Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 08.11.2011


BPatG 08.11.2011 - 17 W (pat) 15/06

Patentbeschwerdeverfahren – vom Patentschutz ausgeschlossenes Programm für Datenverarbeitungsanlagen -


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
17. Senat
Entscheidungsdatum:
08.11.2011
Aktenzeichen:
17 W (pat) 15/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 198 33 998.4-53

hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Fritsch, der Richterin Kirschneck und der Richter Dipl.-Ing. Baumgardt und Dipl.-Phys. Dr. Forkel

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die vorliegende Patentanmeldung wurde am 29. Juli 1998 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Sie trägt die Bezeichnung:

2

„Einrichtung zur Zuordnung von Daten über zu liefernde Teile und von Daten über Lieferanten“.

3

Die Anmeldung wurde durch den von der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamtes in der Anhörung vom 16. November 2005 verkündeten Beschluss zurückgewiesen. Als Begründung wurde ausgeführt, dass die Lehre des Patentanspruchs 1 gemäß § 1 PatG dem Patentschutz nicht zugänglich sei, weil sie eine Geschäfts- bzw. Organisationsmethode beinhalte und damit nicht-technisch sei.

4

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet. Sie hat zuletzt eine Entscheidung nach Aktenlage beantragt und ist zur mündlichen Verhandlung - wie angekündigt - nicht erschienen.

5

In sinngemäßer Auslegung beantragt die Anmelderin die Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses und die Erteilung eines Patents mit den folgenden, zuletzt im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt geltenden Unterlagen:

6

- Patentansprüche 1 - 3 vom 16. November 2005, überreicht in der Anhörung;

7

- Beschreibung, Seite 1 vom 6. Juni 2005, eingegangen am 8. Juni 2005, und Seiten 2 - 9, eingegangen am Anmeldetag;

8

- 5 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 - 5 vom 11. Januar 1999, eingegangen am 12. Januar 1999.

9

Der geltende Patentanspruch 1 vom 16. November 2005, hier mit einer möglichen Gliederung versehen, lautet:

10

„Verfahren zum Verknüpfen von geometrischen oder materialspezifischen Werten (71 bis 725) von Werkstücken oder Maschinenteilen mit Kenngrößen (81 bis 815) von Werkzeugmaschinen, die die Bearbeitungsabläufe charakterisieren,

11

a) mit ersten gruppenweise angeordnete Speicherplätzen (21 bis 26) zur Speicherung der Werte (71 bis 725) und zweiten gruppenweise angeordnete Speicherplätzen (31 bis 36) zur Speicherung der Kenngrößen (81 bis 815)

12

b) mit Mitteln (10) zum Verknüpfen der Werte (71 bis 725) und der Kenngrößen (81 bis 815)

13

c) sowie mit Eingabevorrichtungen (5) und Ausgabevorrichtungen (6), durch die die Werte (71 bis 725), die Kenngrößen (81 bis 815) sowie die aus der Verknüpfung zwischen diesen gewonnenen Daten ausgebbar sind,

14

d) wobei die Speicherplätze (21 bis 26) und (31 bis 36) zusammen mit dem Mittel (10) zum Verknüpfen der Werte (71 bis 725, 81 bis 815) als Modul verbunden sind und

15

e) die Werte (71 bis 725) in Kästchen einer ersten Merkmalsleiste (7) darstellbar sind, und die Kenngrößen (81 bis 815) in Kästchen einer zweiten Merkmalsleiste (8) darstellbar sind.“

16

Der Anmeldung liegt sinngemäß die Aufgabe zugrunde, eine Einrichtung bzw. ein Verfahren bereitzustellen, welche bzw. welches eine treffsichere Zuordnung von zu liefernden Elementen, Bauteilen, Systemen, Komponenten und Dienstleistungen zu den ausführenden Firmen, Werkstätten, Dienstleistern Herstellern und Zulieferern unterstützt (vgl. Seite 1 der Beschreibung).

17

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung hat der Senat darauf hingewiesen, dass das beanspruchte Verfahren bereits aufgrund des Fehlens einer technischen Problemstellung dem Patentierungsausschluss gemäß § 1 Abs. 3 i. V. m. Abs. 4 PatG unterfallen könnte.

18

Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.

II.

19

Die Beschwerde wurde rechtzeitig eingelegt und ist auch sonst zulässig. Sie hat jedoch keinen Erfolg, weil der beanspruchten Lehre keine konkrete technische Problemstellung zugrunde liegt, so dass der Patentierungsausschluss gemäß § 1 Abs. 3 i. V. m. Abs. 4 PatG greift. Die Lehre nach dem Patentanspruch 1 ist als „Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches“ vom Patentschutz ausgeschlossen (vgl. BGH in BIPMZ 2010, 326 - Dynamische Dokumentengenerierung; BGH in GRUR 2011, 610 - Webseitenanzeige).

20

1. Die vorliegende Patentanmeldung betrifft eine Einrichtung zur Zuordnung von Daten über zu liefernde Teile zu Daten über Lieferanten, bzw. ein Verfahren zum Verknüpfen von geometrischen oder materialspezifischen Werten von Werkstücken oder Maschinenteilen mit Kenngrößen von Werkzeugmaschinen.

21

In einem Industriebetrieb besteht in der Regel das Erfordernis für eine treffsichere Zuordnung von zu liefernden Teilen (z. B. Elemente, Bauteile, Systeme, Komponenten und Dienstleistungen) zu möglichen Lieferanten (z. B. ausführende Firmen, Werkstätten, Dienstleister, Hersteller und Zulieferer).

22

Die Anmeldung setzt bei dem Problem an, dass bislang vor der Auftragsvergabe an einen Lieferanten eine Ausschreibung oder eine Anfrage an eine Vielzahl von Lieferanten versendet und von grundsätzlich in Frage kommenden Lieferanten jeweils ein Angebot eingeholt werden musste.

23

Dabei ist diese Vorgehensweise in der Regel gekennzeichnet durch viele Fehlanfragen, d. h. der Auftrag wird seitens des möglichen Lieferanten abgelehnt, oder das Angebot ist unvollständig und unbefriedigend, was ein erneutes Nachfragen erforderlich macht.

24

Selbst für den Fall, dass ein Auftrag vergeben werden kann, ist für den Auftraggeber nicht immer ersichtlich, welchen Fertigungsanteil der Lieferant an dem zu fertigenden Teil selber hatte und für welche Fertigungsvorgänge dieser seinerseits auf einen Zulieferer zurückgegriffen hatte.

25

Zur Lösung dieses Problems schlägt die Anmeldung vor, in einem herkömmlichen EDV-System ein Suchsystem zur Auswahl von Lieferanten durch Verknüpfung von Daten der zu liefernden Teile sowie Daten der Lieferanten aufzusetzen.

26

Dabei sollen einerseits sowohl Teile- als auch Lieferantenkriterien jeweils in Form von Matrizen bzw. Tabellen angeordnet werden. Andererseits sollen zum Zwecke einer Vergleichbarkeit sowohl die Daten der zu liefernden Teile als auch die Daten der Lieferanten auf dieselben Kenngrößen abgebildet werden (z. B. Kenngrößen für die Stückzahlen, Werkstoffklassen, Qualitätsanforderungen u. a.).

27

Eine Suchanfrage, welche die Kenngrößen für die Kriterien eines zu liefernden Bauteils beinhaltet, führt im Fall einer Übereinstimmung mit den Kenngrößen der entsprechenden Lieferanten-Kriterien zu den gewünschten Vorschlägen für mögliche Lieferanten.

28

Das Verfahren wird auf einem (üblichen) Rechner bzw. Netzwerk durchgeführt (vgl. Seiten 2 und 3; Fig. 1); es ist keine an das Verfahren angepasste spezielle Rechnerarchitektur ausgewiesen.

29

2. Als Fachmann, an den sich die beanspruchte Lehre richtet, ist ein Informatiker oder Programmierer mit vertieften Kenntnissen in der Softwareentwicklung anzusehen, welcher zudem eine mehrjährige Erfahrung in der Entwicklung und Anwendung von Datenbanksystemen innerhalb der (Beschaffungs-)Logistik besitzt.

30

Ein solcher Fachmann entnimmt dem Patentanspruch im Wesentlichen die Zuordnung von geometrischen oder materialspezifischen Werten von Werkstücken oder Maschinenteilen zu Kenngrößen von Werkzeugmaschinen, wobei die Werte, die Kenngrößen sowie die aus der Zuordnung gewonnenen Daten auf einer Ausgabevorrichtung zur Darstellung gebracht werden. Die Werte und die Kenngrößen werden dabei in getrennten Merkmalsleisten mit Kästchen wiedergegeben.

31

Die „Mittel zum Verknüpfen der Werte und der Kenngrößen“ gemäß Merkmal b) interpretiert der Fachmann in der Weise, dass Datensätze in Tabellen bzw. Relationen mit Hilfe von Schlüsseln so angeordnet sind, dass die an zu liefernde Teile gestellten Anforderungen mit den geeigneten Lieferanten bzw. deren Werkzeugmaschinen in Übereinstimmung gebracht werden können.

32

Ausgehend vom obigen Verständnis ist das beanspruchte Verfahren darauf ausgerichtet, die Verwaltung der in einer Datenverarbeitungsanlage gesammelten Datensätze so zu organisieren, dass auf eine benutzerseitige Anforderung hin die gewünschten Suchergebnisse auf einer Ausgabevorrichtung präsentiert werden können.

33

3. Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 ist nicht patentfähig, da es als „Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches“ gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 i. V. m. Abs. 4 PatG vom Patentschutz ausgeschlossen ist.

34

Gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist „bei Erfindungen mit Bezug zu Geräten und Verfahren (Programmen) der elektronischen Datenverarbeitung zunächst zu klären, ob der Gegenstand der Erfindung zumindest mit einem Teilaspekt auf technischem Gebiet liegt (§ 1 Abs. 1 PatG). Danach ist zu prüfen, ob dieser Gegenstand lediglich ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches darstellt und deshalb vom Patentschutz ausgeschlossen ist. Der Ausschlusstatbestand greift nicht ein, wenn diese weitere Prüfung ergibt, dass die Lehre Anweisungen enthält, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen“ (BGH, a. a. O. - Webseitenanzeige).

35

3.1 Der Gegenstand der Anmeldung liegt schon deshalb zumindest mit einem Teilaspekt auf technischem Gebiet, weil er eine bestimmte Nutzung der Komponenten einer Datenverarbeitungsanlage lehrt und damit eine Anweisung zum technischen Handeln gibt (BGH, a. a. O. - Dynamische Dokumentengenerierung).

36

3.2 Im Verfahren nach dem Patentanspruch 1 können jedoch keine Anweisungen erkannt werden, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen.

37

Welches technisches Problem durch eine Erfindung gelöst wird, ist objektiv danach zu bestimmen, was die Erfindung tatsächlich leistet (BGH in BIPMZ 2005, 77 - Anbieten interaktiver Hilfe).

38

Im vorliegenden Fall liegt die tatsächliche Leistung der beanspruchten Lehre darin, die an sich vorhandenen Informationen einer elektronischen Datenverarbeitung zugänglich zu machen und insbesondere die Werte von zu liefernden Teilen und Kenngrößen von Werkzeugmaschinen in Tabellen bzw. Relationen mit Hilfe von Schlüsseln so anzuordnen, dass die an die zu liefernden Teile gestellten Anforderungen durch die Datenverarbeitungsanlage mit geeigneten Lieferanten bzw. deren Werkzeugmaschinen in Übereinstimmung gebracht werden können.

39

Das objektive Problem besteht demnach darin, die vorhandenen Informationen in einer Datenbankstruktur so zu organisieren, dass Suchanfragen über der erzeugten Datenbasis abgearbeitet werden können.

40

Dieses Problem ist ein reines Problem der Datenorganisation, es hat keinen Bezug zur Welt der Technik. Die Lösung durch Verwendung von Tabellen bzw. Relationen und von Kenngrößen für Werkzeugmaschinen und durch das Organisieren des Datenbestandes in solcher Weise, dass die Datensätze nach ihren Attributwerten gefiltert werden können, verlangt keine technischen Überlegungen. Auch der Vorschlag, die Ergebnisse von Suchanfragen in Merkmalsleisten auf einer Ausgabevorrichtung darzustellen, ist eine reine Softwaremaßnahme, die keinerlei technische Überlegungen erfordert.

41

Da somit ein Datenorganisationsproblem durch Maßnahmen aus dem Bereich der reinen Informatik gelöst wird, liegt keine „schutzwürdige Bereicherung der Technik vor“ (vgl. BGH in BIPMZ 2002, 114 - Suche fehlerhafter Zeichenketten; BIPMZ 2004, 428 - Elektronischer Zahlungsverkehr), weil das Gebiet der Technik gar nicht erst betreten wird. Sonach ist die beanspruchte Lehre dem Patentschutz grundsätzlich nicht zugänglich.

42

3.3 Auch der Bedeutungsinhalt der gespeicherten und verarbeiteten Daten kann die Zugänglichkeit zum Patentschutz nicht begründen. Eine solche Sichtweise steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH in GRUR, 2005, 143 - Rentabilitätsermittlung); denn hier wie dort hat die Art der Daten oder die Frage ihres Ursprungs für die beanspruchte Lehre keine Relevanz.

III.

43

Bei dieser Sachlage war die Beschwerde der Anmelderin gegen den Zurückweisungsbeschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts zurückzuweisen.