Entscheidungsdatum: 18.02.2010
Sitagliptin
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel (kodifizierte Fassung) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Kann ein ergänzendes Schutzzertifikat für Arzneimittel erteilt werden, wenn der Zeitraum zwischen der Einreichung der Anmeldung für das Grundpatent und dem Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft kürzer ist als fünf Jahre?
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Schutzzertifikatsanmeldung 12 2007 000 056.1
für das Grundpatent DE 602 10 093 (EP 1 412 357)
hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 5. November 2009 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Feuerlein, der Richterin Schwarz-Angele und der Richter Dr. Egerer und Dr. Lange in der Sitzung vom 28. Januar 2010
beschlossen:
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel (kodifizierte Fassung) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Kann ein ergänzendes Schutzzertifikat für Arzneimittel erteilt werden, wenn der Zeitraum zwischen der Einreichung der Anmeldung für das Grundpatent und dem Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft kürzer ist als fünf Jahre?
Die Anmelderin beantragt die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für den pharmazeutischen Wirkstoff Sitagliptin. Das Schutzzertifikat soll jedoch nicht zu einer Verlängerung der Laufzeit des Grundpatents führen.
Die Anmelderin ist Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 1 412 357, DE 602 10 093 (Grundpatent), das „Beta-amino-tetrahydroimidazo(1,2-a) pyrazine und -tetrahydrotriazolo(4,3-a) pyrazine als Dipeptidylpeptidase-Inhibitoren zur Behandlung oder Prävention von Diabetes“ betrifft. Anmeldetag war der 5. Juli 2002. Die Patentinhaberin hat am 14. September 2007 beim Deutschen Patent- und Markenamt die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel beantragt und diesen Antrag auf das Erzeugnis „Sitagliptin, gegebenenfalls in Form eines pharmazeutisch annehmbaren Salzes, insbesondere für Sitagliptinphosphat-Monohydrat“ gerichtet. Als Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Europäischen Gemeinschaft und in der Bundesrepublik Deutschland hat sie den 21. März 2007, den Tag der erteilten europäischen Zulassung für das Arzneimittel JANUVIA angegeben. Dieses Arzneimittel enthält den Wirkstoff Sitagliptinphosphat-Monohydrat.
Die Antragstellerin trägt vor, ihr sei bewusst, dass zwischen dem Tag der Anmeldung des Grundpatents und dem Tag der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels in der Gemeinschaft ein Zeitraum von weniger als fünf Jahre vergangen ist. Gleichwohl habe sie Anspruch auf Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikates nach der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 (diese Verordnung wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel mit Wirkung vom 6. Juli 2009 im Wege der Kodifikation ohne inhaltliche Änderung ersetzt), denn nur so könne sie sich das Recht bewahren in der Folgezeit für den betreffenden Wirkstoff eine sechsmonatige Verlängerung des Zertifikats nach den Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 (Kinderarzneimittel-Verordnung) zu erlangen.
Das Deutsche Patent- und Markenamt hat mit Beschluss vom 1. Juli 2008 den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, die Voraussetzungen für die Erteilung des Schutzzertifikats nach Art. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 seien an sich erfüllt. Weil aber zwischen dem Tag der Anmeldung des Grundpatents, dem 5. Juli 2002, und dem Tag der Erteilung der ersten Genehmigung in der Gemeinschaft, dem 21. März 2007, nur ein Zeitraum von 4 Jahren, 8 Monaten und 16 Tagen liegt, ergebe sich für ein Schutzzertifikat nach Art. 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 eine „negative Laufzeit“ von 3 Monaten und 14 Tagen. Ein Schutzzertifikat mit einer Minus-Laufzeit aber sei ausgeschlossen.
Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt.
Sie stellt den Antrag, ein ergänzendes Schutzzertifikat für den Wirkstoff Sitagliptin, gegebenenfalls in Form eines pharmazeutisch annehmbaren Salzes, insbesondere Sitagliptinphosphat-Monohydrat zu erteilen, wobei das Schutzzertifikat ab Ablauf der gesetzliche Laufzeit des Grundpatents (5. Juli 2022) bis zum 21. März 2022 wirksam sein soll.
Hilfsweise beantragt sie, dass das Schutzzertifikat ab Ablauf der gesetzlichen Laufzeit des Grundpatents bis zum 5. Juli 2022 wirksam sein soll.
Sie ist der Ansicht, das Schutzzertifikat sei nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 zwingend zu erteilen, denn alle formellen (Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009) und materiellen (Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009) Voraussetzungen für die Zuerkennung des Zertifikats seien hier unstreitig gegeben. Lediglich eine positive Laufzeit ließe sich nicht errechnen, was aber nicht schade, denn die Laufzeit des Zertifikats nach Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 zähle gerade nicht zu den Voraussetzungen für die Erteilung eines Zertifikats. Diese ergebe sich schon aus der systematischen Stellung des Artikel 13 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 innerhalb des Gefüges der Schutzzertifikats-Verordnung. Dieser Artikel sei nach den Bestimmungen zur Bekanntmachung des Zertifikats und zu den Jahresgebühren (Art. 11, 12 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009) angeordnet, was bedeute, dass die Laufzeit eines Zertifikats erst nach der Erteilung des Zertifikats festzulegen sei. Damit sei die Erteilung eines Arzneimittel-Schutzzertifikats mit einer „Null-Laufzeit“ oder mit einer „Minus-Laufzeit“ rechtsdogmatisch möglich. Aus einer derartigen Laufzeit könne seit dem Erlass der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 (Kinderarzneimittel Verordnung) durch die nunmehr mögliche sechsmonatige Verlängerung ein Schutzzertifikat mit einer positiven Laufzeit entstehen. Sie selbst werde den von Art. 36 Abs. 1 dieser Verordnung zuerkannten Bonus von sechs Monaten aller Voraussicht nach in Anspruch nehmen und habe bereits ein pädiatrisches Prüfkonzept vorgelegt, das am 27. März 2009 von der zuständigen Behörde gebilligt worden sei. Die in diesem Konzept gebilligten pädiatrischen Studien seien bis zum Jahr 2017 abzuschließen. Dieser Verpflichtung werde sie nachkommen. Voraussetzung für eine Verlängerung der Laufzeit nach Art. 36 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 sei (nur) die Durchführung sämtlicher Studien entsprechend dem gebilligten pädiatrischen Prüfkonzept, eine nachfolgende Indikation werde nicht verlangt. Damit könne nicht ernsthaft daran gezweifelt werden, dass sie die Voraussetzungen für die Gewährung einer Verlängerung der Laufzeit nach Art. 36 der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 erfüllen werde.
Durch den Erlass der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 sollte ein Anreiz für die Durchführung von pädiatrischen Studien geschaffen werden. Dieser Zweck könne nur erreicht werden, wenn das ergänzende Schutzzertifikat und die potentielle pädiatrische Verlängerung als zusammengehöriges Konzept betrachtet würden. Bei der Berechnung der Laufzeit des Schutzzertifikats nach Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 ergebe sich sodann - unter der Annahme, dass die übrigen Voraussetzungen der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 vorliegen - eine positive Laufzeit bis zum 21. September 2022. Dabei sei der 21. März 2022 als das Datum des Ablaufs der Schutzzertifikats als mathematische Hilfsgröße für die Berechnung der Verlängerung der Laufzeit nach der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 heranzuziehen. Es sei auch daran zu denken, diese Laufzeitverlängerung unmittelbar an den Ablauf des Patents anschließen zu lassen, was hier zu einer verlängerten Laufzeit bis zum 5. Januar 2023 führen würde.
Wolle man hier ein ergänzendes Schutzzertifikat versagen, so würden die Anmelderin und auch andere forschende Pharmaunternehmen benachteiligt werden, obwohl diese einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung und Verbesserung der Zugänglichkeit von Arzneimitteln für die pädiatrischen Bevölkerungsgruppen geleistet hätten. Dies stehe den Erwägungsgründen der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 diametral entgegen.
I. Vor der Entscheidung im vorliegenden Beschwerdeverfahren ist gemäß Artikel 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu der im Beschlusstenor gestellten Frage einzuholen. Die Vorlage an den Gerichtshof ist geboten, weil es um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht (Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel) geht und von ihr die Sachentscheidung in der vorliegenden Rechtssache abhängt.
II. Nach Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 kann für jedes im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates durch ein Patent geschütztes Erzeugnis, das vor seinem Inverkehrbringen als Arzneimittel Gegenstand des dort genannten verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens ist, ein Zertifikat erteilt werden, wenn die in der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 festgelegten Bedingungen und Modalitäten erfüllt sind. Die (materiellen) Bedingungen für die Erteilung eines Zertifikats sind in Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 geregelt. Danach wird das Zertifikat erteilt, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem das Zertifikat eingereicht wird, zum Zeitpunkt der Anmeldung das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist (Buchstabe a) und für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde (Buchstabe b). Weiters muss es sich bei dieser Genehmigung um die erste Genehmigung in dem Anmeldestaat handeln (Buchstabe d) und es darf für das Erzeugnis nicht bereits ein Zertifikat erteilt worden sein (Buchstabe c von Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009). Liegen diese Voraussetzungen vor, so „wird“ das Zertifikat erteilt. Diese Bedingungen, sowie die formellrechtlichen Anmeldevoraussetzungen (Art. 7 bis Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009) sind hier unstreitig gegeben.
Bei der Berechnung der Laufzeit des Zertifikats nach Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 ergibt sich jedoch kein positiver Zeitraum, denn zwischen dem Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung für das Grundpatent und dem Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft ist ein Zeitraum von weniger als fünf Jahre vergangen.
1. In derartigen Fällen kommt nach bisher überwiegender Ansicht die Erteilung eines Zertifikats nicht in Betracht (Busse, Patentgesetz, 6. Auflage 2003, Anhang zu § 16a Rdn. 95; Schennen, Die Verlängerung der Patentlaufzeit für Arzneimittel, 1993, S. 73; Fackelmann, Patentschutz und ergänzende Schutzinstrumente für Arzneimittel im Spannungsfeld von Wettbewerb und Innovation, Schriftenreihe zum Gewerblichen Rechtsschutz, Bd. 158, S. 238). Begründet wird dies damit, dass dem Inhaber eines Patents hier mehr als fünfzehn Jahre Ausschließlichkeit ab der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels zur Verfügung stünden. Damit entfalle die Notwendigkeit für einen zusätzlichen Schutz, wie ihn die Verordnung (EG) Nr. 469/2009 vorsieht (vgl. Erwägungsgrund 9). Nimmt der Antragsteller seinen Antrag auf Erteilung des Zertifikats nicht zurück, so wird der Antrag nach Art. 10 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 zurückgewiesen.
Dies wird in verschiedenen anderen europäischen Staaten ebenso gehandhabt. So sehen z. B. die „Richtlinien für die Prüfung von Schutzzertifikatsanmeldungen“ des österreichischen Patentamts vom 8. Februar 2005 (unter Nr. 5.3.2), die „Supplementary Protection Certificates for Medicinal and Plant Protection Products“ des Intellectual Property Office des Vereinigten Königreichs vom Oktober 2009 (Article 13 SPM 13.05) und die Prüfungsrichtlinien des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum vom 1. Juli 2008 (unter Nr. 13.3) ausdrücklich vor, dass die Erteilung eines Schutzzertifikats mit einer Null-Laufzeit ausgeschlossen ist.
2. Der Erlass der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel könnte an dieser Sichtweise etwas geändert haben.
Die Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 regelt die Entwicklung von Humanarzneimitteln für einen spezifischen therapeutischen Bedarf in der pädiatrischen Bevölkerungsgruppe, ohne dass unnötige klinische oder andere Prüfungen an der pädiatrischen Bevölkerungsgruppe durchgeführt werden müssen (Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006). Zweck der Kinderarzneimittel-Verordnung ist es, die Entwicklung und die Zugänglichkeit von Arzneimitteln zur Verwendung bei der pädiatrischen Bevölkerungsgruppe zu erleichtern, deren qualitativ hochwertige Erforschung zu gewährleisten, sowie die Information über deren Verwendung zu verbessern (Erwägungsgrund 4). Als Anreiz für die Verwirklichung dieses Zieles wurde ein Bonus in Form einer sechsmonatigen Verlängerung der Laufzeit des ergänzenden Schutzzertifikats geschaffen. Dieser wird gewährt, wenn alle Maßnahmen in Übereinstimmung mit einem gebilligten pädiatrischen Prüfkonzept durchgeführt wurden (Erwägungsgrund 26 und Art. 36 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006).
Die sechsmonatige Verlängerung der Laufzeit eines Zertifikats ist aber nur dann zulässig, wenn ein Zertifikat nach der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 erteilt wird (Erwägungsgrund 27 und Art. 36 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006). Artikel 36 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 bestimmt ausdrücklich, dass eine Verlängerung der Laufzeit nur für Arzneimittel in Betracht kommt, die durch ein ergänzendes Schutzzertifikat nach der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 geschützt sind oder hierfür in Frage kommen. Dies bedeutet, dass für die Inhaber von patentgeschützten Arzneimitteln, die eine Verwendung oder Erprobung dieser Arzneimittel im pädiatrischen Bereich beabsichtigen und hierfür den Bonus der sechsmonatigen Verlängerung der Laufzeit im Sinne des Art. 36 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 erhalten wollen, der Erhalt eines Zertifikats nach der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 eine unabdingbare Voraussetzung ist.
3. Damit stellt sich die Frage, ob ein Zertifikat nach der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 (Schutzzertifikats-Verordnung) - in Hinblick auf die Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 (Kinderarzneimittel-Verordnung) - auch dann zu erteilen ist, wenn zwar alle formellen und materiellen Voraussetzungen für dessen Erteilung vorliegen, es aber von vorne herein feststeht, dass das Zertifikat keine Wirkung entfaltet, weil es nach Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 zu keiner Verlängerung der Laufzeit des Grundpatents führt.
a) Dagegen spricht, dass in keiner der beiden hier maßgeblichen Verordnungen die Erteilung eines Zertifikats mit einer Null Laufzeit oder einer negativen Laufzeit explizit vorgesehen ist. Ein solches Zertifikat, das von Anfang an wirkungslos wäre, würde sich auf die Aussage beschränken, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des Zertifikats an sich vorliegen, der notwendige Zeitraum von fünf Jahren im Sinne des Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 aber noch nicht abgelaufen ist. Das erscheint insofern widersinnig, als das Schutzzertifikat zwar gesetzestechnisch als ein eigenes Schutzrecht ausgestaltet ist, es de facto aber allein die Verlängerung der Laufzeit des Grundpatents im Rahmen seiner arzneimittelrechtlichen Genehmigung bewirkt und auch bezweckt (Benkard, Patentgesetz Gebrauchsmustergesetz 10. Auflage 2006, § 16a PatG, Rdn. 9; Busse, Patentgesetz a. a. O., Anhang zu § 16a Rdn. 5 ; Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, 8. Auflage, § 16a Rdn. 5). Mit der Einführung des ergänzenden Schutzzertifikates durch die Verordnung (EG) Nr. 469/2009 wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass durch die lange Dauer staatlicher Genehmigungsverfahren für das Inverkehrbringen eines neuen Arzneimittels die effektive Nutzungszeit des auf das Erzeugnis erteilten Patents eingeschränkt sein kann. Diese Einbuße der Hersteller von Arzneimitteln führt dann zu einer Verlängerung der Laufzeit des Grundpatents, wenn der Zeitraum zwischen der Patentanmeldung und der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels länger ist als fünf Jahre. Nur in diesen Fall soll eine Kompensierung durch die Zuerkennung eines Zertifikates geschaffen werden, mit der Folge, dass insgesamt höchstens fünfzehn Jahre Ausschließlichkeit ab der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels in der Gemeinschaft eingeräumt werden (Erwägungsgrund 9 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009). Beträgt der Zeitraum zwischen der Patentanmeldung und der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen weniger als fünf Jahre, so besteht kein Anlass für die Annahme, dass der tatsächliche Patentschutz nicht ausreichen würde, um die in der Forschung vorgenommenen Investitionen zu amortisieren (Erwägungsgrund 4 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009). In derartigen Fällen würde ein Antrag auf Erteilung eines Zertifikates, der ja nichts anderes bedeutet als ein Antrag auf Verlängerung der Laufzeit des Patents, zurückgewiesen werden. Denn ein Schutzzertifikat ohne eine Laufzeit oder sogar mit einer negativen Laufzeit ist nicht nur in den Bestimmungen nicht vorgesehen, sondern es ist für den Antragsteller wertlos und in den Fällen, in denen eine Minus Laufzeit ausgesprochen wird, auch verwirrend, denn es könnte den Anschein erwecken, dass damit die Patentlaufzeit verkürzt wird.
Es ist nicht ersichtlich, dass der Erlass der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 (Kinderarzneimittel-Verordnung) an dieser rechtlichen Wertung des Schutzzertifikates etwas geändert haben sollte. Die Erwägungsgründe und die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 knüpfen mehrfach an den Begriff des ergänzenden Schutzzertifikates im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 an (zum Beispiel Erwägungsgründe 26, 27 und Art. 8, 36). Es findet sich kein Hinweis, dass dieser Rechtsbegriff nunmehr anders zu definieren wäre, als dies vor Erlass der Kinderarzneimittel-Verordnung der Fall war. Ebenso wenig gibt es in der Kinderarzneimittel-Verordnung einen Anhaltspunkt dafür, dass mit dem Erlass der Kinderarzneimittel-Verordnung auch denjenigen Patentinhabern die Möglichkeit einer tatsächlichen Verlängerung der Laufzeit des Grundpatents eröffnet werden soll, die bisher ein Schutzzertifikat wegen Unterschreitung der Zeiträume des Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 nicht erhalten konnten. Hätte der Verordnungsgeber die Erteilung eines Schutzzertifikates mit einer Minus Laufzeit oder Null Laufzeit tatsächlich gewollt, so hätte dies schon aus Gründen der Rechtsklarheit Eingang in die jeweiligen Bestimmungen gefunden.
Hinzu kommt, dass die Erteilung eines derartigen Zertifikats ohne eine Laufzeit auch dem gewöhnlichen Sprachgebrauch widerspricht. Mit „Laufzeit“ wird im allgemeinen eine Zeitspanne bezeichnet, während der etwas passiert. Bei Verträgen wird damit die Zeitspanne benannt, in der ein Vertrag Gültigkeit hat (Vertrags-Laufzeit), im technischen Bereich spricht man von Laufzeit, wenn es um die Zeitspanne geht, innerhalb der ein System aktiv ist. Eine Null-Laufzeit oder gar eine Minus-Laufzeit ist dem Sprachgebrauch unbekannt. So spricht Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 davon, dass das Zertifikat „ab Ablauf“ der gesetzlichen Laufzeit des Grundpatents „gilt“, mithin - positiv - Wirkung entfaltet. Dafür, dass der Tag, an dem das Grundpatent abläuft, nunmehr als bloßer rechnerischer Ausgangspunkt für eine Subtraktion (Zertifikat mit Minus Laufzeit) und anschließende Addition (Verlängerung der Laufzeit) dienen soll, finden sich keine Anhaltspunkte.
b) Vertritt man die gegenteilige Ansicht und lässt die Erteilung eines Schutzzertifikates ohne Laufzeit oder mit einer negativen Laufzeit zu, so können auch diejenigen Hersteller von Arzneimitteln in den Genuss der durch Art. 36 der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 gewährten Verlängerung der Laufzeit des Zertifikates und damit des Grundpatents kommen, die bisher wegen Unterschreitung der Zeiträume des Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 von der Erteilung ausgeschlossen waren. Das ist möglich, wenn die Vorschrift über die Laufzeit des Zertifikats nach Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 als eine rechtlich selbständige Bestimmung angesehen wird mit der Folge, dass bei der Erteilung des Zertifikats zunächst das Vorliegen der formellen (Art. 7 bis Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009) und materiellen Voraussetzungen (Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009) geprüft wird und sodann in einem zweiten Schritt die Dauer der Laufzeit des Schutzzertifikats festegelegt wird. Für diese Sichtweise könnte die systematische Stellung des Artikel 13 innerhalb des Aufbaus der Verordnung sprechen. Erst nachdem alle Bedingungen und Modalitäten für die Erteilung des Zertifikats aufgezählt worden sind, befasst sich die Schutzzertifikats-Verordnung in Artikel 13 mit der Laufzeit des Zertifikats. Damit erscheint die Erteilung eines Zertifikats ohne Laufzeit beziehungsweise mit einer Minus-Laufzeit, oder besser, die Feststellung, dass die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung eines Zertifikats vorliegen, in rechtsdogmatischer Hinsicht vertretbar und mit der Systematik der Verordnung vereinbar zu sein. Hinzu kommt, dass der Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 ein negatives Ergebnis bei der Berechnung der Laufzeit auch nicht ausdrücklich ausschließt.
Unterstellt man weiter, dass die mit der Verordnung (EG) Nr. 1601/2006 (Kinderarzneimittel-Verordnung) verfolgten Ziele in sachlicher und zeitlicher Hinsicht völlig unabhängig von den Gründen zu sehen sind, die bei Erlass der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 (Schutzzertifikats-Verordnung) maßgeblich waren, so erscheint eine nachträgliche Modifikation der Schutzzertifikats-Systems nicht ausgeschlossen. Die Erteilung eines Schutzzertifikats soll den Patentinhaber dafür entschädigen, dass er sein Produkt vor der Erteilung der arzneimittelrechtlichen Genehmigung nicht vermarkten kann und einen Ausgleich schaffen, wenn der Zeitablauf zwischen Anmeldung des Grundpatents und der ersten arzneimittelrechtlichen Genehmigung länger als fünf Jahre dauert. Die Kinderarzneimittel-Verordnung hingegen gibt einen sechsmonatigen Verlängerungs-Bonus dafür, dass der Anmelder mit der Durchführung von Studien und der Veröffentlichung von Studienergebnissen der Öffentlichkeit Informationen über die Eignung seines Präparates für die pädiatrische Bevölkerungsgruppe zur Verfügung stellt (vgl. Erwägungsgründe 4, 26 und 28 der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006). Geht man weiter davon aus, dass der Kinderarzneimittel-Verordnung ein größeres Gewicht beizumessen ist als der Schutzzertifikats-Verordnung, so ist es naheliegend, eine möglichst große Anzahl von Arzneimittelhersteller mit dem sechsmonatigen Laufzeit-Bonus zu belohnen, wenn sie die entsprechenden pädiatrischen Studien durchführen (siehe hierzu Gassner, Ergänzendes Schutzzertifikat und pädiatrische Marktexklusivität, A&R 6/2008, Seite 269 - 272, Snodin , Miles, Making the Most of Paediatric SPC Extensions, The Regulatory Affairs Journal, Vol. 18, Nr. 7 aus Juli 2007, Seite 459 ff.).
c) Folgt man der rechtlichen Wertung nach b) und bejaht in der vorliegenden Streitsache den Anspruch auf Erteilung eines Schutzzertifikates, so ist nicht geklärt, welche Laufzeit diesem Zertifikat zuerkannt werden soll (Art. 13 Abs. 1, Art. 11 Abs. 1 f.) der Verordnung (EG) 469/2009). Soweit die errechneten Zeiträume - wie die Anmelderin vorträgt - als mathematische Hilfsgrößen betrachtet werden, ergibt sich ein Zeitpunkt, der vor dem Ablauf der gesetzlichen Laufzeit des Grundpatents liegt. Da dieser nominale Ablauftag aber zeitlich vor dem Ablauf des Grundpatents liegt, wäre auch daran zu denken, auf den Tag des Ablaufs der Patents „aufzurunden“ (Gassner, a. a. O., Seite 271).
III. Die Anmelderin hat von mehreren Patentämtern innerhalb der Gemeinschaft für den streitgegenständlichen pharmazeutischen Wirkstoff ein Schutzzertifikat erhalten. So haben die Patentbehörden von Großbritannien, den Niederlanden und von Bulgarien der Anmelderin ein Schutzzertifikat mit einer negativen Laufzeit zuerkannt, das griechische Patentamt hat ein Schutzzertifikat ohne eine Laufzeit erteilt, die Beschwerdekammer für geistiges Eigentum in Estland hat die Streitsache an das Patentamt zur Erteilung eines Schutzzertifikats zurückverwiesen.
Diese im Vergleich zu der Entscheidung des Deutschen Patent- und Markenamtes abweichende Entscheidungspraxis veranschaulicht, dass die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht derart offenkundig ist, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bliebe. Damit besteht die Gefahr weiterer abweichender Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union. Da es primäres Ziel der Vorschrift des Art. 267 AEUV ist, eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts in sämtlichen Mitgliedstaaten zu gewährleisten, erscheint die Durchführung des Vorabentscheidungsverfahrens notwendig.