Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 23.02.2012


BPatG 23.02.2012 - 17 W (pat) 11/08

Patentbeschwerdeverfahren – vom Patentschutz ausgeschlossenes Verfahren zur Datenverarbeitung –


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
17. Senat
Entscheidungsdatum:
23.02.2012
Aktenzeichen:
17 W (pat) 11/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2005 005 225.8-53

hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 23. Februar 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Fritsch, der Richterinnen Eder und Dipl.-Ing. Wickborn sowie des Richters Dipl.-Phys. Dr. Forkel

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die vorliegende Patentanmeldung wurde am 3. Februar 2005 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Sie trägt die Bezeichnung:

2

„Verfahren zur Auswahl von Datensätzen“.

3

Die Anmeldung wurde durch den von der Prüfungsstelle für Klasse G06F des Deutschen Patent- und Markenamtes in der Anhörung vom 25. Oktober 2007 verkündeten Beschluss zurückgewiesen. Als Begründung wurde ausgeführt, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 keine technische Erfindung im Sinne des Patentrechts beschreibe, da das Ziel einer effizienteren Nutzung einer Datenbank keine konkrete technische Problemstellung darstelle.

4

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet.

5

In sinngemäßer Auslegung beantragt die Anmelderin die Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses und die Erteilung eines Patents mit den folgenden Unterlagen:

6

Patentanspruch 1 vom 5. Mai 2008, eingegangen am 5. Mai 2008;

7

Patentansprüche 2 bis 7, eingegangen am Anmeldetag;

8

Beschreibung, Seiten 1 bis 13, eingegangen am Anmeldetag;

9

8 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 bis 9, eingegangen am Anmeldetag.

10

Der geltende Patentanspruch 1, hier mit einer möglichen Gliederung versehen, lautet:

11

„Verfahren zum Erzeugen und Darstellen von Daten auf einem Bildschirm mit den Schritten:

12

(a) Bereitstellen einer in regelmäßigen Abständen, insbesondere täglich aktualisierten ersten Datenbank (116) mit veränderlichen Daten, welche Informationen über verfügbare Reiseangebote enthalten, wobei jedes Reiseangebot Daten mit Informationen über eine Unterkunft am Reiseziel und eine gemessene, dauerhaft gespeicherte, geographische Lage (128) der Unterkünfte enthält,

13

(b) Bereitstellen einer zweiten Datenbank (132), welche touristische Informationen enthält, die zusammen mit einer gemessenen, geographischen Lage (142) dauerhaft und unabhängig von den Daten der ersten Datenbank (116) gespeichert sind, so dass die Daten zur Speicherplatzersparnis nur einmal gespeichert sind,

14

(c) Abfragen eines oder mehrerer Auswahlkriterien,

15

(d) Auslesen und Anzeigen eines oder mehrerer Datensätze aus der ersten Datenbank (116) unter Berücksichtigung der Auswahlkriterien,

16

(e) Auswählen eines angezeigten Datensatzes, und

17

(f) Auslesen und Anzeigen von unveränderlichen Daten aus der zweiten Datenbank (132), wobei

18

(g) auf Anforderung zusätzliche, in der zweiten Datenbank gespeicherte Daten über touristische Informationen angezeigt werden (150), welche die geographische Lage der Unterkunft und die für eine touristische Information gespeicherte, geographische Lage berücksichtigen, und

19

(h) die Entfernung zwischen einer Unterkunft und der den touristischen Informationen gehörigen geographischen Lage mit erhöhter Richtigkeit angegeben wird, indem die Genauigkeit der Erfassung der geographischen Lage so ausgewählt ist, dass auch die Lage der Unterkunft innerhalb eines Ortes erfasst wird.“

20

Zum nebengeordneten Patentanspruch 7 und zu den Unteransprüchen 2 bis 6 wird auf die Akte verwiesen.

21

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung hat der Senat mit Verweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Webseitenanzeige“ (BGH GRUR 2011, 610 - Webseitenanzeige) darauf hingewiesen, dass der geltende Patentanspruch 1 dem Patentschutz gemäß § 1 Abs. 3 i. V. m. Abs. 4 PatG nicht zugänglich sein dürfte, da es sich bei der beanspruchten Lehre um ein „Computerprogramm für Datenverarbeitungsanlagen als solches“ handle.

22

Daraufhin hat die Anmelderin Entscheidung nach Aktenlage beantragt.

23

Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.

II.

24

Die Beschwerde wurde rechtzeitig eingelegt und ist auch sonst zulässig. Sie hat jedoch keinen Erfolg, weil die im geltenden Patentanspruch 1 beanspruchte Lehre gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 i. V. m. Abs. 4 PatG vom Patentschutz ausgeschlossen ist.

25

1. Die vorliegende Patentanmeldung betrifft ein Verfahren zur Auswahl von Datensätzen.

26

Laut Beschreibungseinleitung liege die Hauptanwendung des beschriebenen Verfahrens im Bereich von Reiseanbietern und -veranstaltern und hier insbesondere auf dem Gebiet von Buchungsmaschinen bzw. Online-Plattformen zur Buchung von Reisen. Die hinter den Anwendungen stehenden Datenbanken würden in der Regel Daten zu Abflug- und Zielflughafen, Unterkunft, Ort, Reisedatum etc. sowie Buchungscodes beinhalten. Die in den Datenbanken gespeicherten Datenmengen seien dabei gewöhnlich sehr groß, weil für jede Reisevariation ein eigener Buchungscode vergeben werde und jede verfügbare Reise einzeln in einem Datensatz gespeichert werde. Die Datenbanken müssten auch häufig aktualisiert werden, weil einmal gebuchte Reisen aus dem Datenbestand entfernt oder aber als nicht mehr verfügbar gekennzeichnet werden müssten. Die Interaktion eines Benutzers mit der Buchungsmaschine bzw. Online-Plattform erfolge üblicherweise über spezielle Eingabemasken, in die Auswahlkriterien für eine Suche nach Reisen eingegeben werden könnten. Die Ergebnisse der Suche würden dann in einer Liste auf einem Bildschirm ausgegeben. Bei den bekannten Buchungsmaschinen bzw. Plattformen würden Informationen über die weitere Umgebung des jeweiligen Reiseziels nicht oder nur rudimentär bereitgestellt, da die Menge der Informationen durch den Speicherplatz limitiert sei. So würden Informationen, welche für Hotels in der Umgebung hinterlegt seien, bei der Anzeige für das jeweils ausgewählte Hotel nicht berücksichtigt. Durch eine limitierte Informationsmenge würde der Kunde aber möglicherweise von einer Buchung abgehalten. Außerdem würden in den Reiseinformationen genaue Entfernungsangaben innerhalb eines Ortes fehlen (z. B. zu Sehenswürdigkeiten) und die Verknüpfung der Reiseinformationen erfolge oftmals über Ortsnamen, was bei Namensgleichheit unterschiedlicher Ortschaften zu Verwechslungen bei der Ermittlung von Reisezielen führe (siehe Offenlegungsschrift Absätze [0008]-[0013]).

27

Der Anmeldung soll die Aufgabe zugrunde liegen, das Buchungsvolumen zu erhöhen, sowie eine Buchungsmaschine zu schaffen, die mehr Informationen bei effizienterer Nutzung des Speicherplatzes bereitstellt (siehe Offenlegungsschrift Absatz [0014]).

28

Als Fachmann, der mit der Aufgabe betraut wird, ein Verfahren zum Buchen von Reisen zu verbessern, ist ein Programmierer oder Informatiker anzusehen, welcher eine mehrjährige Erfahrung in der Entwicklung und Anwendung von Datenbanksystemen innerhalb von Internetanwendungen und insbesondere von Buchungsmaschinen besitzt.

29

2. Das auf dem Gebiet der Technik liegende Verfahren nach dem Patentanspruch 1 ist nicht patentfähig, weil es gemäß § 1 Abs. 3 Nr.  3 i. V. m. Abs. 4 PatG vom Patentschutz ausgeschlossen ist.

30

2.1 Der Patentanspruch 1 schlägt seinem Wortlaut nach zur Lösung der Aufgabe ein Verfahren zum Erzeugen und Darstellen von Daten auf einem Bildschirm vor.

31

Mit dem ersten Verfahrensschritt (Merkmal (a)) wird vorgeschlagen, eine erste Datenbank bereitzustellen, welche Informationen zu verfügbaren Reiseangeboten enthält. Jedes Reiseangebot umfasst Angaben zu einer Unterkunft am Reiseziel und deren geographischer Lage. Der Datenbestand der ersten Datenbank wird in regelmäßigen zeitlichen Abständen aktualisiert.

32

Weiterhin ist eine zweite Datenbank vorgesehen, welche die touristischen Informationen beinhaltet. Diese sind zusammen mit gemessenen, geographischen Lageinformationen dauerhaft und unabhängig von den Daten der ersten Datenbank gespeichert. Diese Daten sind statischer Natur und sind zur Speicherplatzersparnis nur einmal gespeichert (Merkmal (b)).

33

Zur Ermittlung eines Reiseangebots werden in der Datenbankanwendung zunächst Auswahlkriterien erfasst (Merkmal (c)), um aus der ersten Datenbank eine Menge von Datensätzen zu ermitteln und anzuzeigen (Merkmal (d)).

34

Die Auswahl eines der angezeigten Datensätze (z. B. mit Reiseanbieter, Hotelnamen, Bild des Hotels, Preis - Merkmal (e)) führt zu einer Anzeige der dem Datensatz zugeordneten, unveränderlichen Daten aus der zweiten Datenbank (mit Informationen über die Umgebung des ausgesuchten Hotels - Merkmal (f)).

35

Weiterhin sieht die beanspruchte Lehre vor, auf Anforderung zusätzliche in der zweiten Datenbank gespeicherte Daten über touristische Informationen anzuzeigen, welche die geographische Lage der Unterkunft und die für die touristischen Informationen gespeicherten Lagen berücksichtigen (Merkmal (g)).

36

Insbesondere kann die Entfernung zwischen einer Unterkunft und einer der touristischen Information zugeordneten geographischen Lage mit hoher Genauigkeit ausgegeben werden, wobei selbst noch die jeweilige Lage der Unterkunft innerhalb eines Ortes ermittelt und berücksichtigt werden kann (Merkmal (h)).

37

Das Ergebnis des Verfahrens ist die Ermittlung und Darstellung von Reiseangeboten, deren Angaben zu den Unterkünften über die geographische Lage mit touristischen Informationen verknüpft sind, so dass auch die gemessenen Entfernungen zwischen der jeweiligen Unterkunft und den Sehenswürdigkeiten in der Umgebung angezeigt werden können.

38
2.1 Das auf dem Gebiet der Technik liegende Verfahren nach dem Patentanspruch 1 ist nicht patentfähig, da es gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 i. V. m. Abs. 4 PatG vom Patentschutz ausgeschlossen ist.

39

Gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist „bei Erfindungen mit Bezug zu Geräten und Verfahren (Programmen) der elektronischen Datenverarbeitung zunächst zu klären, ob der Gegenstand der Erfindung zumindest mit einem Teilaspekt auf technischem Gebiet liegt (§ 1 Abs. 1 PatG). Danach ist zu prüfen, ob dieser Gegenstand lediglich ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches darstellt und deshalb vom Patentschutz ausgeschlossen ist. Der Ausschlusstatbestand greift nicht ein, wenn diese weitere Prüfung ergibt, dass die Lehre Anweisungen enthält, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen“ (BGH, a. a. O. - Webseitenanzeige).

40

2.2.1 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 liegt auf dem Gebiet der Technik gemäß § 1 Abs. 1 PatG.

41

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 liegt schon deshalb zumindest mit einem Teilaspekt auf technischem Gebiet, weil er eine bestimmte Nutzung der Komponenten einer Datenverarbeitungsanlage lehrt und damit eine Anweisung zum technischen Handeln gibt (BGH BIPMZ 2010, 326 - Dynamische Dokumentengenerierung).

42

2.2.2 Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 ist vom Patentschutz ausgeschlossen, da keine Anweisungen erkannt werden können, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen.

43

Welches technische Problem durch eine Erfindung gelöst wird, ist objektiv danach zu bestimmen, was die Erfindung tatsächlich leistet (BGH GRUR 2005, 141 – Anbieten interaktiver Hilfe).

44

Im vorliegenden Fall liegt die tatsächliche Leistung der beanspruchten Lehre darin, Informationen für eine Reisebuchung bereitzustellen, wobei die an sich vorhandenen und auf zwei Datenbanken verteilten Daten zu Reiseangeboten und touristischen Informationen auf Basis von Auswahlkriterien für eine automatische Zuordnung verwendet und auf einem Bildschirm zur Anzeige gebracht werden, wobei die Inhalte der beiden Datenbanken über die Angaben zu geographischen Lagen von Unterkünften und touristischen Informationen wie z. B. Sehenswürdigkeiten miteinander verknüpft sind.

45

Das objektive Problem besteht demnach darin, zur Bereitstellung von Informationen für eine Reisebuchung die hinterlegten Daten so zu organisieren, dass die automatisierte Auswahl eines Reiseangebots gemäß den getroffenen Auswahlkriterien ermöglicht wird und neben Reiseinformationen auch zugehörige touristische Informationen präsentiert werden können.

46

Dieses Problem ist ein reines Problem der Datenverarbeitung, und zwar der Bereitstellung von Informationen, deren Aufbereitung, Abruf und Auswertung; es hat keinen Bezug zur Welt der Technik.

47

Die Anweisungen in den Verfahrensschritten (a) bis (h) gehen nicht über die Erfassung, Verarbeitung, Speicherung und Übermittlung von Daten hinaus, so dass in ihnen nur Maßnahmen der Datenverarbeitung zu sehen sind und nicht die Lösung eines konkreten technischen Problems (BGH, a. a. O. – Webseitenanzeige; BGH GRUR 2009, 479 – Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten). Die gemäß den Schritten (a) und (b) gesammelten und gespeicherten Daten sind so zu organisieren und aufzubereiten, dass eine zielgerichtete Suche nach Reiseinformation ermöglicht und eine anzeigbare Darstellung derselben erzeugt werden kann. Die dem beanspruchten Verfahren zugrundeliegenden Datenbanken dienen lediglich der strukturierten Sammlung von Daten. Die bloße Speicherung von Daten in solchen Datenbanken ist aber als außertechnisch anzusehen (BGH, a. a. O. - Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten).

48

Die Lösung durch Abspeichern der Informationen in zwei Datenbanken, so dass bei Eingabe von Auswahlkriterien eine automatische Auswahl des geeigneten Reiseangebots in Verbindung mit der Darstellung von Zusatzinformationen möglich wird, verlangt keine technischen Überlegungen und ist als eine reine Maßnahme der Datenorganisation anzusehen. Denn der Vorschlag, Datensätze auf zwei Datenbanken so zu verteilen, dass die dynamischen Daten in einer ersten und die statischen Daten in einer zweiten Datenbank gehalten werden, betrifft nicht die prinzipielle Funktionsfähigkeit einer Datenverarbeitungsanlage in technischer Hinsicht. In technischer Hinsicht arbeitet die Datenverarbeitungsanlage entsprechend ihrer Bestimmung. Der von der Anmelderin genannte Vorteil einer Speicherplatzersparnis in der Datenhaltung ist dabei allein bedingt durch die Art der Organisation der Datensätze. Dass eine bestimmte Art der Verwaltung von Datensätzen besondere Auswirkungen auf den Speicherbedarf zeigt, begründet für sich aber noch keine technische Leistung. Auch der Vorschlag, Auswahlkriterien über eine geeignete Eingabemaske zu erfassen und die gesuchten Datensätze auszugeben, stellt eine reine Softwaremaßnahme dar, die keinerlei technische Überlegungen erfordert.

49

Die Tatsache, dass die beiden Datenbanken geographische Lageinformationen umfassen, welche auf GPS-Daten basieren, kann keinerlei Grundlage dafür liefern, dass das beanspruchte Verfahren den Patentierungsausschluss gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 i. V. m. Abs. 4 PatG überwindet. Denn der Bedeutungsinhalt der gespeicherten und verarbeiteten Daten kann die Zugänglichkeit zum Patentschutz nicht begründen. Dies steht auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH GRUR 2005, 143 - Rentabilitätsermittlung).

50

Durch das beanspruchte Verfahren wird eine messtechnische Bestimmung von Entfernungen zwischen Unterkünften und touristischen Zielen gerade nicht geleistet, insbesondere werden keine GPS-Messungen durchgeführt, sondern deren Resultate als Bezugsdaten für die Datenorganisation im Rahmen der Datenverarbeitung zur Verfügung gestellt. Im Übrigen lässt der in der Beschreibung genannte Entfernungsrechner allenfalls darauf schließen, dass zur Bestimmung von Entfernungskilometern eine wie auch immer geartete mathematische Methode angewendet wird, welche ebenfalls keinerlei technische Problemstellung begründen kann.

51

2.3 Mit dem Patentanspruch 1 fallen zwangsläufig auch die übrigen Patentansprüche, da über einen Antrag nur einheitlich entschieden werden kann.