit Standardabweichungen und "S-Größen" in ihrer Allgemeinheit ebenso auf die in der D3 angeführte "Moving Average"- und CUSUM-Methode zu, so dass diese Methoden und ihre Merkmale entgegen der Auffassung der Anmelderin nicht notwendigerweise getrennt voneinander zu betrachten und zu bewerten sind, sondern in einem einheitlichen Kontext zueinander stehen.
Zu den routinemäßigen Aufgaben, die sich dem Fachmann stellen, der sich mit Problemen der statistischen Prozesslenkung auseinandersetzt, gehört es, die automatisierte Ermittlung der für den Prozess relevanten Parameter, zu denen auch Kenngrößen wie Mittelwerte von Messwerten und Standardabweichungen zählen, ständig zu überprüfen und zu verbessern. Hiervon ausgehend lag es für den Fachmann nahe, sich überall dort nach Anregungen umzusehen, wo die modellabhängige Ermittlung von statistischen Größen und die Beschreibung von deren Abhängigkeiten zur Anwendung kommen. So konnte der Fachmann auf die D3 stoßen, welche Verfahren für das Monitoring eines statistischen Prozesses lehrt, welche nicht nur die Bewertung des Prozessstatus sondern auch die Steuerung einer Produktqualität unterstützen.
Für den Fachmann bot es sich daher an, das aus der D1 bekannte System zur Qualitätsklassifikation um statistische Methoden nach dem Vorbild der D3 zu erweitern, welche die Sammlung, Analyse und Interpretation von Messwerten bzw. deren Kenngrößen betreffen, damit Abweichungen eines Prozesses vom gewünschten Ablauf nicht nur qualitativ sondern auch quantitativ dynamisch erfasst werden können.
Durch eine Zusammenschau der D1 und D3 ergibt sich somit ein Verfahren zur adaptiven Klassifizierung von Werkstücken in zumindest eine Gut-Gruppe und eine Schlecht-Gruppe mit den Merkmalen (A) bis (G) sowie (I) und Teilen von Merkmal (H), welches insbesondere gemäß D1 Spalte 5 auch bereits eine Anpassung der Klassifikationsgrenzen vorsieht.
Der verbleibende Unterschied zum beanspruchten Gegenstand besteht gemäß Merkmal (H) in der Einführung eines Kriteriums, wonach die Anpassung des Auffälligkeitsbereichs immer dann erfolgt, wenn die im Merkmal (G) ermittelte Kenngröße nicht mehr zwischen der oberen und unteren Eingreifgrenze liegt.
Die Berücksichtigung eines solchen Kriteriums dient allein dem Zweck, statistische signifikante Veränderungen im Prozess zu erfassen, die sich auch in den relevanten Kenngrößen widerspiegeln. Die Bestimmung und Berücksichtigung von Eingreifgrenzen als Schwellenwerte beruht dabei allein auf statistischen Überlegungen. Durch das genannte (Teil-)Merkmal wird keine Anweisung zur Lösung eines technischen (Teil-)Problems gegeben, weswegen dieses Merkmal bei der Prüfung auf erfinderischer Tätigkeit nicht zu berücksichtigen ist (BGH GRUR 2011, 125 - Wiedergabe topografischer Information, Leitsatz b).
2.3 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag beruht nach alledem nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Mit dem Patentanspruch 1 fallen zwangsläufig auch die übrigen Patentansprüche, da über einen Antrag nur einheitlich entschieden werden kann.
3. Zum Hilfsantrag
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag geht in technischer Hinsicht nicht über die Lehre des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag hinaus, so dass auch der Hilfsantrag erfolglos bleiben musste.
3.1 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag unterscheidet sich von Patentanspruch 1 nach Hauptantrag in den Merkmalen (B) und (D), die jetzt lauten:
(B*) "Ermitteln einer Vielzahl von Messwerten für die ausgewählten Gütemerkmale an Musterwerkstücken, von denen eine überwiegende Anzahl der Gut-Gruppe angehört;"
und
(D*) "Parametrieren eines Auffälligkeitserkennungsbereichs durch Bestimmen einer oberen und einer unteren Auffälligkeitsgrenze und einer oberen und einer unteren Eingreifgrenze, die innerhalb des durch die obere und untere Auffälligkeitsgrenze eingeschlossenen Bereichs liegen, für jedes Gütemerkmal des Gütemerkmalvektors anhand einer statistischen Analyse des Gütemerkmalsvektors."
Dass die Musterwerkstücke gemäß Merkmal (B*) vornehmlich der Gut-Gruppe angehören sollen, ist aber eine Maßnahme aus der Statistik, um in Hinblick auf die Stichprobenanalyse geeignete Ausgangswerte für die Kenngrößen der einzelnen Gütemerkmale zu erhalten.
Die statistische Analyse des Gütemerkmalvektors gemäß Merkmal (D*) beinhaltet nichts anderes als die Wahl einer geeigneten Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion sowie die Ermittlung von Mittelwerten und Standardabweichungen.
Die Unterschiede zu den Merkmalen (B) und (D) nach Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag haben allenfalls einen Bezug zur Statistik bzw. Mathematik. Ihnen liegen keine technischen Überlegungen zugrunde, so dass sie bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen sind.
3.2 Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag kann deshalb nicht anders als der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag beurteilt werden, weil der darüber hinaus gehenden Lehre keine Anweisungen zur Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln entnehmbar sind. Mit dem Patentanspruch 1 fallen ebenfalls die Patentansprüche 2 bis 11.
III.
Nachdem keiner der gestellten Anträge Erfolg hatte, war die Beschwerde des Anmelders gegen den Zurückweisungsbeschluss der Prüfungsstelle für Klasse G06F des Deutschen Patent- und Markenamtes zurückzuweisen.