Entscheidungsdatum: 17.11.2011
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2004 055 472.2-53
…
hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 17. November 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Fritsch, der Richterin Eder, des Richters Dipl.-Ing. Baumgardt und des Richters Dipl.-Phys. Dr. Forkel
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
I.
Die vorliegende Patentanmeldung wurde am 17. November 2004 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Sie trägt die Bezeichnung:
"Mittel zur Selektion eines statistischen Auswerteverfahrens für eine empirische Untersuchung".
Die Anmeldung wurde von der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamtes mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Lehre des Patentanspruchs 1 unter das Patentierungsverbot des § 1 PatG falle, weil sie ein Verfahren für eine gedankliche Tätigkeit darstelle und damit nicht-technisch sei.
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet. Sie ist zur mündlichen Verhandlung - wie angekündigt - nicht erschienen.
Die Anmelderin beantragt die Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses und die Zurückverweisung an das Deutsche Patent- und Markenamt mit den folgenden Unterlagen:
- Patentansprüche 1 - 14 sowie 16 vom 24. Oktober 2005, eingegangen am 27. Oktober 2005;
- Patentanspruch 15 vom 3. März 2006, eingegangen am 7. März 2006;
- Beschreibung Seiten 1 - 5 sowie 5a vom 24. Oktober 2005, eingegangen am 27. Oktober 2005;
- Beschreibung Seiten 6 - 14, eingegangen am Anmeldetag;
- 2 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 - 4, eingegangen am Anmeldetag.
Die Anmelderin vertritt die Auffassung, dass das beanspruchte Verfahren zur Selektion eines Auswerteverfahrens aus einer Menge von Auswerteverfahren auf technischem Gebiet liege; es falle somit nicht unter das Patentierungsverbot des § 1 PatG. Das beanspruchte Verfahren könne für eine Auswertung medizintechnischer Messwerte, z. B. von Messwerten, die mit Hilfe eines Computertomographen oder Kernspin-Tomographen erzeugt werden, herangezogen werden und sei schon deswegen als eine Lehre zum technischen Handeln anzusehen.
Dem Verfahren liege auch eine technische Problemstellung zugrunde, nämlich für Messreihen im medizintechnischen Bereich die geeigneten statistischen Auswerteverfahren auszuwählen. Die Anmelderin führt sinngemäß aus, dass der thematische Bezug des beanspruchten Verfahrens zum Gebiet der medizinischen Statistik nicht Grund dafür sein könne, dass das Verfahren nicht dem Bereich der Technik zuzurechnen sei. So stelle das Gebiet der Statistik durchaus auch für viele Steuerungstechniken einen ganz wesentlichen Bereich dar.
Da im Übrigen bei der Nutzung des beanspruchten Verfahrens im medizintechnischen Bereich Messergebnisse aufbereitet würden, sei das Verfahren in Übereinstimmung mit der Entscheidung "Logikverifikation" als Lehre zum technischen Handeln anzusehen (vgl. BGH in GRUR 2000, 498 - Logikverifikation).
Weiterhin weist die Anmelderin auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs "Suche fehlerhafter Zeichenketten" und "Aufzeichnungsträger" hin (vgl. BGH in BIPMZ 2002, 114 - Suche fehlerhafter Zeichenketten; BGH in GRUR 2005, 749 - Aufzeichnungsträger).
Der geltende Patentanspruch 1 vom 24. Oktober 2005, hier mit einer möglichen Gliederung versehen, lautet:
"Verfahren zur Selektion eines Auswerteverfahrens aus einer Menge von Auswerteverfahren,
wobei
das Auswerteverfahren optimal für zwei oder mehrere auszuwertende Messreihen ausgelegt ist, mit folgenden Verfahrensschritten:
a) Erfassen mehrerer messreihen-spezifischer Bestimmungs-Signale, die zur Selektion des geeigneten Auswerteverfahrens herangezogen werden können in einer ersten Phase
b) Selektion des optimal ausgelegten Auswerteverfahrens aus der Menge der Auswerteverfahren durch Zugriff auf einen Zuordnungsmechanismus, der Bestimmungs-Signalen und/ oder einer Kombination von Bestimmungs-Signalen ein für die jeweilige Messreihe optimal ausgelegtes Auswerteverfahren zuordnet in einer zweiten Phase."
Der Anmeldung soll die Aufgabe zugrunde liegen, einen Weg aufzuzeigen, mit dem es möglich ist, ein Auswerteverfahren, insbesondere ein statistisches Auswerteverfahren aus einer Vielzahl von grundsätzlich möglichen Auswerteverfahren für eine vorgegebene Messreihe einer empirischen Untersuchung automatisch oder halbautomatisch auszuführen und mit dem der Auswahlprozess verbessert, insbesondere verkürzt werden und kostenminimiert erfolgen kann (vgl. Beschreibung, Seite 3, 3. Absatz).
Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung hat der Senat darauf hingewiesen, dass das beanspruchte Verfahren bereits aufgrund des Fehlens einer technischen Problemstellung dem Patentierungsausschluss gemäß § 1 Abs. 3 i. V. m. Abs. 4 PatG unterfallen könnte.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.
II.
Die Beschwerde wurde rechtzeitig eingelegt und ist auch sonst zulässig. Sie hat jedoch keinen Erfolg, weil der beanspruchten Lehre keine konkrete technische Problemstellung zugrunde liegt, so dass der Patentierungsausschluss gemäß § 1 Abs. 3 i. V. m. Abs. 4 PatG greift. Die Lehre nach dem Patentanspruch 1 ist als "Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches" vom Patentschutz ausgeschlossen (vgl. BGH in BIPMZ 2010, 326 - Dynamische Dokumentengenerierung; BGH in GRUR 2011, 610 – Webseitenanzeige).
1. Die vorliegende Patentanmeldung betrifft ein Verfahren, eine Vorrichtung und eine Systemanordnung zur Selektion eines Auswerteverfahrens, insbesondere eines statistischen Auswerteverfahrens aus einer Menge von grundsätzlich anwendbaren Auswerteverfahren.
Sie ist im Bereich der deskriptiven bzw. analytischen Statistik innerhalb der Medizintechnik angesiedelt, wo vorliegende empirische Daten in geeigneter Weise beschrieben, aufbereitet sowie zusammengefasst und mittels geeigneter Testmethoden mögliche Zusammenhänge zwischen den Daten gesucht und bewertet werden müssen.
Die Anmeldung greift das Problem auf, dass unterschiedliche empirische Untersuchungen mit unterschiedlichen Messreihen in der Regel auch unterschiedliche Auswerte- bzw. Testverfahren verlangen.
So kann die Anwendung eines nicht geeigneten Auswerte- bzw. Testverfahrens dazu führen, dass aufwändig gewonnene Daten fehlinterpretiert werden, was zu schwerwiegenden Fehlern führen kann.
Als Beispiele für solche statistischen Testverfahren werden der sog. U-Test und der Wilcoxon-Test genannt, deren jeweilige Anwendung auch unterschiedliche Voraussetzungen erfordert, um zu verlässlichen Resultaten zu gelangen.
Bislang gebe es aber kein rechnergestütztes und automatisches Auswahlverfahren für ein statistisches Auswerteverfahren für medizinische Messreihen.
Zur Verbesserung dieser Situation wird vorgeschlagen, an einem EDV-System in einer ersten Phase mehrere messreihen-spezifische Bestimmungs-Signale zu erfassen, welche zur Selektion eines geeigneten Auswerteverfahrens herangezogen werden können. Beim Erfassen der Bestimmungs-Signale handelt es sich dabei um nichts anderes, als dass über das Dialogfeld eines Eingabegerätes Angaben zur Anzahl und zum Typ der Messreihen (abhängige oder unabhängige Messreihen) sowie zur Art der Messwerte der Messreihen (z. B. Nominal- oder Rangdaten) vorgenommen werden müssen.
In einer zweiten Phase erfolgt die Auswahl eines geeigneten Auswerteverfahrens mit Hilfe einer Zuordnungsvorschrift, welche den gemachten Angaben ein optimales Auswerteverfahren zuordnet.
Das Verfahren wird auf einem (üblichen) Rechner bzw. Netzwerk durchgeführt; es ist keine an das Verfahren angepasste spezielle Rechnerarchitektur ausgewiesen.
2. Als Fachmann, an den sich die beanspruchte Lehre richtet, ist ein Informatiker oder Programmierer mit vertieften Kenntnissen in der Softwareentwicklung anzusehen, welcher zudem eine mehrjährige Erfahrung in der Entwicklung und Anwendung von Datenbanksystemen und statistischen Methoden innerhalb der Medizintechnik besitzt.
Ein solcher Fachmann entnimmt dem Patentanspruch 1 im Wesentlichen ein Verfahren zur Selektion eines Auswerteverfahrens aus einer Menge von Auswerteverfahren, welches als reine Datenbankanwendung innerhalb eines herkömmlichen Computersystems bzw. -netzwerks implementiert ist.
Dabei werden in der Datenbankanwendung zunächst mehrere messreihen-spezifische Bestimmungs-Signale erfasst, um dann mit Hilfe eines Zuordnungsmechanismus den Bestimmungs-Signalen der jeweiligen Messreihe ein optimal ausgelegtes Auswerteverfahren zuzuordnen.
Den "Zuordnungsmechanismus" gemäß Merkmal b) interpretiert der Fachmann in der Weise, dass Datensätze in Tabellen bzw. Relationen mit Hilfe von Schlüsseln so angeordnet sind, dass die erfassten Bestimmungs-Signale bzw. die vom Benutzer gemachten Angaben zu Messreihen mit den geeigneten statistischen Auswerteverfahren in Übereinstimmung gebracht werden können. Der Zuordnungs-Mechanismus kann z. B. in Form einer Look-Up-Tabelle ausgebildet sein, die alle möglichen Kombinationen von Bestimmungssignalen enthält (siehe Beschreibung Seite 13 unten).
Ausgehend vom obigen Verständnis der Anmeldung ist das beanspruchte Verfahren darauf ausgerichtet, die Verwaltung der in einer Datenverarbeitungsanlage gesammelten Datensätze so zu organisieren, dass auf eine benutzerseitige Anforderung hin die gewünschten Suchergebnisse auf einer Ausgabevorrichtung präsentiert werden können.
3. Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 ist nicht patentfähig, da es als "Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches" gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 i. V. m. Abs. 4 PatG vom Patentschutz ausgeschlossen ist.
Gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist "bei Erfindungen mit Bezug zu Geräten und Verfahren (Programmen) der elektronischen Datenverarbeitung zunächst zu klären, ob der Gegenstand der Erfindung zumindest mit einem Teilaspekt auf technischem Gebiet liegt (§ 1 Abs. 1 PatG). Danach ist zu prüfen, ob dieser Gegenstand lediglich ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches darstellt und deshalb vom Patentschutz ausgeschlossen ist. Der Ausschlusstatbestand greift nicht ein, wenn diese weitere Prüfung ergibt, dass die Lehre Anweisungen enthält, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen" (BGH, a. a. O. - Webseitenanzeige).
3.1 Der Gegenstand der Anmeldung liegt schon deshalb zumindest mit einem Teilaspekt auf technischem Gebiet, weil er eine bestimmte Nutzung der Komponenten einer Datenverarbeitungsanlage lehrt und damit eine Anweisung zum technischen Handeln gibt (BGH, a. a. O. - Dynamische Dokumentengenerierung).
3.2 Im Verfahren nach dem Patentanspruch 1 können jedoch keine Anweisungen erkannt werden, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen.
Welches technisches Problem durch eine Erfindung gelöst wird, ist objektiv danach zu bestimmen, was die Erfindung tatsächlich leistet (BGH in BIPMZ 2005, 77 - Anbieten interaktiver Hilfe).
Im vorliegenden Fall liegt die tatsächliche Leistung der mit dem Patentanspruch 1 beanspruchten Lehre darin, die an sich vorhandenen Informationen über statistische Auswerteverfahren und Auswahlkriterien auf Basis der Eigenschaften von Daten einer Messreihe für eine automatische Selektion zu verwenden, d. h. die Selektion des Auswerteverfahrens zu automatisieren.
Das objektive Problem besteht demnach darin, die Auswahl eines statistischen Auswerteverfahrens für Messreihen mit Daten bestimmter Eigenschaften zu optimieren, d. h. zu beschleunigen und sicherzustellen, dass eine unzureichende Berücksichtigung der Eigenschaften nicht zur Auswahl eines ungünstigeren oder ungeeigneten Auswerteverfahrens führt.
Dieses Problem ist ein reines Problem der Datenverarbeitung, und zwar der Bereitstellung von Informationen, deren Aufbereitung und Abruf.
Die Lösung durch Abspeichern der Informationen in einer Datenbank, so dass bei Eingabe der Voraussetzungen (d. h. der Messreihen-spezifischen Informationen) eine automatische Selektion des geeigneten Auswerteverfahrens ermöglicht wird, verlangt keine technischen Überlegungen. Auch der Vorschlag, mehrere messreihen-spezifische Bestimmungs-Signale zu erfassen, d. h. über Dialogfelder von Eingabegeräten die Eingabe einer Mehrzahl von Angaben zur Anzahl und zum Typ der Messreihen sowie zur Art der Messwerte zu ermöglichen, ist eine reine Softwaremaßnahme, die keinerlei technische Überlegungen erfordert.
Da somit ein Datenverarbeitungsproblem durch Maßnahmen aus dem Bereich der reinen Informatik gelöst wird, liegt keine "schutzwürdige Bereicherung der Technik vor" (vgl. BGH in BIPMZ 2002, 114 - Suche fehlerhafter Zeichenketten; BIPMZ 2004, 428 - Elektronischer Zahlungsverkehr), weil das Gebiet der Technik gar nicht erst betreten wird. Sonach ist die beanspruchte Lehre dem Patentschutz grundsätzlich nicht zugänglich.
3.3 Der Senat vermag ferner dem von der Anmelderin vorgebrachten Argument nicht zu folgen, dass das Verfahren als technisch anzuerkennen sei, weil medizintechnische Messwerte ausgewertet würden.
So kann der Bedeutungsinhalt der gespeicherten und verarbeiteten Daten die Zugänglichkeit zum Patentschutz nicht begründen. Eine solche Sichtweise steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH in GRUR 2005, 143 - Rentabilitätsermittlung); denn hier wie dort hat die Art der Daten oder die Frage ihres Ursprungs für die beanspruchte Lehre keine Relevanz.
3.4 Die Anmelderin ist der Ansicht, dass das beanspruchte Verfahren nach der Entscheidung "Logikverifikation" (BGH, a. a. O.) auf technischem Gebiet liege, da der Bundesgerichtshof dort der Aufarbeitung von Messergebnissen technischen Charakter zugestanden habe.
Wie in den Entscheidungen "Logikverifikation" (BGH, a. a. O.) und "Suche fehlerhafter Zeichenketten" (BGH, a. a. O.) ausgeführt wird, kann ein Programm patentiert werden, wenn es in technische Abläufe eingebunden ist, etwa dergestalt, dass es Messergebnisse aufarbeitet. Die Einbindung in einen technischen Ablauf ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs notwendiger Bestandteil einer solchen als technisch einzustufenden Lehre.
Im Gegensatz hierzu ist im vorliegenden Fall kein konkreter Bezug auf technische Abläufe erkennbar. Im beanspruchten Verfahren werden keine speziellen Eigenschaften der erfassten Messdaten berücksichtigt, die sich aus dem zur Aufnahme der Daten verwendeten technischen Gerät, z. B. einem Computertomographen oder einem Kernspin-Tomographen, ergeben. Das beanspruchte Verfahren soll im Gegenteil nicht auf ein Gebiet beschränkt sondern nach Verständnis der Anmelderin universell, d. h. auch auf andere Geräte anwendbar sein.
Somit ist das beanspruchte Verfahren auch unter Berücksichtigung der Entscheidungen "Logikverifikation" (BGH, a. a. O.) und "Suche fehlerhafter Zeichenketten" (BGH, a. a. O.) dem Patentschutz nicht zugänglich.
3.5 Nach der von der Anmelderin angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs "Aufzeichnungsträger" (BGH, a. a. O.) ist bei der Beurteilung der Zugänglichkeit zum Patentschutz maßgeblich, "ob die beanspruchte Lehre Anweisungen enthält, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen. Ist dies der Fall, kommt es nicht darauf an, ob der Patentanspruch auch auf die Verwendung eines Algorithmus, einen im geschäftlichen Bereich liegenden Zweck oder den Informationscharakter des Verfahrensergebnisses oder der beanspruchten Sache abstellt." Wie bereits oben dargelegt, führt aber gerade das Fehlen einer konkreten technischen Problemstellung im vorliegenden Fall dazu, dass der Patentierungsausschluss gemäß § 1 Abs. 3 i. V. m. Abs. 4 PatG greift. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob die beanspruchte Lehre noch einen mathematischen bzw. geschäftlichen Aspekt oder zusätzlich den Aspekt einer bloßen Informationswiedergabe aufweist.
III.
Bei dieser Sachlage war von einer Zurückverweisung abzusehen (BGH BlPMZ 92, 496 - Entsorgungsverfahren) und die Beschwerde der Anmelderin zurückzuweisen.