Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 10.10.2018


BPatG 10.10.2018 - 15 W (pat) 49/17

Patentbeschwerdeverfahren – "Automatische Komplikationskontrolle" - fehlende oder ungenaue Angabe der Offenbarung der Änderungen in einer Anspruchsfassung – kein Zurückweisungsgrund


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsdatum:
10.10.2018
Aktenzeichen:
15 W (pat) 49/17
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2018:171018B15Wpat49.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2010 008 038

hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 10. Oktober 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Maksymiw, der Richterin Zimmerer und der Richter Hermann und Dr. Freudenreich

beschlossen:

Auf die Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.

Tatbestand

I.

1

Sachverhalt

2

Die Anmelderin reichte am 5. Februar 2010 beim Deutschen Patent- und Markenamt eine Patentanmeldung mit der Bezeichnung

3

„Automatische Komplikationskontrolle“

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ein, die die Innere Priorität 10 2009 008 071.6 vom 5. Februar 2009 in Anspruch nimmt und am 14. Oktober 2010 in Form der DE 10 2010 008 038 A1 veröffentlicht wurde.

5

Mit dem am 11. März 2016 gefassten Beschluss wies die Prüfungsstelle für Klasse A 61 M des Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung nach § 48 PatG auf der Grundlage der mit Schriftsatz vom 1. Juli 2015 nach Hauptantrag und Hilfsantrag vorgelegten Anspruchsfassungen zurück. Die zueinander in Nebenordnung stehenden Patentansprüche 1 und 4 der 13 Patentansprüche umfassenden Anspruchsfassung nach Hauptantrag lauten:

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1. Vorrichtung zur Beatmung mit Sensoren, deren Messwerte eine Ermittlung von Druck und/oder Flow und/oder Volumen der zugeführten und/oder ausgeatmeten Gase erlauben, einer Recheneinheit, die diese Messwerte speichert und zu weiteren Berechnungen nutzt, einer Eingabeeinheit, durch die in der Recheneinheit hinterlegte Datensätze ausgewählt und/oder in die Recheneinheit externe Daten frei eingegeben werden können, die in der Recheneinheit als vorgegebene Schwellwerte für eine vorgegebene Gesamtzeit als ausgewählt berücksichtigt und von der Recheneinheit angewendet werden, wobei die Recheneinheit selbsttätig nach einer fest einprogrammierten und/oder frei Vergleichsregel(n) die Messwerte mit den externen Daten in Beziehung setzt und dabei eine für die Gesamtzeit gegebene Erfüllung einer Vergleichsregel als Vorgang erfasst und abspeichert, dadurch gekennzeichnet, dass die Recheneinheit zunächst ermittelt, ob die Anzahl der erfassten Vorgänge in der Gesamtzeit jeweils einen bestimmten Wert über- oder unterschreitet, wobei die Recheneinheit innerhalb der Gesamtzeit die ermittelten Vorgänge differenziert, hinsichtlich der Höhe der Über- oder Unterschreitung, der Häufigkeit bei denen die Vergleichsregel erfüllt wurde mit einem vorgegebenen Muster, gegeben durch die Kombination von entsprechenden Sollwerten, abgleicht und bei Übereinstimmung in den gegebenen Grenzwerten eine entsprechende, auf das Muster hinweisende, optische Anzeige generiert und erst dann die Recheneinheit die erfassten Vorgänge zu einem Signal verarbeitet, das eine entsprechenden optische Anzeige die eine Information über die Qualität der Therapie darstellt generiert, und dass eine Ausgabe der Rückmeldung in vereinfachter Form durch Symbole am Gerät für den Patienten erfolgt und dass nach einer Aktivierung durch den Anwender eine Ausgabe der Rückmeldung über die Ursache der Bewertung der Therapiequalität in detaillierter Form für den Experten erfolgt.

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4. Verfahren zur Beatmung unter Verwendung von Sensoren, deren Messwerte eine Ermittlung von Druck und/oder Flow und/oder Volumen der zugeführten und/oder ausgeatmeten Gase erlauben, einer Recheneinheit, die diese Messwerte speichert und zu weiteren Berechnungen nutzt, einer Eingabeeinheit, durch die in der Recheneinheit hinterlegte Datensätze ausgewählt und/oder in die Recheneinheit externe Daten frei eingegeben werden können, die in der Recheneinheit als vorgegebene Schwellwerte für eine vorgegebene Gesamtzeit als ausgewählt berücksichtigt und von der Recheneinheit angewendet werden, wobei die Recheneinheit selbsttätig nach einer fest einprogrammierten und/oder frei Vergleichsregel(n) die Messwerte mit den externen Daten in Beziehung setzt und dabei eine für die Gesamtzeit gegebene Erfüllung einer Vergleichsregel als Vorgang erfasst und abspeichert, dadurch gekennzeichnet, dass die Recheneinheit zunächst ermittelt, ob die Anzahl der erfassten Vorgänge in der Gesamtzeit jeweils einen bestimmten Wert über- oder unterschreitet, wobei die Recheneinheit innerhalb der Gesamtzeit die ermittelten Vorgänge differenziert, hinsichtlich der Höhe der Über- oder Unterschreitung, der Häufigkeit bei denen die Vergleichsregel erfüllt wurde mit einem vorgegebenen Muster, gegeben durch die Kombination von entsprechenden Sollwerten, abgleicht und bei Übereinstimmung in den gegebenen Grenzwerten eine entsprechende, auf das Muster hinweisende, optische Anzeige generiert und erst dann die Recheneinheit die erfassten Vorgänge zu einem Signal verarbeitet, das eine entsprechenden optische Anzeige die eine Information über die Qualität der Therapie darstellt generiert, und dass eine Ausgabe der Rückmeldung in vereinfachter Form durch Symbole am Gerät für den Patienten erfolgt und dass nach einer Aktivierung durch den Anwender eine Ausgabe der Rückmeldung über die Ursache der Bewertung der Therapiequalität in detaillierter Form für den Experten erfolgt.

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Die Patentansprüche 1 und 4 der im Übrigen wortgleichen Anspruchsfassung nach Hilfsantrag unterscheiden sich von denen nach Hauptantrag durch den Ersatz der den Patentanspruch abschließenden Passage

9

„am Gerät für den Patienten erfolgt und dass nach einer Aktivierung durch den Anwender eine Ausgabe der Rückmeldung über die Ursache der Bewertung der Therapiequalität in detaillierter Form für den Experten erfolgt.“

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durch die folgende Passage

11

„am Gerät für den Patienten und nach einer Aktivierung durch den Anwender erfolgt und dass nach einer Aktivierung durch den Anwender eine Ausgabe der Rückmeldung über die Ursache der Bewertung der Therapiequalität in detaillierter Form für den Experten erfolgt.“.

12

Die Zurückweisung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Prüfungsstelle zu den mit Schriftsatz vom 1. Juli 2015 nach Haupt- und Hilfsantrag vorgelegten Anspruchsfassungen mit Bescheid vom 18. Dezember 2015 dem § 15 Abs. 3 PatV Rechnung tragende Unterlagen angefordert und darauf hingewiesen habe, dass im Falle des Ausbleibens der Angaben mit der Zurückweisung zu rechnen sei. Aus den Unterlagen der daraufhin erfolgten Eingabe der Anmelderin vom 19. Februar 2016 hätten sich die Voraussetzungen nach § 15 Abs. 3 jedoch nicht ergeben. Eine Anhörung sei von der Anmelderin nicht beantragt worden, wonach der gemäß § 45 Abs. 1 PatG gerügte Mangel nach § 15 Abs. 3 PatV i. V. m. § 34 Abs. 6 innerhalb der gesetzten Frist nicht behoben worden sei und die Anmeldung daher zurückzuweisen gewesen sei.

13

Als Stand der Technik wurden im Prüfungsverfahren die Druckschriften

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D1 EP 1 226 841 A2 und

15

D2 EP 1 859 733 A1

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ermittelt.

17

Gegen die Zurückweisung hat die Anmelderin mit Schriftsatz vom 15. April 2016 Beschwerde eingelegt und Rechtsmängel bei dem angegriffenen Beschluss geltend gemacht. Eine weitere Begründung der Beschwerde ist nicht erfolgt. Auch hat die Anmelderin keinen ausdrücklichen Antrag gestellt.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Anmelderin, insbesondere wegen des Wortlauts der Unteransprüche, wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

Entscheidungsgründe

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Die frist- und formgerecht eingereichte und somit zulässige Beschwerde (§ 73 PatG) hat in der Sache Erfolg. Entgegen der Ansicht des Deutschen Patent- und Markenamts kann die streitgegenständliche Patentanmeldung nicht bereits aus formalen Gründen zurückgewiesen werden.

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1. Im vorliegenden Fall stützt sich der Zurückweisungsbeschluss auf § 15 Abs. 3 PatV, wonach der Anmelder, sofern die Änderungen nicht vom Deutschen Patent- und Markenamt vorgeschlagen worden sind, im Einzelnen anzugeben hat, an welcher Stelle die in den neuen Unterlagen beschriebenen Erfindungsmerkmale in den ursprünglichen Unterlagen offenbart sind. Nach Auffassung der Prüfungsstelle könne eine Verletzung dieser Vorschrift die Zurückweisung der Patentanmeldung tragen.

21

Der Sachprüfung und der Patenterteilung steht nicht entgegen, dass die Anmelderin nicht im Einzelnen die Textstelle, auf der die Änderungen beruhen, angegeben hat.

22

Die Anmelderin erläuterte zu den Änderungen der nahezu wortgleichen und sich lediglich in der Anspruchskategorie unterscheidenden Patentansprüche 1 und 4 in der Faxeingabe vom 1. Juli 2015 bzw. in der auch die handschriftliche Korrekturversion aufweisenden Reinschrift vom 8. Juli 2015, dass sich die geänderten und umformulierten unabhängigen Patentansprüche von der Druckschrift D1 nunmehr durch die Merkmale unterschieden,

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- dass Schwellwerte und eine Gesamtzeit vorgegeben würden,

24

- dass die Recheneinheit innerhalb der Gesamtzeit die ermittelten Vorgänge differenziert, hinsichtlich der Höhe der Über- und Unterschreitung, der Häufigkeit bei denen die Vergleichsregel erfüllt würde mit einem vorgegebenen Muster, gegeben durch die Kombination von entsprechenden Sollwerten, abgleicht und bei Übereinstimmung in den gegebenen Grenzwerten eine entsprechende, auf das Muster hinweisende, optische Anzeige generiert,

25

- dass die optische Anzeige die eine Information über die Qualität der Therapie darstellt und

26

- dass die Qualität der Therapie in vereinfachter Form durch Symbole am Gerät für den Patienten dargestellt werde.

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Weiter sei ein Patentanspruch 2 ergänzt worden, die ursprünglichen Patentansprüche 2-4 seien gestrichen und der Patentanspruch 5 in den Patentanspruch 3 umnummeriert. Der zweite unabhängige Patentansprüche wiese nunmehr die Nummer 4 auf und die zugehörigen Patentansprüche seien durchlaufend nummeriert und hinsichtlich der Rückbezüge korrigiert.

28

Was die Änderung in den Patentansprüchen 1 und 4 nach Hilfsantrag und damit die Aktivierung durch den Anwender betrifft, hat die Anmelderin zur Offenbarung ersichtlich unzutreffend auf Abs. [0094] der A1-Schrift verwiesen, zu diesem Merkmal jedoch auch auf S. 29 Abs. 3 der Anmeldeunterlagen, entsprechend Abs. [0110] der A1-Schrift. Die dem Schreiben beigefügte Korrekturversion mit handschriftlichen Änderungen betrifft im Gegensatz zur Behauptung der Anmelderin, dass es sich um eine Korrekturversion handele, in der die jeweiligen Offenbarungsstellen eingetragen seien, lediglich die Unteransprüche vom Anmeldetag und darin durchgeführte Änderungen in der Nummerierung und den Rückbezügen.

29

Den dem Schriftsatz, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am 25. Februar 2016, beigefügten Unterlagen zu den Anspruchsfassungen nach Haupt- und Hilfsantrag, welche von Seiten der Anmelderin in der unteren rechten Ecke jeweils mit „I“ für Dokumente zum Hauptantrag und „II“ für die Dokumente zum Hilfsantrag ergänzt wurden, sind jedenfalls auf die Unterlagen vom Anmeldetag bezogene detaillierte Angaben zu den neu eingeführten Merkmalen zu entnehmen. Diese versetzen die Prüfungsstelle weitgehend in die Lage zu beurteilen, ob die geänderten Patentansprüche unzulässig erweitert wurden. Soweit der letzte Teil des Patentanspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag zutreffend nicht den Konkordanzangaben zu entnehmen ist, ist die Ermittlung dieser Passage aus den Unterlagen vom Anmeldetag ohne weiteres möglich. Denn die Patentanmeldung lag bereits als Offenlegungsschrift vor, was in verfahrensökonomischer Weise eine Wortrecherche mit farbiger Hervorhebung der gefundenen Merkmale erlaubt.

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Ob und mit welcher Anspruchsfassung der begehrte Schutz tatsächlich gewährbar ist, ist im Übrigen eine Frage der Sach- und nicht der Formalprüfung. Insoweit ist die Angabe der Textstellen für die Sachprüfung nicht unumgänglich. Eine Prüfung auf unzulässige Erweiterung wird durch eine fehlende oder ungenaue Angabe der zugrundeliegenden Textstellen lediglich erschwert und führt gegebenenfalls zur Rechtsfolge der unzulässigen Erweiterung. Somit kann die fehlende oder ungenaue Angabe der Offenbarung der Änderung in einer Anspruchsfassung keine Zurückweisung der Patentanmeldung tragen.

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3. Die Sache war gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 PatG an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen, da demnach entgegen der Ansicht der Prüfungsstelle keine die Zurückweisung der Anmeldung tragenden Mängel der Anmeldung vorliegen. Im Gegenteil wurde der vorwiegende Teil der Merkmale der geltenden Patentansprüche 1 und 4 der Beschreibung entnommen; eine Zurückweisung wegen Formmangels sollte nur erfolgen, wenn dieser eine Sachprüfung unmöglich macht (vgl. Busse PatG, 8. Aufl., § 48 Rdn. 11). Eine Zurückverweisung an das Deutsche Patent- und Markenamt kommt insbesondere dann in Betracht, wenn wie hier eine Sachprüfung erforderlich ist, weil die Patentfähigkeit noch nicht oder nicht ausreichend Gegenstand der Prüfung war (§ 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG, vgl. Busse PatG, 8. Aufl., § 79 Rdn. 79; Schulte PatG, 10. Auflage, § 79 Rdn. 20, 21). Insoweit hat die Prüfungsstelle weder zu den neu eingeführten Merkmalen noch zu dem hinsichtlich § 2a PatG zu bewertenden nunmehr beanspruchten Verfahren zur Beatmung Stellung genommen.

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Im Übrigen kann der Senat nicht ausschließen, dass ein Stand der Technik existiert, der einer Patenterteilung nach Haupt- oder Hilfsantrag entgegenstehen könnte. Zu dessen Ermittlung sind in erster Linie die Prüfungsstellen des Deutschen Patent- und Markenamts berufen, welche hierzu über geeignete Recherchemittel und Fachkenntnisse verfügen. Da eine sachgerechte Entscheidung nur aufgrund einer vollständigen Recherche des relevanten Standes der Technik ergehen kann, war die Sache – auch um der Anmelderin keine Tatsacheninstanz zu nehmen – zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.