Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 14.02.2017


BPatG 14.02.2017 - 17 W (pat) 17/15

Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
17. Senat
Entscheidungsdatum:
14.02.2017
Aktenzeichen:
17 W (pat) 17/15
Dokumenttyp:
Beschluss

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2005 048 230.9 - 53

hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. Februar 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Morawek, der Richterin Eder, des Richters Dipl.-Ing. Baumgardt und des Richters Dipl.-Ing. Hoffmann

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die vorliegende Patentanmeldung wurde am 7. Oktober 2005 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Sie trägt die Bezeichnung

2

„Eingabevorrichtung für ein Kraftfahrzeug“.

3

Die Anmeldung wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts in der Anhörung vom 13. Februar 2015 mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Gegenstand des Hauptanspruchs des (damaligen) Hauptantrags mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar sei, weil er durch die Druckschrift D1 (s. u.) nahegelegt sei. Auch die Gegenstände des jeweiligen Hauptanspruchs der Hilfsanträge 1 und 2 seien mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar, da sie durch die Zusammenschau der Druckschriften D1 und D2 (s. u.) nahegelegt seien.

4

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet.

5

Sie beschränkt sich mit der Beschwerdebegründung vom 18. März 2015 zunächst auf den Hilfsantrag 1 (jetzt Hauptantrag) und den Hilfsantrag 2 (jetzt Hilfsantrag 1). Sie lässt weiterhin Zweifel erkennen, ob der Übersetzung der japanisch-sprachigen D1 die von der Prüfungsstelle behauptete Lehre tatsächlich entnehmbar sei. Selbst unter dieser Annahme ließen die unterschiedlichen Zielsetzungen bzw. Aufgaben der Entgegenhaltungen D1 und D2 jedoch nicht erkennen, aufgrund welcher Motivation der zuständige Durchschnittsfachmann die Lehre dieser beiden Entgegenhaltungen kombinieren sollte. Es sei nicht ersichtlich, wie die Verschiebbarkeit von Bedienelementen gemäß D1 und die Zuordnung von verschiedenen haptischen Feedbacks zu verschiedenen Bedienelementen gemäß D2 den zuständigen Durchschnittsfachmann zu einer Zusammenschau der beiden Entgegenhaltungen D1 und D2 anregen könnten.

6

Mit Schriftsatz vom 13. Februar 2017 reicht sie zusätzlich die Hilfsanträge 2, 3 und 4 ein, welche sie in der mündlichen Verhandlung näher erläutert. Insbesondere liege ein Problem darin, dass die Unterscheidung, ob die erste oder die zweite Funktion bedient werde, und ob demgemäß der Touchscreen gemäß der ersten oder gemäß der zweiten Auslenkungsart ausgelenkt werden solle, für die erste Funktion und Auslenkungsart erst beim Beenden der Berührung getroffen werden könne. Da beim leichten Berühren der Finger dann aber schon vom Touchscreen abgehoben sei, könne er die Auslenkung nicht mehr erfühlen. Deshalb sei der Hilfsantrag 2 auf ein „Drücken“ des Touchscreens gerichtet, weil beim Drücken der Finger fester aufgesetzt werde und beim Beenden des Drückens noch lang genug mit dem Touchscreen in Berührverbindung stehe.

7

Bezüglich des im Ladungszusatz des Senats verwendeten Begriffs „Aggregation“ trägt die Anmelderin vor, dass eine Argumentation ausgehend von zwei Merkmalsgruppen, die zur Lösung unterschiedlicher Aufgaben dienten, wobei aber kein synergetischer Effekt erkennbar sei, im Widerspruch zu den Vorgaben des Bundesgerichtshofs in Bezug auf die Aneinanderreihung von Merkmalen stehe; dazu verweist sie auf die Entscheidungen X ZR 74/11 und X ZR 79/12 Randnummer 31 ff.

8

Die Anmelderin stellt den Antrag,

9

den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

10

gemäß Hauptantrag mit

11

Patentansprüchen 1 bis 11 vom 10. Dezember 2013 (dort bezeichnet als Hilfsantrag), Beschreibung Seiten 1 bis 14 und 11 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 bis 19, jeweils vom Anmeldetag;

12

gemäß Hilfsantrag 1 mit

13

Patentansprüchen 1 bis 5 vom 13. Februar 2015 (dort bezeichnet als Hilfsantrag 2), Beschreibung und Zeichnungen wie Hauptantrag;

14

gemäß Hilfsantrag 2 mit

15

Patentansprüchen 1 bis 5 vom 13. Februar 2017, Beschreibung und Zeichnungen wie Hauptantrag;

16

gemäß Hilfsantrag 3 mit

17

Patentanspruch 1 vom 13. Februar 2017, Beschreibung und Zeichnungen wie Hauptantrag;

18

gemäß Hilfsantrag 4 mit

19

Patentanspruch 1 vom 13. Februar 2017, Beschreibung und Zeichnungen wie Hauptantrag.

20

Ferner regt sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde an zu der Frage, ob es eine hinreichende Bedingung für eine Aggregation sei, dass zwei Merkmalsgruppen je eine unterschiedliche Aufgabe zugeordnet werden kann, oder ob es hinreichend ist, wenn die in Rede stehenden Merkmalsgruppen in ihrer Gesamtheit zu einer Lösung der Aufgabe beitragen würden. Zudem stelle sich die Frage, ob zulässig ein Merkmal verallgemeinert werden kann, wenn auf Beispiele für die Ausführung Bezug genommen wird.

21

Gemäß Hauptantrag lautet der geltende Patentanspruch 1 (mit der Merkmalsgliederung aus dem Zurückweisungsbeschluss):

22

(a) 1. Eingabevorrichtung (4), insbesondere für ein Kraftfahrzeug,

23

(b) wobei die Eingabevorrichtung (4) ein Display (12) zur optischen Darstellung zumindest eines Bedienelementes (55, 56, 80), dem eine erste Funktion sowie zumindest eine zweite von der ersten Funktion verschiedene Funktion zugeordnet ist, und einen über dem Display (12) angeordneten Touchscreen (11) zum Erkennen einer Berührung des Touchscreens (11) im Bereich des Bedienelementes (55, 56, 80) umfasst, und

24

(c) wobei die Eingabevorrichtung (4) eine Steuerung (10) zur Entscheidung über die Bedienung der ersten Funktion oder der zweiten Funktion in Abhängigkeit der Dauer einer Berührung des Touchscreens (11) im Bereich des Bedienelementes (55, 56, 80) aufweist,

25

(d) wobei die Eingabevorrichtung (4) einen Aktor (13) zur Auslenkung des Touchscreens (11) bei einer erkannten Bedienung des Bedienelementes (55, 56, 80) aufweist, und

26

(e) wobei der Touchscreen (11) bei einer erkannten Bedienung des Bedienelementes (55, 56, 80) in Bezug auf die erste Funktion gemäß einer ersten Auslenkungsart und bei einer erkannten Bedienung des Bedienelementes (55, 56, 80) in Bezug auf die zweite Funktion gemäß einer zweiten von der ersten Auslenkungsart verschiedenen Auslenkungsart auslenkbar ist.

27

Zu den Nebenansprüchen 6, 9 und 11 sowie den Unteransprüchen 2 bis 5, 7, 8 und 10 wird auf die Akte verwiesen.

28

Gemäß Hilfsantrag 1 lautet der einzige unabhängige Patentanspruch (mit Markierung der Unterschiede zum Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag, und einer daran angelehnten Merkmalsgliederung):

29

(a1) 1. Eingabevorrichtung (4), insbesondere für ein Kraftfahrzeug,

30

(b1) wobei die Eingabevorrichtung (4) ein Display (12) zur optischen Darstellung zumindest eines Bedienelementes (55, 56, 80), dem eine erste Funktion für eine Einstellung in dem Kraftfahrzeug sowie zumindest eine zweite von der ersten Funktion verschiedene Funktion zugeordnet ist, und einen über dem Display (12) angeordneten Touchscreen (11) zum Erkennen einer Berührung des Touchscreens (11) im Bereich des Bedienelementes (55, 56, 80) umfasst, und

31

(c) wobei die Eingabevorrichtung (4) eine Steuerung (10) zur Entscheidung über die Bedienung der ersten Funktion oder der zweiten Funktion in Abhängigkeit der Dauer einer Berührung des Touchscreens (11) im Bereich des Bedienelementes (55, 56, 80) aufweist,

32

(d) wobei die Eingabevorrichtung (4) einen Aktor (13) zur Auslenkung des Touchscreens (11) bei einer erkannten Bedienung des Bedienelementes (55, 56, 80) aufweist, und

33

(e) wobei der Touchscreen (11) bei einer erkannten Bedienung des Bedienelementes (55, 56, 80) in Bezug auf die erste Funktion gemäß einer ersten Auslenkungsart und bei einer erkannten Bedienung des Bedienelementes (55, 56, 80) in Bezug auf die zweite Funktion gemäß einer zweiten von der ersten Auslenkungsart verschiedenen Auslenkungsart auslenkbar ist.

34

Zu den Unteransprüchen 2 bis 5 wird wiederum auf die Akte verwiesen.

35

Gemäß Hilfsantrag 2 lautet der einzige unabhängige Patentanspruch (mit einer soweit wie möglich übereinstimmenden Merkmalsgliederung und Markierung der Unterschiede zum Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1):

36

(a2) 1. Kraftfahrzeug (1) mit einer Eingabevorrichtung (4) für ein Kraftfahrzeug,

37

(b2) wobei die Eingabevorrichtung (4) ein Display (12) zur optischen Darstellung zumindest eines Bedienelementes (55, 56, 80), dem eine erste Funktion für eine Einstellung in dem Kraftfahrzeug (1) sowie zumindest eine zweite von der ersten Funktion verschiedene Funktion zugeordnet ist, wobei die Eingabevorrichtung (4) und einen über dem Display (12) angeordneten Touchscreen (11) zum Erkennen eines Drückens auf den einer Berührung des Touchscreens (11) im Bereich des Bedienelementes (55, 56, 80) umfasst, und

38

(c2) wobei die Eingabevorrichtung (4) eine Steuerung (10) zur Entscheidung über die Bedienung der ersten Funktion oder der zweiten Funktion in Abhängigkeit der Dauer eines Drückens auf den einer Berührung des Touchscreens (11) im Bereich des Bedienelementes (55, 56, 80) aufweist,

39

(d) wobei die Eingabevorrichtung (4) einen Aktor (13) zur Auslenkung des Touchscreens (11) bei einer erkannten Bedienung des Bedienelementes (55, 56, 80) aufweist, und

40

(e) wobei der Touchscreen (11) bei einer erkannten Bedienung des Bedienelementes (55, 56, 80) in Bezug auf die erste Funktion gemäß einer ersten Auslenkungsart und bei einer erkannten Bedienung des Bedienelementes (55, 56, 80) in Bezug auf die zweite Funktion gemäß einer zweiten von der ersten Auslenkungsart verschiedenen Auslenkungsart auslenkbar ist.

41

Zu den Unteransprüchen 2 bis 5 wird nochmals auf die Akte verwiesen.

42

Gemäß Hilfsantrag 3 lautet der einzige Patentanspruch (mit einer soweit wie möglich übereinstimmenden Merkmalsgliederung und Markierung der Unterschiede zum Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2):

43

(a2) 1. Kraftfahrzeug (1) mit einer Eingabevorrichtung (4),

44

(b2) wobei die Eingabevorrichtung (4) ein Display (12) zur optischen Darstellung zumindest eines Bedienelementes (55, 56, 80), dem eine erste Funktion für eine Einstellung in dem Kraftfahrzeug (1) sowie zumindest eine zweite von der ersten Funktion verschiedene Funktion zugeordnet ist, wobei die Eingabevorrichtung (4) einen über dem Display (12) angeordneten Touchscreen (11) zum Erkennen eines Drückens auf den Touchscreen (11) im Bereich des Bedienelementes (55, 56, 80) umfasst,

45

(c2) wobei die Eingabevorrichtung (4) eine Steuerung (10) zur Entscheidung über die Bedienung der ersten Funktion oder der zweiten Funktion in Abhängigkeit der Dauer eines Drückens auf den Touchscreen (11) im Bereich des Bedienelementes (55, 56, 80) aufweist,

46

(d) wobei die Eingabevorrichtung (4) einen Aktor (13) zur Auslenkung des Touchscreens (11) bei einer erkannten Bedienung des Bedienelementes (55, 56, 80) aufweist, und

47

(e3) wobei der Touchscreen (11) bei einer erkannten Bedienung des Bedienelementes (55, 56, 80) in Bezug auf die erste Funktion gemäß einer ersten Auslenkungsart und bei einer erkannten Bedienung des Bedienelementes (55, 56, 80) in Bezug auf die zweite Funktion gemäß einer zweiten von der ersten Auslenkungsart verschiedenen und unterscheidbaren Auslenkungsart auslenkbar ist,

48

(f3) wobei ein Drücken auf den Touchscreen (11) im Bereich des Bedienelementes (55, 56, 80) als Bedienung der ersten Funktion interpretierbar ist, wenn das Drücken auf den Touchscreen (11) nicht länger als ein Grenzwert andauert, und als Bedienung der zweiten Funktion interpretierbar ist, wenn das Drücken auf den Touchscreen (11) länger als der Grenzwert andauert,

49

(g3) wobei der Grenzwert zwischen 0,5s und 5s liegt,

50

(h3) und wobei die Dauer der Auslenkung kürzer ist als der Grenzwert.

51

Gemäß Hilfsantrag 4 lautet der einzige Patentanspruch (mit einer soweit wie möglich übereinstimmenden Merkmalsgliederung und Markierung der Unterschiede zum einzigen Patentanspruch des Hilfsantrags 3):

52

(a2) 1. Kraftfahrzeug (1) mit einer Eingabevorrichtung (4),

53

(b2) wobei die Eingabevorrichtung (4) ein Display (12) zur optischen Darstellung zumindest eines Bedienelementes (55, 56, 80), dem eine erste Funktion für eine Einstellung in dem Kraftfahrzeug (1) sowie zumindest eine zweite von der ersten Funktion verschiedene Funktion zugeordnet ist, wobei die Eingabevorrichtung (4) einen über dem Display (12) angeordneten Touchscreen (11) zum Erkennen eines Drückens auf den Touchscreen (11) im Bereich des Bedienelementes (55, 56, 80) umfasst,

54

(c2) wobei die Eingabevorrichtung (4) eine Steuerung (10) zur Entscheidung über die Bedienung der ersten Funktion oder der zweiten Funktion in Abhängigkeit der Dauer eines Drückens auf den Touchscreen (11) im Bereich des Bedienelementes (55, 56, 80) aufweist,

55

(d4) wobei die Eingabevorrichtung (4) einen Aktor (13) zur zwischen 20 ms und 150 ms andauernden Auslenkung des Touchscreens (11) bei einer erkannten Bedienung des Bedienelementes (55, 56, 80) aufweist, und

56

(e3) wobei der Touchscreen (11) bei einer erkannten Bedienung des Bedienelementes (55, 56, 80) in Bezug auf die erste Funktion gemäß einer ersten Auslenkungsart und bei einer erkannten Bedienung des Bedienelementes (55, 56, 80) in Bezug auf die zweite Funktion gemäß einer zweiten von der ersten Auslenkungsart verschiedenen und unterscheidbaren Auslenkungsart auslenkbar ist,

57

(f3) wobei ein Drücken auf den Touchscreen (11) im Bereich des Bedienelementes (55, 56, 80) als Bedienung der ersten Funktion interpretierbar ist, wenn das Drücken auf den Touchscreen (11) nicht länger als ein Grenzwert andauert, und als Bedienung der zweiten Funktion interpretierbar ist, wenn das Drücken auf den Touchscreen (11) länger als der Grenzwert andauert,

58

(g3) wobei der Grenzwert zwischen 0,5s und 5s liegt, .

59

(h3) und wobei die Dauer der Auslenkung kürzer ist als der Grenzwert.

60

Der Anmeldung soll die Aufgabe zugrunde liegen, eine Eingabevorrichtung mit einem Touchscreen zu verbessern (siehe Offenlegungsschrift Absatz [0008]). Es sei wünschenswert, eine besonders gut für Kraftfahrzeuge geeignete Eingabevorrichtung zu schaffen. Letzteres nennt die Anmelderin im Schriftsatz vom 13. Februar 2017 (Seite 3 unten) ebenfalls als zugrundeliegende Aufgabe.

II.

61

Die rechtzeitig eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie hat jedoch keinen Erfolg, weil der Gegenstand des Patentanspruchs 1 weder in der Fassung nach Hauptantrag noch in der Fassung der Hilfsanträge 1, 2 oder 4 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (§ 4 PatG), und in der Fassung nach Hilfsantrag 3 unzulässig erweitert ist (§ 38 PatG).

62

1. Die vorliegende Patentanmeldung betrifft eine Eingabevorrichtung mit einem Touchscreen, insbesondere für ein Kraftfahrzeug (siehe Offenlegungsschrift Absätze [0001], [0044] / [0045] und Figur 1).

63

In der Offenlegungsschrift wird begrifflich unterschieden zwischen dem „Display“ (12) als einer Bild-Anzeigevorrichtung und dem „Touchscreen“ (11), der ersichtlich als eine separate Baugruppe ausgelegt sein soll (siehe Figur 4 und z. B. Absatz [0045]: „…einen über dem Display 12 angeordneten und mit dem Gehäuse 15 verbundenen Touchscreen 11“). Insofern ist der Begriff „Touchscreen“ in der Anmeldung als eine berührungsempfindliche Eingabefläche zu verstehen, so wie sie im Stand der Technik oft als „Touch Panel“ bezeichnet ist (und nicht als berührungsempfindlicher Bildschirm).

64

Die Anmeldung geht aus von Bedienelementen, die auf dem Display dargestellt werden und deren Berührung von dem Touchscreen erkannt wird, und lehrt zunächst die Auslösung zweier unterschiedlicher Bedienfunktionen durch ein und dasselbe Bedienelement, indem die Dauer der Betätigung unterschieden wird: So sind z. B. gemäß Figur 6 / 7 zwei Berührfelder 55 und 56 zur Veränderung der Radio-Empfangsfrequenz vorgesehen. Wird eines der Felder kurz („nicht länger als ein Grenzwert“) gedrückt, wird die Frequenz entsprechend erhöht oder erniedrigt; wird dasselbe Feld jedoch lang („länger als ein Grenzwert“) gedrückt, wird die aktuelle Frequenz gespeichert (siehe Abs. [0050] / [0051]). Die Figuren 11 / 12 und 13 / 14 zeigen weitere Beispiele. Das Steuerverfahren zur Unterscheidung der Betätigungsdauer ist der Figur 8 i. V. m. Absatz [0052] entnehmbar.

65

Darüber hinaus soll durch einen auf das Gehäuse 15 wirkenden Aktor 13 – in Form einer gesteuerten Auslenkung des Touchscreens – eine fühlbare Rückmeldung an den Benutzer erfolgen, wobei den beiden Bedienfunktionen eines Bedienelementes jeweils ein unterschiedliches fühlbares Signal zugeordnet ist (Absatz [0053] i. V. m. Figuren 9 und 10); dadurch erhält der Benutzer eine Rückmeldung, welche der beiden Funktionen vom System erkannt worden ist (siehe Absatz [0013] letzter Satz).

66

Mit den Hilfsanträgen kommen Details hinzu, insbesondere genaue Zeitrahmen für den Grenzwert, anhand dessen „kurze“ von „langer“ Betätigung unterschieden wird, und für die Dauer der fühlbaren Rückmeldung als Dauer der Auslenkung des Touchscreens.

67

Der Hauptantrag umfasst noch Nebenansprüche, die auf eine andere ursprünglich beschriebene Ausführungsform gerichtet sind; darauf kommt es jedoch nicht mehr an, wie sich aus dem Folgenden ergibt.

68

Als Fachmann, der mit der Aufgabe betraut wird, eine Eingabevorrichtung mit einem Touchscreen zu verbessern, sieht der Senat einen Entwicklungsingenieur für Touchscreen-Eingabevorrichtungen mit Fachhochschul-Abschluss und mehrjähriger Berufserfahrung an.

69

2. Im Laufe des Verfahrens sind zum Stand der Technik die folgenden Druckschriften benannt worden:

70

D1 JP 2004 / 38 260 A

71

D2 US 2004 / 75 676 A1

72

D3 US 2005 / 168 449 A1

73

D4 EP 1 560 102 A1

74

2.1 Zur Druckschrift D1 wurde vom Prüfer in der Anhörung vom 13. Februar 2015 eine Übersetzung in die englische Sprache eingeführt, welche jedoch nicht vollständig in die Akte aufgenommen ist (es finden sich nur die ungeraden Seiten 1, 3 und 5). Die Anmelderin äußert Zweifel an der Korrektheit der Übersetzung, insbesondere ob entnommen werden kann, dass die Dauer der Berührung eines Touchscreens zur Unterscheidung zweier Bedienfunktionen herangezogen wird. Der Senat hat daher eine neue Übersetzung von der Internet-Seite des japanischen „National Center for Industrial Property Information and Training“ (INPIT) aus dem November 2016 herangezogen (https://www4.j-platpat.inpit.go.jp/cgi-bin/ tran_web_cgi_ejje?u=http://www4.j-platpat.inpit.go.jp/eng/translation/...).

75

Dieser Übersetzung lässt sich, in Verbindung mit dem englischsprachigen „Patent Abstract of Japan“ und den Figuren und deren Bezugszeichen, nach Überzeugung des Senats Folgendes entnehmen:

76

(1) D1 bezieht sich u. a. auf eine Eingabevorrichtung für ein Kraftfahrzeug (siehe Abstract „in-vehicle control part“ sowie die Absätze [0002], [0022] – Merkmale (a), (a1), (a2)).

77

(2) Die Eingabevorrichtung kann aus einem Display 9 mit Touch Panel 8 bestehen (siehe Absätze [0002], [0016], [0026 [0031] / [0032]). Gemäß Figur 2 werden Bedienelemente AAA bis III auf dem Display angezeigt, deren zugeordnete Funktion durch Berühren ausgelöst werden kann (siehe Absätze [0031] / [0032] und Figur 3: Step 33 bis Step 37 – Teil der Merkmal (b), (b1), (b2)). Dass das Touch Panel „über“ dem Display angeordnet sein kann, ergänzt der Fachmann aufgrund seines Fachwissens (weiterer Teil der Merkmale (b), (b1), (b2)). Ebenso ist entnehmbar, dass eine auslösbare Funktion „für eine Einstellung in dem Kraftfahrzeug“ vorgesehen ist (siehe Abstract „in-vehicle control part“ sowie Absätze [0022], [0024] – weiterer Teil der Merkmale (b1) und (b2)).

78

(3) Die Eingabevorrichtung weist eine Steuerung (CPU 1) auf (Absatz [0022]). Diese trifft eine Unterscheidung, ob ein Bedienfeld des Touchscreens lang oder kurz gedrückt ist (Figur 3 Step 36). Falls die Dauer geringer ist als eine bestimmte Zeit, wird die dem Bedienfeld zugeordnete Funktion ausgeführt (Figur 3 Step 37); falls die Dauer über eine bestimmte Zeit hinausgeht, wird noch geprüft, ob das Bedienfeld bereits links oben angeordnet ist (Figur 3 Step 38) – falls nein, wird das Bedienfeld des Touchscreens an diese erste Position verschoben (Figur 3 Step 39 – vgl. Figur 2B mit Figur 2A). Siehe dazu Absatz [0008]: „within predetermined time to push“ / „the long push beyond predetermined time was performed“; Absatz [0010]: „The distinction of being a long push should just measure the time which continues being pushed by a timer etc.“; Absätze [0032] bis [0034]: “It detects whether the finger separated from the touch panel face in predetermined time … and when a finger separates in predetermined time, the application currently assigned to the button and key is started (Step 37)“ – “if it goes through predetermined time, when pushing, the key judges whether it is a head (Step 38)“ – “the button and key which were instructed will be moved to a top position (Step 39)“; Claim 1: “less than predetermined time pushed“ / “a long push beyond predetermined time“. Damit ist erkennbar, dass einem Bedienelement des Touchscreens zwei verschiedene Funktionen (Funktionsausführung oder Verschiebung an erste Position) zugeordnet sind, wobei die Entscheidung über die Ausführung der ersten oder zweiten Funktion in Abhängigkeit der Dauer der Berührung erfolgt (Merkmal (c) / (c2), (f3), sowie Rest der Merkmale (b), (b1), (b2)).

79

Irgendeine Form einer fühlbaren Auslenkung des Touchscreens als Rückmeldung an den Benutzer lässt sich der D1 jedoch nicht entnehmen.

80

2.2 Die Druckschrift D2 zeigt für berührungsempfindliche Eingabegeräte wie Touchpad (= Touch Panel) oder Touchscreen ein „haptisches Feedback“, d. h. fühlbare Eingabe-Rückmeldungen. Konkret bezieht sich die Erläuterung von Figur 7 (Absatz [0053] ff.) auf ein Touchpad 16, und Figur 8 beschreibt einen Touchscreen 82 (in Absatz [0072] auch als „display screen 82“ bezeichnet), auf welchen die Vorschläge bezüglich eines haptischen Feedbacks in ähnlicher Weise wie für das Touchpad 16 anwendbar sind (Absatz [0074] Satz 1).

81

Neben der Möglichkeit, einen Cursor auf dem Bildschirm durch Fingerbewegung zu steuern, sind in Figur 7 auch Bedienfelder 74 und Berührflächen 72a, 72b gezeigt. In der dazugehörigen Beschreibung, insbesondere den Absätzen [0064] bis [0069] werden fälschlicherweise für die Bedienfelder das Bezugszeichen 64 und für die Berührflächen die Bezugszeichen 62a und 62b verwendet. Nach Behebung dieses offensichtlichen Fehlers entnimmt der Fachmann hier die Lehre, dass den Bedienelementen 64 = 74, welche das Aussehen eines Tastknopfs („button“) haben, bestimmte Funktionen wie „Run a Program“, „Close“, „Forward“ oder „Back“ zugeordnet sein können, die durch Berühren aktiviert werden (Abs. [0067] „which the user can point to“ i. V. m. Abs. [0064] „which region he or she is contacting on the pad“, Abs. [0065] „by placing a finger … within the region“). Dabei kann jeder Funktion eine unterschiedliche Art der haptischen Rückmeldung zugeordnet sein (Abs. [0068] „…regions 64 can each be associated with haptic sensations“ i. V. m. Abs. [0069] „Furthermore, the user is preferably able to assign particular haptic sensations to particular areas …“). Dies ist gemäß Abs. [0074] auch auf einen Touchscreen anwendbar und entspricht den Merkmalen (d) und (e) bzw. (e3), ohne dass der Fachmann sich hier auf einen bewegbaren Cursor beschränkt sähe. Allerdings enthält D2 keinen Hinweis auf die Zuordnung von zwei verschiedenen Funktionen zu einem Bedienfeld.

82

2.3 Aus der Druckschrift D3 ist eine Eingabevorrichtung für ein Kraftfahrzeug entnehmbar (claim 5), welche ein Display (3) zur optischen Darstellung zumindest eines Bedienelementes (Figur 3: Tasten A bis E) und ein über dem Display angeordnetes Touch Panel (4) zum Erkennen einer Berührung im Bereich der Bedienelemente umfasst (Absatz [0029], [0033] bis [0035]). Dabei wird die Dauer der Berührung eines Bedienelementes gemessen, um zwischen einer kurzen Berührung (Figur 2 S214 „Yes“; Absatz [0042]) und einer langen Berührung (Figur 2 S216 „Yes“; Absatz [0042], [0047]) zu unterscheiden; hier allerdings nicht, um zwei unterschiedliche Funktionen auszulösen, sondern in beiden Fällen dieselbe Funktion (S226 genauso wie S238 „accepts button deciding operation“), entweder wenn der Benutzer das Bedienelement kurz berührt, oder wenn er es lang berührt, ohne seinen Finger von der Stelle wegzubewegen. Als Beispiel für einen Grenzwert zur Unterscheidung von „kurz“ und „lang“ ist in Absatz [0043] 250 ms angegeben. Weiterhin ist hier noch eine Vibrationseinheit 5 unter dem Touch Panel vorgesehen, um dem Benutzer eine unterschiedliche – und unterscheidbare – fühlbare Rückmeldung zur Erkennung der Auswahl eines Bedienelementes (Figur 4A: Pattern VP1) und zur Funktionsauslösung (Figur 4B: Pattern VP2) zu signalisieren (siehe dazu die Absätze [0067] / [0068] i. V. m. Figur 2 S204, S206 / S218 / S232). Durch die beschriebenen Maßnahmen soll die Bedienung eines Touchscreens im Fahrzeug sicherer gemacht werden (siehe Absätze [0007] bis [0011]).

83

2.4 Die Druckschrift D4 ist in der Anmeldung in Absatz [0045] als Referenz für die Ausgestaltung eines Aktors zur fühlbaren Rückmeldung angegeben. Sie stammt von der Anmelderin selbst und beschreibt eine Eingabevorrichtung für ein Kraftfahrzeug in Form eines Touchscreens (Figur 4: Display 17, darüber angeordnetes Touchpad 16 – wie in der vorliegenden Anmeldung als „Touchscreen“ bezeichnet – mit Bedienfläche 16A), auf welchem durch Berühren oder Drücken zu betätigende Bedienelemente (z. B. Figur 15: 141 bis 145) dargestellt sind, um „Einstellungen in dem Kraftfahrzeug“ vorzunehmen (Figur 15 bis 20, Abs. [0064] ff.), wobei der Touchscreen durch einen Aktor 18 ausgelenkt werden kann zur fühlbaren Bestätigung der Erkennung einer Befehlseingabe (siehe Absätze [0056], [0060]). Gemäß Abs. [0053] bzw. Abs. [0060] ist es für den Einsatz in Kraftfahrzeugen von Vorteil, wenn statt nur einer Berührung des Touchpads erst ein (bewusst ausgeübter, stärkerer) Druck als Eingabe erkannt wird. Damit sind hier die Merkmale (a), (b) und (d), bzw. (a1) / (b1) und (a2) / (b2) vorbeschrieben, mit Ausnahme des Aspekts, dass einem Bedienelement zwei verschiedene Funktionen zugeordnet wären.

84

Darüber hinaus lehrt D4 Details für die Gestaltung der fühlbaren Rückmeldung an den Benutzer. Die Figuren 12 und 13 i. V. m. Abs. [0061] / [0062] zeigen unterschiedliche Bewegungsmuster für die Auslenkung M eines Touchscreens. Gemäß Absatz [0061] soll die Dauer der Auslenkung zwischen 50 ms und 800 ms, insbesondere zwischen 100 ms und 400 ms liegen.

85

3. Dem Hauptantrag kann nicht gefolgt werden, weil der Gegenstand seines Patentanspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

86

3.1 Die diesbezügliche Begründung der Prüfungsstelle im Zurückweisungsbeschluss ist jedoch auch für den Senat nicht nachvollziehbar. Im Beschluss ist ausgeführt (siehe Seite 5 Absatz 1), der Fachmann würde, ausgehend von Druckschrift D1, die D2 hinzuziehen, da „auch die Druckschrift 2 ([0057]) von Priorisierungen von Bedienelementen in Menüs“ handele. Was allerdings damit gemeint sein könnte, und was dazu dem Absatz [0057] der D2 zu entnehmen sein soll, verbleibt im Dunkeln, insbesondere da weder in der Druckschrift D1 noch in der Anmeldung von einer „Priorisierung“ von Menüelementen die Rede ist (vgl. Beschwerdebegründung vom 18. März 2015, Seite 7/8).

87

3.2 Wie ausgeführt (s. o. Abschnitt 2.1), zeigt die Druckschrift D1 eine Eingabevorrichtung für ein Kraftfahrzeug mit den Merkmalen (a), (b) und (c) des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag. Ein Hinweis auf einen Aktor zur Auslenkung des Touchscreens im Sinne der Merkmale (d) und (e) ist der D1 nicht zu entnehmen.

88

3.3 Dem Fachmann war es jedoch geläufig, dass – gerade unter den schwierigen Bedienungsbedingungen in einem Kraftfahrzeug – eine Berühr-Eingabe fehleranfällig sein kann und durch eine fühlbare Rückmeldung für den Benutzer erleichtert wird (vgl. etwa D3 Abs. [0011] / [0021], [0022]; D4 Abs. [0073]).

89

Daher hatte der Fachmann jeden Anlass, auf die problematische Eingabesituation zu reagieren und die bekannten Vorschläge aufzugreifen – insbesondere die Eingabevorrichtung für ein Kraftfahrzeug gemäß Druckschrift D1 bei einer erkannten Bedienung durch eine fühlbare Rückmeldung in Form eines Aktors, der auf das Touch Panel wirkt, zu verbessern, so wie es beispielsweise die Druckschrift D4 bereits lehrt (siehe D4 Figur 3 / 4 und zugehörige Beschreibung, insbesondere Abs. [0055] / [0056] – Merkmal (d)).

90

3.4 Darüber hinaus war es dem Fachmann vertraut, dass zur fühlbaren Rückmeldung an den Bediener eines Touchscreens mit einem Aktor unterschiedliche (vor allem: unterscheidbare) Bewegungsmuster erzeugt werden können (vgl. D2 Abs. [0059] / [0060]; D3 Figur 4a / 4b; D4 Figur 12 / 13 und insbes. Abs. [0061] / [0062]).

91

Wenn nun gemäß der Lehre der Druckschrift D1 einem Bedienelement zwei verschiedene Funktionen zugeordnet sein sollen, dann drängt es sich dem Fachmann geradezu auf, dass der Benutzer eine (unterscheidbare) fühlbare Rückmeldung erhalten sollte, je nachdem welche der beiden Funktionen er ausgewählt hat. Das gilt umso mehr, als die Druckschrift D2 für ein Touchpad oder einen Touchscreen bereits konkret vorschlägt, unterschiedlichen Funktionen unterschiedliche fühlbare Rückmeldungen zuzuordnen (s. o. Abschnitt 2.2)). Dieses Ziel führt den Fachmann zwangsläufig zu der Maßnahme nach Merkmal (e), die fühlbare Rückmeldung derart auszulegen, dass das Touch Panel bei Erkennung der ersten Funktion gemäß einer ersten Auslenkungsart und bei Erkennung der zweiten Funktion gemäß einer zweiten, von der ersten Auslenkungsart verschiedenen Auslenkungsart ausgelenkt wird.

92

3.5 Sonach gelangte der Fachmann ausgehend von der Lehre der Druckschrift D1, veranlasst durch das bekannte Problem der Fehleranfälligkeit von Berühr-Eingaben in Fahrzeugen, bei Anwendung der Lehre der Druckschrift D4 und Hinzunahme seines Fachwissens über fühlbare Rückmeldungen ohne erfinderisches Zutun zu einer Eingabevorrichtung gemäß den Merkmalen (a) bis (e).

93

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ist daher nicht gewährbar, weil sein Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

94

Mit dem Patentanspruch 1 fällt der gesamte Hauptantrag, da über einen Antrag nur einheitlich entschieden werden kann.

95

3.6 Dass der Senat die Merkmale des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag darüber hinaus als Aggregation der Lehre der Druckschriften D1 und D2 ansieht, so wie es auch im Zurückweisungsbeschluss des Europäischen Patentamts in einer Nachanmeldung zum Ausdruck kommt („Agglomeration“, siehe Entscheidung der Prüfungsabteilung über die europäische Anmeldung Nr. 06 806 027.6 vom 19. Mai 2010), ohne dass der Rahmen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlassen würde, kann hier offen bleiben.

96

4. Die Hilfsanträge 1 und 2 sind nicht anders zu beurteilen.

97

4.1 Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 nach Hauptantrag nur in zwei Details, die sich aus den herangezogenen Druckschriften bereits ergeben; das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit kann damit nicht begründet werden.

98

So ist der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 nunmehr gemäß Merkmal (a1) unmittelbar auf eine „Eingabevorrichtung für ein Kraftfahrzeug“ gerichtet, während er nach Hauptantrag auf eine „Eingabevorrichtung insbesondere für ein Kraftfahrzeug“ gerichtet war. Nachdem aber die Druckschriften D1, D3 und D4 sich mit Eingabevorrichtungen für Kraftfahrzeuge befassen, erlaubt die vorgenommene Einschränkung keine unterschiedliche Beurteilung.

99

Dasselbe gilt für den Unterschied in Merkmal (b1), dass die erste Funktion „für eine Einstellung in dem Kraftfahrzeug“ vorgesehen ist – denn das ist bei den Funktionen der Druckschriften D1, D3 und D4 ebenso der Fall.

100

4.2 Auch die zwei über geringförmige Umformulierungen hinausgehenden Unterschiede des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 gegenüber dem Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 1 können das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen.

101

4.2.1 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 ist gemäß Merkmal (a2) auf ein „Kraftfahrzeug mit einer Eingabevorrichtung“ gerichtet. Der Senat sieht diese Anspruchsfassung als zulässig an, weil das den ursprünglichen Unterlagen als mögliche Ausführungsform der Erfindung zu entnehmen ist. Sie führt aber nicht zu einer anderen Beurteilung, weil sich ein solches Kraftfahrzeug etwa aus der Lehre der entgegengehaltenen Druckschrift D1 in gleicher Weise ergibt.

102

4.2.2 Die Merkmale (b2) und (c2) unterscheiden sich von den Merkmalen (b1) und (c) des Hilfsantrags 1 darin, dass sie anstelle einer „Berührung des Touchscreens“ nun explizit auf das Erkennen „eines Drückens auf den Touchscreen“ gerichtet sind.

103

Die Anmelderin hat hierzu ausgeführt, dass die Unterscheidung anhand der Berührdauer, ob der Touchscreen gemäß der ersten oder gemäß der zweiten Auslenkungsart ausgelenkt werden solle, für die „kurze“ Berührung erst beim Beenden der Berührung getroffen werden könne. Da beim leichten Berühren der Finger dann aber schon vom Touchscreen abgehoben sei, könne er die Auslenkung nicht mehr erfühlen. Beim „Drücken“ werde der Finger hingegen fester aufgesetzt und stehe beim Beenden des Drückens noch lang genug mit dem Touchscreen in Berührverbindung.

104

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist jedoch bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht ausschließlich von einem solchen, der Anmeldung vielleicht zu entnehmenden Problem auszugehen; es ist vielmehr auch zu erwägen, ob die Bewältigung eines zum Aufgabenkreis des Fachmanns gehörenden (anderen) Problems dessen Lösung nahegelegt hat (BGH GRUR 2011, 607 – Kosmetisches Sonnenschutzmittel III).

105

Das ist vorliegend der Fall: Wie ausgeführt (s. o. Abschnitt 2.4), gibt Druckschrift D4 die Lehre, dass es für den Einsatz in Kraftfahrzeugen von Vorteil ist, wenn statt nur einer Berührung des Touchpads erst ein bewusst ausgeübter, stärkerer Druck als Eingabe erkannt wird. Dies führt den Fachmann – im Kontext der Ergänzung der Eingabevorrichtung aus Druckschrift D1 um eine fühlbare Rückmeldung gemäß D4 – bereits zum Beschränken der Eingabe-Erkennung auf eine Druckbetätigung, so wie es die Merkmale (b2) und (c2) nunmehr beanspruchen. Eine derartige Ausgestaltung lag daher für den Fachmann nahe, auch ohne dass er sich mit dem von der Anmelderin vorgetragenen zusätzlichen Problem hätte auseinandersetzen müssen. Die beanspruchte Beschränkung auf eine Druck-Erkennung erfordert sonach keine Beurteilung als erfinderische Tätigkeit.

106

5. Der Hilfsantrag 3 ist nicht gewährbar, weil der Gegenstand seines einzigen Patentanspruchs durch das am Ende eingefügte Merkmal (h3) unzulässig erweitert ist.

107

5.1 Das Merkmal (h3) des Patentanspruchs lautet: „und wobei die Dauer der Auslenkung kürzer ist als der Grenzwert.“

108

Dabei bezieht sich der Begriff „Grenzwert“ auf das Merkmal (f3), in dem er als Zeitwert eingeführt wurde, der zur Unterscheidung der Betätigungsdauer als „kurz“ („wenn des Drücken auf den Touchscreen (11) nicht länger als ein Grenzwert andauert“) oder „lang“ („wenn das Drücken auf den Touchscreen (11) länger als der Grenzwert andauert“) heranzuziehen ist. Dieser Grenzwert soll, wie bereits im ursprünglichen Unteranspruch 7 angegeben, gemäß Merkmal (g3) „zwischen 0,5s und 5s“ liegen.

109

5.2 Dass die Dauer der Auslenkung des Touchscreens kürzer als der genannte Grenzwert für die Unterscheidung der Betätigungsdauer sein soll, ist in der Anmeldung jedoch nicht offenbart; das Merkmal (h3) stellt daher eine unzulässige Erweiterung dar.

110

Die Anmelderin verweist zur Offenbarung auf Absatz [0012] der Anmeldung, wonach die Auslenkung „insbesondere nach 20 ms bis 150 ms“ beendet sein soll. Es ist offensichtlich, dass der damit offenbarte Zeitraum tatsächlich „kürzer“ ist als der im Bereich 0,5s bis 5s liegende Grenzwert.

111

Das neue Merkmal (h3) ist jedoch so zu verstehen, dass eine zeitliche Beziehung, d. h. eine Abhängigkeit zwischen der Dauer der Auslenkung und dem Grenzwert für die Unterscheidung der Betätigungsdauer bestehen soll: Wenn als Grenzwert 0,5s vorgegeben wird, soll die Auslenkung maximal 0,5s betragen; wenn aber als Grenzwert 5s vorgegeben wird, darf die Auslenkung ebenfalls bis zu 5s andauern.

112

Eine solche zeitliche Beziehung lässt sich der Anmeldung an keiner Stelle entnehmen. Es kann dahinstehen, ob angesichts der einzigen Fundstelle in Abs. [0012] „insbesondere nach 20 ms bis 150 ms“ eine Verallgemeinerung in der Form „von 0 bis 0,5s“ oder „von 0 bis 5s“ zulässig sein könnte. Denn die im Merkmal (h3) vorgenommene zeitliche Verknüpfung der Zeit für die Auslenkung mit der Zeit für die Unterscheidung der Betätigungsdauer geht darüber hinaus und findet in den ursprünglichen Unterlagen keine Stütze.

113

6. Schließlich ist auch der Hilfsantrag 4 nicht gewährbar, weil der Gegenstand seines einzigen Patentanspruchs nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

114

6.1 Der einzige Patentanspruch gemäß Hilfsantrag 4 ist auf ein Kraftfahrzeug mit einer Eingabevorrichtung nach den Merkmalen (a2), (b2) und (c2) gerichtet, wie sie schon vom Hilfsantrag 2 bekannt sind. Ferner ist ein Aktor zur Auslenkung des Touchscreens bei einer erkannten Bedienung des Bedienelementes vorgesehen, wie bereits als Merkmal (d) bekannt, wobei hier zusätzlich die Auslenkung als „zwischen 20 ms und 150 ms andauernd“ vorgegeben wird (Merkmal (d4)). Gemäß Merkmal (e3) soll die vorgesehene unterschiedliche Auslenkung für die erste Funktion und die zweite Funktion auch noch „unterscheidbar“ sein. Mit Merkmal (f3) wird der oben in Abschnitt 5.1 erläuterte Grenzwert für die Unterscheidung der Druckdauer eingeführt, welcher gemäß Merkmal (g3) „zwischen 0,5s und 5s“ liegen soll.

115

6.2 Der einzige Patentanspruch gemäß Hilfsantrag 4 geht demnach aus von einem Kraftfahrzeug mit einer Eingabevorrichtung gemäß Druckschrift D1, welche speziell für die Anwendung in einem Fahrzeug verbessert ist durch die Anwendung der Lehre der Druckschrift D4 (Erkennung von Druck statt Berührung, und Aktor für fühlbare Ausgabe, s. o. Abschnitt 4.2.2 und Abschnitt 3.3 – Merkmale (a2), (b2), (c2) und Merkmal (d4) teilweise). Ein „Grenzwert“ für die Unterscheidung der Druckdauer im Sinne des Merkmals (f3) ergab sich für den Fachmann schon aus Druckschrift D1 (siehe z. B. Absatz [0008] „within predetermined time“ / „beyond predetermined time“).

116

Wie zuvor ausgeführt, lag es für den Fachmann nahe, der ersten Funktion und der zweiten Funktion unterschiedliche, unterscheidbare Auslenkungsarten zuzuordnen (s. o. Abschnitt 3.4 – Merkmal (e3)).

117

Über dieses bereits als naheliegend Beurteilte hinaus ist der einzige Patentanspruch nach Hilfsantrag 4 somit darauf gerichtet, dass gemäß Merkmal (d4) die Dauer der Auslenkung „zwischen 20 ms und 150 ms“ liegen soll, und dass gemäß Merkmal (g3) der Grenzwert zur Unterscheidung der Druckdauer zwischen der ersten und der zweiten Funktion „zwischen 0,5s und 5s“ liegen soll.

118

6.3 Diese explizite Vorgabe der Zeiträume für die beiden Parameter beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, sondern ist Ausfluss von routinemäßigem fachmännischem Handeln; daher lag der Gegenstand des einzigen Patentanspruchs gemäß Hilfsantrag 4 mit allen seinen Merkmalen für den Fachmann nahe.

119

Denn ausgehend von der Lehre der Druckschrift D1, eine erste Funktion von einer zweiten Funktion durch die Dauer des Drucks auf ein Bedienelement zu unterscheiden, unter Anwendung der Lehre der Druckschrift D4, eine zeitlich definierte Auslenkung des Touchscreens als fühlbare Rückmeldung vorzusehen, ergab sich für den Fachmann die Fragestellung, welche konkreten Zeitwerte für diese beiden Parameter gewählt werden sollten. Die Anmeldung lehrt hierzu in Merkmal (g3) „zwischen 0,5s und 5s“, und in Merkmal (d4) „zwischen 20 ms und 150 ms“.

120

Der Anmeldung sind aber keine Gründe oder Kriterien zu entnehmen, warum gerade diese definierten Parameterbereiche beansprucht sind. Eine letztlich nach Belieben getroffene Auswahl eines bestimmten Bereichs wäre für sich grundsätzlich nicht geeignet, eine erfinderische Leistung zu begründen (vgl. BGH GRUR 2004, 47 – Blasenfreie Gummibahn I). Mangels anderer Anhaltspunkte kann nur angenommen werden, dass die gewählten Parameter für die zu lösende Aufgabe einer verbesserten Bedienbarkeit optimiert wurden.

121

6.3.1 Die Wahl eines geeigneten Grenzwertes zur Unterscheidung zwischen „kurzem“ und „langem“ Drücken wird in der Beschreibung der Anmeldung lediglich in den Absätzen [0014] und [0053] angesprochen, und zwar nur als Vorgabe ohne jede Erläuterung: „Der Grenzwert liegt zwischen 0,5s und 5s, insbesondere in etwa bei 1s bis 2s.“ Ausgehend von der Frage, welche Werte im Hinblick auf die Bedienbarkeit überhaupt brauchbar sind, wird der Fachmann aber ganz zwangsläufig in die Nähe dieses Bereichs gelangen. Ein zu kleiner Wert würde es dem Benutzer schwer machen, ein „kurzes“ Drücken auszuführen. Ein zu langer Wert strapaziert die Geduld des Benutzers in unnötiger Weise, falls er ein „langes“ Drücken eingeben will. Die beanspruchten Eckwerte stellen in etwa den Kompromissbereich dar, den der Fachmann sich durch einige Versuche erarbeiten wird. Dabei kommt es auf die exakten Zahlenwerte nicht an, sie können nur als grundsätzlicher Rahmen für den gewählten Bereich verstanden werden. Um diesen aufzufinden, ist aber nur übliches fachmännisches Handeln erforderlich, keine erfinderische Tätigkeit.

122

6.3.2 Nichts anderes gilt für die zu wählende Dauer der Auslenkung des Touchscreens als fühlbare Rückmeldung. Hierzu findet sich, ebenfalls unbegründet, die einzige Vorgabe in Absatz [0012] der Anmeldung: „Die Auslenkung wird in vorteilhafter Ausgestaltung der Erfindung nach einer bestimmten Zeit, insbesondere nach 20 m bis 150 ms, beendet“. Auch hier wird der Fachmann durch einige Versuche einen Zeitbereich ermitteln, der einerseits lang genug ist, um vom Benutzer bemerkt zu werden, und andererseits so kurz ist, dass der Benutzer nicht verwirrt oder belästigt wird. Die Druckschrift D4 schlägt in Absatz [0061] für die Dauer der Auslenkung zwischen 50 ms und 800 ms, insbesondere zwischen 100 ms und 400 ms vor. Der von der Anmelderin beanspruchte Zeitraum ist zwar etwas kürzer, liegt aber nicht so weit ab, dass darin eine erfinderische Tätigkeit erkannt werden könnte.

III.

123

Für die von der Anmelderin angeregte Zulassung der Rechtbeschwerde besteht keine Veranlassung.

124

Die Frage einer „hinreichenden Bedingung für eine Aggregation“ ist nicht entscheidungserheblich, s. o. Abschnitte 3.5 / 3.6.

125

Auch auf die Frage nach der Zulässigkeit von Verallgemeinerungen kommt es nicht an. Als unzulässig wurde nicht eine Verallgemeinerung der offenbarten Parameter-Werte beurteilt, sondern die Herstellung einer zeitlichen Beziehung zwischen zwei Parametern, wie sie in den ursprünglichen Unterlagen keine Stütze findet (s. o. Abschnitt 5.2).